27.02.2014 Aufrufe

1933-Erinnerungen von Schwester Cassilda Joos - Burgenverein ...

1933-Erinnerungen von Schwester Cassilda Joos - Burgenverein ...

1933-Erinnerungen von Schwester Cassilda Joos - Burgenverein ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Untervazer <strong>Burgenverein</strong> Untervaz<br />

Texte zur Dorfgeschichte<br />

<strong>von</strong> Untervaz<br />

<strong>1933</strong><br />

<strong>Erinnerungen</strong> <strong>von</strong> <strong>Schwester</strong> <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong><br />

Email: dorfgeschichte@burgenverein-untervaz.ch. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter<br />

http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter<br />

http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.


- 2 -<br />

<strong>1933</strong> <strong>Erinnerungen</strong> <strong>von</strong> <strong>Schwester</strong> <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong> Sr. <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong><br />

Original, vier gewöhnliche Schulheften im Eigentum der Kongregation der<br />

Ingenbohler-<strong>Schwester</strong>n. Abschrift Schreibmaschine in Privatbesitz.<br />

ERINNERUNGEN<br />

<strong>von</strong><br />

CASSILDA JOOS<br />

EHRW. SCHWESTER DER CONGREGATION DER<br />

BARMHERZIGEN SCHWESTERN VOM HL. KREUZ<br />

IN INGENBOHL, GEBUERTIG AUS UNTERVAZ.<br />

GEB. 6. XI.1849<br />

------------------------<br />

GEST. 16. XI. <strong>1933</strong>


- 3 -<br />

Vorbemerkung:<br />

Die ERINNERUNGEN sind in sorgfältigen Schriftzügen, denen allerdings,<br />

im Vergleiche zur Handschrift früherer Jahre, eine gewisse Versteifung des<br />

Alters anhaftet, wodurch sie aber eher energischer erscheinen, in vier<br />

gewöhnlichen Schulheften mit peinlicher Sauberkeit niedergeschrieben.<br />

Veranlassung gab, wie ich erfahren konnte, ein Wunsch der derzeitigen<br />

Generaloberin der Ingenbohler-<strong>Schwester</strong>n, der das Schriftstück auch<br />

gewidmet ist. Die Hauptsache der Niederschrift dürfte aus einem Gusse sein.<br />

Später hinzu kamen wohl die Anmerkungen und die Nachträge. Ich habe<br />

hier in der Abschrift die Reihenfolge des Textes nach dem Originale<br />

eingehalten.<br />

Das Original ist Eigentum der Congregation der Ingenbohler-<strong>Schwester</strong>n,<br />

bezw. deren Generaloberin. Es wurde mir freundlichst zur Einsicht<br />

zugestellt, mit dem Bemerken: Sie werden darin vieles finden, was Ihnen<br />

grossen Genuss bieten wird. Wir bitten Sie nach Einsichtnahme uns die<br />

Hefte wieder retournieren zu wollen. Die Aufzeichnungen haben für uns in<br />

verschiedener Hinsicht grossen Wert und dürfen uns nicht verloren gehen"!<br />

Ich habe mit Maschinenschrift eine Abschrift mit einem Durchschlage<br />

genommen. Vieles, was das Lesen des Originales so angenehm macht,<br />

konnte leider auf der mangelhaften Abschrift nicht mitgenommen werden.<br />

Der Text ist vollständig wiedergegeben. Orthographie u. Interpunktion sind<br />

beigehalten worden. Die Hinweisungen kommen aus dem Original und<br />

nennen dessen Seitenzahlen, welche hier am Rande angegeben wurden.<br />

den 23. Februar 1934<br />

Kaspar <strong>Joos</strong>


- 4 -<br />

ERINNERUNGEN<br />

Der Wohlerwuerdigen Lieben Frau Mutter<br />

M. Theresia Beck<br />

gewidmet <strong>von</strong> Schw. <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong><br />

zum Namensfeste 1932.<br />

------00000------<br />

Mein Heimatdorf liegt im Ct. Graubünden, am linken Ufer des Rheins,<br />

Bezirk Unter-Landquart, Kreis V Dörfer. Es zählt heute ungefähr 1000<br />

Einwohner. (vor 60-70 Jahren zählte es 1200). Da wurde ich geboren den 6.<br />

Nov. 1849 als das 2. Kinde ehrbarer, streng katolischer Bürgersleute:<br />

Laurenz <strong>Joos</strong> u. der Margareta geb. Wolf. (Siehe Anhang Seite 41, 42, 43,<br />

44) Schon am folgenden Morgen in der Frühe, gleich nach der hl. Messe<br />

erhielt ich in der Pfarrkirche die hl. Taufe durch P. Adelrich O.C. Da wurde<br />

ich gehegt u. gepflegt <strong>von</strong> der lb. Mutter u. <strong>von</strong> einer alten Amme die mich<br />

u. meine Geschwister in den ersten Lebensjahren aufs Beste betreute. Am<br />

folgenden Pfingstsamstage, also Pfingsten 1850, wurde ich <strong>von</strong> Bischof<br />

Caspar Carl v. hohen Balken in der<br />

Seite 2:<br />

Kathedrale in Chur gefirmt. Ich war damals genau 1/2 Jahr alt. Meine Mutter<br />

erzählte mir, wie der P. Pfarrer zögerte, ihr einen Schein zu verabfolgen, mit<br />

dem Bemerken, die Firmung pressiere doch nicht. Sie aber bestand darauf u.<br />

wendete ein, so ein Kind sei vielen Gefahren ausgesetzt u. sie wolle nicht,<br />

dass ihr Kind stürbe, ohne gefirmt zu sein, da ja das hl. Sakrament der Seele<br />

ein unauslöschliches Zeichen eindrücke u. die Seligkeit im Himmel<br />

vermehre. Nun gab er ihr schweigend das Verlangte u. am andern Tage<br />

wurde ich <strong>von</strong> meiner Mutter u. meiner Firmpatin Jgf. Margareta Plattner,<br />

abwechselnd auf den Armen <strong>von</strong> Untervaz nach Chur in die Cathedrale zur<br />

hl. Firmung getragen. u. das sind 2 Wegstunden, u. wieder so<br />

zurückgetragen. Das sind 4 Wegstunden. Es führte damals noch keine<br />

Eisenbahn nach Chur, u. die alte Amme behauptete, das Rütteln auf einem<br />

Fuhrwerk könnte einem so kleinen Kinde schaden.


- 5 -<br />

Seite 3:<br />

Recht bald kommt das Alter des Erwachens für Freude u. Schmerz. Eine<br />

meiner ersten <strong>Erinnerungen</strong> ist mein grosser Schmerz beim Tode unserer<br />

geliebten, alten Amme u. Wärterin Meya. (Ihr richtiger Name war Maria<br />

Mafiew.). Sie war nach ganz kurzer Krankheit selig im Herrn gestorben. Ich<br />

weinte bitterlich, als man sie hinaustrug u. fing an das Wort Sterben, Tod, in<br />

seiner Bedeutung in etwas zu begreifen u. zu fürchten. Ich fühlte mich einige<br />

Zeit recht traurig und verlassen. Ich zählte damals 4 - 5 Jahre.<br />

Auch meine erste Freude, deren ich mich erinnere, prägte sich mir tief ein.<br />

Meine <strong>Schwester</strong> war etwas mehr als zwei Jahre älter als ich. Mit dem 7.ten<br />

Jahre wurde sie schulpflichtig u. besuchte daheim die erste Primarklasse.<br />

(Damals wie auch heute noch wurde bei uns nur im Winter Schule gehalten,<br />

d.h. 6 Monate. Während der guten Jahreszeit müssen die Kinder den Eltern<br />

bei der Arbeit helfen, die Knaben hauptsächlich bei dem Vieh auf den<br />

Bergen u. Alpen)<br />

Seite 4:<br />

Seite 5:<br />

An den Winterabenden lernte sie ihre Lektion aus der Fibel. Gleichsam<br />

spielend u. zur Kurzweil lernte ich mit ihr aus dem gleichen Büchlein,<br />

während die Mutter in der Küche beschäftigt war u. bis nächsten Frühling<br />

konnten wir beide lesen. Eines Abends kam ein benachbarter<br />

protestantischer Mann in Geschäften beim Vater zu Besuch. Mein Vater<br />

lobte mich bei ihm u. hiess mich ihm aus einem Blatte vorzulesen. Es gelang<br />

mir ganz geläufig. Der freundliche Mann staunte u. freute sich u. schenkte<br />

mir einen glitzernden Zwanziger. Diese Scene ist mir treu im Gedächnis<br />

geblieben, während ich mich an das Lesen lernen u. die Vorgänge des<br />

Winters nicht im Geringsten erinnere. Das zwanzig Centimstück freute<br />

mich, (Siehe S. 45 Nachtrag.). besonders aber das Lob meines lb. Vaters, der<br />

sowohl im Lob als im Tadel stets sehr sparsam war. Ich glaube, es war<br />

vielfach deswegen, dass wir Kinder alle vor unserm Vater stets grossen<br />

Respekt hatten u. zwar bis zu seinem Tode in hohem Alter. (Siehe S. 49, 50<br />

Nachtrag.).<br />

Ich hoffte nun bald zur Schule gehen zu dürfen. Als aber nächsten Herbst die<br />

Schule angekündet wurde, war ich nicht auf der Liste, weil ich noch ein Jahr<br />

zu jung war. Meine <strong>Schwester</strong> musste also allein gehen. Nach ein paar<br />

Tagen aber lockte sie mich mit u. als der Lehrer mich zurückweisen wollte,<br />

machte sie den Fürsprecher u, erzählte ihm, ich könne lesen. Der Lehrer gab


- 6 -<br />

mir das 2te Schulbüchlein in die Hand u. ich las laut vor. Da erhoben die<br />

mutwilligen Knaben ein lautes Geschrei und Gelächter u. verspotteten mich<br />

mit verschiedenen, nicht schmeichelhaften Zurufen. Ich aber fing laut zu<br />

weinen an u. zwar so laut, dass der P. Superior die Stiege herunter u. ins<br />

Schulzimmer trat um zu sehen, was da los sei. Das Schulzimmer war<br />

nämlich im Erdgeschoss des Pfarrhauses) Nachdem der Lehrer wieder<br />

Ordnung geschaffen, tröstete er mich u. sagte mir ich dürfe schon zur Schule<br />

kommen. Ich aber hatte längere Zeit keine Lust mehr, denn ich fürchtete die<br />

Buben. Endlich ging ich wieder u. der<br />

Seite 6:<br />

Seite 7:<br />

Lehrer liess mich ruhig neben meiner <strong>Schwester</strong> sitzen, da ich mich still<br />

verhielt. Und so ging ich öfters mit meiner <strong>Schwester</strong> zur Schule,<br />

wahrscheinlich aber nicht täglich, da ich nicht pflichtig war. Nun trat ich das<br />

7te Jahr an u. wurde schulpflichtig. Ich wurde gleich in die 2te Classe<br />

eingereiht. Den folgenden Herbst stieg ich mit den andern in die 3te Classe<br />

u. kam somit in die Oberschule. Es waren damals nur 2 Katolische Schulen,<br />

heute sind 3. Ich erinnere mich klar, welch grosse Angst ich hatte zu den<br />

grossen Buben hinein. Und wirklich, es erwartete mich wieder eine grosse<br />

Demütigung, die mir noch ganz klar im Gedächtnis ist. (Siehe Seite 51 u. 52<br />

den Grund dieser Bubenrache ). Sobald ich zur Türe hineintrat, erhoben die<br />

Buben ein grosses Geheul u. Gelächter u. einer rief: häst das a,b,c, Büchle<br />

bei dir? u. ein anderer rief: komm nur nit, du chunst under, wir zerstampfen<br />

dich. Ich aber weinte wieder bittere Tränen, mein Ehrgefühl war verletzt. So<br />

durchlief ich denn die 8 Classen der Untervazer Primarschule in kindlicher<br />

Unbesorgtheit unter dem Cepter <strong>von</strong> 4 verschiedenen Lehrern, alles brave,<br />

guter, Männer u. Lehrer. Gefehlt habe ich niemals, den ich war<br />

nie krank. Ein einziges mal erzwang ich bei meinen Eltern die Erlaubnis am<br />

schmerzhaften Freitag nach Ems zu wallfahrten mit meiner Tante. Am<br />

andern Morgen aber musste ich dem Lehrer die üblichen 20 Centimes<br />

Strafgeld bringen, der Vater wollte es so haben. Strafe habe ich, soviel ich<br />

mich erinnere, nur 2 mal erhalten, einmal weil ich in der Kirche beim<br />

Abendrosenkranz laut gelacht u. einmal weil ich und andere Mitschülerinnen<br />

einem Kachelwagen zu lange Aufmerksamkeit schenkten und deswegen<br />

einige Minuten zu spät in die Schule kamen. Für Beides wurden wir vom<br />

Lehrer verurteilt einige Minuten auf dem Boden zu knien. (Siehe Seite 46,<br />

47, 48.).


