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1997-Hannes Vogel beschäftigt - Burgenverein Untervaz

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<strong>Untervaz</strong>er <strong>Burgenverein</strong> <strong>Untervaz</strong><br />

Texte zur Dorfgeschichte<br />

von <strong>Untervaz</strong><br />

<strong>1997</strong><br />

<strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> <strong>beschäftigt</strong> sich mit dem Dichter Joyce<br />

Email: dorfgeschichte@burgenverein-untervaz.ch. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter<br />

http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter<br />

http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.


<strong>1997</strong> <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> <strong>beschäftigt</strong> sich mit dem Dichter Joyce Lerm Hayes<br />

Kopie aus: Christa-Maria Lerm Hayes: Der Berg, auf dem sich <strong>Vogel</strong>, Beuys,<br />

Joyce, Gage, Bartning ... mit zehn Donnerschlägen treffen. 44 S. Bottrop <strong>1997</strong><br />

Die Publikation ist dreisprachig. Englisch, Deutsch und Französisch.<br />

Wir beschränken uns auf die Wiedergabe des deutschen Textes.<br />

Christa-Maria Lerm Hayes<br />

WYLERMEER - Der Berg, auf dem sich <strong>Vogel</strong>, Beuys, Joyce, Cage,<br />

Bartning ... mit zehn Donnerschlägen treffen<br />

Zehn Tafeln, auf denen der Künstler <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> Fotografie, Literatur, Architektur<br />

und Skulptur gedanklich und tatsächlich kombiniert. Wer die Elemente betrachtet, sieht<br />

sich zudem selbst im Werk gespiegelt.


Das Haus, aus unterschiedlichen Blickwinkeln fotografiert, heisst Wylerberg. Es ist ein<br />

expressionistisches Landhaus auf einem Hügel an der niederländisch-deutschen<br />

Grenze zwischen Nimwegen und Kleve: tatsächlich in den sprichwörtlich paradoxen<br />

«holländischen Bergen». Der bekannte deutsche Architekt Otto Bartning hat es<br />

zwischen 1921 und 1924 erbaut. Von 1950 bis 1966 wohnten hier Alice Schuster und<br />

ihre Freundin Else C. Kraus, eine Pianistin. Beide Damen organisierten viele kulturelle<br />

Veranstaltungen, vor allem Konzerte, und das in einer damals kulturell nicht sehr<br />

aktiven, ländlichen Gegend. So belebten sie ein Haus wieder, in dem schon Alice<br />

Schusters Mutter zahlreiche namhafte Künstler beherbergt hatte, bevor es,<br />

einschliesslich seiner Kunstsammlung, während des Zweiten Weltkriegs geplündert<br />

wurde. Auch Alice und Else waren künstlerisch engagiert: Else C. Kraus zählt zu den<br />

frühen Interpretinnen der Kompositionen Arnold Schönbergs, der das Klavierspiel<br />

seiner Schülerin schätzte. Und Alice Schuster versuchte mit Leidenschaft (aber letztlich<br />

vergeblich) James Joyces schwieriges Spätwerk, Finnegans Wake, zu übersetzen. Wie<br />

schwierig, offenbaren die Wörter (oder sind es Reihen von Buchstaben?), die auf<br />

<strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong>s Tafeln zu sehen sind. Sie entstammen diesem Buch des irischen<br />

Schriftstellers.<br />

Ein junger und in den 50er Jahren noch unbekannter Bildhauer lebte in der Nähe des<br />

Hauses Wylerberg und beobachtete das entstehende kulturelle Zentrum. Joseph<br />

Beuys hätte nur zu gern an Veranstaltungen teilgenommen und wäre gern als Künstler<br />

anerkannt worden. Diesen Schluss lässt ein 1964 verfasster sogenannter Lebenslauf /<br />

Werklauf zu, der den Beginn einer bewussten Stilisierung seines Lebens zum<br />

Kunstwerk markiert: 1950 Beuys liest im Finnegans Wake». Joyce<br />

selbst sagte, man sollte dieses Werk laut lesen, um es besser zu verstehen und es<br />

auch als musikalische Erfahrung schätzen zu können. Konzertartige, öffentliche<br />

Lesungen von Joyces Werken, besonders von Finnegans Wake, sind heute etabliert.


