Regeln sind für Mädchen - Jungen brauchen ... - Peter-may.de
Regeln sind für Mädchen - Jungen brauchen ... - Peter-may.de
Regeln sind für Mädchen - Jungen brauchen ... - Peter-may.de
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
III<br />
Geschlechtstypische Wörter: Zur Rolle <strong>de</strong>r semantischen Nähe <strong>de</strong>r<br />
Wörter beim Rechtschreiben<br />
Die geschlechtsspezifische Sozialisation bewirkt, daß sich <strong>Jungen</strong> und <strong>Mädchen</strong> typischerweise<br />
eine unterschiedliche Erfahrungswelt zu eigen machen. Beim Gebrauch <strong>de</strong>r mündlichen<br />
Sprache ist bekannt, daß <strong>Jungen</strong> und <strong>Mädchen</strong> entsprechend ihrem Erfahrungshintergrund<br />
unterschiedliche Wortschätze bevorzugen. Da <strong>de</strong>r Schriftspracherwerb im Kern be<strong>de</strong>utet, diese<br />
Erfahrungswelt mit einem neuartigen Werkzeug (lesend und schreibend) zu spiegeln, ergeben<br />
sich naturgemäß Unterschie<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r schriftlichen Verwendung von Wortschätzen (vgl. z.B.<br />
die Analysen zur inhaltlichen Gestaltung von <strong>Jungen</strong>- und <strong>Mädchen</strong>-Aufsätzen bei War<strong>de</strong>tzky<br />
1990, Balhorn/Büchner 1992). Es wäre eigentlich erstaunlich, wenn sich die individuellen<br />
Präferenzen zu Themen und Wörtern nicht auch beim Rechtschreiblernen auswirken wür<strong>de</strong>n,<br />
da <strong>de</strong>r Erwerb orthographischer Kenntnisse ja keinen losgelösten Vorgang darstellt, son<strong>de</strong>rn<br />
stets an konkrete Wortschreibungen gebun<strong>de</strong>n ist.<br />
Eine entsprechen<strong>de</strong> Inspektion <strong>de</strong>r Wörter in <strong>de</strong>r Hamburger Schreibprobe ergibt bei einigen<br />
sehr große Unterschie<strong>de</strong> und bei an<strong>de</strong>ren nur geringe Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n<br />
Geschlechtern, und bei einzelnen Wörtern kehrt sich <strong>de</strong>r Gesamttrend sogar um.<br />
Um die Rolle <strong>de</strong>r geschlechtsspezifischen Wortschreibung genauer zu analysieren, wur<strong>de</strong>n<br />
solche Wörter gesucht, die die relativen Stärken und Schwächen <strong>de</strong>r Geschlechtergruppen<br />
beson<strong>de</strong>rs gut zum Tragen kommen lassen.<br />
In <strong>de</strong>r Tabelle 6 ist das Ergebnis einer Diskriminanzanalyse aller Nomen wie<strong>de</strong>rgegeben, die<br />
von ca. 1500 Schülerinnen und Schüler <strong>de</strong>r Klassenstufen 4 bis 9 aus Hamburg und <strong>de</strong>r DDR<br />
geschrieben wur<strong>de</strong>n. Die Beschränkung auf Nomen soll sicherstellen, daß die inhaltliche<br />
Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Wörter auch ohne Kontext unstrittig ist. Nomen stehen sozusagen <strong>für</strong> sich,<br />
während die Semantik an<strong>de</strong>rer Wortarten nur im Kontext erfüllt wird.<br />
Die Wörter in Tabelle 6 <strong>sind</strong> so geordnet, daß zuoberst jene Wörter stehen, bei <strong>de</strong>nen die<br />
relativen Stärken <strong>de</strong>r <strong>Jungen</strong> beson<strong>de</strong>rs zum Ausdruck kommen, und je weiter unten in <strong>de</strong>r<br />