- 7 -<br />

Auch die schönste Lebenszeit verläuft nicht ohne grössere od. kleinere<br />

Leiden u. Widerwärtigkeiten. Solches erfuhr auch ich während der mir so<br />

lieben Schulzeit. Das Lernen ging mir leicht u. machte mir Freude. Manches<br />

lernte ich mühelos u. gleichsam spielend, so das Rechnen u. das<br />

Auswendiglernen. Ich erhielt oft Lob vom Lehrer. Das erweckte in den<br />

obern Klassen manchmal<br />

Seite 8:<br />

Neid, besonders bei zwei Klassenmitschüler, Nachbarskinder. Sie lernten<br />

ungern, begriffen schwer, benahmen sich aber anmassend, grob u. stolz. Sie<br />

waren auch gross u. stark gewachsen u. ihrer Kraft wohl bewusst. Ihre<br />

Mutter hatten sie ganz früh verloren u. der Vater, sonst ein braver Mann, war<br />

über den Tod seiner heissgeliebten Frau etwas menschenscheu geworden u.<br />

so lebten diese Kinder allein mit ihrem Vater, der sie wohl nie zurechtwies.<br />

Es ärgerte sie, wenn ich gelobt wurde. Wenn gar der Lehrer hie u. da die<br />

Unklugheit beging meine Antworten ihnen als Beispiel vorzustellen, um sie<br />

zu beschämen, dann weh mir auf dem Heimwege., wenn ich nicht zu<br />

entwischen kam. Sie riefen mir Schimpfnamen, rissen mich an den Zöpfen u.<br />

schlugen hie u. da tapfer auf mich los mit den Worten: wenn du es dem<br />

Lehrer sagst, bekommst du das nächste mal mehr. Ich merkte mir das. Nie<br />

habe ich sie beim Lehrer verklagt, ja nicht einmal bei meiner Mutter, um sie<br />

nicht zu betrüben und meine <strong>Schwester</strong>, die es hie u. da gesehen, bat ich<br />

hierüber zu schweigen. Ja oft verschwieg ich beim Kopfrechnen u. auch<br />

andern Fächern dem Lehrer die richtige Antwort, um die bösen Kinder nicht<br />

zu reizen. Geweint aber habe ich deswegen nie mehr, denn ich war schon zu<br />

stolz dazu u. mochte es denen meinen Feinden nicht zu liebe tun.<br />

Seite 9: In der obersten Klasse waren wir die zwei letzten Schuljahre nur 8 Schüler, 3<br />

Mädchen und 5 Knaben. Ich hatte meinen Platz stets neben Marie Krättli,<br />

der spätern Mutter der beiden Kapuziner Pater Vitus u. P. Leonhard Gadient.<br />

Wir waren stets gut freund und wetteiferten im Lernen. Unser Pensum hatten<br />

wir stets leicht u. schnell gelöst u. so mussten wir warten bis die langsamen<br />

Knaben fertig hatten. Hie u. da hatten wir Mitleid mit ihnen u. gaben ihnen<br />

unsere Arbeit zum Abschreiben. Der Lehrer konnte nicht überall<br />

nachkommen, er hatte zu viele Klassen, u. so drückte er denn wohl<br />

manchmal die Augen zu. Ach wie viel Zeit haben wir 2 Mädchen auf der<br />

Schulbank tot geschlagen, weil wir keine richtige Beschäftigung hatten. Der


- 8 -<br />

Lehrer hiess uns oft im Schulbuch still zu lesen, aber das behagte uns nicht.<br />

Wir hatten nur ein einziges Schulbuch zur Benützung, zwar ein grosses,<br />

dickes, aber vieles verstanden wir nicht u. das meiste lies uns kalt, ich glaube<br />

wir Kinder fühlten schon heraus,<br />

Seite 10:<br />

Seite 11:<br />

zu unserm Nutzen, dass es so ziemlich religionslos war. Biblische<br />

Geschichte wurde damals in der Schule nicht gelehrt u. Katechismus nur<br />

durch den P. Pfarrer u. den P. Helfer erteilt. So suchten wir uns denn<br />

irgendwie zu beschäftigen u. zu unterhalten. Wir suchten nach Bildern und<br />

Büchern. (Sie gehörten einem Sängerverein u. wurden wohl selten benutzt.<br />

Wir legten sie aber stets wieder an ihren Ort). Auf einem alten Büchergestell<br />

in einem Winkel des Schulzimmers fanden wir alte, abgenutzte<br />

Schillerbücher. Wir nahmen sie uns unter die Schulbank, lernten Verse<br />

auswendig u. recitierten sie einander vor. Manchen ist mir im Gedächnis<br />

geblieben bis heute. Am besten aber gefiel uns der "Tell". Das war für uns<br />

köstlich. Eines Tages brachte Marie <strong>von</strong> Hause "Schneewittchen" mit u. ich<br />

den "Hansjörg", ebenfalls eine köstliche Unterhaltung für uns. Ich wusste<br />

viele Geschichten zu erzählen. Längst hatte ich alle Winkel unseres Hauses<br />

durchstöbert nach Büchern u. Geschichten gesucht. Glücklicherweise nichts<br />

als Gutes gefunden. Es fanden sich mehrere Bände v. Christof Schmid u. a.<br />

Besonders aber hatte es mir die grosse Bibel angetan, die im Wohnzimmer<br />

auf einem hohen Gestell ihren Platz hatte.<br />

Es war aber uns Kinder verboten, sie herunter zu nehmen. Sie war so gross<br />

u. so schwer u. schon so alt, u. hatte so mürbes Papier. Aber ich wusste sie<br />

doch zu bekommen. (Nur im Winter, wenn es sehr kalt war. Sonst wurde das<br />

Haus während dem Hochamt gewöhnlich geschlossen u. wir gingen alle zur<br />

Kirche. Die Kleinste mit der Mutter). Wenn die Mutter ins Hochamt ging,<br />

musste ich hie u. da hüten u. unter dem Fleischtopf das Feuer scheuern. Da<br />

erbat ich mir denn als Belohnung die grosse Bibel herunternehmen zu<br />

dürfen, u. sie erlaubte es mir. Es waren auch viele Bilder darin. Da las ich<br />

denn so eifrig, dass ich das feuern vergass, bis ich die Mutter heimkommen<br />

hörte. Dann lief ich der Küche zu. Sie aber schalt mich, nicht. Ueberhaupt<br />

sah die Mutter sehr gerne, wenn wir Kinder lern- u. wissbegierig waren, u.<br />

sie bedauerte es oft, dass im Dorfe keine Gelegenheit war zu weiterer<br />

Ausbildung. Die Bibel aber blieb gewöhnlich einige Tage unten, aber vor<br />

dem Vater versteckt. Durch dieses Lesen eignete ich mir eine ziemliche


- 9 -<br />

Kenntnis des alten und neuen Testamentes an. Auch grosse, alte Bücher <strong>von</strong><br />

P. Martin Cochem u. v. Michael (?) Sintzel waren da u. ich las oft darin.<br />

(Siehe Seite 50). So wusste ich den Schulmädchen<br />

Seite 12:<br />

Seite 13:<br />

viele schönes u. frommes zu erzählen u. auch vieles aus der biblischen<br />

Geschichte u. der Heiligenlegende. Mit grossem Intresse u. andächtig hörten<br />

sie mir zu, wenn ich ihnen <strong>von</strong> den Leiden der armen Seelen erzählte, wie<br />

sie P. Martin Cochem schildert. u. wie diese sogar <strong>von</strong> Teufeln der Hölle<br />

geplagt werden. Auch alle Gebetbücher im Hause wurden durchgeschaut.<br />

Eines gefiel mir besonders, die "Geistliche Blumenlese des hl. Alphons v.<br />

Liguori" v. Anton Merk, Pfarrer, 1858. Es war eine der ersten schönen u.<br />

grössern Ausgaben. Ich nahm es für mich, benützte es fleissig u. zog viel<br />

geistlichen Nutzen daraus. Die Methoden, die hl. Messe mit Nutzen<br />

anzuhören, übte ich bei der hl. Messe u. übe sie heute noch wie damals u.<br />

habe sie stets so geübt. Auch die Besuchungen des Allerheiligsten u. die<br />

Betrachtungen über das Leiden Christi u. über die Verehrung der seligsten<br />

Jungfrau gewann ich lieb u. übte sie fleissig. Das Buch aber besitze ich noch<br />

heute u. habe u. benütze es immer noch mit Vorliebe. Früher lernte ich<br />

manches daraus auswendig, worüber ich jetzt recht froh bin.<br />

Unsere Mutter schickte uns Kinder täglich zur hl. Messe u. abends zum<br />

Rosenkranz. Es wurde täglich ein Psalter, d.h. die drei Rosenkränze gebetet,<br />

ein Brauch aus alter Zeit, der aber heute nicht mehr besteht. Die P.<br />

Capuziner hielten auch öfter Stationen-Andacht mit dem Volk u. immer so,<br />

wie sie in Rom gebetet wird. Da ich immer dabei war, so lernte ich alle 14<br />

Stationen mühelos auswendig u. bete sie heute noch so. Im Alter ist man<br />

recht froh, wenn man viele Gebetsformeln weiss. Das Beten strengt dann<br />

weniger an. Vor der reformierten Kirche hatte ich eine Art abstossender<br />

Schrecken. Wir wohnten nahe dabei, aber niemals habe ich hineingeschaut.<br />

Es war uns auch <strong>von</strong> der Mutter verboten. Auch hielt sie uns vom Umgang<br />

mit protestantischen Kindern streng fern.<br />

O Gott ich danke Dir <strong>von</strong> ganzem Herzen u. kann Dir nicht genug danken,<br />

dass ich das Glück hatte in katolischer Familie geboren u. katolisch erzogen<br />

zu werden u. dass Du mir liebe, gute Eltern gegeben, die uns Kinder <strong>von</strong><br />

Seite 14:<br />

allem Bösen hüteten, wie ihre Augäpfel. Und ich danke Dir auch, dass Du<br />

mir liebe gute Geschwister gegeben. Auch danke ich Dir, mein lieben


- 10 -<br />

himmlischer Vater, dass du mich dreimal in grosser Todesgefahr so<br />

gnädiglich beschützt u. errettet hast. Ich war als 10 - 12 jähriges Mädchen<br />

einmal daran im Rhein zu ertrinken u. zweimal durch sehr hohen Sturz <strong>von</strong><br />

der obern Dorfbrücke in ein trockenes Bachbett zu Tode zu fallen.<br />

Seite 15:<br />

Seite 16:<br />

Seite 17:<br />

Die Zeit des Schulaustrittes war herangekommen u. der gestrenge Herr<br />

Schulinspektor, Pfarrer Gabriel, damals reformierter Pastor in Zizers, war<br />

gekommen uns zu prüfen auf unsere "Reife". Zu meinem Schrecken erhielt<br />

ich am Schlusse öffentliches Lob vom Hrn. Inspektor. Hoch klopfte mir das<br />

Herz aus Angst vor Plackereien auf dem Heimwege. Diesmal kam ich aber<br />

ungeschoren u. ohne "Prügel" nach Hause. Die Knaben waren wohl voller<br />

Freude, straflos u. für immer der Schule entronnen zu sein u. hielten das<br />

andere nicht mehr der Mühe wert. Auch war mein Vater als Schulrat<br />

anwesend gewesen. Als Genugtuung für die Knaben sei hier gesagt, dass sie<br />

mich <strong>von</strong> nun an in keiner Weise mehr belästigten. Obschon stillschweigend,<br />

haben wir doch bald einander ganz u. vollständig verziehen u. hielten gute<br />

Nachbarschaft. Aus den Knaben aber wurden später brave Männer u.<br />

achtbare Bürger.<br />

Mich selbst beschlich nach dem Examen eine eigene wehmütige Stimmung.<br />

Ich fühlte unbewusst, dass das Paradies meiner glücklichen Kindheit nun<br />

geschlossen u. dass meine glücklichste Lebenszeit abgelaufen. O welch<br />

schöne, sorglose Jugend verlebte ich im Kreise der lb. Meinigen. Das<br />

Wermutströpfchen das durch genannte Knaben etwa hineingeträufelt wurde,<br />

hatt nicht viel zu bedeuten u. war bald wieder vergessen. Der lb. Gott liess es<br />

als weiser Erzieher zu u. hatte wohl seine Absicht dabei. Es sollte bald<br />

anders werden.<br />

Am nächsten Tage war Examen in der Arbeitsschule. Der<br />

Handarbeitsunterricht wurde <strong>von</strong> einer tüchtigen Schneiderin, zwar<br />

