PDF (1.65 MB) - Mohr Siebeck Verlag
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14<br />
Staatsrechtslehre als Mikrokosmos<br />
universitäre Rekrutierung von Staatsrechtslehrern über zwei Staatsexamina, Dissertation<br />
und Habilitation in Orientierung auch an den gewachsenen Traditionen<br />
der staats‐ und verwaltungsrechtlichen Praxis prämiert eher sozial mittlere Positionen<br />
in der Nähe herrschender Meinungen 71 . Hinzu kommt die unbewusste<br />
Übernahme vorgelebter oder im sozialen System Wissenschaft als gute Praxis<br />
oder wissenschaftsadäquat internalisierter Verhaltensweisen im Sinne von Werthaltungen,<br />
Orientierungsstandards, Einstellungen oder informellen Praktiken,<br />
die Robert K. Merton auf den Begriff des wissenschaftlichen Ethos oder des<br />
Ethos der Wissenschaft gebracht hat 72 . Im Sinne dieses ungeschriebenen moralischen<br />
Konsenses sollen Wissenschaftler Wahrheitsansprüche universalistisch,<br />
d. h. unabhängig von vorgängigen persönlichen oder sozialen Eigenschaften ihrer<br />
Vertreter formulieren, dieses Wissen öffentlich mit den anderen Wissenschaftlern<br />
teilen (Kommunismus), in bescheidener Uneigennützigkeit um des wissenschaftlichen<br />
Fortschritts willen forschen und dabei methodisch einem unvoreingenommenen<br />
organisierten Skeptizismus folgen 73 . Mag diese Analyse „überholt“,<br />
weil weder vollständig noch für das Handeln von Wissenschaftlern empirisch<br />
tatsächlich allein bestimmend sein, so werden doch zentrale Besonderheiten der<br />
wissenschaftlichen Kommunikation analytisch beschrieben 74 .<br />
Diese kommunikativen Eigenarten sind auch für die Wissenschaft des Öffentlichen<br />
Rechts bedeutsam und machen deren spezifische Ambivalenzen sichtbar:<br />
Der Universalitätsanspruch einer Norminterpretation kann sich, gerade auch<br />
wegen der Nähe des Öffentlichen Rechts zu politischen Entscheidungen über die<br />
Verteilung von (Gestaltungs‐)Macht und Erfolg, infolge der rechtsdogmatischen<br />
und hermeneutischen Auslegungs‐ und Entscheidungsspielräume schnell mit<br />
einer gewissen kontextabhängigen, nicht mehr neutralen, sondern von persönlichen<br />
oder politischen Interessen geleiteten Ergebnisorientierung des Wissenschaftlers<br />
reiben 75 ; die Uneigennützigkeit (mit der Folge allein von Reputation<br />
als Währung für wissenschaftliche Anerkennung statt sonstiger Vorteile) kann<br />
konträr zu eigenen finanziellen, politischen oder karrierepolitischen Interessen<br />
(z. B. als Gutachter, Prozessbegleiter, Reviewer) liegen; und der organisierte<br />
Skeptizismus kann einer zu schnellen ideologiegeprägten Prämissenbildung ins<br />
71<br />
Dazu Stolleis, Geschichte IV (Fn. 24), S. 356, in karriereorientierter Akzentuierung S. 480,<br />
545.<br />
72<br />
Grdl. Merton, Struktur (Fn. 50), S. 88 ff.<br />
73<br />
Merton, Struktur (Fn. 50), S. 90 ff.; krit. Diskussion bei R. Hasse, Das institutionalistische<br />
Programm, in: Handbuch (Fn. 61), S. 45 (47 ff.); Weingart, Wissenschaftssoziologie (Fn. 1),<br />
S. 15 ff.; Ziman, Science (Fn. 1), S. 31 ff., pass.; Felt u. a., Wissenschaftsforschung (Fn. 1), S. 60 ff.;<br />
ausf. P. Weingart, Die Stunde der Wahrheit?, 2001, S. 70 ff.; Bühl, Einführung (Fn. 61), S. 104 ff.;<br />
aus der Diskussion im Öffentlichen Recht vgl. A. Blankenagel, Wissenschaftsfreiheit aus der<br />
Sicht der Wissenschaftssoziologie, AöR 105 (1980), S. 35 (62 ff.).<br />
74<br />
Weingart, Wissenschaftssoziologie (Fn. 1), S. 19.<br />
75<br />
Das gilt selbstverständlich auch für Wissenschaftler außerhalb der Universitäten – von den<br />
Selbstrechtfertigungen von Richtern und Ministerialbeamten bis hin zu strategischen (Vor‐)<br />
Veröffentlichungen von Anwälten.