Tabelle ein Wort steht, <strong>de</strong>sto stärker differenziert es zugunsten <strong>de</strong>r <strong>Mädchen</strong> (siehe die Werte<br />
<strong>für</strong> die Diskriminanzfunktion in <strong>de</strong>n Spalten 2 und 3).<br />
Bis auf eine Ausnahme wi<strong>de</strong>rspricht das Vorzeichen <strong>de</strong>r Trennwerte nicht <strong>de</strong>r Erwartung<br />
aufgrund von Alltagserfahrungen. Wörter, die eher <strong>de</strong>r "<strong>Jungen</strong>-Welt" nahestehen, wer<strong>de</strong>n von<br />
diesen relativ besser geschrieben, und Wörter, die eher <strong>de</strong>r "<strong>Mädchen</strong>-Welt" zugeordnet<br />
wer<strong>de</strong>n, wer<strong>de</strong>n von diesen relativ besser geschrieben. Eine Ausnahme bil<strong>de</strong>t das Wort<br />
"Fußballmannschaft", das überrraschen<strong>de</strong>rweise von <strong>de</strong>n <strong>Mädchen</strong> relativ besser geschrieben<br />
wird, obwohl es ziemlich ein<strong>de</strong>utig <strong>de</strong>r "<strong>Jungen</strong>-Welt" nahesteht. Möglicherweise liegt dies<br />
daran, daß in <strong>de</strong>n höheren Klassenstufen ausschließlich das "nn" noch Schwierigkeiten bereitet,<br />
und bei Kürzebezeichnungen haben die <strong>Mädchen</strong> eher Vorteile (vgl. oben).<br />
Bezüglich <strong>de</strong>r Funktion <strong>de</strong>r Wörter <strong>für</strong> die Trennung zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern zeigt sich<br />
eine große Spannweite: In Schiedsrichter und Computer kommen die Stärken von <strong>Jungen</strong> am<br />
besten zum Ausdruck, während Päckchen und Tierärztin die stärksten <strong>Mädchen</strong>-Wörter<br />
darstellen. Unbescha<strong>de</strong>t dieser Abstufung schreiben <strong>Mädchen</strong> fast alle Wörter im Mittel<br />
häufiger richtig als <strong>Jungen</strong> (siehe Spalten 4 und 5 <strong>de</strong>r Tabelle 6). Eine Ausnahme bil<strong>de</strong>t das<br />
Wort "Schiedsrichter", das von <strong>Jungen</strong> trotz ihres Leistungsrückstan<strong>de</strong>s beim Rechtschreiben<br />
häufiger richtig geschrieben wird als von <strong>Mädchen</strong>. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Wörtern kann <strong>de</strong>ren<br />
Funktion <strong>für</strong> die geschlechtsspezifische Schreibung nur durch die Größe <strong>de</strong>r Differenz<br />
zwischen <strong>de</strong>n Zahlen richtig geschriebener Wörter abgelesen wer<strong>de</strong>n.<br />
Um die geschlechtsspezifische Wortbe<strong>de</strong>utung <strong>für</strong> die Rechtschreibung anschaulicher zu<br />
machen, habe ich <strong>de</strong>n Kunstgriff <strong>de</strong>r Stichprobenparallelisierung angewen<strong>de</strong>t: Die<br />
Gesamtstichprobe von <strong>Jungen</strong> und <strong>Mädchen</strong> wur<strong>de</strong> hinsichtlich ihrer summarischen<br />
Rechtschreibleistung parallelisiert. Das be<strong>de</strong>utet, daß ich Paare von <strong>Jungen</strong> und <strong>Mädchen</strong><br />
gebil<strong>de</strong>t habe, die <strong>de</strong>nselben Wert <strong>für</strong> die Gesamtleistung (Prozentpunkte von Graphemtreffern)<br />
erzielten. Nun können die relativen Stärken und Schwächen von <strong>Jungen</strong> und <strong>Mädchen</strong> direkt<br />
Rechtschreiblernen und Geschlecht (PM 92/12) 11