Protestantin, aber braven Frau, gegeben, jeden Samstag Nachmittag,<br />

während die Knaben frei hatten. Wir hatten Strümpfe, Hemden, Röcke, ja<br />

selbst Hosen für unsere Brüder gefertigt u. ausgestellt u. zwar alles mit der<br />

Hand genäht, denn <strong>von</strong> einer Nähmaschine wussten wir noch nichts. Wir<br />

erhielten grosses Lob für unsere praktischen Leistungen. Inspektor war P.<br />

Joh. Paul, Superior, u. er war begleitet <strong>von</strong> P. Amanz, Sup. in Mastrils. Und<br />

nachdem sie uns alle mit Lob überschüttet, trieben sie verschiedenen Scherz


- 11 -<br />

mit uns. Am Schlusse prophezeite P. J. Paul scherzhaft, was aus jeder<br />

werden würde. Als die Reihe an mich kam, sagte er: und das gibt eine<br />

Klosterfrau. Da lachten alle laut auf. Ich aber wurde rot im Gesichte u. hatte<br />

Mühe meinen Schrecken u. meine Unmut zu verbergen. Klosterfrauen<br />

kannte ich nur auf Heiligenbildchen u. eine lebende hatte ich noch nie<br />

gesehen. Auf dein Heimwege nannten mich<br />

Seite 18:<br />

Seite 19:<br />

die andern Mädchen spottweise "Klosterfrau". Ich kam verdrossen nach<br />

Hause u. verbarg mich in meinem Kämmerlein, bis ich mich wieder selbst<br />

getröstet hatte. Von diesem Tage an hatte ich den P. J. P. Superior nicht<br />

mehr so lieb wie vorher. Ich wich ihm aus, wo ich konnte u. wo möglich<br />

hütete ich mich beim Pfarrhause vorbeizugehen. In grösster Verlegenheit<br />

war ich, wenn mich die Mutter mit Milch od. Butter ins Pfarrhaus schickte.<br />

Ich gab die Sache nur schnell in der Küche an die Köchin ab u. während sie<br />

hinging den P. Superior zu rufen, stob ich schon die Stiege hinab u. zur Türe<br />

hinaus, ohne auf das Bildchen zu warten. Ja als der gute P. Superior nach<br />

ungefähr einem Jahre versetzt wurde, freute ich mich heimlich im Herzen, in<br />

der Hoffnung nun auch seine "Prophezeiung" gänzlich vergessen zu können<br />

u. nie mehr daran erinnert zu werden. Doch ich hatte mich getäuscht. -<br />

Nach Schulentlassung schickte mich die Mutter sechs Monate lang zu<br />

genannter Arbeitslehrerin, Frau Päder. Zum essen u. schlafen aber kam ich<br />

stets nach Hause, denn es war nicht weit entfernt. Die Frau galt als tüchtige<br />

Schneiderin u. ich sollte mich in der Anfertigung gewöhnlicher, einfacher<br />

Kleidungsstücke u. Lingen gut ausbilden. Die Frau war eine protestantische<br />

Prätigauerin, der Mann ein katolischer Untervazerbürger. (aber ein lauer<br />

Katolik. Er hatte seine Jugend im Prättigau in ganz protestantischer<br />

Umgebung zugebracht). Sie hatten drei kleine Knaben, die zwei ältern waren<br />

Zwillinge u. bald schulpflichtig. Aber nie habe ich gesehen, dass mit ihnen<br />

gebetet oder ein katolisches Zeichen gemacht wurde. Auf mein Befremden<br />

hierüber sagte die Frau: Ich fürchte mich mehr am Katolischen zu verderben<br />

als zu nützen, freue mich aber sehr, dass meine Kinder sollen katolisch<br />

unterrichtet u. erzogen werden u. ich habe immer eine innere Freude, wenn<br />

ich einen Kapuziner sehe". Ich lehrte die Knaben das hl. Kreuzzeichen<br />

machen u. das Vaterunser u. das Ave Maria beten u. einige kleinere Verslein<br />

zum hl. Schutzengel. Später vernahm ich, dass die Frau ihre Kinder<br />

musterhaft


- 12 -<br />

Seite 20:<br />

Seite 21:<br />

zum Gottesdienst u. zum Religionsunterricht schickte u. dann auch später<br />

viel Freude an ihren Söhnen erlebte. Das Wort Klosterfrau bedeutete nun für<br />

mich Kreuz u. Kampf vom Augenblicke an, da es der P. Superior zu mir<br />

gesprochen. Der Gedanke, du musst ins Kloster gehen, wenn du in den<br />

Himmel kommen willst, verliess mich nicht mehr ganz. Auch mitten in<br />

Vergnügungen mit meinen Freundinnen kam er mir in den Sinn u. tauchte<br />

hie u. da so heftig auf, dass ich mich unbemerkt da<strong>von</strong> machte u. heim lief,<br />

mich in mein Kämmerlein verschloss u. dort auf die Knie warf u. weinte.<br />

Der Gedanke meine lieben Eltern u. Geschwister verlassen zu müssen war<br />

mir entsetzlich u. schien mir unausführbar. Doch je heftiger ich dagegen<br />

kämpfte, desto heftiger trat er auf u. verfolgte mich bei Tag u. Nacht, so dass<br />

meine Gesundheit darunter litt. Ich verriet aber keinem Menschen meine<br />

Seelennot, nicht einmal der Mutter u. wenn sie mich fragte, ob mir etwas<br />

fehle, gab ich verneinende oder ausweichende Antwort.<br />

So war schon wieder ein recht bitterer Wehrmutstropfen in meine sonst so<br />

glückliche Jugendzeit gefallen. Nun fing ich an recht innig u. vertrauensvoll<br />

zu beten. Den Tag über begab ich mich hie u. da allein in die Kirche vor das<br />

Allerheiligste. In meiner Not flehte ich auch voll Vertrauen zur allerseligsten<br />

Jungfrau Maria, sie möge mir diesen Klostergedanken wegnehmen, oder<br />

aber Mittel u. Wege u. Kraft geben ihn auszuführen. Und sie erhörte mich.<br />

Bald kehrte Ruhe u. Friede ein in mein armes Herz, das wohl 2 Jahre so hart<br />

gekämpft hatte.<br />

Im Jahre 1866 wurde in Untervaz ein neues Schulhaus gebaut u. drei<br />

katolische Schulen eingerichtet. Im Herbst 1867 wurde <strong>von</strong> der<br />

Schulbehörde eine <strong>Schwester</strong> <strong>von</strong> Ingenbohl berufen für die zwei ersten<br />

Classen u. für die Arbeitsschule. Wohlerwürdige Frau Mutter Theresia<br />

Scherer sandte <strong>Schwester</strong> Juliana Fischer. Es war eine leibliche ältere<br />

<strong>Schwester</strong> <strong>von</strong> Schw. Concordia Fischer, der spätem Provinzoberin <strong>von</strong><br />

Steiermark. Nun sah ich zum erstenmal eine Klosterfrau u. fasste sie scharf<br />

ins Auge u. freute mich.<br />

Seite 22:<br />

Ich bemerke hier, dass genannte <strong>Schwester</strong> schon nach 1½ Jahren<br />

zurückberufen wurde. Sie wurde durch keine andere ersetzt. Missliches<br />

Verhältnis zwischen den Patres u. der <strong>Schwester</strong> war schuld daran. Die<br />

Abberufung geschah durch Hochw. Pat. Anizet Regli, welcher damals


- 13 -<br />

Superior unserer Congregation u. zugleich Provinzial der schweiz.<br />

Capuzinerprovinz war. Ich hörte dies <strong>von</strong> ihm selbst. Meine erste Profess<br />

legte ich in die Hand dieses Paters ab. Nebst andern Verwandten war dabei<br />

auch mein sel. Vater anwesend. Beim Mittagessen wandte sich der Peter<br />

Anizet zu meinem Vater in sagte: "Nicht wahr, da oben habe ich aufgeräumt.<br />

Ich dachte ich wolle gerade beide nehmen, die <strong>Schwester</strong> u. den P. Superior<br />

Remigius, ich erwische dann den rechten. Und den P. Helfer werde ich auch<br />

bald durch einen andern ersetzen." Mein Vater nickte mit dein Kopfe, ohne<br />

ein Wort hierauf zu erwiedern. Er erschien mir wie traurig u. nicht geneigt,<br />

dies Thema fortzusetzen. Im Laufe des Nach mittags fragte ich den Vater,<br />

was es denn gegeben habe u. er antwortete mir: "ach sie haben eben einander<br />

nicht verstanden", u. ich fragte nicht weiter.<br />

Seite 23:<br />

Bei meinen folgenden Exerzitien, also im nächsten Jahre, sagte die selige<br />

Mutter Theresia zu mir: Hören Sie, mir ist es recht leid, dass es in Untervaz<br />

so gegangen ist mit der Lehrschwester. (wäre ich zu Hause gewesen, das<br />

wäre nicht geschehen).<br />

Ich war damals gerade längere Zeit abwesend in Böhmen. Es wäre mir lieb,<br />

wenn sie gelegentlich sich zu Hause auf kluge Weise erkundigen könnten.<br />

Ich würde näml. diese Schule wieder gerne übernehmen u. würde eine od.<br />

zwei <strong>Schwester</strong>n geben.<br />

Dem Wunsche der lb. sl. Mutter bin ich gerne u. bald nachgekommen u.<br />

habe es wiederholt getan, aber nichts erreicht. Schliesslich sagte mir mein<br />

Vater da ist voraussichtlich für lange Zelt nichts zu machen. Und so war es<br />

auch und ist es wohl heute noch heute<br />

Ich fasste sogleich den Mut mich meiner Mutter zu eröffnen u. ihr meinen<br />

Herzenswunsch, in ein Kloster zu gehen, mitzuteilen. Jedoch stellte ich mir<br />

nur ein geschlossenes Kloster vor. Es kam dies wohl daher, dass ich in<br />

Büchern schon über das Klosterleben gelesen hatte. Die liebe Mutter<br />

verstand mich schnell u. sagte, sie wolle mir nicht vor meinem Glücke<br />

stehen. Jedoch solle ich es wohl überlegen u. mich mit Pater Helfer (P.<br />

Moritz Steiner) beraten. Auch wollte sie lieber, ich würde nach Ingenbohl<br />

gehen, ich könnte dann auch so eine Lehrerin werden, wie Schw. Juliana<br />

eine sei. Sie könne es fast nicht übers Herz bringen zu wissen, dass ich<br />

eingeschlossen wäre u. nie mehr zu ihr kommen dürfte u. in der Nähe sei


- 14 -<br />

kein geschlossenes Kloster. Auch könne ich <strong>von</strong> Ingenbohl leichter wieder<br />

zurück, wenn es mir nicht gut gehe. Ihr Wunsch war mir Befehl u. Wink<br />

vom lb. Gott, zumal ich vorher im Unklaren war, wohin ich gehen wolle.<br />

Der Vater teilte auch die Meinung der Mutter u. so war die Sache bald in<br />

Ordnung. Hochw. P. Moritz, damaliger Pfarrhelfer, besorgte die<br />

Eintrittsbewilligung, die schon nach ein paar Tagen <strong>von</strong> Frau Mutter<br />

Theresia Scherer eintraf. Nun drängte es mich förmlich, recht bald<br />

fortzukommen, denn ich fühlte, es müsse schnell gehen. Mein Entschluss<br />

war so fest, dass ich dachte, lieber wollte ich mein Leben einbüssen, als<br />

wieder zurückkehren u. nochmals diesen Kampf durchmachen, Ich schaute<br />

weder rechts noch links und niemand, als Eltern u. Geschwister, durften <strong>von</strong><br />

meinem Entschlusse etwas wissen, bis am letzten Tage, da ich auch den<br />

nächsten Verwandten Lebewohl sagte. Und am Tage vor der Abreise musste<br />

ich auch zu P. Remigius, Superior, gehen u. Tauf u. Firmzeugnis holen. Er<br />

wurde ganz heftig u. riet zögernd: "Was, warum denn ins Kloster? und wenn<br />

du doch willst, warum denn nicht nach Stans? Nie würde ich einer raten<br />

nach Ingenbohl zu gehen, geh doch nach Stans"<br />

Beilage zu Seite 25, I. Heft<br />

Das Institut Ingenbohl ist jetzt sehr unsicher, sagte er. Es steht auf<br />

wackeligen Beinen. Es ist schrecklich mit Schulden überhäuft. Sie seien<br />

unübersteiglich, ja unglaublich. Die Frau Mutter Theresia ist ein stolzes,<br />

hartes Weib. Viele <strong>Schwester</strong>n sind sehr unzufrieden. Auch meine Köchin<br />

da war eine solche <strong>Schwester</strong>. Sie hiess Schw. Marie. Die solltest du hören.<br />

Die ist nicht umsonst ausgetreten. Lass nur diese Frau Mutter sterben u. alles<br />

wird auseinander gehen, so wie es bei den Brüdern gegangen ist.<br />

Diese Worte machten aber nicht den geringsten Eindruck auf mich. Letzteres<br />

verstand ich nicht, denn <strong>von</strong> einer Stiftung für Brüder hatte ich nie etwas<br />

gehört.<br />

Mit der Köchin des Paters habe ich nie ein Wort geredet, denn sie war erst<br />

vor kurzer Zeit angekommen, u. obige Worte des Paters teilte ich keinem<br />

Menschen mit. Auch zu Hause verriet ich mit keiner Miene, was ich <strong>von</strong><br />

Pater gehört, ich glaube aus Furcht, man würde mich sonst nicht ziehen<br />

lassen.


