PDF 6,87 MB - Gugler
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g 03<br />
Wichtige Impulse kommen aber natürlich auch von der Regierung,<br />
wie der holländischen, die ein klares Commitment abgegeben hat:<br />
Wir werden unsere Beschaffung ändern und wir werden dabei<br />
das ganze Land ändern. Wir werden Nährstoffe zurückgewinnen,<br />
biologisch und technisch nützlich sein. Wir werden das Abfall-<br />
Konzept aufgeben und alles zu Nährstoff machen. In den Niederlanden<br />
hat sich eine Riesendynamik entwickelt, weil das Konzept<br />
von vielen großen Unternehmen wie z. B. Philips, aber auch vielen<br />
kleinen und mittleren Betrieben mitgetragen und gleichzeitig<br />
massiv von der Regierung gefördert wird.<br />
Technischer Kreislauf<br />
für Gebrauchsgüter<br />
Neue Verordnungen zu formulieren ist gar nicht notwendig. Sinnvoll<br />
ist es, Langzeitziele festzusetzen. Wenn man klar sagt, in<br />
fünf oder zehn wollen wir Folgendes erreichen, dann bereitet<br />
man damit den Boden für neue innovative Produkte auf. In<br />
Österreich könnte man sich beispielsweise sagen: Wir wollen, dass<br />
in 10 Jahren die Innenluft-Qualität besser ist als die Außenluft.<br />
Im Moment ist in Wien die Luftqualität in Gebäuden 3- bis 8-mal<br />
schlechter als die Außenluft mitten in der Stadt.<br />
von der wiege zur wiege<br />
ktqualität<br />
17<br />
Dänemark ist auch dabei, das Konzept umzusetzen. Aber es gibt<br />
auch Regionen z. B. in Wales oder im Süden von Frankreich und<br />
auch die Steiermark, in der es über 800 Unternehmen gibt, die in<br />
diesem Bereich tätig sein wollen oder sich dafür engagieren.<br />
Zumeist sind es die südlich gelegenen Regionen, weil es dort<br />
natürlich auch wärmer ist. Im Norden hat man ein feindseliges<br />
Verhältnis zur Natur, was man dann durch ein schlechtes Gewissen<br />
ausgleicht. Wenn ich z. B. durch die Tundra laufe, dann ist mein<br />
Fußabdruck immer schädlich, weil sich der Boden dort nur sehr<br />
langsam regeneriert. Wenn ich aber in Italien bin, dann bedeutet<br />
der Fußabdruck, dass das Wasser länger in der Wiese bleibt. Hier<br />
versteht jeder, dass ein großer Fußabdruck gleichzeitig ein großes<br />
Feuchtgebiet sein kann. In Ländern, wo es das halbe Jahr kalt<br />
und dunkel ist, sind die Menschen natürlich eher auf Vermeiden,<br />
Sparen und Verzichten konditioniert. Darum gibt es kulturelle Unterschiede<br />
in der Geschwindigkeit der Umsetzung. Insgesamt sind<br />
wir aber begeistert und doch einigermaßen positiv überrascht, mit<br />
welcher Geschwindigkeit sich das Konzept vielerorts durchsetzt.<br />
Glauben Sie, dass sich das Cradle-to-Cradle-Konzept erfolgreich<br />
am freien Markt entwickeln kann? Oder liegt es an den Regierungen,<br />
hier einen kontinuierlichen Wandel zu forcieren?<br />
Die ersten großen Impulse kamen vor einigen Jahren aus den<br />
USA. Dort hat Bush mehrmals deutlich zu verstehen gegeben,<br />
dass er nicht besonders gescheit ist. Somit haben viele große<br />
Unternehmen begriffen, dass sie nicht auf die Regierung warten<br />
können. Insofern war eigentlich George W. Bush sogar einer der<br />
wichtigsten Impulsgeber. Einige Republikaner haben aber dennoch<br />
die Zeichen der Zeit erkannt. So hat z.B. Arnold Schwarzenegger<br />
Kalifornien zum C2C-Staat erklärt. Das heißt, die Impulse<br />
kommen aus der Wirtschaft selber. Von Leuten, die begreifen,<br />
dass es nicht mehr um Nachhaltigkeit geht, sondern um<br />
Innovation.<br />
Somit kann sich jeder, der Produkte macht, darauf einstellen, dass<br />
da ein Markt dafür entsteht – z. B. für Farben oder Teppichböden,<br />
die die Luft reinigen.<br />
Ist die Umsetzung von Cradle-to-Cradle-Ansätzen letztlich eine<br />
Frage des Geldes?<br />
Alle unsere Produkte, die wir machen, sind allesamt kostengünstiger.<br />
Sicherlich fallen vorab Forschungs- und Entwicklungskosten<br />
an. Aber z.B. die neuen Swiss-Sitzbezüge im Flugzeug sind etwa<br />
20 % billiger als die anderen davor. Weil eben die Zuschnitte nicht<br />
mehr Müll sind, sondern als Torfersatz an Gärtnereien gehen können.<br />
Dadurch entstehen bessere Produkte. Es geht nur um umfassende<br />
Produktqualität und sonst gar nichts.<br />
Der Ausspruch „Nachhaltigkeit ist langweilig“ hat Ihnen auf der<br />
Utopia-Konferenz nicht nur Beifall eingebracht. Viele sehen im<br />
Versuch, den ökologischen Fußabdruck zu minimieren, eine weitaus<br />
realistischere Möglichkeit, die Lebensqualität auf unserem<br />
Planeten zu erhalten. Haben beide Ansätze ihre Berechtigung oder<br />
ist rasch ein grundlegender Paradigmenwechsel nötig?<br />
Nachhaltigkeit bedeutet, dasselbe immer wieder zu tun. Da ist ein<br />
biologistisches Weltbild dabei. Wenn mich jemand fragen würde:<br />
Wie geht’s mir mit meiner Frau und ich würde sagen „Nachhaltig“,<br />
dann würde ich mich sofort scheiden lassen. Dafür ist mein<br />
Leben zu kurz, für Nachhaltigkeit. Das ist das Minimum, geradeso<br />
wie ein Wartungsvertrag bei einem Auto. Da ist nichts drinnen<br />
an Kreativität, Kultur und Entwicklung. Menschliche Aktivität wird<br />
als schädlich empfunden und muss halt immer wieder als Schuld<br />
ausgeglichen werden.<br />
Herr Professor Braungart, wir danken für das Gespräch.