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Theater Nordhausen

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DER MENSCH IST MEHR EIN GEFÜHLSWESEN<br />

ALS EIN VERSTANDESWESEN<br />

Interview mit dem Regisseur Toni Burkhardt<br />

10<br />

Warum hast du dich für eine Inszenierung<br />

des – im Vergleich zu Puccinis<br />

Verismo-Opern – selten gespielten<br />

„André Chénier“ entschieden?<br />

„Tosca“, „La Bohème“, „Madame Butterfly“<br />

haben wir vor wenigen Jahren<br />

erst gespielt. Der Vorschlag des Intendanten,<br />

„André Chénier“ zu machen,<br />

war eine tolle Idee, weil dieses Werk<br />

den Opern Puccinis in nichts nachsteht.<br />

Hätte Giordano mehr so großartige<br />

Opern geschrieben, wäre er viel öfter<br />

im Repertoire. Die Oper ist aber keine<br />

Ausgrabung, sie ist nur für <strong>Nordhausen</strong><br />

etwas Besonderes. Es braucht ein<br />

großes Sängerensemble, so dass man<br />

„André Chénier“ sonst eher an großen<br />

Häusern findet. Und im Prinzip ist es<br />

auch eine besondere Herausforderung,<br />

wenn man das große geschichtliche<br />

Gemälde vom Beginn der französischen<br />

Revolution 1789 bis zur Zeit des Terrors<br />

1794 in einer Operninszenierung aufarbeiten<br />

oder gar noch einen größeren<br />

Bogen spannen will – ohne die Handlung<br />

aus der Zeit herauszunehmen.<br />

„André Chénier“ hat eine sehr spannende<br />

Geschichte, die nicht zu Unrecht<br />

häufig mit der aus „Tosca“ verglichen<br />

wird. Nicht zufällig sind die beiden<br />

Opern vom gleichen Librettisten.<br />

Welche Rolle hat für dich gespielt,<br />

dass Chénier eine historisch belegte<br />

Figur ist?<br />

Darüber habe ich mir überhaupt gar<br />

keine Gedanken gemacht. Aber schöne<br />

Gedichte hat er geschrieben. (lacht):<br />

Aber mal im Ernst: Die Gedichte von<br />

André Chénier sind noch viel unbekannter<br />

als die Oper. Gäbe es die Oper<br />

nicht, würde niemand mehr von Chénier<br />

reden. Er lebt durch die Oper weiter.<br />

Sein Schicksal ist exemplarisch für<br />

das vieler Dichter, die in ihrer Zeit mit<br />

der Gesellschaft in Konflikt geraten,<br />

ins Gefängnis kommen, ins Exil gehen<br />

oder hingerichtet werden.<br />

Maddalena ist eine erfundene Figur.<br />

Kann eine so romantisch angelegte Frau<br />

überhaupt ernst genommen werden?<br />

Ich finde, dass die erfundenen Figuren<br />

die lebendigsten sind. Ja, Maddalena<br />

ist sehr romantisch, aber neben dem<br />

historischen Hintergrund gibt es eben<br />

auf der anderen Seite auch die Handlung<br />

mit dem Dreieckskonflikt.<br />

Die Frage ist nicht, wie romantisch sie<br />

ist, sondern, warum macht sie das alles<br />

so! Am Anfang ist sie Teil der Gesellschaft,<br />

in der ihr alles auf die Nerven<br />

geht, über die sie sich bewusst lustig<br />

macht, aus der sie versucht auszubrechen.<br />

Aber sie ist Teil davon und spielt<br />

ein stückweit auch darin mit. Dann<br />

wandeln sich die Dinge, sie steht nicht<br />

mehr an der Spitze der Gesellschaft,<br />

sondern sie ist eine Verfolgte, die sich<br />

verstecken muss. Damit heißt dann die<br />

Frage, warum sie Schutz bei Chénier<br />

sucht. Sie glaubt, dass er der einzige<br />

ist, der sie versteht. Das ist zwar romantisch,<br />

aber im Prinzip sind das zwei<br />

Seelenverwandte. Das kommt nicht so<br />

häufig vor, nicht Liebe auf den ersten<br />

Blick, sondern Giordano und sein Librettist<br />

haben Seelenverwandtschaft<br />

gemeint. Das ist z. B. im Schlussduett<br />

zu hören. Maddalena sagt, dass sie mit<br />

Chénier sterben will. Erst will er das gar<br />

nicht wahrhaben, aber dann sagt er:<br />

„Du bist das Ziel meines Daseins“, und<br />

sie stimmt ein: „Unsere Liebe ist die<br />

Liebe der Seelen.“<br />

Thomas Kohl, Hugo Mallet<br />

Maddalena ist auch auf anderer Ebene<br />

ein bisschen ein Pendant zu Chénier.<br />

Er schaut sich die Gesellschaft als politischer<br />

Dichter an und zeigt die Missstände<br />

auf. Für ihn ist es egal, welches<br />

System herrscht. Er legt die Finger in<br />

die Wunden beim alten und beim neuen<br />

System, folgt nicht bedingungslos einer<br />

Farbe; er eckt im alten und im neuen<br />

System an und wird zum Verfolgten.<br />

Sie will aus der alten Gesellschaft ausbrechen,<br />

weil sie nicht funktioniert und<br />

sucht in der neuen Platz. Aber da gibt<br />

es auch keinen Platz für sie. Das singt<br />

sie in der Arie „La Mamma morta“. In<br />

dieser Situation war Chénier da, der sie<br />

liebte und ihr Halt gab, „Lächle, hoffe,<br />

ich bin die Liebe“ – nur hier wurde sie<br />

gebraucht. Aus diesem schwer zu beschreibenden<br />

Miteinander heraus kann<br />

es logisch sein, gemeinsam in den Tod<br />

zu gehen. Man kann natürlich nicht<br />

ungebrochen zeigen, dass hier große<br />

Helden in den Tod gehen; sie haben<br />

auch eine Scheißangst davor! Aber sie<br />

geben sich gegenseitig die Kraft, das<br />

durchzustehen.<br />

Gérard, der Gegenspieler Chéniers, ist<br />

im Gegensatz zu vielen verbürgten Gestalten<br />

der Revolution wie Fouquier-<br />

Tinville z. B., ebenfalls erfunden. Leidet<br />

da nicht die Authentizität des Revolutionsstückes?<br />

Nein. Es ist weder ein reines Revolutionsstück,<br />

noch eine reine Liebesgeschichte,<br />

sondern wie auf der Partitur<br />

steht, ein musikalisches Drama mit geschichtlichem<br />

Hintergrund. Es ist sowieso<br />

unmöglich, in einer Oper eine Revolution<br />

zu erzählen. Es war nicht das<br />

Ansinnen der Autoren, einen authentischen<br />

Abriss zu geben, und ist auch<br />

nicht unseres. Wir können aber mit<br />

dieser Oper Mechanismen innerhalb<br />

der Gesellschaft aufzeigen. Für diese<br />

Gesellschaft ist Gérard eine sehr interessante<br />

Figur, die einzige Hauptfigur,<br />

die eine wirkliche Entwicklung durchmacht.<br />

Maddalena wird in ihre Situationen<br />

hineingeworfen, Chénier bleibt<br />

auf seinem Standpunkt, ein kritischer<br />

Dichter zu sein. Wer exemplarisch für<br />

die Gesellschaft im Umbruch steht,<br />

das ist Gérard. Am Anfang begehrt er<br />

auf und wird aktiv für die Gesellschaft,<br />

11

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