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Fall 9 - Studentenverbindung Concordia Bern

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Übungen im Strafrecht<br />

Frühjahrssemester 2008<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Rechtswissenschaftliche Fakultät<br />

Universität <strong>Bern</strong><br />

Ass.-Prof. Dr. Andreas Eicker<br />

Ass.-Prof. Dr. Jonas Weber<br />

Übungen im Strafrecht<br />

<strong>Fall</strong> 9: Lösungshinweise<br />

Seite 2/9<br />

Eicker/Weber<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Uni <strong>Bern</strong><br />

<strong>Fall</strong> 9: Offroader auf Abwegen<br />

Lösungshinweise<br />

Strafbarkeit der Fränzi<br />

A. Irreführung der Rechtspflege gemäss Art. 304<br />

Ziff. 1 Abs. 2 StGB<br />

Von Art. 304 StGB ist nur die Rechtspflege betroffen; im<br />

Unterschied etwa zu Art. 303 StGB, welcher neben dem ungehinderten<br />

Gang der Rechtspflege auch den einzelnen vor<br />

ungerechtfertigter Strafverfolgung schützen will.<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Fränzi der Irreführung der<br />

Rechtspflege gemäss Art. 304 Ziff. Abs. 2 StGB<br />

schuldig gemacht hat, indem sie sich gegenüber<br />

der Polizei an der Unfallstelle als Fahrerin ausgegeben<br />

hat.<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

• massgebend: Fränzi übernimmt fälschlicherweise<br />

die Rolle der Angeschuldigten<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

• rechtfertigende Notstandshilfe gemäss Art. 17<br />

StGB?<br />

o Notstandslage: unmittelbare Gefahr für ein individuelles<br />

Rechtsgut<br />

• Unmittelbarkeit?<br />

o Notstandshandlung<br />

• Geeignetheit der Selbstbezichtigung zur<br />

Abwehr des Suizids?<br />

• Subsidiarität: nichts anders abwendbar<br />

• Suizid nicht anders abwendbar?<br />

• Proportionalität: Schutz höherwertiger Interess<br />

3. Schuld<br />

• Putativnotstandshilfe: irrige Annahme der tatsächlichen<br />

Voraussetzungen einer Notstandshilfe gemäss<br />

Art. 17 i.V.m. Art. 13 StGB<br />

B. Begünstigung gemäss Art. 305 Abs. 1 StGB<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Fränzi der Begünstigung<br />

gemäss Art. 305 Abs. 1 StGB schuldig gemacht<br />

hat, indem sie sich gegenüber der Polizei an der<br />

Unfallstelle als Fahrerin ausgegeben hat (und<br />

den Fahrer des Fiat 500 als Unfallverursacher<br />

angegeben hat).


Übungen im Strafrecht<br />

<strong>Fall</strong> 9: Lösungshinweise<br />

Seite 3/9<br />

Eicker/Weber<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Uni <strong>Bern</strong><br />

Übungen im Strafrecht<br />

<strong>Fall</strong> 9: Lösungshinweise<br />

Seite 4/9<br />

Eicker/Weber<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Uni <strong>Bern</strong><br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

• Verhinderung der Strafverfolgung<br />

•"mindestens für eine gewisse Zeit" (BGE 129 IV 140)<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

• rechtfertigende Notstandshilfe gemäss Art. 17<br />

StGB?<br />

o Notstandslage: unmittelbare Gefahr für ein individuelles<br />

Rechtsgut<br />

• Unmittelbarkeit?<br />

o Notstandshandlung<br />

• Geeignetheit der Selbstbezichtigung zur<br />

Abwehr des Suizids?<br />

• Subsidiarität: nichts anders abwendbar<br />

• Suizid nicht anders abwendbar?<br />

• Proportionalität: Schutz höherwertiger Interessen<br />

3. Schuld<br />

• Putativnotstandshilfe: irrige Annahme der tatsächlichen<br />

Voraussetzungen einer Notstandshilfe gemäss<br />

Art. 17 i.V.m. Art. 13 StGB<br />

• Schuldausschlussgrund gemäss Art. 305 Abs. 2<br />

StGB<br />

C. Falsche Anschuldigung gemäss Art. 303 Ziff. 1<br />

Abs. 1 StGB<br />

Im Unterschied zu Art. 304 StGB, der nur die Rechtspflege<br />

schützt, bezweckt Art. 303 StGB neben dem Schutz des<br />

ungehinderten Gangs der Rechtspflege auch den Schutz<br />

des Einzelnen vor ungerechtfertigter Strafverfolgung.<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Fränzi der falschen Anschuldigung<br />

gemäss Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB<br />

schuldig gemacht hat, indem sie an der Unfallstelle<br />

gegenüber der Polizei und später im Ermittlungsverfahren<br />

den Fahrer des Fiats 500 als<br />

Unfallverursacher angegeben hat.<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

• Bestimmbarkeit der beschuldigten Person ist ausreichend:<br />

Autonummer<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

• rechtfertigende Notstandshilfe gemäss Art. 17<br />

StGB?<br />

3. Schuld


Übungen im Strafrecht<br />

<strong>Fall</strong> 9: Lösungshinweise<br />

Seite 5/9<br />

Eicker/Weber<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Uni <strong>Bern</strong><br />

Übungen im Strafrecht<br />

<strong>Fall</strong> 9: Lösungshinweise<br />

Seite 6/9<br />

Eicker/Weber<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Uni <strong>Bern</strong><br />

