(Notizen Juni) - Lehranstalt für systemische Familientherapie
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DE WAAL ><br />
drücken oder dem Klienten ermöglichen wollen,<br />
bedeutsame Unterschiede in seinem Leben zu markieren<br />
oder zu erfahren, bzw. als Erfahrung zu vermitteln,<br />
Sollten wir das überhaupt (auf diese Weise)?<br />
Aber wir müssen hier bedenken: Das Pathetische zu<br />
ermöglichen heißt Gelegenheiten zur Wahl eher zu verringern,<br />
wir vermehren damit nicht Möglichkeiten, wir<br />
schränken sie ein – etwa, wenn wir einen Übergang von<br />
einer Lebensphase zur<br />
anderen durch Rituale<br />
markieren. Übergangsrituale<br />
sind pathetische<br />
Ereignisse, zumindest<br />
im Kern, hat man sich<br />
dazu entschieden, werden<br />
sie riskiert, und<br />
man liefert sich ihnen<br />
aus, sie markieren immer ein Tor zum Unbekannten, das<br />
durchschritten und erfahren wird (man denke nur an die<br />
Rituale der Initiation junger Männer in den Status des<br />
Erwachsenen). Das kann nicht wieder ungeschehen<br />
gemacht werden. Das bezeichnet jetzt überhaupt den<br />
Unterschied zwischen dem pathetischen dem skeptischen<br />
Vorgehen. Wer skeptisch vorgeht, erwägt, verwirft,<br />
wählt aus, wer pathetisch vorgeht, hat entschieden.<br />
Was heißt Neutralität bezüglich dem Pathetischen und<br />
dem Skeptischen – denn das sind ja nicht zwei therapeutische<br />
Interventionsformen, die einander irgendwie<br />
gleichwertig gegenüberstehen, sondern zwei grundverschiedene<br />
Formen der Wahrnehmung?<br />
VERSUCH EINER STANDORTBESTIMMUNG in bezug auf das<br />
Pathetische in der Therapie: Wir sind in der Therapie<br />
immer mit zwei grundsätzlich verschiedenen Möglichkeiten<br />
befasst, mit „Erfahrung“ umzugehen:<br />
Entweder wir „verwenden“ und ändern damit bereits<br />
gemachte Erfahrungen – wir erinnern und reflektieren<br />
könnten wir hier oberbegrifflich sagen – wir erzeugen<br />
damit Vieldeutigkeit und stellen Gültigkeit in Frage,<br />
oder wir inszenieren oder ermöglichen zumindest neue<br />
Erfahrungen, die zumeist unmittelbar und als solche erst<br />
einmal eindeutig und absolut erlebt werden, „das<br />
geschieht mir jetzt“ – das wäre der Unterschied zwischen<br />
reflektieren und erleben. Natürlich tun wir immer auch<br />
beides, weil die „Begegnung“ als solche bereits eine<br />
neue Erfahrung darstellt. Die ist uns allerdings nicht<br />
immer vollständig zugänglich und absichtsvoll handhabbar,<br />
wie immer wir „Beziehung“ als solche werten oder<br />
verstehen.<br />
DAS PATHETISCHE, WIE ES HIER VERSTANDEN<br />
WIRD (NÄMLICH ALS TEIL ABSICHTSVOLL GESTAL-<br />
TETER PSYCHOTHERAPIE) KANN ALS ERFAHRUNG<br />
EINGESTUFT WERDEN, UND ZWAR ALS ERFAHRUNG<br />
DES KLIENTEN, NICHT DES THERAPEUTEN.<br />
Hier mein Verfahrensvorschlag:<br />
Das Pathetische, wie es hier verstanden wird (nämlich als<br />
Teil absichtsvoll gestalteter Psychotherapie) kann als<br />
Erfahrung eingestuft werden, und zwar als Erfahrung des<br />
Klienten, nicht des Therapeuten. Genauer gesagt natürlich<br />
– weil sich ja spontane Ereignisse und damit auch<br />
Erfahrung seitens des Therapeuten nicht direkt beeinflussen<br />
lassen – ist damit die absichtsvolle Herstellung<br />
einer Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung <strong>für</strong> den<br />
Klienten gemeint. Damit ist also explit die pathetische<br />
Pose des Therapeuten ausgeschlossen.<br />
Was aber wenn der Therapeut selbst ergriffen ist (früher<br />
war ja das „tränende Auge“ und die „belegte Stimme“ ein<br />
durchaus beliebtes Stilmittel der therapeutischen Einflussnahme)?<br />
Dann sollte er selbstreflexiv sein und nicht<br />
weihevoll. Natürlich kann der Therapeut bewegt sein<br />
von dem, was passiert, aber das ist nicht Gegenstand und<br />
Absicht der Therapie. Das Pathetische, das hier gemeint<br />
ist, ist ein Angebot <strong>für</strong> den Klienten, keine Sensation des<br />
Therapeuten. So ist das mit (<strong>systemische</strong>r) Therapie vereinbar.<br />
Trotzdem bleibt – auch wenn wir hier die Position des<br />
Therapeuten als die eines verantwortungsvollen Skeptikers<br />
definieren, der das Pathetische ermöglicht, nicht<br />
absichtlich erfährt – seine verantwortungsvolle Situation<br />
08 SYSTEMISCHE NOTIZEN 02/04