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Stadtmagazin Neue Szene Augsburg 2012-05

Das Stadtmagazin für Augsburg und Umgebung. Aktuelle Info immer auch unter www.neue-szene.de

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Die Kantine hat längst Geschichte geschrieben: Neben legendären Konzerten und Partys ist der<br />

Club der einzige in <strong>Augsburg</strong>, für den bereits auf dem Rathausplatz demonstriert wurde. .<br />

E<br />

in Donnerstagnachmittag in der Kantine:<br />

In der ”Weltbar” sitzen die<br />

Putzkräfte beim Kaffee, aus dem<br />

”Flammensaal” tönen Hammerschläge,<br />

im Treppenhaus tauscht ein<br />

Mitarbeiter Plakate aus. Im Büro<br />

lehnt sich Sebastian Karner hinter<br />

seinem Schreibtisch zurück. Es ist der erste Arbeitstag<br />

für den einen der beiden Kantine-Chefs nach<br />

überstandener Lungenentzündung, der 37jährige<br />

sieht noch etwas blass aus. Sein gleichaltriger Kompagnon<br />

Jürgen Lupart, genannt Lupo, kommt gerade<br />

rein, an seiner Seite: der <strong>Augsburg</strong>er DJ, Veranstalter<br />

und Kantine-Booker<br />

NT, Sebastian und Lupo<br />

Jürgen Endres,<br />

alias DJ NT<br />

(39).Esbeginnt<br />

ein munteres<br />

Stöbern<br />

in über einem<br />

Jahrzehnt<br />

<strong>Augsburg</strong>er<br />

Gastro- und<br />

Musikgeschichte.<br />

Die Story beginnt<br />

in Bärenkeller,<br />

im längst legendären Siedlerhof. Hier haben<br />

sich Lupo und Sebastian Anfang der 90er als Crossover-DJs<br />

beworben und sind dann peu à peu ins<br />

Veranstaltungsgeschäft reingerutscht. Als es mit der<br />

Location 1997 zu Ende ging, zogen die beiden mit<br />

DJ NT und den Veranstaltungsreihen ”Die letzte Versuchung”<br />

und ”Titty Twister” durch <strong>Augsburg</strong>. Bis<br />

sie eines Tages ihren alten Chef wieder trafen: Siedlerhof-Wirt<br />

Horst berichtete von einer Begegnung<br />

mit Roland Antonovics, dem Betreiber der Haifischbar,<br />

damals noch in der Klinkertorstraße. Roland<br />

suchte Mitstreiter, um die ehemalige Offizierskantine<br />

der Reese-Kaserne zur Disko umzubauen. Das<br />

ungleiche Quartett machte sich ans Werk und was<br />

als eineinhalbjähriges Clubabenteuer geplant war,<br />

wurde schnell zu einem ausgewachsenen Vollzeitprojekt,<br />

das sämtliche finanzielle Reserven ausreizte,<br />

nicht zuletzt weil der Bund als Besitzer wenig<br />

hilfreich war. Wie egal der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben<br />

