"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„nem Kind direkt die Decken noch weg<strong>zu</strong>ziehn das war ja wohl <strong>der</strong> Gipfel n<strong>ich</strong>, das hab <strong>ich</strong><br />
übel genommen aber dieses und die Leute da die, also da. und da sind ja auch immer welche<br />
die so ganz äh hun<strong>der</strong>tfünfzigprozentig Nationalsozialisten warn und die schrien denn gle<strong>ich</strong> erschießen<br />
erschießen na das wollt <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>" (25/36)<br />
Ihr haben s<strong>ich</strong> jene Situationen am stärksten eingeprägt, die ganz konkret<br />
<strong>mit</strong> ihrer Rolle als Mutter <strong>zu</strong> tun <strong>hatte</strong>n. Sie nahm es dem Dieb persönl<strong>ich</strong><br />
„über 4 , daß er ihrem Kind ein Unrecht antat. Ihre damalige Empörung ist in<br />
ihrer Darstellung bis heute lebendig. Durch die Art und Weise ihrer Darstellung<br />
ze<strong>ich</strong>net sie <strong>zu</strong>gle<strong>ich</strong> auch ein Bild ihrer selbst als tatkräftige, eigenständige<br />
Frau, die auch <strong>mit</strong> schwierigen Situationen fertig <strong>zu</strong> werden versteht. Es<br />
ist Erika Schilds Identität als Mutter, die die Perspektive konstituiert, aus <strong>der</strong><br />
sie ihre Lebensgesch<strong>ich</strong>te rekonstruiert.<br />
In dem Gespräch <strong>mit</strong> uns hält es Erika Schild für notwendig <strong>zu</strong> erklären,<br />
weshalb ihr Mann in dieser Situation n<strong>ich</strong>t die Initiative ergriff. Sie stellt ihn<br />
— wie schon in an<strong>der</strong>en Textpassagen — als passiv dar:<br />
„mein Mann war immer viel <strong>zu</strong> schüchtern also <strong>der</strong> konnte n<strong>ich</strong>t hamstern o<strong>der</strong> beim Bauern<br />
fragen ob wir Kirschen kriegen konnten dann achtete er immer auf die Kin<strong>der</strong> und sachte<br />
geh=du=ma=denn du kannst das besser" (25/25)<br />
Vermutl<strong>ich</strong> war es für Erika Schild w<strong>ich</strong>tig, die aktiv Handelnde in <strong>der</strong> Familie<br />
<strong>zu</strong> sein. Aktives Planen und Eingreifen und das Gefühl, die Verantwortung<br />
für die Familie <strong>zu</strong> tragen, ermögl<strong>ich</strong>ten es ihr offenbar, ihre Angst während<br />
<strong>der</strong> Luftangriffe <strong>zu</strong> beherrschen und ein Gefühl <strong>der</strong> Kontrolle selbst in einem<br />
unkalkulierbaren <strong>Krieg</strong>salltag <strong>zu</strong> behalten.<br />
Doch auch Frau Schild konnte die Bedrohl<strong>ich</strong>keit dieses <strong>Krieg</strong>es und das<br />
Schreckl<strong>ich</strong>e, was sie <strong>mit</strong>erlebt <strong>hatte</strong>, n<strong>ich</strong>t völlig beiseite schieben. Um die<br />
orthopädische Behandlung ihres Sohnes fort<strong>zu</strong>setzen, mußte sie <strong>mit</strong> ihm in regelmäßigen<br />
Abständen von Weimar nach Erfurt fahren Bei einer dieser Fahrten<br />
nach Erfurt brachen ihre angestauten Ängste hervor:<br />
„<strong>ich</strong> <strong>hatte</strong> diesen Schrecken von Hamburg wie <strong>ich</strong> dachte ganz gut verwunden <strong>ich</strong> wußte gar<br />
n<strong>ich</strong>t was <strong>mit</strong> mir los war, geh <strong>mit</strong> Brü<strong>der</strong>chen also <strong>mit</strong> dem Dings <strong>zu</strong> ner Kin<strong>der</strong>ärztin und sachte<br />
<strong>ich</strong> möchte gerne für des Kind sechzig Gramm Butter <strong>mehr</strong> haben denn er liegt in Gips und<br />
braucht s<strong>ich</strong>er <strong>mehr</strong> ne — weinte aber fürchterl<strong>ich</strong> dabei ne, und da sagt die Ärztin <strong>zu</strong> mir ja aber<br />
was is denn <strong>mit</strong> Ihnen da sach=<strong>ich</strong>=des=weiß=<strong>ich</strong>=auch=n<strong>ich</strong>, und dann erzählt <strong>ich</strong> ihr das un<br />
dann stellte die bei mir einen schweren Nerven<strong>zu</strong>sammenbruch fest und dann kr<strong>ich</strong>te <strong>ich</strong> so<br />
zweinsechzig Komma fünf Gramm Butter n<strong>ich</strong> das weiß <strong>ich</strong> noch also dieser Zusammenbruch<br />
<strong>kam</strong> bei mir ein halbes Jahr später n<strong>ich</strong>" (26 /17)<br />
Ein halbes Jahr lang waren Erika Schilds Ängste und ihr Schock während<br />
und nach den Bombenangriffen unterdrückt, sie konzentrierte s<strong>ich</strong> auf die Bewältigung<br />
<strong>der</strong> Notwendigkeiten des Alltags. Auch überdeckte die Sorge um<br />
das Überleben <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> die Ängste um das eigene Leben: „<strong>ich</strong> <strong>hatte</strong> gar<br />
n<strong>ich</strong> an m<strong>ich</strong>- <strong>zu</strong> <strong>der</strong> Zeit dachte man auch- Mütter o<strong>der</strong> Väter ganz bestimmt<br />
n<strong>ich</strong>t an s<strong>ich</strong>=son<strong>der</strong>n=immer=nur=dieses=Überleben daß die Kin<strong>der</strong>"<br />
39