Regeln sind für Mädchen - Jungen brauchen ... - Peter-may.de
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<strong>Mädchen</strong> hinsichtlich <strong>de</strong>r Sorgfalt bei <strong>de</strong>r Graphemdarstellung und bei <strong>de</strong>n Satzpunkten noch<br />
erheblich.<br />
Dieses Ergebnis belegt, daß beim Schreiben geschlechtstypischer Wörter mehr Aufmerksamkeit<br />
und Kontrolle gezeigt wird und daß durch die formale Präsentation mehr Wichtignahme<br />
<strong>de</strong>monstriert wird. <strong>Jungen</strong> scheint es in dieser Hinsicht schwerer zu fallen, auch ihnen weniger<br />
nahestehen<strong>de</strong> Wörter und Sätze wichtig zu nehmen bzw. sich Mühe zu geben, während<br />
<strong>Mädchen</strong> nicht so abhängig von <strong>de</strong>r persönlichen Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Schreibwörter zu sein<br />
scheinen. 10<br />
Insgesamt stützen die Ergebnisse die Annahme über die Wirkung geschlechtstypischer<br />
Wortbe<strong>de</strong>utungen <strong>für</strong> das Rechtschreiblernen. Verallgemeinert spricht dies da<strong>für</strong>, daß <strong>de</strong>r<br />
Be<strong>de</strong>utungsgehalt <strong>de</strong>r Wörter überhaupt eine nicht zu unterschätzen<strong>de</strong> Rolle <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Erwerb<br />
orthographischer Kenntnisse spielt.<br />
Damit wird das didaktische Grundprinzip von Paolo Freire, <strong>de</strong>r die persönliche Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r<br />
Wörter in <strong>de</strong>n Mittelpunkt <strong>de</strong>r Alfabetisierungskurse in <strong>de</strong>r Dritten Welt rückte 11 , eindrucksvoll<br />
bestätigt.<br />
Für <strong>Jungen</strong> scheint die Berücksichtigung dieses Aspekts beim Lernen noch wichtiger zu sein<br />
als <strong>für</strong> <strong>Mädchen</strong>.<br />
IV<br />
Zusammenfassung <strong>de</strong>r Ergebnisse<br />
1. <strong>Jungen</strong> und <strong>Mädchen</strong> unterschei<strong>de</strong>n sich während <strong>de</strong>s ersten Schuljahres nicht signifikant im<br />
Lesen und in <strong>de</strong>r Schreibleistung.<br />
Ab <strong>de</strong>r zweiten Klasse zeigen <strong>Mädchen</strong> im Durchschnitt durchgängig bessere Leistungen -<br />
im Schreiben wie im Lesen: <strong>Mädchen</strong> <strong>sind</strong> in <strong>de</strong>r Leistungsspitze ca. doppelt so stark<br />
vertreten, während <strong>Jungen</strong> im schwächsten Leistungsbereich zwei- bis dreimal so häufig<br />
anzutreffen <strong>sind</strong>.<br />
Die Unterschie<strong>de</strong> betreffen alle Teilaspekte <strong>de</strong>r Rechtschreibung: <strong>Mädchen</strong> schreiben besser<br />
alphabetisch, orthographisch und morphematisch, sie <strong>sind</strong> hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />
Satzzeichenregelungen überlegen, und sie machen erheblich weniger Aufmerksamkeits- und<br />
Kontrollfehler.<br />
<strong>Mädchen</strong> verzeichnen nach <strong>de</strong>m ersten Schuljahr durchschnittlich einen größeren<br />
Lerngewinn, und die Leistungsunterschie<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n bis zur neunten Klasse eher größer.<br />
2. <strong>Mädchen</strong> scheinen vom Grundschulunterricht mehr zu profitieren. Ihre<br />
Rechtschreibleistungen hängen stärker zusammen mit för<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n bzw. hemmen<strong>de</strong>n<br />
Bedingungen <strong>de</strong>s schulischen Unterrichts sowie <strong>de</strong>r häuslichen Unterstützung.<br />
10 Es gibt noch einen weiteren Beleg da<strong>für</strong>, daß <strong>Jungen</strong> eher Defizite hinsichtlich <strong>de</strong>r Einstellung zum Schreiben<br />
haben: Führt man <strong>für</strong> <strong>Jungen</strong> und <strong>Mädchen</strong> getrennte Faktorenanalysen <strong>für</strong> jene Aspekte <strong>de</strong>s Schreibens durch,<br />
die voneinan<strong>de</strong>r unabhängig <strong>sind</strong> (siehe Einzelkategorien in Tabelle 5), so ergeben sich verschie<strong>de</strong>ne<br />
Faktorenstrukturen: Bei <strong>de</strong>n <strong>Jungen</strong> ergeben sich drei verschie<strong>de</strong>ne Faktoren, bei <strong>de</strong>n <strong>Mädchen</strong> nach <strong>de</strong>nselben<br />
Kriterien <strong>für</strong> die Faktorenextraktion nur zwei Faktoren. Neben einem Hauptfaktor "Orthografische Fähigkeit<br />
beim Wortschreiben" ergibt sich in bei<strong>de</strong>n Gruppen ein zweiter Faktor, auf <strong>de</strong>m die satzbezogenen<br />
orthografischen Leistungen hoch la<strong>de</strong>n. Bei <strong>de</strong>n <strong>Jungen</strong> ergibt sich jedoch noch ein dritter Faktor, <strong>de</strong>r<br />
weitgehend durch die Variablen "Punktschreibung" und "Oberzeichenfehler" gespeist wird., während bei <strong>de</strong>n<br />
<strong>Mädchen</strong> bei<strong>de</strong> Variablen mit relativ geringen Ladungen in die an<strong>de</strong>ren Faktoren eingehen. Dies weist darauf<br />
hin, daß die Defizite <strong>de</strong>r <strong>Jungen</strong> bei <strong>de</strong>r Punktsetzung wenig mit Rechtschreibkenntnissen zu tun haben,<br />
son<strong>de</strong>rn daß sich darin eher eine mangeln<strong>de</strong> Kontrolltätigkeit bzw. Einstellung zum Schreiben ausdrückt.<br />
11 Nach diesem Ansatz wer<strong>de</strong>n die Lehrgangswörter zum Erwerb <strong>de</strong>s Lesens und Schreibens nicht nach<br />
Gesichtspunkten <strong>de</strong>r formalen Struktur (Schwierigkeit, Länge, Häufigkeit usw.) ausgewählt, son<strong>de</strong>rn nach<br />
ihrer Funktion als sog. Schlüsselwörter, die die Lebenssituation <strong>de</strong>r Lerner betreffen, also eine sehr hohe<br />
persönliche Be<strong>de</strong>utung haben (vgl. Freire 1972). Ähnliche Ansätze wer<strong>de</strong>n auch bei <strong>de</strong>r Alphabetisierung in<br />
Industrielän<strong>de</strong>rn erwogen (siehe Ehling u.a. 1981).<br />
Rechtschreiblernen und Geschlecht (PM 92/12) 19