Aber 1950, in einer sehr ländlichen Gegend und in einem Haus, das nach dem Krieg<br />

gerade erst wieder bezogen wurde, scheint das unglaublich oder zumindest<br />

bemerkenswert. Als kulturelle Veranstaltung des Wylerbergs hat diese Lesung<br />

höchstwahrscheinlich nicht stattgefunden. Es wurde sogar vermutet, Beuys habe das<br />

Haus nie betreten. Ausserdem veränderte Beuys ganz absichtlich Wylerberg in<br />

Wylermeer (so heisst der See zwischen Haus und Rhein). Spielte er damit auf die<br />

fliessenden, musikalischen Qualitäten von Finnegans Wake an oder hatte er andere<br />

Gründe? Vielleicht wollte er die Tatsache kommentieren, dass die Gastgeberinnen<br />

nicht seine Arbeiten, sondern die von Joyce schätzten. Vielleicht kommt man des<br />

Rätsels Lösung näher, wenn man weiss, dass die Joyce-Enthusiastin Alice Schuster in<br />

einem Haus lebte, das im Joyceschen Sinne einen widersprüchlichen Namen trägt: In<br />

Finnegans Wake ist dem männlichen Element der Berg, dem weiblichen aber der Fluss<br />

oder ganz allgemein das Wasser zugeordnet. Somit können zwei Damen unmöglich in<br />

einem Haus wohnen, das "Wyler-berg» heisst.<br />

Die rätselhafte Verbindung zwischen Beuys und Joyce und die Art, in der sie beide auf<br />

künstlerische Weise Wörter verfremdeten, haben <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong>s Interesse geweckt:<br />

Der Künstler schrieb Beuys' Namen in Joyces Wörter ein. So kann man j-o-s-e-ph b-eu-y-s<br />

als einzelne Buchstaben, durch Leerzeichen abgesetzt, in den<br />

"Buchstabenreihen» aus Finnegans Wake erkennen. <strong>Vogel</strong>s Arbeit hebt darauf ab,<br />

dass Beuys sich, d.h. Themen und Dinge, die ihm sehr nah waren, bei der Joyce-<br />

Lektüre wiedererkannte. Zahlreiche Kommentare des Künstlers und offensichtliche<br />

sowie versteckte Anspielungen in Joseph Beuys' Werken bezeugen das.<br />

Literarisch gesehen nähert sich <strong>Vogel</strong>s Vorgehensweise der Technik des Mesostichon<br />

an: Man kann Beuys' Namen aus den einzeln stehenden Buchstaben inmitten der<br />

"Wörter» zusammensetzen, und das in normaler Leserichtung von links nach rechts<br />

(und nicht von oben nach unten, wie bei Mesostichen sonst). Wir sehen nun zweimal<br />

fünf Elemente, fünf für "joseph» und fünf für "beuys». Mesostichen und die häufiger<br />

vorkommenden einfachen Akrostichen (hintereinander zu lesende Anfangsbuchstaben<br />

der Zeilen eines Gedichts beispielsweise) sind mit Wortmagie oder gött<br />

licher Sprache verbunden und in heiligen Schriften zu finden. In Finnegans Wake<br />

nimmt sich Joyce Text<br />

material aus der Bibel, dem ägyptischen Totenbuch und allen Arten (mittelalterlicher)<br />

Manuskripte. Auch hat er in seinem Spätwerk die Initialen der Protago<br />

nisten auf Wortanfänge verteilt oder gar inmitten von Wörtern zusammengestellt, als<br />

Wiedererkennungszeichen für die ihre Identitäten wechselnden dramatis personae.<br />

Das Mesostichon als Form eines Werkes scheint Finnegans Wake besonders<br />

angemessen. So dachte schon John Gage. Der Komponist, Künstler und, wie Else G.<br />

Kraus, Schüler Schön bergs las Finnegans Wake sehr gern laut. Er hat sogar ein Werk<br />

geschaffen, in dem er Joseph Beuys' Vorliebe für Joyce kommentiert und den Part von<br />

Joyce selbst spricht: «James Joyce, Marcel Duchamp, Eric Satie: Ein Alphabet».?<br />

John Gage hat mit Mesostichen wiederholt durch Joyces opus magnum<br />

«hindurchgeschrieben» (1976-1979). Das will bedeuten, dass er Passagen aus<br />

Finnegans Wake wählte, die geteilt und untereinander arrangiert als Säule in ihrer Mitte<br />

den Namen «J-A-M-E-S J-O-Y-G-E» zeigen. Hierin erkennen wir eine Tradition, in die<br />

sich <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> mit Wylermeer einschreibt.