die Zustände in der ehemaligen Kaserne<br />

tatsächlich waren, sollte sich beim späteren<br />

Umzug der Kantine noch dramatischer zeigen.<br />

Auf einen Korn mit dem Sternen<br />

Im März 2002 gingen auf jeden Fall zum<br />

ersten Mal die Lichter an in der neuen <strong>Augsburg</strong>er<br />

Location. Die Kantine bediente die seinerzeit noch<br />

recht zahlreiche Alternative-Fangemeinde, der<br />

”Indie-Freitag” wurde schnell eine Institution, der<br />

Samstag lief zunächst ”nur so mit”. Für die vier<br />

Jungs war es allerdings bald vorbei mit ”nebenher<br />

laufen lassen”: Horst gab bereits Ende des Jahres<br />

auf, Sebastian und Lupo auch - ihre eigentlichen<br />

Jobs als Mediengestalter und Bankangestellter.<br />

Diese Kantine wollte selbst gefüttert werden, neben<br />

den Partys begannen Konzerte die Speisekarte zu<br />

bereichern und damit war auch NT wieder mit im<br />

Boot. Als eine der ersten Bands reisten Die Sterne<br />

aus Hamburg an und lieferten gleich mal den ersten<br />

legendären ersten Satz: ”Hassu mal’n Korn?”.<br />

So beliebt die Kantine bei den Besuchern war, so<br />

schwierig waren die Arbeitsverhältnisse. Die Soundanlage<br />

genügte kaum den Anforderungen eines<br />

Liveclubs, das Büro war in einer größeren Besenkammer<br />

untergebracht, der Backstagebereich bestand<br />

aus dem mit einem Vorhang abgetrennten<br />

Kickereck. ”Und darin dann fünf verschwitzte Hardcorebands,<br />

die alle ihre Socken aufhängen wollen”,<br />

erzählt Sebastian heute lachend. Und der wachsende<br />

Erfolg sollte noch ein weiteres zwischenmenschliches<br />

Opfer fordern. Im Sommer 20<strong>05</strong><br />

trennte man sich von Roland Antonovics, leider<br />

nicht im Guten, mit ihm treffen sich Sebastian und<br />

Lupo immer noch regelmäßig vor Gericht.<br />

Demo statt Techno<br />

Als nach drei erfolgreichen Jahren die Zukunft<br />

des Kasernengeländes immer ungewisser<br />

wurde, öffnete sich ein ganz neues Kapitel in der<br />

<strong>Augsburg</strong>er Popgeschichte: Im Oktober 20<strong>05</strong> versammelten<br />