D. Üble Nachrede gemäss Art. 173 StGB<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Fränzi der üblen Nachrede<br />

gemäss Art. 173 StGB schuldig gemacht hat, indem<br />

sie (an der Unfallstelle gegenüber der Polizei<br />

und später im Ermittlungsverfahren den Fahrer<br />

des Fiats 500 als Unfallverursacher angegeben<br />

hat sowie) Hans als boshaften Lügner bezeichnet<br />

hat.<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

•"unehrenhaftes Verhalten"<br />

• Eignung der Äusserung, den Ruf zu schädigen<br />

• in casu: boshafter Lügner<br />

•(und wohl auch: Unfallverursachung durch Unachtsamkeit<br />

wegen SMS-Schreibens)<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

3. Schuld<br />

E. Verleumdung gemäss Art. 174 StGB<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Fränzi der Verleumdung<br />

gemäss Art. 174 StGB schuldig gemacht hat, indem<br />

sie (an der Unfallstelle gegenüber der Polizei<br />

und später im Ermittlungsverfahren den Fahrer<br />

des Fiats 500 als Unfallverursacher angegeben<br />

hat sowie) Hans als boshaften Lügner bezeichnet<br />

hat.<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

• wider besseres Wissen<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

3. Schuld<br />

4. Konkurrenz zu Art. 303 StGB?<br />

• echte Konkurrenz hinsichtlich "boshafter Lügner"<br />

Strafbarkeit des Pauls<br />

F. Nötigung gemäss Art. 181 StGB<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Paul der Nötigung gemäss<br />

Art. 181 StGB schuldig gemacht hat, indem er<br />

Fränzi unter Hinweis auf einen möglichen Suizid<br />

dazu veranlasste, sich gegenüber der Polizei als<br />

Fahrerin auszugeben.<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

• Androhung eines ernstlichen Nachteils: Androhung<br />

des Suizids<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

• positive Rechtswidrigkeitsprüfung: bei Nötigung ist<br />

die Rechtswidrigkeit nicht durch Tatbestandsmässigkeit<br />

indiziert, sondern besonders zu begründen<br />

• Der von Paul angestrebte Zweck (= Irreführung der<br />

Rechtspflege) war rechtswidrig.<br />

3. Schuld


Übungen im Strafrecht<br />

<strong>Fall</strong> 9: Lösungshinweise<br />

Seite 7/9<br />

Eicker/Weber<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Uni <strong>Bern</strong><br />

Übungen im Strafrecht<br />

<strong>Fall</strong> 9: Lösungshinweise<br />

Seite 8/9<br />

Eicker/Weber<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Uni <strong>Bern</strong><br />

G. Anstiftung zur Irreführung der Rechtspflege gemäss<br />

Art. 304 Ziff. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 1<br />

StGB<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Paul Anstiftung zur Irreführung<br />

der Rechtspflege gemäss Art. 304 Ziff. 1<br />

Abs. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB schuldig gemacht<br />

hat, indem er Fränzi dazu veranlasste,<br />

sich gegenüber der Polizei als Fahrerin auszugeben<br />

und kategorisch jedes Fehlverhalten in<br />

Abrede zu stellen.<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

• Haupttat: auch wenn bei Fränzi eine Putativ-<br />

Notstandshilfe angenommen wird, ist ihr Verhalten<br />

rechtswidrig. Insoweit ist also eine tatbestandsmässige<br />

und rechtswidrige Haupttat gegeben.<br />

• Bestimmung zu einem Vergehen oder Verbrechen<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

3. Schuld<br />

H. Anstiftung zur falschen Anschuldigung gemäss<br />

Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Paul Anstiftung zu einer<br />

falschen Anschuldigung gemäss Art. 303 Ziff. 1<br />

Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB schuldig gemacht<br />

hat, indem er Fränzi dazu veranlasste,<br />

sich gegenüber der Polizei als Fahrerin aus-<br />

zugeben und kategorisch jedes Fehlverhalten in<br />

Abrede zu stellen.<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

• Haupttat<br />

• Bestimmung zu einem Vergehen oder Verbrechen<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

• doppelter Anstiftungsvorsatz<br />

o bezüglich Bestimmung der anderen Person<br />

o bezüglich Haupttat<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

3. Schuld<br />

I. Anstiftung zur Begünstigung gemäss Art. 305<br />

Ziff. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB<br />

Obersatz: Zu prüfen ist, ob sich Paul Anstiftung zu einer<br />

Begünstigung gemäss Art. 305 Ziff. 1 Abs. 1<br />

i.V.m. Art. 24 Abs. 1 StGB schuldig gemacht hat,<br />

indem er Fränzi dazu veranlasste, sich gegenüber<br />

der Polizei als Fahrerin auszugeben.<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

• Haupttat: Begünstigung des Anstifters<br />

• = straflose mittelbare Selbstbegünstigung


Übungen im Strafrecht<br />

<strong>Fall</strong> 9: Lösungshinweise<br />

Seite 9/9<br />

Eicker/Weber<br />

Institut für Strafrecht und Kriminologie<br />

Uni <strong>Bern</strong><br />

J. Falsches Zeugnis gemäss Art. 307 Abs. 1 StGB<br />

1. Tatbestandsmässigkeit<br />

1.1 Objektiver Tatbestand<br />

• Ermittlungsverfahren als gerichtliches Verfahren<br />

• Zeugeneigenschaft<br />

• Falschaussage<br />

1.2 Subjektiver Tatbestand<br />

2. Rechtswidrigkeit<br />

3. Schuld<br />

4. Strafmilderung gemäss Art. 308 Abs. 2 StGB<br />

• falsche Äusserung, weil er sich durch die wahre<br />

Aussage der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung<br />

aussetzen würde

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