- 15 -<br />

Ich bemerke hier, dass Pater Remigius ein guter Pfarrer u. eifriger Seelsorger<br />

war u. auch ein sehr guter Kanzelredner u. bei den Leuten beliebt. Ohne<br />

Zweifel meinte er es auch gut mit mir. Auch diese Köchin Marie habe ein<br />

gutes Beispiel gegeben.<br />

Dies machte aber nicht den geringsten Eindruck auf mich u. ich beharrte auf<br />

meinem Willen. Erst in spätem Jahren kam es mir ein oder andermal in den<br />

Sinn. Am frühen Morgen des 23. Mai 1868 nahm ich Abschied <strong>von</strong> allen<br />

meinen Lieben u. <strong>von</strong> allem, was mir teuer war auf Erden, ohne Tränen zu<br />

vergiessen. Mein Schmerz war zu<br />

Seite 26:<br />

gross. Ich war wie in einem Taumel u. so war ich auch noch wochenlang in<br />

Ingenbohl.<br />

Mein Onkel Wolfgang Wolf, (der Bruder meiner Mutter den wir alle sehr<br />

liebten, starb in hohem Alter als frommer sittenreiner Jüngling u. Götti. Er<br />

war der Liebling der Capuziner.), begleitete mich bis Einsiedeln. Da kehrten<br />

wir im Hotel Sonne ein. Am Abend unterhielt sich mein Onkel mit dem<br />

Wirte und mit einem anwesenden Gaste u. als letzterer mein Reiseziel<br />

erfuhr, redete er recht Nachteiliges über das Institut Ingenbohl, so dass der<br />

Onkel nachher zu mir sagte: Komm du lieber wieder mit mir heim. Doch<br />

dies alles liess mich gänzlich unberührt. Ich war innerlich froh den<br />

Abschied, das Schwerste, wie ich meinte, überwunden zu haben u. nichts in<br />

der Welt hätte meinen Entschluss wankend machen können. Mein Sehnen<br />

ging nur dahin, recht bald am Ziele zu sein.<br />

Es trug sich zu, dass gerade die Pilger der Landes-Wallfahrt aus<br />

Unterwalden anwesend waren u. Nachmittag zwei Uhr ihre Rückreise<br />

antraten. Es war in der Pfingstwoche. Da entschloss ich mich den Weg nach<br />

Ingenbohl betend, zu Fuss mit diesem Pilgerzug zu machen. Mein Onkel<br />

äusserte Bedenken u. meinte, es sei für mich zu schwer, da wir am Tage<br />

vorher auch den Weg<br />

Seite 27:<br />

<strong>von</strong> Rapperswil über den Etzel bis Einsiedeln zu Fuss gemacht hatten. Ich<br />

aber beharrte auf meinem Willen u. sagte: "Gebetet habe ich jetzt viel zur<br />

lieben Mutter Gottes, nun will ich ihr noch ein Opfer bringen". Da wurde<br />

mein Onkel traurig, nahm mir alles Gepäck aus der Hand u. besorgte es zur<br />

Post. Dann nahm er Abschied <strong>von</strong> mir mit den Worten: "Wenn es dir nicht<br />

gefällt, so komm wieder heim, hast du es gehört" Ich antwortete nicht mehr,


- 16 -<br />

denn die Pilger waren schon am abreisen. Die Sonne brannte recht heiss. Ich<br />

betete mit den Leuten den Rosenkranz u. gegen den Abend kam ich müde u.<br />

in Schweiss gebadet an der Klosterpforte an. Nach einigen Minuten erschien<br />

die Wohlerwürdige Frau Mutter Theresia Scherer (Sogleich rief sie aus: So<br />

ist es den wirklich möglich, hat nun doch einmal eine gewagt, <strong>von</strong> da oben<br />

da herunter zu kommen.) empfing mich recht freundlich u. nach einigen<br />

Fragen führte sie mich ins Noviziat zur Novizenmeisterin <strong>Schwester</strong><br />

Hyazintha.<br />

Da war ich nun einige Wochen in einer eigenen Seelenverfassung. Ich<br />

machte alles genau mit, aber wie mechanisch, ohne darüber nachzudenken.<br />

Ich litt schwer an Heimweh nach den Eltern u. Geschwistern, hatte aber<br />

zugleich den Trost <strong>von</strong> der innern Mahnung und Drohung<br />

Seite 28:<br />

Seite 29:<br />

befreit zu sein u. den schwersten Schritt, das Verlassen <strong>von</strong> allem, was mir<br />

lieb u. teuer war, hinter mir zu haben. Ich fühlte mich hierüber glücklich u.<br />

wie <strong>von</strong> einer schweren Last befreit. Nach vier Wochen erhielt ich eine<br />

Pelerine u. durfte dann die Schule besuchen, d.h. zwei Stunden vormittags u.<br />

zwei Stunden nachmittags. In der Zwischenzeit mussten wir Kandidatinen<br />

die Hausarbeiten verrichten u. hatten viel zu tun. Längere Zeit hatte ich den<br />

ganzen 2.ten Stock zu kehren u. das Zimmer der Novizenmeisterin. Auch bei<br />

der Wäsche mussten wir Schülerinnen helfen. Jgf. Mossmann (Sr.<br />

Constantina) u. ich haben längere Zeit am Rain unten in einer Hütte mit aller<br />

Kraftanstrengung das grosse Rad gedreht, wodurch das Wasser in die<br />

Waschküche geleitet wurde. (Siehe Seite 53a ) Ich war auch zeitweilig<br />

Tischdeckerin. Das Trinkwasser zum Mittag u. Nachtessen musste ich am<br />

Bache unten holen. Einst kehrte ich mit gefüllter Flasche zurück. Da öffnete<br />

der alte Kaplan Ulrich sein Fenster u. rief: "Maiteli, chum bring mir au a<br />

Glas frisches Wasser". Ich tat als ob ich nichts gehört u. lief so schnell ich<br />

konnte der Kloster-<br />

Pforte zu u. verschwand.<br />

Wir Schülerinnen gingen gerne zur Wäsche, den wir erhielten eine gute<br />

Suppe um 9. Uhr. An den andern Tagen aber gab es kein "Znüni". Jedoch<br />

erhielten wir am Morgen zum Caffee ein grosses Stück sehr gutes Brod,<br />

welches <strong>von</strong> der guten <strong>Schwester</strong> Agatha wöchentlich 2 mal eigenhändig im<br />

grossen Ofen (der grosse Kachelofen stand im Refektorium, Siehe Seite 52)


- 17 -<br />

gebacken wurde. Das schmeckte uns sehr gut, u. hie u. da hatten wir noch<br />

einen Rest da<strong>von</strong>, um es in die Tasche zu stecken u. um 9 Uhr zu essen. Es<br />

war uns dies gestattet. Ein halbes Jahr lang, hatte ich das Zimmer der<br />

Novizenmeisterin zu kehren. Sie sagte mir einst: "Ich lasse ihnen dies<br />

Aemtchen so lange, damit sie die zu grosse Scheu vor mir ablegen". Ich<br />

wusste aber gar nicht, dass ich Scheu vor ihr hatte. Unsere Lehrerin war<br />

Schw. Concordia Fischer. Die lb. Schw. Novizenmeisterin Hyazintha wurde<br />

bald nach meinem Eintritte nach Andermatt versetzt u. dann war Schw.<br />

Concordia zugleich unsere Novizenmeisterin u. Lehrerin. Ich ging gerne zur<br />

Schule u. das Lernen machte mir viele Freude. Es ging mir leicht. Schw.<br />

Concordia<br />

Seite 30:<br />

Seite 31:<br />

war eine tüchtige Lehrerin. Sie wunderte sich, dass ich so gut rechnen könne<br />

u. Geschichte u. Geographie kenne. Ich verstand das ganze Dezimalsystem<br />

u. löste alle Aufgaben im 7. Heft v. Reinhard ohne Anstand. Auch<br />

Quadratwurzel ausziehen konnte ich. Und als ich verneinen musste eine<br />

Sekundar- od. höhere Schule besucht zu haben, zeigte sie mir ihr Erstaunen<br />

u. konnte es fast nicht glauben. Ein sehr tüchtiger Lehrer hatte in der<br />

Primarschule das alles mit uns durchgenommen, was damals nicht überall<br />

üblich war. Hausgeistlicher war damals Hochw. Hr. Carl Berlage, ein etwas<br />

strenger Lehrer. Er erteilte uns Religionsunterricht, Pädagogik u. allgemeine<br />

Geschichte. Doch beglückte er mich im Zeugnis für Religion mit der Note<br />

"sehr gut". Eine Frl. Therese Wittum, Badenserin, erteilte<br />

Schweizergeschichte u. Geographie. Hie u. da nannte sie mich scherzweise<br />

"Schweizergeschichte". u. auch der "Spartaner". Es war ein liebes, gutes<br />

Fräulein u. trat später in das Kloster der Ursulinen in Villingen. Ende Juli<br />

gab es Schulferien. Ich wurde gleich für 8 Tage nach Schwyz ins Collegium<br />

geschickt um in der Küche zu helfen u. als ich zurück war, gleich wieder<br />

nach Altdorf in die<br />

kantonale Strafanstalt (Jetzt aufgehoben). Da traf ich es sehr gut. Die lb.<br />

<strong>Schwester</strong> Anselma (Genannte Schw. Anselma galt als eine heiligmässige<br />

<strong>Schwester</strong>. Sie wurde später in die Provinz Baden versetzt und starb in<br />

Hegne ) war allein u. ich sollte ihr Gesellschaft leisten. Die liebste Mutter<br />

hätte nicht besser gegen mich sein können. Die Sträflinge bekam ich nie zu<br />

sehen. Arbeiten durfte ich nicht, als etwa nach Belieben etwas Wäsche<br />

zeichnen. Jeden Morgen schickte sie mich in eine andere Kirche zur hl.