Gages Mesostichen sind als Zurückweisung und nicht als Hommage an Joyce kritisiert,<br />

beziehungsweise treffender als «sakrilegische Hommage» bezeichnet worden. Diese<br />

Äusserung argumentiert, dass bei Gage angeblich statt künstlerischer Kontrolle der<br />

Zufall dominiert. Andererseits zeigt gerade diese Vorgehensweise, dass Gage sich<br />

Joyce zu eigenen Zwecken aneignet - und das legitimerweise und auf eine<br />

bescheidene Art: Er beansprucht nicht, das Werk zu interpretieren. Eher möchte er auf<br />

einige Aspekte hinweisen, wie, dass das Lesen von Finnegans Wake für ihn ein<br />

Abenteuer war. Ausserdem hat auch Joyce selbst Quellen, beispielsweise die<br />

Geschichtstheorien Giambattista Vicos aus dem 18. Jahrhundert, nur soweit benutzt,<br />

wie sie ihm tauglich waren - d.h. nach eigenem Ermessen. Joseph Beuys ist, vielleicht<br />

durch Joyce angeregt, ebenso verfahren. Die Vielfalt der Bedeutungsebenen, auf die<br />

<strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> mit Wylermeer anspielt, ist durchaus mit dieser Vorgehensweise<br />

vergleichbar.<br />

Das typographische Element und das Arbeiten mit dem Zufall sind Gage und <strong>Vogel</strong> in<br />

ihren Werken zu Joyce gemeinsam. Wie der Schriftsteller gebrauchen sie Material, auf<br />

das sie «zufällig» stossen; sie werfen nichts weg, was irgendwann vielleicht doch<br />

seinen Platz in einem anderen Werk finden könnte. So hat <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> in einem<br />

Werk von 1990 Buchstaben von Neonreklamen etc. verwendet, die er in Zürich, wo<br />

Joyce lange Jahre gelebt hatte, sah und dokumentierte. Er arrangierte die gefundenen<br />

Buchstaben zum Schriftzug «DICK and DAVY» - die Namen zweier Medizinstuden ten<br />

aus Ulysses - und installierte ihn als Neon-Schriftbild in der Zürcher Cafeteria für<br />

Medizinstudenten. Bei anderer Gelegenheit hat <strong>Vogel</strong> belichtete Anfänge von Filmen<br />

aufgehoben, die man normalerweise wegwerfen würde. Er ordnete sie für die<br />

Ausstellung «J&J» im Helmhaus Zürich den Episoden des Ulysses zu, und wies darauf<br />

hin, dass Joyce vorhatte, jedem Kapitel des Buches eine eigene Farbigkeit zu geben.<br />

Die Fotos, die <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> nun von Haus Wylerberg zeigt, scheinen die sehr<br />

persönliche Art und Weise wiederzugeben, in der Joseph Beuys das Haus betrachtet<br />

und auch auf Joyce reagiert hat. Sie erwecken den Anschein, Standfotos aus einem<br />

Film zu sein, die mit einer Handkamera in Bewegung aufgenommen wurden. Die<br />

expressionistischen Qualitäten des Bartning Hauses tragen zu dem dramatischen<br />

Effekt bei, ebenso das Faktum, dass sich das Haus im Zweiten Weltkrieg in einem<br />

mehrfach umkämpften Niemandsland befand.<br />

Die Farbigkeit der Fotos wiederum wird diejenigen, die mit Joyce vertraut sind, an<br />

seine «Lieblingsfarben» erinnern: Grau, Grün und Schwarz, die, wie er es beschrieb,<br />

den fortschreitenden Stadien der Blindheit (Star) entsprechen. Joyces<br />

Augenkrankheiten und die Kunst: Dieser Umstand wird am häufigsten zitiert als Grund<br />

dafür, dass Joyces Arbeit keinesfalls nach visuellen Kriterien interpretiert werden kann<br />

