emilia Galotti - Schauspiel Stuttgart
emilia Galotti - Schauspiel Stuttgart
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als an ihrem Befinden. Und Graf Appiani nimmt für die Liebe<br />
des verehrten Odoardos die Hochzeit mit seiner Tochter eher in<br />
Kauf, als dass er für sie entbrannt ist. Egoisten sind es, die Emilia<br />
umgeben und, ohne dass sie etwas dagegen oder dafür tut,<br />
gerät sie zwischen die Fronten von Vater und Prinz, steht in der<br />
Mitte von zwei nicht zu vereinenden Lebensvorstellungen.<br />
Gleichzeitig entbrennt in ihrem Innern ein für sie unerträglicher<br />
Konflikt, in dem plötzlich aufkeimendes Begehren gegen Regeln<br />
und Prinzipien steht, die sie erlernte und bisher als Sicherheit<br />
und Anleitung zum richtigen Verhalten verstand. Aufgerieben<br />
wird sie von all den Wünschen und Vorstellungen, die an sie gestellt<br />
werden. Abgesehen von dem Moment, in dem sie zu ihrem<br />
Begehren steht – aufgrund der Erkenntnis des eigenen Fühlens<br />
jedoch den Tod wählt – ist Emilia nie mehr als Projektionsfläche,<br />
die als Sicherheit und Beweis für eigene Lebensmodelle<br />
genutzt wird. Einsicht in die Selbstbezogenheit ihrer Fürsorge<br />
gewinnen die Figuren erst, wenn es zu spät ist, wenn Emilia ihren<br />
Mut zusammennimmt, dem vorgeschriebenen Leben trotzt –<br />
sei es aus Resignation oder einem großen Reflexionsvermögen –<br />
und ihren Vater verführt, sie zu töten. Er erspart ihr schlussendlich<br />
das Leben in einer Welt, in der es für sie, und ihre Bedürfnisse<br />
keinen Platz gibt; einer Welt, in der ein »Ich, Emilia« nicht<br />
gehört werden will.<br />
Das Verhalten, dass das Gegenüber nicht um seiner selbst willen,<br />
vielmehr im Sinne der eigenen Bedürfnisse behandelt wird,<br />
kennen wir heute, wo Menschen zunehmend ein Gefühl des<br />
Selbstverlustes quält und die Bestärkung des eigenen Lebensweges<br />
durch Andere zwanghaft wird, nur zu gut. Hingegen<br />
scheint in unserer Zeit der permanenten Reflektion, die in die<br />
Handlungsunfähigkeit treiben kann, der Aspekt des Aufgeriebenwerdens<br />
zwischen zwei Prinzipien, zwischen denen es keine<br />
Position im ‚Zwischen‘ sondern nur den Absolutheitsanspruch<br />
jeder Seite gibt, zunächst weniger aktuell. Aber das Phänomen<br />
der Macht, die auf den Einzelnen ausgeübt werden kann, die<br />
ebenso Verführung wie Zerstörung ist, ist zeitlos. Die Möglichkeit<br />
des Beeinflussens, das in einem Maße verunsichern kann<br />
in dem die eigene Meinungsbildung unmöglich wird und vermeintlich<br />
nichts mehr selber behauptet oder erkämpft werden<br />
kann, bestimmt weiterhin das Leben vieler, die sich eigentlich<br />
wünschen, dass es anders läuft, die aber nicht die Mittel<br />
und Wucht der Mächtigen innehaben.<br />
Emilia <strong>Galotti</strong> muss also auch bei uns auf der Bühne sterben<br />
– und, obwohl die angeführte Erörterung den Eindruck entstehen<br />
lässt, dass das Geschehen des Trauerspiels logisch und<br />
nur auf diese Weise ablaufen kann, hoffen wir, dass Sie die<br />
Brüche in Lessings Text hören, dass Sie ‚aufhorchen‘ und die<br />
Bodenlosigkeit des Innenlebens der einzelnen Figuren erfahren,<br />
die mit den Reiz des Werkes ausmachen.<br />
sarah iSRael<br />
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