- 18 -<br />

Messe, nachdem sie mir ein kräftiges Frühstück gegeben hatte, auch in die<br />

Nachbardörfer. Sie erklärte mir die Gegend und ermahnte mich alles recht<br />

anzuschauen u. auf dem Heimweg nicht zu pressieren. Ja selbst bis ins Rütli<br />

u. zur Tellsplatte schickte sie mich mit einer Begleiterin. Das alles wirkte<br />

sehr wohltätig auf mich u. es machte mir auch grosse Freude die<br />

geschichtlichen Orte zu sehen u. kennen zu lernen. Jetzt erst verlor ich, wie<br />

mit einem Schlage, das Heimweh. Als ich nach 10-12 Tagen ins Mutterhaus<br />

zurückkehrte, sagte mir bald die lb. <strong>Schwester</strong> Concordia, während sie in die<br />

Hände klatschte: "Ja was ist mit ihnen vorgegangen, sie sind ja eine ganz<br />

andere geworden, so heiter u. so fröhlich. Und es war so.<br />

Seite 32:<br />

Noch eine erlebte Freude berichte ich nachträglich. Einige Wochen nach<br />

meinem Eintritt wurde ich zur lieben Frau Mutter gerufen in ihr Zimmer.<br />

Dort befand sich der Hochw. Herr Direktor des Collegiums in Schwyz,<br />

Hochw. Herr C. Wolf. Er begrüsste mich freundlich als Untervazer-<br />

Mitbürgerin u. entfernte Verwandte. Ich durfte mit ihm u. mit der lieben<br />

Frau Mutter den Caffee trinken u. es war eine fröhliche halbe Stunde,<br />

gewürzt <strong>von</strong> Scherz u. Heiterkeit. Beide hatten es darauf abgesehen mich<br />

gehörig zu necken über verschiedene Untervazer Bräuche u. Geschichtlein u.<br />

sich an meiner Verlegenheit zu ergötzen.<br />

Bald nachher verreiste der Hochw. Herr Direktor Wolf nach Rom u. Neapel<br />

u. kehrte vor dort nicht mehr zurück. Der unerbittliche Tod hatte den<br />

kerngesunden, starken Mann auf der Reise hingerafft durch schweres Fieber.<br />

Vor seiner Abreise war er in Schwyz <strong>von</strong> seinem Bruder Josef besucht<br />

worden. Dieser kam auch bei mir vorbei in Ingenbohl u. brachte mir<br />

Geschenke <strong>von</strong> meiner Mutter u. war <strong>von</strong> ihr beauftragt, sich angelegentlich<br />

über mein Befinden, besonders auch über meine Gesundheit, zu erkundigen.<br />

"Weist Du", sagte er zu mir, "meine <strong>Schwester</strong> Philomene, die in Zug ins<br />

Kloster Maria Opferung getreten war, kam auch wieder heim u. war ganz<br />

krank. Darum hat deine Mutter so Angst. Auch hat jemand deiner Mutter<br />

gesagt, es seien meistens Schwäbinnen da, u. die seien "ruch". Komm doch<br />

wieder heim, auch meine Mutter sagt, du sollest wieder heim kommen". Ich<br />

lachte u. konnte ihm nur guten Bericht geben u. bat, ihn, meine Mutter zu<br />

beruhigen, es gehe mir ja gut. Genannte Frl. Philomena Wolf trat nach dem<br />

Tode ihrer Mutter in das Kloster Maria v. d. Engeln in Appenzell u. starb


- 19 -<br />

nach wenigen Jahren als <strong>Schwester</strong> Maria Veronika, geliebt u. tief betrauert<br />

<strong>von</strong> ihren Mitschwestern.<br />

Im Oktober, nachdem wir Theresientag gefeiert hatten, verreiste die<br />

Wohlehrw. liebe Frau Mutter für einige Zeit u. die liebe <strong>Schwester</strong><br />

Novizenmeisterin Concordia konnte wieder den Schulunterricht beginnen,<br />

was mich sehr freute.<br />

Seite 34:<br />

Seite 35:<br />

Bald war mir wieder eine Freude beschieden. Die lb. <strong>Schwester</strong> Concordia<br />

teilte mir mit, am Sonntag nach Allerseelen dürfe ich nach Maria Einsiedeln,<br />

es komme jemand <strong>von</strong> daheim dorthin. Der Tag kam u, man besorgte mir die<br />

Post für die Hin- u. Rückfahrt. Vor der Gnaden-Kapelle erblickte ich sofort<br />

meine liebe einzige <strong>Schwester</strong> Christina. Unter Freudentränen fielen wir uns<br />

in die Arme u. begrüssten uns mit herzlichem Kuss. Sie brachte mir gute<br />

Nachrichten <strong>von</strong> daheim, war aber auch sehr neugierig, wie es mir ergehe. u.<br />

brachte wieder das alte Lied, was man sage über die "ruchen" Schwäbinnen<br />

und komm heim, wenn es dir nicht gut geht. Ich lachte u. konnte ihr nur<br />

Gutes u. Liebes erzählen u. sie freute sich sehr darüber u. ganz getröstet<br />

nahmen wir am folgenden Tag Abschied <strong>von</strong> einander, sie nach Hause u. ich<br />

zurück nach Ingenbohl. In der Postkutsche sass ein älterer Herr u. zwei<br />

Fräulein, wie es schien seine Töchter. Sie hatten eine Wallfahrt nach Maria<br />

Einsiedeln gemacht. Diese Leute waren sehr lieb u. aufmerksam gegen mich,<br />

gaben mir verschiedene Krämli u. Einsiedler Schafböckli. Bald fingen sie an<br />

laut zu beten u. luden mich auch dazu ein. Zum erstenmal hörte ich den<br />

Engelsgruss "Gott grüsse dich Maria, O Maria ich grüsse dich<br />

dreiunddreissig tausendmal, wie dich der Erzengel Gabriel gegrüsst hat, etc.<br />

Es gefiel mir ausgezeichnet. Ich betete mit u. habe es im Gedächnis behalten<br />

bis heute u. bete es auch heute noch. Dann fingen sie an zu essen u. zu<br />

trinken u. nötigten mich mitzuhalten. Bevor ich ausstieg, sagte der Herr zu<br />

mir: "Beten sie für uns u. wenn sie dann den Schleier tragen, kommen sie<br />

nach Altdorf u. machen sie uns einen Besuch, wir wohnen in Altdorf". Ich<br />

nahm aber sehr wenig Notiz <strong>von</strong> der näher gegebenen Adresse u. habe sie<br />

vergessen.<br />

Recht bald nahte der Frühling 1869. Am 24. Mai desselben war es ein Jahr<br />

seit meinem Eintritt u. ich hoffte eingekleidet zu werden. Auf Ostern hatte es


- 20 -<br />

wieder Schulferien gegeben u. man schickte mich nochmals als Aushilfe u.<br />

diesmal nach Stans. Ins Kantonsspital. Die<br />

Seite 36:<br />

Seite 37:<br />

Oberin, Schw. Thomasina, war 8 Tage abwesend, u. so mussten Schw.<br />

Eulogia u. ich allein die Kranken besorgen, abwechselnd auch bei der Nacht.<br />

Besondere Mühe machten zwei schwerkranke Männer, der eine durch<br />

Schusswunde schwer verletzt, der andere mit schrecklichem Krebsgeschwür<br />

im Gesicht. Ersterm mussten fleissig Umschläge gemacht werden u. bei<br />

letzterm war die Krankheit im letzten Stadium u. bedurfte fleissiger<br />

Nachschau u. Pflege. Es waren strenge Nächte, aber ich fand auch vielen<br />

süssen Trost in der Hauskapelle, wo schon damals das Allerheiligste<br />

aufbewahrt wurde u. wohin ich mich <strong>von</strong> Zeit zu Zeit einige Stunden<br />

zurückziehen konnte. Der Krebskranke war ein grosser, stark gebauter Mann<br />

u. hiess N. Blättler. Eines Nachts hatte er sich im Bette etwas aufgerichtet u.<br />

ich wollte ihm die Kopfkissen zurecht schütteln. Plötzlich umarmte er mich<br />

mit rasender Kraft, drückte sein schreckliches Gesicht auf das meinige und<br />

hielt mich 2-3 Minuten so krampfhaft fest, dass ich nicht schreien konnte u.<br />

meinte erdrückt zu werden. Dann liess er mich los u. sank stöhnend zurück<br />

ins Bett. Ich lief zum Brunnen mein Gesicht zu waschen. Dann hörte ich den<br />

Kranken röcheln. Dann öffnete ich eine Spalte seiner Zimmertüre u. er kam<br />

mir vor, wie ein Sterbender. Schnell rief ich <strong>Schwester</strong> Eulogia herbei u. als<br />

wir zum Kranken kamen, lag er in den letzten Zügen u. hatte nach einigen<br />

Minuten ausgelitten. Diese Umarmung eines Sterbenden machte einen so<br />

erschütternden Eindruck auf mich u. noch heute erinnere ich mich lebhaft<br />

daran, sowie auch an die tröstlichen Augenblicke in der Hauskapelle des<br />

Spitals.<br />

Nach 8 Tagen kam die Oberin des Spitals wieder heim u. ich durfte nach<br />

Ingenbohl zurückkehren. Es war die Zeit, wo die <strong>Schwester</strong>n geistliche<br />

Exerzitien zu machen pflegen. Damals wurden sie in zwei Abteilungen im<br />

Frühling u. in zwei Abteilungen im Herbst abgehalten u. bei jeder Serie war<br />

auch die Einkleidung <strong>von</strong> Kandidatinen u. erste Profess <strong>von</strong> Novizinnen.<br />

Auch ich durfte nun zum ersten mal Exerzitien machen mit der zweiten<br />

Abteilung<br />

Seite 38:<br />

u. wurde eingekleidet den 27. April 1869. Wir waren fünf Kandidatinen, die<br />

zur Einkleidung zugelassen wurden. Hochw. Herr Berlage, Hausgeistlicher,


- 21 -<br />

funktionierte u. ich erhielt den Namen <strong>Cassilda</strong>. Die liebe <strong>Schwester</strong><br />

Concordia sagte mir nachher: Ich habe ihnen diesen Namen ausgesucht, weil<br />

er mir gefallen hat, die lb. Frau Mutter wollte ihnen einen andern geben. Mir<br />

wollte er eigentlich nur halb gefallen, weil ich so gar nichts aus ihrem Leben<br />

wusste u. auch nicht auf welchen Tage ihr Fest fiel. Ich hätte auch gerne<br />

meinen Namenstag gefeiert. Nach ein paar Jahren traf ich einst im<br />

Gastzimmer des alten Hauses mit Hochw. Herrn. Spiritual Bataglia u. lieben<br />

Ehrw. Frau Mutter Theresia zusammen. Sie stellte mich ihm vor und nannte<br />

meinen Namen. "Aha", rief er aus, "das ist eine spanische Heilige aus dem<br />

Bistum Toledo, kennen sie ihre Lebensgeschichte?" Ich musste verneinen,<br />

denn ich wusste gar nichts <strong>von</strong> ihr. "Warten Sie", sagte er u. entfernte sich.<br />

Nach einiger Zeit kehrte er zurück mit einem Böglein Papier, voll<br />

geschrieben mit den Hauptzügen aus dem Leben der hl. <strong>Cassilda</strong>,<br />

Seite 39:<br />

Seite 40:<br />

Tochter des Maurenkönigs Childerich Theoderich in Toledo u. mit Angabe<br />

ihrer Festfeier auf den 9. April. Dies machte mir Freude u. ich fing an die hl.<br />

<strong>Cassilda</strong> zu lieben, zu verehren u. anzurufen. Sie erhielt den Ehrenplatz<br />

neben meiner Taufpatronin, der hl. Barbara u. jeden Tag begrüsse ich sie u.<br />

bitte sie um ihre Fürbitte bei Gott. Später erhielt ich <strong>von</strong> Hochw. Hrn.<br />

Kaplan J. Brülhart in Uebersdorf ein Bändchen aus den Jugendschriften <strong>von</strong><br />

Lautenschlager zum Geschenk. Es enthält die Lebensgeschichte der hl.<br />

<strong>Cassilda</strong> in einem sehr schönen geschichtlichen Roman. (Leider ist es mir<br />

abhanden gekommen). Und nach einigen Jahren schenkte mir Frl. Marie<br />

Fégely de Vivis ein schöner Band Heiligenlegenden in französischer<br />

Sprache, in dem am 9. April das Leben der hl. <strong>Cassilda</strong> beschrieben ist.<br />

Dieses Buch schenkte ich meiner Nichte, welche meinen Namen <strong>Cassilda</strong><br />

<strong>Joos</strong> trägt. Ich kannte auch 2 italienische Kandidatinen unseres Institutes,<br />

welche den Taufnahmen <strong>Cassilda</strong> trugen. Man sagte mir, dass in Italien in<br />

einzelnen Provinzen die hl. <strong>Cassilda</strong> als Fürbitterin bei Kinder-Krankheiten,<br />

namentlich bei<br />

Masern u. Rotlauf, angerufen werde.<br />

Die lb. Schw. Oberin Concordia nannte diesen Namen öfter schön. Auch<br />

meinen Brüdern gefiel er u. zwei meiner Nichten u. eine Grossnichte tragen<br />

ihn. Bei seinem letzten Besuche in unserm Mutterhaus traf ich mit dem<br />

Hochwürdigsten Hr. Weihbischof Antonius Gisler zusammen. Als ich ihm


- 22 -<br />

meinen Namen genannt, sagte er "Sie haben einen schönen Namen". Ich war<br />

erstaunt u. erfreut zugleich, vergass aber nicht dessen Bedeutung zu fragen.<br />