- eine Überzeugung, die Künstler schon lange als absurd entlarvt haben.<br />

Die Art der Zitate aus Finnegans Wake auf <strong>Vogel</strong>s Wylermeer-Fotoarbeiten weist auf<br />

einen weiteren, vielleicht den entscheidenden Aspekt des Werkes: Blitz und Donner<br />

verbinden Joyces Wake (und somit Alice Schusters Übersetzungsversuche), Bartnings<br />

Gebäude, Beuys' Lesung des Buches (und die besser greifbaren Arbeiten zu Joyce)<br />

mit anderen scheinbar so weit entfernten Quellen wie Giambattista Vicos Neue<br />

Wissenschaft und die keltische Mythologie: Die zitierten Wörter - und es handelt sich<br />

tatsächlich nicht nur um Buchstabenreihen - sind die sogenannten «Donnerwörter» aus<br />

Finnegans Wake. Tatsächlich wirkt das unwirtliche Licht der Fotos wie das einer<br />

gewittrigen Nacht. Zehn Donnerwörter sind über das «NachtBuch» Finnegans Wake<br />

verteilt wie Alpträume, die den Fluss der Joyceschen Traumsprache durchbrechen.<br />

Jedes besteht aus 100 Buchstaben, ausser dem letzten, das 101 Buchstaben zählt.<br />

Zusammen ergeben sie 1001 , was sicherlich märchenhafte Elemente des Buchs<br />

hervorhebt.


Ebenso wichtig ist die unendliche Qualität der Zahl: Nach der 1000 beginnt alles von<br />

Neuem mit einer weiteren Eins. Eins ist die Zugabe, das 13. Stück im Bäckerdutzend.<br />

Nach der englischen Bezeichnung für diese Zugabe nannte Joyce das dreizehnte<br />

Gedicht seiner Pomes Penyeach «Tilly».<br />

Auch der auf Wylerberg mit so viel Engagement gespielte Schönberg fuhr nach zwölf<br />

Tönen fort und sah in der musikalischen Variation Wiederholung. Das vermittelte er<br />

Gage. Dieses Prinzip des Zyklischen hat <strong>Vogel</strong> im Zusammenhang mit Beuys' Namen<br />

für sein Werk genutzt: Josef Beuys, wie er sich in jungen Jahren schrieb, wurde zu<br />

Joseph Beuys: Aus zehn mach' elf - und fang' von vorne an. An die vier Wände eines<br />

Raumes gehängt, würde sich der Kreis von Wylermeer schliessen, wie der von<br />

Finnegans Wake, dem Modell des Werkes: Dort setzt sich der letzte Satz im ersten des<br />

Buches fort. Der Kreis wird zur Spirale, denn beim zweiten Mal ist nichts so wie beim<br />

ersten - und am wenigsten das Lesen von Finnegans Wake.<br />

Beuys hat in seinen Werken wiederholt auf die zyklische Struktur von Joyces Buch<br />

angespielt. Das Wesentliche der Neuen Wissenschaft des Giambattista Vico ist genau<br />

dies: Die Geschichte wiederholt sich, gleich, aber doch anders. Joyce hat sich Vicos<br />

Geschichtsphilosophie vor allem bedient, weil der Wissenschaftler des 18.<br />

Jahrhunderts den Donner als die Kraft betrachtete, die einen neuen Zyklus auf den<br />

Weg bringt. Auch der Blitz ist gegenwärtig: Bartning räumte dem Feuer den zentralen<br />

Platz im Haus Wylerberg ein und erinnert so daran, dass das Zähmen der Flamme die<br />

erste Kulturtat der Menschen ist: Der Schornstein krönt als das höchste und zentrale<br />

Element den Bau wie eine Bergspitze. Das Haus ist Wylerberg (Weiler-Berg, eine<br />

Kombination aus Niederländisch und Deutsch). Das Dach faltet sich, ausgehend vom<br />

Zentrum, wie ein an beiden Seiten verbundener Fächer, wie ein Schirm oder der Rock<br />

einer tanzenden Frau: Da ist Bewegung. Auch thematisiert der Name des Hauses<br />

selbst Sprache in Bewegung, nicht nur das Lesen oder Übersetzen von Joyce's<br />

polyglotter Literatur an der niederländisch/deutschen Grenze.<br />

Das Haus und seine wechselhafte Geschichte sind verstrickt in (Sünden-)Fall und<br />

Schuld: Die Schusters waren mit Hermann Göring verwandt, haben seine politischen<br />

