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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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Im März 1942 brachte Erika Schild ihren Sohn Martin <strong>zu</strong>r Welt. Das Verhältnis<br />

<strong>zu</strong> ihrem Sohn scheint <strong>zu</strong>nächst schwierig gewesen <strong>zu</strong> sein. Wenn von<br />

ihm die Rede ist, nennt sie ihn n<strong>ich</strong>t bei seinem Namen. Martin — im Gegensatz<br />

<strong>zu</strong> ihrer Tochter, die sie gle<strong>ich</strong> <strong>zu</strong> Beginn des Interviews <strong>mit</strong> ihrem Vornamen<br />

eingeführt hat —, son<strong>der</strong>n spr<strong>ich</strong>t von ihm in distanzierter Form als von<br />

„diesem Kind", z.B. „da war das Kind eineinviertel des Kleine und die Elisabeth<br />

war so na (2) vier Jahre alt" o<strong>der</strong> „dieses- äh <strong>der</strong> Junge". Erst später in<br />

ihrer biographischen Großerzählung — und das bedeutet auch: <strong>zu</strong> einem späteren<br />

Zeitpunkt in <strong>der</strong> Lebensgesch<strong>ich</strong>te — nennt sie ihn bei seinem Namen,<br />

Martin. Wir vermuten, daß diese unpersönl<strong>ich</strong>-distanzierte Art, in <strong>der</strong> sie<br />

über ihren Sohn und dessen erste Lebensjahre spr<strong>ich</strong>t, <strong>mit</strong> seiner Körperbehin<strong>der</strong>ung<br />

<strong>zu</strong>sammenhängt. Für Erika Schild wird <strong>der</strong> äußerl<strong>ich</strong>e Makel ihres<br />

Kindes, beson<strong>der</strong>s im Kontext <strong>der</strong> nationalsozialistischen Vererbungslehre<br />

und <strong>der</strong> daraus resultierenden Euthanasiemaßnahmen, sehr schmerzhaft gewesen<br />

sein. Während des Interviews ist ihr w<strong>ich</strong>tig dar<strong>zu</strong>legen, daß die Behin<strong>der</strong>ung<br />

ihres Sohnes keinesfalls so gew<strong>ich</strong>tig gewesen sei, daß er im Sinne <strong>der</strong><br />

nationalsozialistischen Vererbungslehre als „lebensunwertes Leben" gegolten<br />

habe:<br />

B: „er zog den Fuß dann nach ne das war alles, ABER wenn <strong>Hitler</strong> geblieben war dann war<br />

er ganz bestimmt, glaub <strong>ich</strong> schon, sterilisiert worden o<strong>der</strong> sowas n<strong>ich</strong><br />

I: mhm<br />

B: n<strong>ich</strong> äh lebensunwertes Leben war=er=n<strong>ich</strong>=gewesen ganz s<strong>ich</strong>er n<strong>ich</strong>t" (21 /1)<br />

1943 erlebte Erika Schild <strong>mit</strong> ihrer Familie die alliierten Luftangriffe, die<br />

<strong>zu</strong>r Zerstörung großer Teile Hamburgs führten. Von Churchill und Roosevelt<br />

auf <strong>der</strong> Konferenz von Casablanca beschlossen, <strong>hatte</strong>n die Luftangriffe <strong>der</strong><br />

Alliierten auf deutsche Städte das Ziel, durch Vern<strong>ich</strong>tung <strong>der</strong> Wohnbezirke<br />

die Rüstungsproduktion <strong>zu</strong>m Erliegen <strong>zu</strong> bringen. „Innerhalb von zehn Tagen<br />

waren in <strong>der</strong> drittgrößten Stadt des Re<strong>ich</strong>es 62 Prozent des Wohnraumes zerstört<br />

o<strong>der</strong> schwer beschädigt, etwa 35000-40000 Menschen getötet worden."<br />

(Zipfel 1970: 203)<br />

Egon Schild war inzwischen nach Dessau versetzt worden und <strong>kam</strong> nur an<br />

den Wochenenden nach Hamburg, um seine Familie <strong>zu</strong> besuchen. An einem<br />

dieser Wochenenden erlebte Familie Schild den ersten Angriff auf Hamburg:<br />

„<strong>der</strong> erste Angriff auf Hamburg (2) und ringsrum war schon alles zieml<strong>ich</strong> getroffen auch bei<br />

uns aber des warn dann nur so Fensterscheiben und Wasser wir=<strong>hatte</strong>n=dann=also kein Wasser<br />

<strong>mehr</strong> da weiß <strong>ich</strong> noch (1) da hat Sonntagmorgen mein Mann so im Garten drin (1) so nach Wan<strong>der</strong>vogelart<br />

dann (1) Ofen gebaut und heißes Wasser gemacht weil wir entsetzl<strong>ich</strong> schwarz aussahen<br />

und so rochen nach Brand und Ruß und sowas, dann harn wir da gebadet in som großen Bott<strong>ich</strong><br />

im Garten da (1) und sind dann also ganz sauber in die nächste Bombennacht gegangen und<br />

dann äh HAT es uns erwischt n<strong>ich</strong>" (3 / 24)<br />

Die erste Nacht überstand die Familie Schild noch recht glimpfl<strong>ich</strong>. Am<br />

darauffolgenden Tag nahm sie eine Nachbarsiamilie auf, <strong>der</strong>en Haus zerstört<br />

worden war. Doch wie die letzte Sequenz des obigen Zitats schon erkennen<br />

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