Seite 41:<br />

Anhang.<br />

In spätern Jahren erzählte uns die Mutter u. auch der Vater Ueberlieferungen<br />

ihrer Eltern u. Grosseltern. So erzählte die Mutter: Die Wolf in Untervaz<br />

stammen aus dem Prättigau. Zur Zeit des Aufstandes im Prättigau u. seines<br />

Abfalles vom katolischen Glauben im 16. Jahrhundert seien sie geflohen u.<br />

haben sich in Untervaz niedergelassen u. eingebürgert, um dem katolischen<br />

Glauben treu bleiben zu können.<br />

Meine beiden Grossmütter stammten aus Mels. Ich habe keine gekannt u.<br />

auch die Grossväter nicht, d.h. an den Vater meiner Mutter, Caspar Wolf,<br />

kann ich mich dunkel erinnern. Der Grossvater väterlicherseits hiess Crispin<br />

<strong>Joos</strong> u. war verehelicht mit Barbara <strong>von</strong> Good aus Mels, einer ausgezeichnet<br />

frommen u. guten Frau.<br />

Damals (erzählt <strong>von</strong> meinem Vater) wurde in den Schweiz u. besonders auch<br />

im Bündnerland, viel für die französischen Könige geworben. Eines Tages<br />

nahm auch der Grossvater, C. <strong>Joos</strong>, Handgeld ohne Einwilligung seiner Frau<br />

u. ging in<br />

Seite 42:<br />

französische Dienste, die Frau mit drei kleinen Kindern zurücklassend. Sein<br />

Streben war Reichtum zu erwerben u. zu Ehren u. Ansehen zu gelangen u.<br />

dann, seiner Frau ebenbürtig, zu ihr zurückzukehren.<br />

Aber nicht lange, da brach die schreckliche französische Revolution aus.<br />

Tapfer kämpfte mein Grossvater mit seinen Kameraden u. teilte deren<br />

Schicksal. Er fiel auf der Bastille zu Paris u. schwer verwundet lag er unter<br />

einem Haufen Toter. Als am dritten Tage die Leichen der Helden<br />

weggeschafft wurden, war er noch am Leben u. konnte sich im Tumult<br />

entfernen u. in ein Versteck schleppen. Sobald es ihm möglich geworden,<br />

machte er sich mit zwei ebenfalls am Leben gebliebenen Kampfgenossen auf<br />

den Weg in die Heimat. Das war sehr gefährlich u. ging sehr schwer. Nur<br />

des nachts wagten sie sich auf den Weg. Bei Tage hielten sie sich stets<br />

irgendwo versteckt, oft in Wäldern u. zwischen Felsen. Unter unsäglichen<br />

Beschwerden machten sie den Weg <strong>von</strong> Paris zu Fuss in die Heimat, wo sie<br />

endlich bettelarm, halbverhungert, voll Ungeziefer, krank u. elend ankamen.


- 23 -<br />

Seite 43:<br />

Die traurigen Gerüchte aus Paris waren bald auch zu den Ohren seiner Frau,<br />

der armen Grossmutter, gelangt u. sie litt schwer darunter. In ihrer Not nahm<br />

sie Zuflucht zu Hochwürden Herrn N. Appert, der in Chur auf dem bischöfl.<br />

Hof lebte u. im Rufe der Heiligkeit stand. Sie erzählte ihm ihr Leid u. er<br />

tröstete sie mit der Versicherung, ihr Mann werde wieder zurückkehren.<br />

Doch immer schrecklicher lauteten die Berichte aus Frankreich u. dreimal<br />

begab sie sich zu Hochw. Herrn Appert, ihn um seine Gebetshülfe anflehend<br />

u. jedesmal versicherte er sie ganz bestimmt, ihr Mann werde lebend<br />

zurückkehren. - Und er sprach wahr. Auf die Fürbitte dieses Dieners Gottes<br />

tat Gott ein Einsehen u. wie durch ein Wunder gerettet, gab er der armen<br />

Frau den Mann wieder zurück. Unbeschreiblich war die Freude der guten<br />

Frau, den Gatten u. Vater ihrer Kinder wieder zu haben. Zufrieden lebte er<br />

dann noch mehr als zwanzig Jahre in seiner Familie als glücklicher Gatte u.<br />

Vater <strong>von</strong> 8 Kindern.<br />

Seite 44: Mein Vater, war das Jüngste u. einziger Sohn, wurde am Markustage 1803<br />

geboren u. die Grossmutter starb im hohen Alter <strong>von</strong> bereits 90 Jahren.<br />

Hochw. Herr Appert in Chur galt damals beim Volke in der Umgebung als<br />

heiliger Mann u. in den verschiedensten Nöten nahm man Zuflucht zu ihm.<br />

Sein Andenken ist auch heute noch nicht ganz erloschen.<br />

Trotz allem hatte der Grossvater sein Dienstbüchlein u. seine Ehrenzeichen<br />

für Tapferkeit gerettet u. unter seiner zerlumpten Kleidung mit in die Heimat<br />

gebracht. Unser sl. Vater zeigte uns Kindern diese "Kleinodien" mehrmals.<br />

Er hatte sie wohl verwahrt in seiner Koffer. Bei meiner ersten hl.<br />

Kommunion durfte ich ein solches Ehrenband tragen. Ich bemerkte auch bei<br />

meinem Vater hie u. da eine gewisse Sympathie für Frankreich. Offenbar ein<br />

Erbstück <strong>von</strong> seinem Vater. Letzteres ist jedoch in gutem Sinne zu<br />

verstehen.<br />

Mein Vater war ein ruhiger, frommer u. kluger Mann, der seiner Familie das<br />

schönste Tugendbeispiel gab. Siehe S. 49.<br />

Seite 45: Nachtrag zu S. 4.<br />

Als ich in der Pflegeanstalt Gnadenthal auf dem Bureau war, trat i. J. 1919<br />

der Sohn dieses Mannes, namens Johann Päder, als Pensionär in diese<br />

Anstalt ein (Durch Vermittlung meines Bruders, der sein Vormund war.). Er<br />

war wenige Jahre älter als ich. Seit der Primarschulzeit hatten wir uns nicht


- 24 -<br />

mehr gesehen u. doch erkannten wir uns wieder. Er war Protestant, wie seine<br />

ganze Familie u. als sittenreiner, braver Jüngling durchs Leben gegangen.<br />

Nun war er alt u. alleinstehend u. hatte sich (1) in die Anstalt Gnadenthal<br />

zurückgezogen. Bald liebten alle den guten, friedlichen Hans, der sich mit<br />

Vorliebe der ärmsten u. verlassensten Mit-Insassen annahm. Nach 2-3<br />

Jahren wurde er krank. Da wagte ich an ihn die Frage: "Hans, hast du noch<br />

nie gewünscht katolisch zu sterben?" Ja wohl <strong>von</strong> Herzen gerne würde ich<br />

katolisch sterben", antwortete er. Der Hausgeistliche fand bei ihm ein<br />

ausserordentlich günstiges Erdreich für die nähere Vorbereitung u. konnte<br />

ihn bald als Katolik in die Kirche aufnehmen u. reichte<br />

Siehe weiter Seite 181<br />

Seite 46: ihm die Sterbesakramente. Nach einigen Tagen starb er eines sanften u.<br />

seligen Todes u. wurde auf dem Anstaltsfriedhof begraben. Sein Vormund<br />

besorgte für ihn in Gnadenthal eine jährliche Stiftmesse.<br />

Zu Seite 7.<br />

Während der Sommerszeit durften wir Kinder hie u. da nach Mastrils zum<br />

hl. Antonius wallfahrten. Das war für uns stets eine Freude. Einst, es war am<br />

Feste des reinsten Herzens Maria, dem Bruderschaftsfeste "zur Bekehrung<br />

der Sünder", die in Mastrils errichtet ist, gingen meine <strong>Schwester</strong> u. ich mit<br />

einer Tante dorthin. Eine grosse Volksmenge hatte sich eingefunden,<br />

meistens aus dem St. Galler-Oberland. Die Predigt war im Freien u. wie ein<br />

Flüstern ging durch die Menge, P. Theodosius wird predigen. Durch das<br />

grosse Gedränge wurde ich <strong>von</strong> meiner Tante u. <strong>Schwester</strong> weggeschoben u.<br />

direkt vor die Kanzel des Predigers hingestellt. Und wirklich, es war P.<br />

Theodosius.<br />

Seite 47:<br />

Er predigte mit der ganzen Meisterschaft seines Geistes u. Wortes. Ach wie<br />

war mir da! Ich war zu jung um den Inhalt der Predigt ganz zu erfassen.<br />

Aber es kam mir vor, es gelte alles mir, er schaue beständig auf mich u.<br />

durchbohre mich gleichsam mit seinen Feueraugen, er streckte seine Arme<br />

gegen mich aus. Ich wollte entfliehen, aber ich konnte nicht, es war<br />

unmöglich den Platz zu wechseln, ich musste ausharren bis zum Schlusse u.<br />

ich fühlte mich nachher recht erschöpft. - Noch heute steht dies Bild <strong>von</strong> P.<br />

Theodosius ganz klar vor meinen Augen. Aber nur eine seiner Darstellungen<br />

(Nachahmungen) habe ich gesehen, die mir wirklich ganz gut schien. Es war


- 25 -<br />

im bischöflichen Hause in Chur.<br />

Von dieser Zeit an hatte ich ein eigenes Hochachtungsgefühl für diesen Pater<br />

u. fühlte gleichsam eine Art freudigen Schrecken, wenn ich seinen Namen<br />

nennen hörte.<br />

II.<br />

Seite 48: Im Februar 1865 drang die Kunde <strong>von</strong> dem so unerwarteten Tod des P.<br />

Theodosius auch nach Untervaz<br />

Ich erinnere mich, wie ich vom Fenster aus sah, wie Männer aus den<br />

Häusern traten, auf der Gasse zusammenstanden, eifrig einander erzählten u.<br />

gestikulierten. Es schien mir, sie teilten einander etwas Wichtiges mit u.<br />

meine <strong>Schwester</strong> sagte: da ist etwas los. Bald kam der Vater in die Stube u.<br />

ganz erregt teilte er der Mutter u. uns Kindern den Tod des P. Theodosius<br />

mit.<br />

Meine Mutter fing an zu weinen und unter schluchzen sagte sie: Ach, der<br />

arme Pater, bei solcher Kälte musste er so herumreisen. Gewiss haben ihm<br />

diese Kälte u. soviele Strapatzen den Tod gebracht. Und noch längere Zeit<br />

schluchzte sie. Wir Kinder aber mussten niederknien u. 5 Vaterunser beten,<br />

wie es bei Todesfällen katolischer Mitbürger in u. ausser dem Dorfe, damals<br />

bei uns Sitte war. Am andern Morgen wurde im Kirchturme mit allen<br />

Glocken für P. Theodosius geläutet. Er hatte sich vor einigen Jahren in<br />

Untervaz um den Neubau der katolischen Kirche verdient gemacht.<br />

Seite 49:<br />

Zu S. 44, I. Heft<br />

Eigentlich so recht unwillig gegen uns Kinder habe ich ihn nur einmal<br />

gesehen. An der Wand des Wohnzimmers hingen zwei grosse Bildertafeln,<br />

das gekrönte Haupt Christi u. als Gegenstück das Angesicht der<br />

schmerzhaften Mutter Gottes. Ringsum war das Leiden Christi u. seiner<br />

heiligsten Mutter dargestellt. Es waren schöne alte Holzschnitte. Ich habe<br />

gleiche Bilder in Freiburg u. im Pfarrhause in Oberiberg u. im Kloster<br />

Gnadenthal gesehen. Wir Kinder kletterten oft hinauf um alles auf diesen<br />

Bildern genau zu sehen, zu lesen u. zu betrachten. Der Vater duldete dies so<br />

ziemlich stillschweigend. An der andern Wand hing hoch oben ein Bild <strong>von</strong><br />