Überzeugungen jedoch nicht geteilt. Der Berg, auf dem es steht, heisst tatsächlich<br />

Teufelsberg. All diese Aspekte sind - neben ihrer archetypischen Qualität - Elemente,<br />

die Joyce in seine Donnerwörter als «Zusammenwirbeln» aller Themen von Finnegans<br />

Wake einbezog. <strong>Vogel</strong> wählte gerade diese zentralen, strukturierenden Donnerwörter<br />

aus Finnegans Wake für Wylermeer.<br />

Der Künstler arrangierte sie so, dass sie Beuys' Namen wiedergeben können. Ihre<br />

Reihenfolge ist also eine zufällige: Auf seinen Tafeln beginnen sie mit einem<br />

Donnerschlag, den Luzifer durch das Schliessen einer Tür hervorruft (Paradies oder<br />

Wylerberg auf dem Teufelsberg?). Gleichzeitig ist der Donner aber auch Applaus, der<br />

ein Theater-Stück innerhalb des Buches beendet. Das letzte Wort dieses Stückes ist<br />

übrigens auch in Finnegans Wake das «letzte» (vor dem wiederholten ersten), «the»:<br />

wiederum ein mit einem Ende verbundener Anfang. Das zweite der Donnerwörter<br />

schliesst den Begriff für Donner in mehr als einem Dutzend verschiedener Sprachen<br />

ein und verbindet sich auch mit Architektur, Gewalt und Fotografie: Das Schliessen<br />

(eng. «shut») oder Schiessen «


Mag sein, die Sprache ist vollkommen, doch sollte man der Zahl nicht trauen: Es ist<br />

das Wort mit 101 Buchstaben und es erzählt von nordischer Mythologie: Thor, dem<br />

Donnergott, seinem Hammer; Loki, Odin u.a. kommen vor. Der Hammer wird natürlich<br />

nicht nur von Thor zum Donnern gebraucht, sondern von den Menschen auch zum<br />

Bauen (von Häusern beispielsweise) und um künstlerisch arbeiten zu können. In<br />

Stephen Hero, den Skizzen für seinen ersten Roman, schrieb Joyce von einem<br />

Künstler, der laut hämmert, um ein Haus des Schweigens zu bauen.<br />

Joseph Beuys hat immer wieder hammerförmige Werke in Verbindung mit dem<br />

Donnerthema kreiert. Eines von ihnen, Tor 19 von 1961, trägt zum «Entladen» etwas<br />

wie Antennen und Beuys' fragmentarische Initialen, die allerdings eher wie «JJ»<br />

aussehen. Als Beuys sich einmal zu Joyces Ulysses äusserte, hat er sogar mit «J. J.»<br />

unterschrieben. Blitz von 1964 ist ein weiteres Werk in Hammer-Form aus Filz und mit<br />

einem Zollstock als Griff und Blitz. Beuys' Blitzschlag mit Uchtschein auf Hirsch (1985)<br />

darf nicht unerwähnt bleiben, da der bestimmende Teil dieser Installation ein<br />

abgegossener Teil eines aufgeschütteten Erdberges ist: Der Blitz sucht sich natürlich<br />

den höchsten Punkt. Die Kelten verehrten sowohl den Hammer als auch die mit ihm<br />

eng verknüpfte, oft nicht unterscheidbare Doppelaxt. Beuys' Werk zeigt beide Formen -<br />

besonders auch im Joyceschen Kontext; auf Zeichnungen, die er als «Ulysses-<br />

Verlängerung» anfertigte.<br />

Dem Schweizer <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> sind diese keltischen Wurzeln wohlbekannt. Im<br />

nördlichen Alpenraum, dem Ursprungsgebiet der La Tene- und Hallstatt-Kultur, lassen<br />

sich die Stämme, die sich später Kelten nannten, erstmals nachweisen; lange bevor sie<br />

zum Niederrhein oder nach Irland kamen. Hunderte von Kilometern weiter und<br />

Jahrhunderte später, aber am gleichen Fluss Rhein (obwohl dramatisch verändert),<br />

fühlte Beuys starke Verbundenheit mit den Kelten.<br />

Auf der vierten Tafel von Wylermeer steht das erste der Donnerwörter aus Finnegans<br />

Wake geschrieben.Es handelt von Erbsünde, von dem Fall und dem Stottern als<br />

