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Die Deportationen ungarischer Juden nach Theresienstadt

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<strong>Die</strong> überwiegende Mehrheit der ungarischen „Provinzjuden“, die im März und April 1945 in <strong>Theresienstadt</strong><br />

ankamen, waren im Frühjahr 1944 nicht <strong>nach</strong> Auschwitz, sondern <strong>nach</strong> Österreich deportiert worden und<br />

stellten somit einen Ausnahmefall innerhalb der „Ungarnaktion“ dar. Ihr Schicksal stand im<br />

Zusammenhang mit verzweifelten jüdischen Versuchen, den Nationalsozialisten jüdisches Leben mit<br />

Geld, Waren und Verhandlungsmöglichkeiten mit Vertretern der westlichen Alliierten abzukaufen.<br />

Seit dem Jahr 1943 bestand in Budapest das „Hilfs- und Rettungskomitee“ (Waada Esra Vehazala), ein<br />

Zusammenschluss verschiedener zionistischer Gruppierungen mit dem orthodoxen Hilfskomitee.<br />

Präsident der Waada war Ottó Komoly, Geschäftsführender Vizepräsident Rezsö Kasztner (Rudolf<br />

Kastner). Vor der Okkupation Ungarns befasste sich die Waada vor allem mit Hilfsaktionen für jüdische<br />

Flüchtlinge – mehrheitlich aus Polen, aber auch aus Österreich und der Tschechoslowakei – bzw. mit<br />

illegaler Auswanderung, insbesondere <strong>nach</strong> Palästina. 31 Dabei unterhielt sie enge Kontakte mit der 1942<br />

in Istanbul etablierten Vertretung des Jischuw (des jüdischen Sektors in Palästina), die auch die nötigen<br />

Gelder zur Verfügung stellte. 32 Letztere Agenden betreute Joel Brand. Daneben existierte in Budapest<br />

das von Miklós (Moshe) Krausz geleitete Palästina-Amt der Jewish Agency, welches für die Ausgabe der<br />

so genannten „Palästina-Zertifikate“, der offiziellen Einwanderungsvisa der britischen Mandatsregierung<br />

<strong>nach</strong> Palästina, zuständig war. Nach dem Einmarsch der Deutschen im März 1944 arbeitete auch Miklós<br />

Krausz mit dem Rettungskomitee zusammen. Denn aufgrund ihrer jahrelangen Hilfsaktionen für<br />

Flüchtlinge aus den deutsch besetzten Gebieten waren das Palästina-Amt ebenso wie das Hilfskomitee<br />

bestens über die Gefahr informiert, in der sich die Jüdinnen und <strong>Juden</strong> <strong>nach</strong> der Okkupation Ungarns<br />

befanden. Dennoch hielten sie aktiven Widerstand gegen die geplanten Vernichtungsaktionen für<br />

aussichtslos, da dazu sowohl die Bereitschaft bei den meisten ungarischen <strong>Juden</strong> als auch die nötigen<br />

Vorbereitungsmaßnahmen fehlten. Darüber hinaus wollte die zionistische Führung nicht das Risiko<br />

eingehen, den Deutschen mit einem Aufstand einen Vorwand für die beschleunigte Vernichtung der<br />

jüdischen Gemeinde in Ungarn zu liefern. Denn das Kriegsende schien nahe und die Zeit für die <strong>Juden</strong> zu<br />

arbeiten. 33 <strong>Die</strong> Leitung des Rettungskomitees beschloss daher zu verhandeln, um Zeit zu gewinnen. Ottó<br />

Komoly bemühte sich erfolglos in führenden politischen und kirchlichen Kreisen Ungarns um Hilfe für die<br />

31 László Varga schätzt die Zahl der jüdischen Flüchtlinge in Ungarn auf 50.000, wobei die Polen die<br />

größte Gruppe darstellten. Varga, Ungarn, S. 340.<br />

32 Cohen, Resistance and Rescue, S. 128.<br />

33 Der Bericht des jüdischen Rettungskomitees aus Budapest 1942–1945. Vorgelegt von Dr. Rezsö<br />

Kasztner, Yad Vashem Archive (YVA) B/7-3, S. 49, S. 22. <strong>Die</strong>ser Bericht erschien auch leicht überarbeitet<br />

in Buchform: Ernest Landau (Hg.), Der Kasztner-Bericht über Eichmanns Menschenhandel in Ungarn,<br />

München 1961. <strong>Die</strong> Hinweise in dieser Arbeit beziehen sich auf das ursprüngliche Dokument. In seiner<br />

detaillierten Studie über die jüdischen Rettungsversuche unter dem nationalsozialistischen Regime<br />

bezeichnet Yehuda Bauer diese Einschätzung der Lage in Ungarn als durchaus realistisch. Siehe: Bauer,<br />

Sale, S. 158–161.

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