Ratsherr Josef Leu <strong>von</strong> Ebersol. Es schien fast neu zu sein. Längst<br />

wünschten wir zu wissen wer das sei. Eines Tages "häckelten" wir es


- 26 -<br />

herunter um "den Spruch zu lesen", doch glücklicherweise ohne es zu<br />

zerbrechen. Ich las "Josef Leu <strong>von</strong> Ebersol u.s.w. Da trat plötzlich der Vater<br />

zur Türe herein. O Weh, wie er da ungehalten wart Er drohte uns mit<br />

strenger Strafe, wenn wir das Bild nochmal herunter nehmen würden. "Das<br />

Bild gehört mir, sagte er,<br />

Seite 50:<br />

das braucht ihr nicht, rührt es nicht mehr an. Das ist ein guter Mann, den<br />

man ermordet hat." Und nun hatten wir sehr grossen Respekt u.<br />

Hochachtung vor diesem Bilde. Erst als wir etwas älter geworden, erzählte<br />

uns der Vater vom "Sonderbund" u. vom Ratsherr Josef Leu <strong>von</strong> Ebersol u.<br />

warum u. wie er ermordet worden. Die Bilder finden sich wahrscheinlich<br />

noch zu Hause.<br />

Zu Seite 11:<br />

An den Winterabenden musste ich öfter aus der Heiligenlegende oder aus<br />

der Nachfolge Christi vorlesen. Wenn aber der Vater sagte, die Nachfolge<br />

Christi sei nächst der Bibel das schönste Buch, so konnte ich das gar nicht<br />

glauben, wagte aber nicht meine Meinung zu äussern. Ich begriff die<br />

Nachfolge Christi noch nicht, die Legenden der Heiligen jedoch las ich sehr<br />

gerne u. verstand auch, was ich las. Ebenso auch P, Chochem u. M. Sintzel.<br />

Siehe Fortsetzung S. 54/a<br />

Seite 51/a: Zu Seite 6, I. Heft, Zeile 13.<br />

Trotz meines Eifers u. guten Willens hatte ich am ersten Tage schon "Pech".<br />

Es war vielleicht eine Vorbereitung auf das spätere Leben, das mir auch hie<br />

u. da ähnliches brachte.<br />

Am Tage des Schulanfang hatten die Knaben der Unterschule ihren neuen,<br />

jungen Lehrer, welcher vergass den Schlüssel der Schultüre wegzunehmen,<br />

eingesperrt u. waren da<strong>von</strong> geflohen. Ich hatte es zufällig gesehen u. als der<br />

Lehrer an der Türe rüttelte, machte ich sie mitleidig auf. Aber, o weh. Der<br />

mit Zorn erfüllte Lehrer riss mich in das Schulzimmer hinein u. sagte: "Zur<br />

Strafe bleibst du jetzt hier u. ich sperre dich ein". In meinem Schrecken<br />

entschuldigte ich mich nicht, sondern weinte u. schrie so laut, dass es wieder<br />

oben der Pater Superior hörte u. mir zu Hilfe kam. Er sah sofort klar, lachte<br />

den Lehrer aus u. sagte zu ihm: "Aber sehen sie denn nicht ein, dass das ein<br />

Streich der Buben ist". Sogleich erhielt ich die Freiheit. Am andern Tage<br />

verrieten sich die Täter selbst u. wurden bestraft. Es stellte sich


- 27 -<br />

Seite 52/a: zu Seite 6.<br />

heraus, dass die Knaben der Oberschule die Schüler der Unterschule<br />

geheissen hatten ihren Lehrer einzusperren u. da ihnen der Spass<br />

misslungen, zürnten sie mir u. fanden dann bei meinem Eintritt in die<br />

Oberschule Gelegenheit sich an mir zu rächen. (Das war meine Satisfaktion)<br />

Zu S. 29. Wir hatten stets gute, kräftige Kost als ich Kandidatin war. Ich weiss, die<br />

liebe selige Mutter Theresia hielt viel darauf. Am morgen hatten wir eine<br />

grosse Tasse Caffe u. genug gutes Brot, am Mittag täglich (Abstinenztage<br />

ausgenommen) kräftige Fleischbrühe u. ein Stück gutes, frisches Rindfleisch<br />

mit zwei kräftigen Gemüsen, gewöhnlich Reis oder Polenta mit Dörrbirnen<br />

od. Kastanien, oder auch Kartoffeln u. Apfelschnitz untereinander gemischt,<br />

hie u. da auch Gartengemüse. (Desserts u. Süssigkeiten gab es nicht, ausser<br />

etwa an Festtagen) Am Nachmittag erhielten wir Kaffe mit Brot u. am<br />

Abend stets Suppe, öfter geröstete Mehlsuppe, u. dreimal in der Woche<br />

gehacktes Fleisch od. Kutteln mit<br />

Seite 53/a: Kartoffeln in der Hülse, oder guter Käse mit Kartoffeln, oder Milch u.<br />

Polenta oder Griesbrei u. Kartoffeln. Brot war jedesmal genug vorhanden u.<br />

der Brotkorb mit geschnittenen, Stücklein ging zweimal um. Ich hörte nie<br />

über die Kost klagen u. es war auch keine Ursache dazu. Die gute sl.<br />

<strong>Schwester</strong> Angela, eine Walliserin, kochte uns stets gut, sorgfältig u.<br />

gewissenhaft.<br />

Während den achttägigen geistlichen Exerzitien gab es am Nachmittag<br />

keinen Kaffe.<br />

Zu Seite 28,<br />

Auch beim heuen u. beim Kartoffel einsammeln habe ich geholfen. Auf dem<br />

Platz, wo jetzt das Krankenhaus steht, bis hinauf zum Theresianum, hatte<br />

man einen Acker gemacht u. Kartoffeln gepflanzt. Man machte aber keine<br />

gute Erfahrung, denn die Ernte befriedigte nicht, weder durch Quantität noch<br />

durch Qualität. Schon nach zwei Jahren wurde nicht mehr angepflanzt.<br />

Seite 54/a: Zu Seite 50<br />

In der Fastenzeit betete der Vater mit uns Kindern am Abend den<br />

schmerzhaften Rosenkranz oder die Tagzeiten zur schmerzhaften Mutter<br />

Gottes. Er hatte letztere <strong>von</strong> seiner Mutter gelernt u. wusste sie ganz<br />

auswendig. Er betete vor, stets auf dem Boden kniend u. wir Kinder mussten


- 28 -<br />

antworten. Leider habe ich vieles da<strong>von</strong> vergessen u. nur noch einige Verse<br />

sind mir geblieben. Aber noch sehe ich den <strong>von</strong> schwerer Arbeit müden<br />

Vater, wie er demütig am Boden kniet u. mit gesenktem Haupte andächtig<br />

anhebt:<br />

Herr, tue auf meine Lefzen und Mund,<br />

Ich will dich loben aus Herzensgrund.<br />

Herr, eile mir zu helfen behend,<br />

Zu dir streck ich aus meine Händ.<br />

Und noch oft kamen mir diese Worte in den Sinn, wenn ich mich anschickte<br />

zum Offizium zu gehen. Und so auch ein Vers, der mir besonders gut gefiel:<br />

Mit drei Marien kommen wir<br />

Den Leib, O Herr, zu salben dir.<br />

Seite 55/a: Gib uns die Salb, gib Lieb u. Treu'<br />

Gib uns die Myrrhen wahrer Reu'.<br />

Ich erinnere mich auch, dass ich mich freute, wenn das Sacro Sancta anfing,<br />

denn wir Kinder waren schläfrig geworden. Diese schönen Tagzeiten<br />

standen in einem alten Büchlein (gedruckt zu Prag 1678) Es hatte wohl der<br />

Grossmutter gehört. Auch die schönen Tagzeiten vom hl. Johannes v.<br />

Nepomuk standen darin. Ich liebte diese sehr. Das Büchlein war in grobes,<br />

starkes Leder gebunden u. hatte beschlagene Ecken. Ich liebte es sehr u.<br />

habe es <strong>von</strong> Hause mit mir genommen, ohne die Mutter zu fragen. Doch -<br />

"unrecht Gut gedeiht nicht gut". Als Kandidatin nahm ich es mit in die<br />

Hauskapelle, liess es aus Vergesslichkeit liegen u. als ich es nach einigen<br />

Stunden holen wollte, war es schon nicht mehr da. Alles suchen und<br />

nachforschen durch die Schw. Novizenmeisterin Concordia war vergebens.<br />

Es war nicht mehr zu finden. "das hat niemand aus unserm Hause getan,<br />

sondern ein Auswärtiger" sagt die Novizenmeisterin, u. so war es wohl.<br />

Seite 56/a: Zu Seite 28 u. 29,<br />

Während der Nacht mussten wir auch Anbetungsstunde halten. Die ewige<br />

Anbetung wurde Tag u. Nacht ununterbrochen auf dem Chore im<br />

Mutterhause gehalten. Ich hatte stets eine ganze Stunde in der Nacht zu<br />

halten u. hie u. da noch eine am Tage u. die andern Kandidatinen u. Novizen<br />

auch so. Wir waren eben nicht viele Leute im Mutterhause u. anderswo<br />

wurden die Stunden nicht gehalten. Längere Zeit hatte ich die Stunde <strong>von</strong> 3-


- 29 -<br />

4 Uhr morgens mit der Novizin Schw. Genesia. Um halb 3 Uhr wurden wir<br />

geweckt u. so gab es halt wenig Schlaf. Einst nun war ich während dem<br />

beten eingenickt u. fiel bald den Stuhl hinunter. Die eifrige Novizin machte<br />

mir strenge Vorwürfe u. ich litt viel Angst sie werde ihr Wort halten u. mich<br />

verklagen. Bald nachher erhielt ich eine andere Stunde, näml. <strong>von</strong> 9-10<br />

abends. Das war für mich viel leichter. - Andere Rüge erhielt ich nicht.<br />

000000<br />

Seite 51:<br />

<strong>Erinnerungen</strong> <strong>von</strong> Schw. <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong>, II. Heft<br />

Nun konnte die Schule wieder fortgesetzt werden bis gegen Ende Juli. Von<br />

meiner Einkleidung hatte ich bis jetzt noch nie das Geringste nach Hause<br />

berichtet. Nun musste es geschehen. Auf diese Nachricht hin waren natürlich<br />

alle sehr erstaunt u. schickten sogleich meine <strong>Schwester</strong> um nach mir zu<br />

sehen. Sie erschien ganz unerwartet u. wurde <strong>von</strong> lieben ehrw. Mutter<br />

Theresia recht freundlich empfangen u. als meine <strong>Schwester</strong> sich befremdet<br />

u. etwas ungeschickt über meine schwarze Haube ausdrückte, lachte sie<br />

herzlich. Sie nahm uns beide auf ihr Zimmer u. beschenkte meine <strong>Schwester</strong><br />

mit verschiedenen frommen Gegenstände. Auch ein schönes Gebetbuch mit<br />

dem Titel "Jesus, Maria, Josef" u. mit grossem, schönen Druck, gab sie ihr<br />

um es dem Vater als Geschenk <strong>von</strong> ihr zu bringen. So oft ich später als<br />

Seite 52:<br />

<strong>Schwester</strong> heimkam, erzählte mir die Mutter, welche Freude der Vater an<br />

diesem Buche habe u. wie er es hoch in Ehren halte, weil es <strong>von</strong> der lieben<br />

Frau Mutter sei. Er benütze es viel zum beten u. lesen. Die letzten 3 Wochen<br />

seines Lebens <strong>von</strong> 85 Jahren, musste er meisten im Bette zubringen u. hatte<br />

dies Buch bei sich, um es stets zur Benutzung bei Hand zu haben. Vor dem<br />

Tode gab er es der Mutter mit dem Bemerken, dies Buch gut aufzuheben,<br />

denn es sei <strong>von</strong> der lieben Mutter Theresia. Dies ist geschehen, denn es<br />

findet sich wahrscheinlich noch zu Hause.<br />

Sobald der Schulkurs zu Ende war, musste ich für vier Wochen zur Aushilfe<br />

in die Anstalt Altishofen. Da ich jetzt Novizin war, so setzte man mir den<br />

Schleier auf. Die Oberin, Sr. Edmunda, war aus Gesundheitsrücksichten<br />

abwesend u. ich fand da Schw. Theodula, ebenfalls Novizin, allein. Wir zwei<br />

junge Novizinnen schalteten u. walteten so gut wir konnten u. hatten die<br />

Hände voll


- 30 -<br />

Seite 53:<br />

Arbeit. Wir verstanden uns aber sehr gut u. es begegnete uns kein<br />

Missgeschick. Ich glaube, die Anstalt war ein Asyl u. ein Zufluchtsort für<br />

gefallene Mädchen. Jetzt wirken unsere <strong>Schwester</strong>n nicht mehr dort. Sobald<br />

die <strong>Schwester</strong> Oberin wieder eintraf, kehrte ich nach Ingenbohl zurück.<br />

Im October begann wieder die Schule. Die liebe Mutter Theresia war<br />

sogleich nach ihrem Namensfeste nach Oestreich verreist. Nach einigen<br />

Tagen wurde ich zur wohlerw. Frau Assistentin Florentina Feffa (oder<br />

Foffa?) gerufen. Sie sagte kurz zu mir: "Ein Pfarrherr im Ct. Freiburg<br />

wünscht eine <strong>Schwester</strong> als Lehrerin für die Mädchen u. die liebe Frau<br />