sich knapp tausend vornehmlich junge<br />

Menschen auf dem Rathausplatz, um erfolgreich für<br />

den Erhalt des Areals zu demonstrieren, dazu<br />

kamen 4.800 gesammelte Unterschriften.<br />

Doch auch die Übernahme des Geländes durch die<br />

Stadt bedeutete nicht die endgültige Rettung. Die<br />

Pläne, hinter dem Kulturpark einen Park anzulegen,<br />

bedeutete einen Umzug der Kantine - nur ein paar<br />

hundert Meter weiter, doch direkt in die Büchse der<br />

Pandora. Über eine Namensänderung musste man<br />

sich zwar keine Gedanken machen, auch das neue<br />

Gebäude war zu US-Zeiten als Kantine genutzt worden,<br />

doch dementsprechend hatten die Amerikaner<br />

auch für Sauberkeit gesorgt: Das komplette Gebäude<br />

steckte vom Keller bis zum Dach voller hochgiftiger<br />

”Schutzmittel”. Das Bizarre daran: Kurz<br />

vorher hatte der Komplex noch eine Großmetzgerei<br />

beherbergt, nun wurde er von den städtischen Behörden<br />

als ”schwer belastet” eingestuft. Der parallel<br />

zum Betrieb verlaufende eineinhalbjährige Umbau<br />

wurde zum Mammutprojekt, das die Kantinebetreiber<br />

nach eigenen Angaben zwischen 250.000 und<br />

300.000 Euro kostete. Trotz allem schafften es Sebastian<br />

und Lupo, dass die <strong>Augsburg</strong>er nur drei Wochenenden<br />

ohne ihren Club im Westen verbringen<br />

mussten.<br />

Die neue Kantine öffnete Ende Mai 2008 und ermöglichte<br />

es, das Konzept von zwei autarken Clubs<br />

zu verwirklichen und endlich annehmbare Arbeitsbedingungen<br />

zu schaffen. Die Veranstaltungsräume<br />

”Flammensaal” und ”Schwimmbad” vertragen sogar<br />

gleichzeitig stattfindende Konzerte, mit der ”Weltbar”<br />

wurde ein Chilloutbereich geschaffen und ein<br />

Biergarten ist auch wieder dabei. Die große Crew<br />

freut sich indes über einen großen Bürobereich,<br />

wenn die Kantine mit 800 Gästen auf Volldampf<br />

fährt, arbeiten hinter den Kulissen über 30 Leute<br />

gleichzeitig. Zum Vergleich: Im Siedlerhof regelte<br />

eine Dame an der Kasse den kompletten Einlass und<br />

irgendwann wurde (heißdiskutiert!) die erste Security-Kraft<br />

eingestellt: ein stadtbekannter <strong>Augsburg</strong>er<br />

Dichter, der die Leute auf dem Parkplatz freundlich<br />

darauf hinwies, doch etwas leiser zu sein.<br />

ZumJubiläumeinRiot<br />

Neben unzähligen DJs haben seit Mai<br />

2002 an die tausend Bands ihre Visitenkarte in der<br />

Kantine abgegeben, darunter sämtliche heimischen<br />

Größen bis zum jüngsten Shootingstar aus <strong>Augsburg</strong>,<br />

Andreas Bourani. Darüber hinaus ist die Kantine<br />

seit 2008 Austragungsort sämtlicher<br />

Vorentscheide von Band des Jahres. Und auch an<br />

überregionalen und internationalen Highlights mangelt<br />

es nicht: New Model Army, Dick Dale, Sick Of It<br />

All, Bloodhound Gang, Beatsteaks, Tocotronic, Kettcar,<br />

Cool Savas, Therapy, Casper, Kraftklub. La Brass<br />

Banda spielten ihr erstes <strong>Augsburg</strong>-Konzert im Biergarten<br />

vor hundert Leuten, Shantel kommt regelmäßig<br />

als DJ und mit Band. Eine respektable Leistung,<br />

schließlich ist <strong>Augsburg</strong> für die Agenturen immer<br />

noch eine ”C-Stadt”, wie Live-Booker NT berichtet:<br />

”Generell bekommen wir deutsche Bands erst in der<br />

zweiten oder dritten Rutsche - und internationale<br />

eher gar nicht.”<br />

Nichtsdestotrotz hat man sich einen guten Ruf erarbeitet<br />

und die Reiseaktivitäten der Musiker haben<br />

seit dem Rückgang der Plattenverkäufe enorm zugenommen,<br />

bei gleichzeitigem Anstieg der Gagen.<br />

Was kaum jemand weiß: ”Die Eintrittspreise größerer<br />

Bands sind zu 80 Prozent vom Management vorgegeben,<br />

damit das Konzert in <strong>Augsburg</strong> dasselbe kostet<br />

wie in München oder Köln”, erklärt Sebastian. Zu<br />

den gestiegenen Kosten kommt der ”explodierte”<br />

Verwaltungsaufwand. ”Es ist unvorstellbar, wie viel<br />

Geld man ausgibt, bevor die Band überhaupt einen<br />

Cent bekommt”, so Lupo, ”für weniger als 120 Leute<br />

brauchen wir bei den Unkosten eigentlich gar nicht<br />

aufsperren.”<br />

Für das Jubiläumswochenende im Mai ist es der Kantine-Mannschaft<br />

trotz allem mal wieder gelungen,<br />

einige große Fische an Land zu ziehen: Atari Teenage<br />

Riot, Mesh und The Meteors sorgen für Livespektakel,<br />

dazu kommt feinste Konservenmusik von<br />

Alternative über Elektronik und Techno bis Rockabilly.<br />

Und für Juli haben sich bereits die New Yorker<br />

Indie-Dauerbrenner Nada Surf angesagt.<br />

Und die Zukunft? Einigermaßen sicher ist, dass die<br />

Kantine auch noch ihren 15. Jahrestag feiern werden<br />

kann. Danach ist das Schicksal dieser <strong>Augsburg</strong>er<br />

Institution ungewiss, mit dem Ende des Kulturparks<br />

West im Jahr 2017 wird auch die Kantine weichen<br />

müssen. Alles weitere steht in den Sternen. Und die<br />

haben es ja vor knapp zehn Jahren schon treffend<br />

formuliert: ”Hassu mal’n Korn?” (flo)

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