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"Als der Krieg kam, hatte ich mit Hitler nichts mehr zu tun" - goedoc

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den, Planwagen und singenden Soldaten, das s<strong>ich</strong> ihr beson<strong>der</strong>s eingeprägt<br />

hat.<br />

Frau Schilds Erinnerungen an die erste Nachkriegszeit in <strong>der</strong> sowjetisch besetzten<br />

Zone kreisen dann durchweg um Begegnungen <strong>mit</strong> Angehörigen <strong>der</strong><br />

sowjetischen Besat<strong>zu</strong>ngsmacht o<strong>der</strong> <strong>mit</strong> Tschechen und Polen. In ihren Erzählungen<br />

über Durchsuchungen, Plün<strong>der</strong>ungen und ihre allgegenwärtige Angst<br />

vor einer Vergewaltigung werden ihr damaliges Mißtrauen und ihre Antipathie<br />

gegenüber <strong>der</strong> slawischen Bevölkerung vernehmbar. Noch heute entrüstet sie<br />

s<strong>ich</strong> beispielsweise über einen Vorfall, bei dem <strong>der</strong> Sohn eines ihr bekannten<br />

Gutsbesitzers, ein entlassener deutscher Offizier <strong>mit</strong> einer Beinprothese, von<br />

den ehemaligen „Fremdarbeitern" des Gutes <strong>zu</strong> Boden gestoßen wurde:<br />

„Aber diesen Mann den haben dann die Bolen und die Tschechen den Sohn n<strong>ich</strong> <strong>der</strong> also deutscher<br />

Offizier war /und ein Holzbein schon <strong>hatte</strong> ((leise)) haben die den umgerissen in unserer<br />

Strafte hun<strong>der</strong>t Meter vor unserer Wohnung haben ihn auf die Erde geschmissen <strong>der</strong> konnte natürl<strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong> die Dings zerbrochen so so schreckl<strong>ich</strong> waren die" (49/6)<br />

Das Verhalten <strong>der</strong> Polen und Tschechen ruft hier wie an vielen an<strong>der</strong>en Stellen<br />

ihre Empörung hervor. Das Leid und Unrecht, das den Fremdarbeitern<br />

durch Zwangsverpfl<strong>ich</strong>tung und Verschleppung, durch Zwangsarbeit und<br />

schlechte Lebensbedingungen <strong>zu</strong>gefügt wurde, thematisiert sie hingegen<br />

n<strong>ich</strong>t.<br />

In dieser Zeit lebte Frau Schild in <strong>der</strong> ständigen Angst vor Vergewaltigungen,<br />

die häufig vor<strong>kam</strong>en. Sie erinnert s<strong>ich</strong> an die Leidensgesch<strong>ich</strong>te einer<br />

Bekannten, die während ihrer Flucht den Tod zweier ihrer Kin<strong>der</strong>, die an Hunger<br />

und Krankheit gestorben waren, <strong>zu</strong> betrauern <strong>hatte</strong> und die <strong>mehr</strong>ere Male<br />

vergewaltigt wurde:<br />

„die Ilse war so alt wie <strong>ich</strong>, also damals — warn wir so 26 vielle<strong>ich</strong>t — o<strong>der</strong> so rum, ja <strong>ich</strong><br />

wurde 30 ja ja, und die Ilse war also gekommen in meim Alter- <strong>hatte</strong> ne Schippkarrc, vom Bauern<br />

irgendwo so- organisiert hieß das, da warn die losgefahrn von, „wie hieß denn <strong>der</strong> Ort bloß noch"<br />

... <strong>mit</strong> dieser Schippkarre tausende: von Kilometern da <strong>hatte</strong> sie — zwei Kin<strong>der</strong> drin — eins ist<br />

unterwegs gestorben, an Syphillis — eins is verhungert, des eine Kind mußt sie also auf <strong>der</strong><br />

Strecke lassen <strong>mit</strong> ihrer Mutter <strong>mit</strong> ihrer Tante und zwei Kin<strong>der</strong>n aus Gütersloh hier die wir aufgenommen<br />

<strong>hatte</strong>n weil das ja drüben s<strong>ich</strong>er schien <strong>der</strong> Osten n<strong>ich</strong> ... und die junge Frau die da also<br />

in meim Alter die is 30 mal vergewaltigt worden n<strong>ich</strong> ((holt Luft)) und <strong>der</strong> sind die Haare ausgegangen<br />

noch hier in ... die konnte also ohne Kopftuch gar n<strong>ich</strong> <strong>mehr</strong> — gehn das war so schreckl<strong>ich</strong><br />

und das is ne ganz ganz feine Familie" (41 /31)<br />

Auch in dieser emotional vorgetragenen Textpassage ist es Frau Schild w<strong>ich</strong>tig<br />

hervor<strong>zu</strong>heben, daß ihre Bekannte einer „feinen Familie" entstammt. <strong>Als</strong><br />

beson<strong>der</strong>s schreckl<strong>ich</strong> empfindet sie, daß die Betroffene auch äußerl<strong>ich</strong>, durch<br />

den Verlust ihrer Haare, vom Schicksal geze<strong>ich</strong>net war. Hier darf <strong>der</strong> Symbolgehalt<br />

von Haaren, <strong>der</strong>en Verlust oft als demütigende und traumatische Erfahrung<br />

erlebt wird, n<strong>ich</strong>t außer acht gelassen werden. Daß sie Gefühle von Leid<br />

und Schmerz im Zusammenhang <strong>mit</strong> ihrer Freundin kaum <strong>zu</strong>lassen kann, mag<br />

auch ein Ausdruck ihrer Umgehensweise <strong>mit</strong> eigenen Gefühlen sein.<br />

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