Mutter hat berichtet, wir sollen Sie schicken. Also machen Sie sich bereit u.<br />

reisefertig für den (nächsten) Freitag u. seien Sie denn kein so Hasenfuss.<br />

Am Freitag reisen Sie bis Bern u. bleiben dort bei Hr. Strässli über Nacht. Er<br />

wird Sie im Bahnhof abholen u. am Samstag morgen wieder dorthin<br />

begleiten. Dann reisen Sie bis Flamall od. Flamatt, ich kann das Wort nicht<br />

recht unterscheiden, geben Sie denn acht auf den Ruf des Conducteur. Man<br />

wird Sie im Bahnhof<br />

Seite 54: abholen". Dan übergab sie mir einen Brief mit der Adresse: Hochw. Herrn J.<br />

J. Kilcher, Pfarrer in Ueberstorf, Ct Freiburg u. sagte: Sehen sie diese<br />

Adresse gut an. Also nach Ueberstorf kommen sie als Lehrerin u. werden<br />

einstweilen Kost u. Logis im Pfarrhause haben. Bei der Ankunft geben sie<br />

ihm diesen Brief u. er wird ihnen das Uebrige mitteilen". Sie segnete mich<br />

mit dem Zeichen des hl. Kreuzes u. ich war entlassen. Umsonst erwartete ich<br />

ein aufmunterndes Wort u. zog mich dann still zurück. Ich erinnere mich<br />

noch heute klar an jedes Wort meiner ersten Aussendung.<br />

Nach einem Tage war ich reisebereit. Ich hatte eine Reisetasche voll gepackt<br />

u. ein kleines Handtäschchen mit Proviant gefüllt. Die lb. <strong>Schwester</strong><br />

Concordia gab mir einige neue, für eine junge unerfahrene Lehrerin<br />

dienende Bücher mit. Dann probierte sie mir den Schleier u. sagte, indem sie<br />

herzlich lachte: sie sehen darin gerade aus, wie ein verscheuchtes junges<br />

Rösslein.<br />

Der Abschiedstag war da. Es war ein Tag in der zweiten Hälfte des Monats<br />

October 1869 u. recht schlechtes, rauhes Wetter. Ich musste den Mantel<br />

anziehen, denn es regnete u. schneite zugleich.<br />

Seite 55:<br />

in Olten musste ich im Bahnhof lange warten, bis ich weiter fahren konnte,


- 31 -<br />

damals ging das reisen nicht so schnell <strong>von</strong> statten, wie heute. Ein<br />

neugieriges Knabengesicht erschien unter der geöffneten Wartsaaltüre u.<br />

schaute mich höchst verwundert an. Und nicht lange, so kam ein ganzes<br />

Trüppchen Schulknaben u. lachten u. schrien mich lustig an mit: quaq, quaq<br />

---, u. einer rief öfter dazwischen schwarze Krähe. Bald kam ein<br />

Bahnbeamter in die Nähe u. die Missetäter nahmen schnell reissaus u. waren<br />

zerstoben. Die Sache hatte mir eigentliches Ergötzen eingeflösst u.<br />

keineswegs Furcht. (Ich füge hier ein: ganz Aehnliches ist uns einige Jahre<br />

später in Murten begegnet. Auf offener Strasse begegneten uns ein<br />

Trüppchen Schulknaben u. begrüsste uns mit obigen Titeln, quaq - Krähe -<br />

Aegersta etc. mit lautem Geschrei. Zufällig war der katolische Pfarrer in der<br />

Nähe. Es war Hochw. Herr J. Vonlanten, der erste kat. Pfarrer in Murten<br />

nach der Reformation. schnell kam er herbei, erkannte die Knaben, fasste<br />

einen fest beim Kragen u. sagte: "so,<br />

Seite 56:<br />

ihr kommt mit auf den Posten, ich zeige euch an. Es wird euch schlecht<br />

genug ergehen, ihr werdet ein paar Stunden in den Turm gesteckt". O, wie<br />

jetzt die Knaben devot wurden. Jämmerlich flehten sie deutsch u. wälsch:<br />

Pardonez Monsieur le curé, Verzeihung um Gotteswillen, wir wollen es<br />

gewiss nicht mehr tun. Mein Vater schlägt mich, schrie einer u. ein anderer:<br />

mein Vater sperrt mich ein. O, bitte, bitte Herr Pfarrer, zeigen sie uns nicht<br />

an, gewiss wir wollen es nicht wieder tun" Er liess sie laufen mit der<br />

Drohung, dass es ihnen bei Wiederholung schlecht ergehen würde. Sehr<br />

dankbar zogen sie ihre Mützen u. liefen rasch nach Hause)<br />

Es war schon bereits dunkel geworden, als ich im Bahnhof Bern anlangte.<br />

Ich wurde dort <strong>von</strong> Hrn. Strässle erwartet u. in sein Haus geführt u. gut<br />

bewirtet u. am nächsten Morgen früh wieder zum Bahnhof begleitet. Im<br />

Laufe des Vormittag kam ich in Flamatt an. Es war niemand<br />

Seite 57:<br />

da u. so wurde ich etwas ängstlich. Aber der Stations-Vorstand versicherte<br />

mich, es sei die richtige Absteige-Station für Ueberstorf. Endlich kamen<br />

zwei Frauen, jede hatte einen schweren Korb am Arm. Die eine war die Kur-<br />

Köchin u. die andere die Köchin des Herrn Kaplan Brülhart. Sie hatten in<br />

Neuenegg den Fleischbedarf für nächste Woche geholt u. waren dort länger<br />

aufgehalten worden als gewöhnlich, was ihnen recht leid war. Aber, wie<br />

musste ich meine schwere Reisetasche tragen? Die Frauen halfen mir


- 32 -<br />

zeitweilig, hatten aber selbst schwere Körbe, zudem schneite es lustig u.<br />

nach ein paar Minuten mussten wir immer wieder den Schnee vom Schirm<br />

schütteln. Der Weg war sehr schlecht u. die Frauen jammerten fleissig um<br />

meine Kleider u. den schönen Mantel. Ach aber sank fast zu Boden unter der<br />

Last der schweren Reisetasche Ich hatte nachher längere Zeit an einer<br />

Erkältung, die Folge dieser Überanstrengung zu leiden.<br />

Seite 58:<br />

Seite 59:<br />

Der Hochw. Herr Pfarrer empfing mich höchst freundlich u. liebenswürdig.<br />

Es war ihm recht leid, dass er vergessen hatte zu sagen, ich solle das Gepäck<br />

im Bahnhof Flamatt lassen. Es wurde nun für mich in allem aufs Beste<br />

gesorgt. Herr Pfarrer J. J. Kilchoer war ein älterer, stattlicher Herr. In seinen<br />

ersten Priesterjahren war er Vikar in Bern gewesen u. mit den Bernern gut<br />

befreundet. Als Haushälterinnen hatte er seine <strong>Schwester</strong> Maria, eine Nichte<br />

Marietta u. eine Grossnichte Rosa. Nun wies er mir das Zimmer an. Er sagte<br />

zu mir: Ich trete ihnen mein Schlafzimmer ab u. begnüge mich mit einem<br />

Zimmer. Der Ofen geht durch beide u. heizt beide u. so sparen wir Holz u.<br />

wir wären in der Nähe, wenn ihnen in der Nacht etwas fehlen würde. Vis-avis<br />

schliefen die Köchinnen. Ich nahm alles stillschweigend an. Dann<br />

erzählte er mir, der junge Oberlehrer, J. Hayoz, sei stolz geworden u. sei<br />

fortgezogen, weil ihm die verlangte Gehaltserhöhung nicht bewilligt wurde.<br />

Die<br />

Gemeindekasse sei eben recht ärmlich bestellt u. es müssen alle<br />

Schulausgaben nur aus Steuern bestritten werden. Der Gemeinderat wollte<br />

nun alle Kinder nur einem Lehrer geben u. Halbtagschule halten lassen u.<br />

das wolle er nicht. So nahm er sich vor auf eigene Kosten eine Lehrerin<br />

anzustellen ne klopfte bei der Ehrw. Frau Mutter in Ingenbohl an, welche<br />

ihm glücklicherweise entsprach. Der Gemeinderat war nicht für diesen Plan<br />

und äusserte verschieden Befürchtungen u. meinte es werde nicht gehen<br />

(Weil es im Armenhaus Umbertschwendi nicht gut ging).<br />

"Nun wollen wir sehen" sagte er schmunzelnd. "Wir trennen jetzt die Kinder<br />

nach Geschlechter. Sie nehmen alle Mädchen u. der Unterlehrer alle<br />

Knaben. Der Gemeinderat hat nichts zu sagen. Sie stehen unter meinem<br />

Schutze u. ich sorge für sie. Es wird sich zeigen. Geht es gut, so wird die<br />

Gemeinde später die Sache gern genug übernehmen. Unterdessen sind sie<br />

meine <strong>Schwester</strong>". (Ich beobachtete den Winter hindurch hie u. da, dass er


- 33 -<br />

zu den Leuten gelegentlich sagte: d’Schwöster Lehreri ist mini, ihr händs mit<br />

mir ztun")<br />

Seite 60:<br />

Seite 61:<br />

Ich verstand nicht den Wink, den mir der Herr Pfarrer durch diese Erzählung<br />

wohl geben wollte, was wahrscheinlich besser war. Am Sonntag, also am<br />

folgenden Tage, verkündete er <strong>von</strong> der Kanzel den Beginn der Schule u. die<br />

neue Einteilung. Gänzlich unbefangen u. ohne jedes Misstrauen betrat ich<br />

am Montag nach der hl. Messe mit den Kindern das Schulzimmer. Die<br />

Kinder schienen höchst freudig überrascht u. grüssten mich herzlich mit:<br />

"Gelobt sei, Jesus Christus, liebe Nunna", wohl aus 50-60 Kehlen. Einige<br />

hielten sogar die Händchen wie zum Gebete auf, sie hatten wohl nie eine<br />

Klosterschwester, gesehen. (Gleiches begegnete mir nachher noch einige<br />

Mal auch <strong>von</strong> ältern Leuten). Von der Behörde erschien niemand. Bald aber<br />

kam der Herr Pfarrer u. half bei der Klasseneinteilung. Er befahl den<br />

Kindern <strong>von</strong> nun an <strong>Schwester</strong> Lehrerin zu sagen u. ihr recht gehorchsam zu<br />

sein. Sie versprachen es freudig. Schon am ersten Tage hatten wir einander<br />

lieb gewonnen u. das Schulhalten war meine Freude. Die Kinder waren ja so<br />

lenksam u.<br />

folgsam u. arbeitsam mit grossem Eifer u. Fleiss u. alles ging gut. Der Herr<br />

Pfarrer schien seine Freude daran zu haben, denn er war stets freundlich u.<br />

zuvorkommend gegen mich u. begrüsste mich stets mit "Votre Serviteur" u.<br />

einer tiefen Verneigung. Hie u. da sagte er halb scherzend: <strong>Schwester</strong>, die<br />

Leute beten sie fast an u. ich "bin nur mehr Nummer 2". Später dachte ich<br />

hie u. da: wie schön u. leicht ist es, als erste <strong>Schwester</strong> Lehrerin in einer<br />

Ortschaft aufzutreten.<br />

Die Leute nannten mich: "üsi Nunna". Es fiel mir angenehm auf, wie<br />

freundlich u. zuvorkommend alle gegen mich waren. Ebenso fiel mir<br />

überraschend angenehm auf, der eifrige, praktische Katolizismus dieses<br />

Volkes u. der streng römische Ritus des Gottesdienstes.<br />

Die Kirche war an Sonntagen Vor- u. Nachmittag gedrängt voll,<br />

hauptsächlich <strong>von</strong> Männern. Ebenso fiel mir auf die grosse Ehrfurcht vor<br />

allen Geistlichen u. das grosse Zutrauen, das sie zu ihrem Hrn. Pfarrer<br />

hatten. In ihren Nöten u. Anliegen kamen sie ins Pfarrhaus u.<br />

Seite 62:<br />

suchten bei ihrem Herrn Pfarrer Rat, Hilfe u. Trost. Es war für mich oft recht<br />

intressant, denn ich hatte so etwas nie gesehen. Jeden Sonntag warteten


- 34 -<br />

Frauen auf ihn. Wir assen alle miteinander, am gleichen Tische, der Herr<br />

Pfarrer, die Köchinnen u. ich. Der Herr Pfarrer war ein guter Erzähler u.<br />

eifriger Politiker, wo<strong>von</strong> ich sehr wenig verstand. