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emilia Galotti - Schauspiel Stuttgart

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<strong>emilia</strong><br />

galotti<br />

<strong>emilia</strong> galotti gehört zu den meist interpretierten Werken<br />

der deutschsprachigen Literatur. Der Stoßseufzer der Interpreten,<br />

die bereits unübersichtliche Fülle der Analysen durch eine<br />

weitere zu vermehren, ist zum Topos geworden. 1956 betitelt<br />

Hatfield einen Aufsatz »Emilia’s guilt once more«, 1975 fordert<br />

Guthke eine Interpretationspause für das viel strapazierte<br />

Drama. Dass die Einzelforschung nicht mehr zu bewältigen sei,<br />

konstatiert Alt in der 1994 erschienenen Einführung zur Tragödie<br />

der Aufklärung und am Beispiel der Interpretationsgeschichte<br />

von Emilia <strong>Galotti</strong> demonstriert Horst Steinmetz die Fragwürdigkeit<br />

des Anspruches, die ursprüngliche Intention des Autors zu<br />

rekonstruieren […]. Jeder Satz des Dramas ist hundertfach umund<br />

umgewendet worden, jede These hat eine Antithese […].<br />

Mit Blick auf das hier beschriebene Dilemma der Literaturwissenschaft<br />

stellt sich die Frage, warum auch wir das bürgerliche<br />

Trauerspiel, das Lessing im Jahre 1772 vollendete, wieder<br />

auf die Bühne bringen. Denn <strong>emilia</strong> galotti ist ebenso häufig<br />

auf den deutschen Bühnen vertreten wie sie Opfer einer weiteren<br />

literaturtheoretischen Untersuchung wird. Das bekannte<br />

Regietheater - Argument, dass klassische Texte allgemeingültige<br />

Aussagen in sich bergen, kann allein nicht der Grund<br />

sein, sich mit dem Text von Lessing, den dazu geschriebenen<br />

Interpretationen, Deutungen und Aufführungsanalysen zu<br />

befassen. Lessings <strong>emilia</strong> galotti hat unser Team, trotz einer<br />

nicht zu leugnenden Antiquiertheit der Sprache und Ansichten,<br />

aufgrund ihrer mathematischen Konstruktion und des daraus<br />

resultierenden Sogs der Handlung fasziniert. Gleich einer<br />

unaufhaltsamen Maschine lässt Lessing die Handlung dahin<br />

rasen: Ereignisse holen die Figuren ein, Entscheidungen werden<br />

durch die Handlung anderer Figuren unterwandert und selbst<br />

für den Intrigant Marinelli, der lange das Geschehen zu lenken<br />

scheint, ist ein Ausstieg aus dem Handlungsverlauf offensichtlich<br />

unmöglich. Nur konsequent schlittert Lessings Figurenarsenal<br />

am Ende in die blutige Katastrophe, den Tod Emilias,<br />

den – außer ihr selbst – keine der Figuren wollte, keine auch nur<br />

geahnt, geschweige denn durch eigenes Verhalten oder Handeln<br />

intendiert hat.<br />

Wie aber kann es sein, dass Emilia, die im Leben bis dato unbedarft<br />

und bestens behütet ist, am Ende keinen anderen Wunsch<br />

hegt, als den, das eigene Leben zu beenden? Wie kann sie, um<br />

die sich die Ereignisse des Stückes drehen, zum Schluss so verzweifelt<br />

und alleine da stehen, wo doch alle: Prinz, Graf, Vater,<br />

Mutter und selbst Orsina, die in Emilia eine Verbündete im zu<br />

ertragenden Leid sieht, ihr, nur ihr zugewandt schienen? Diese<br />

Frage prägte sowohl unseren Probenprozess als auch maßgeblich<br />

unsere Stückfassung, die mit dem Verzicht auf Nebenfiguren<br />

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