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Leseprobe als PDF - E-cademic

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Johannes Trüper<br />

Entwicklungslinien<br />

Die Entwicklung der Kinder- und Jugendpsychiatrie <strong>als</strong> eigenständige<br />

Fachrichtung ist nicht nur <strong>als</strong> Resultat einer Spezialisierung innerhalb der Medizin<br />

bzw. der Psychiatrie zu werten, sondern geht aus dem Zusammenspiel<br />

medizinischer, pädagogischer, psychologischer und philosophischer Einflüsse<br />

hervor. Innerhalb der wissenschaftlichen Nachbardisziplinen nimmt die Pädagogik<br />

und insbesondere die Heilpädagogik eine entscheidende Rolle ein. Die sozialen<br />

und wissenschaftlichen, insbesondere die philosophischen Einflüsse im 19.<br />

Jahrhundert führten zu einem neuen Menschenbild und zu einer veränderten<br />

Betrachtung des Kindes, was sich in der Pädagogik, Psychologie und Medizin<br />

niederschlug. Neue Wissenschaftszweige wie Kinderheilkunde sowie Kinderpsychiatrie<br />

und -psychologie bildeten sich heraus. Gerade in der Pädagogik<br />

wurden Vorstellungen der Romantik durch Nützlichkeitserwägungen <strong>als</strong> eine<br />

notwendige Konsequenz aus der zunehmenden Industrialisierung ersetzt. Bildung<br />

wurde damit auch <strong>als</strong> Grundlage für die ökonomische Weiterentwicklung<br />

verstanden. Diese neuen Anschauungen standen zunächst im Widerspruch zur<br />

reaktionären Schulpolitik, die im Vordergrund der Erziehung die Religion und die<br />

Staatskonformität sah. Mit dem Ziel der Reform des mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

Schulunterrichts wurde zum Beispiel 1868 die »Sektion für<br />

naturwissenschaftliche Pädagogik« auf der Naturforscherversammlung gegründet.<br />

Während die pädagogische Lehre am Ende des 19. Jahrhunderts noch durch die<br />

Herbartsche 3 Psychologie geprägt wurde, wie sie besonders der Jenaer Pädagoge<br />

Wilhelm Rein in der Nachfolge seines Vorgängers in Jena Karl Volkmar Stoy<br />

vertrat, nahm der experimentelle Ansatz um die Jahrhundertwende immer<br />

größeren Raum ein. In diesem Zusammenhang sind die Entstehung der<br />

»Sammlung von Abhandlungen aus dem Gebiete der pädagogischen Psychologie<br />

und Physiologie« durch Herman Schiller und Theodor Ziehen 1897 sowie die<br />

»Experimentelle Didaktik« durch Wilhelm August Lay 1903 und der »Abriß der<br />

experimentellen Pädagogik« durch Ernst Meumann 1914 zu sehen. Wiederum<br />

währte die Dominanz der experimentalpsychologischen Pädagogik nicht sehr lang,<br />

da sich ihre Beschränkung insbesondere das Gefühls- und Willensleben betreffend<br />

zeigte. Als Kritik zum intellektualistischen und mechanistischen Konzept wurden<br />

ganzheitliche Werte vermittelnde, persönlichkeitsbildende pädagogische Theorien<br />

kreiert. Letztendlich wurde ein Erziehungsstil vom Kind ausgehend angestrebt,<br />

der von Anpassung frei sein sollte. In der Abbildung 1 ist die Entwicklungslinie<br />

der Jenaer Pädagogik dargestellt, wobei die Pädagogen mit unmittelbarer<br />

Beziehung zur Kinderpsychiatrie unterlegt sind (Abb. 1). Die frühe Kinderpsychologie<br />

diente besonders der Schulpädagogik und beschäftigte sich mit der<br />

Intelligenzforschung. Pädagogische Aspekte fanden auch ihren Eingang in die<br />

Medizin. Erziehung bestimme die Entwicklung des Kindes in dem Sinne, dass das<br />

Nervensystem sich an die Erfordernisse der Umwelt anpassen würde. Die<br />

3 Herbart, J. H., Oldenburg, Göttingen (1776–1841).<br />

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