Zeichen von Schuld. Das schliesst Gottes donnerndes Stottern nach seinem eigenen<br />

Sündenfall, der Schöpfung, ein. Joyce beschwört auch den Ur-Mythos vom im<br />

Kinderreim Humpty Dumpty genannten Sonnenei, von dem man befürchtete, es ginge<br />

nie wieder auf. Das Wort für Donner ist hier in vielen Sprachen präsent, aber es findet<br />

sich auch ein etwas deplaziertes «trovar». Hat Beuys das hier gefunden? Er hat einmal<br />

selbst ein Donnerwort geschrieben, mit dem Hauptelement «cerche». Was hat er in<br />

Finnegans Wake gesucht? Er hat es sicher gefunden: Seine Reihung zählt 102<br />

Buchstaben.<br />

Josephs «ph» ist bei <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> aus donnerndem Beifall zusammengesetzt, aus<br />

einem Lied über Humpty Dumpty und klirrendem Glas. Für «b» folgen Wörter in<br />

verschiedenen Sprachen, die «Husten» bedeuten und das englische Wort für Sarg,<br />

das so ähnlich klingt «


Vico, der diesen Fall thematisierte, stellte sich vor, dass die Menschen zum ersten Mal<br />

vom Boden aufsahen, um den blitzenden Himmel zu sehen und die menschliche<br />

Sprache «erfanden», um Gottes Stimme, also den Donner, zu imitieren. Sie mussten<br />

sich auch vor den Gewittern in Sicherheit bringen. Deshalb sind, laut Vico, sowohl das<br />

Häuserbauen als auch die Sprache auf göttliche Blitze und Donner zurückzuführen.<br />

Der Bau des Turms von Babel, den wir uns als eine spiralige, bergähnliche Struktur<br />

vorstellen, brachte Zerstörung und die Zerstreuung der Völker mit sich (begleitet von<br />

einem Gewitter?). Hat Alice Schuster ihre Rolle als Übersetzerin von Joyce und<br />

Gastgeberin an der niederländisch/deutschen Grenze auch so verstanden, wie Joyce<br />

seine als Ire in der Diaspora? Wir wissen es nicht. Finnegans Wake kann aber gut als<br />

ein gigantischer Versuch gewertet werden, das wiederherzustellen, was in Babel<br />

verlorenging: eine universale Sprache, welche die Menschen dazu befähigt, sich zu<br />

verständigen und zu verstehen.<br />

Joyce folgt der Tradition der Märchen aus 1001 Nacht, die in ihren Ursprüngen die<br />

Gedankenwelt ebenso vieler Kulturen umfassen, wie Sprachen in den Donnerwörtern<br />

des Wake vorkommen. Das Ziel ist, in den Worten von Finnegans Wake, «The<br />

hundredlettered name again, last word of perfect language». Joyce behauptete, alles<br />

mit Sprache tun zu können, was er wolle. In unserem gewalttätigen 20. Jahrhundert<br />

war er jedoch nicht in der Lage, den entscheidenden Beitrag zu universaler<br />

Verständigung zu leisten. Joyce hatte Vico genau genug gelesen, um zu wissen, dass<br />

im Gang der Geschichte nach jeder Steigung wieder ein Fall folgen würde. Beuys war<br />

idealistischer und hat, nach seinem eigenen Fall (mit dem Flugzeug und auf andere<br />

Weise), die Aufgabe übernommen, die Welt zu verbessern, eine Aufgabe, die man ihn<br />

nicht in Haus Wylerberg beginnen liess.


<strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> bringt uns dazu, zu sehen und nachzudenken; uns selbst als Reflexion<br />

im Werk zu beobachten, wie wir zu verstehen versuchen, was dort geschrieben steht.<br />

Vielleicht wartet ein Donnerschlag auf uns oder aber ein Geistesblitz - einer von denen,<br />

die Joyce einmal Epiphanie nannte.<br />

<strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong>, geb. 1938 als Sohn des Friedhofgärtners Hans <strong>Vogel</strong>, Hof, Chur ist<br />

Bürger von <strong>Untervaz</strong>.<br />

Wir danken <strong>Hannes</strong> <strong>Vogel</strong> für die freundliche Widergabebewilligung.<br />

Internet-Bearbeitung: K. J. Version 05/2004<br />

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