Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2012-05
Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de
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22 Tag&Nacht<br />
AUGSBURGS<br />
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Geistreiche Blicke auf eine verkannte Stadt<br />
von Professor Dr. August Spätzle<br />
>> Der mutmaßliche Blumenmaler wurde letzten Monat verhaftet und spaltet<br />
<strong>Augsburg</strong>. Die einen nennen seine Blumen Kunst und fordern Gnade, die anderen<br />
wollen ihn wegen Sachbeschädigung streng bestraft sehen. Wir baten unseren<br />
hausinternen Kunstexperten Prof. Dr. Spätzle um eine Stellungnahme.<br />
Lass Blumen sprechen, sagen der kitschige Volksmund und geldgierige Blumenverkäufer<br />
gerne. Was biedere (Augs-)bürger in ihren Gärten, auf ihren Tischen<br />
und Tapeten mitunter gerne sehen, ist ihnen, das zeigen die letzten Monate,<br />
auf anderem eher Untergrund verhasst. Nun täte man dem Blumenmaler<br />
zu viel Ehre an, würde man ihn als einen großen Künstler bezeichnen, nein, er<br />
ist kein Picasso und kein van Gogh. Allerdings wage ich die Behauptung, dass<br />
die Reaktionen vieler Blumenhasser bei einem beliebigen Bild Picassos an Wänden,<br />
Brief- oder Stromkästen ebenso kleinbürgerlich-verstockt wäre wie jetzt<br />
beim Blumenmaler. Ob van Goghs Sonnenblumen mehr Gnade in den Augen<br />
der Kunst(ver)kenner finden würden? Es ist fraglich.<br />
Warum ist das so? Nun, es wird immer Menschen geben, und diese sind nicht<br />
die Minderheit, die Kunst allenfalls dann als solche anerkennen, wenn sie quasi<br />
offiziell abgesegnet ist. Das heißt: Wenn sie in Museen oder Galerien zu sehen<br />
ist, wenn sie für viel Geld verkauft wird, wenn der Künstler tot und geehrt und<br />
ungefährlich ist, wenn seine Werke nicht verboten sind. Dabei verkennen die<br />
Verächter der Blume und ihres Malers, dass Kunst durchaus illegal sein kann,<br />
sei es wegen dem Werk an sich, sei es wegen des Darstellungsorts. Nun werden<br />
manche unken: Das ist doch keine Kunst, das ist Verschandlung! Dem kann man<br />
entgegnen: Doch, die Blume ist Kunst, keine große Kunst, gewiss, aber doch<br />
Kunst, denn hinter ihr steht eine kreative Idee. Diese Idee muss weder in den<br />
strengen Augen von Kunstfachleuten Anerkennung finden, noch in den Augen<br />
von Kunstverächtern, und auch nicht immer in den Augen von normalen Menschen.<br />
Die Blume steht für sich, sie ist ein kreativer Akt des Aufbegehrens. Ist sie<br />
deswegen revolutionär? Nein, auch das wäre zu viel der Ehre, die Blume hat kein<br />
Programm, sie stellt keine Forderungen. Die Blume ist auch deswegen Kunst,<br />
weil sie Menschen bewegt, weil sie in Frage stellt, weil sie ein sonniger Anschlag<br />
auf die herrschende Grauheit der Stadt ist, weil sie unendlich kreativer ist als die<br />
allermeisten Graffitis. Die Blume ist ein wohltuender Anschlag auf wohlgeordnete<br />
Langeweile, in die sich viele bieder eingerichtet haben und eine Blume auf<br />
einem Stromkasten bereits als Angriff auf Recht und Ordnung schmähen.<br />
Diese wütende Abwehr gegen kleine Aufstände ist typisch für kleine Städte<br />
und auch für kleinere Großstädte, wie <strong>Augsburg</strong>. Dabei sind es gerade solche<br />
Aufstände, die Widersprüche sichtbar machen und damit Widerspruch oder<br />
Zustimmung hervorrufen und für Dynamik sorgen. Es ist nicht das Etablierte,<br />
das Gewohnte, das Genehmigungsfähige, was eine Stadt lebendig hält und<br />
macht. Mögen sich die einen ärgern und die anderen freuen, mögen die einen<br />
für Gnade plädieren und die anderen für Strafe, mögen die einen „Kunst“<br />
rufen und die anderen „Schmiererei“, keiner kann leugnen, dass der Blumenmaler<br />
das Gesicht der Stadt verändert hat, ob es nun dadurch schöner oder<br />
hässlicher geworden ist, liegt im Auge des Betrachters. Ich sage: Die Blume tut<br />
<strong>Augsburg</strong> gut und den Paragraphenfetischisten rufe ich zu: Der Normbrecher<br />
ist der Liebling der Freiheit!<br />
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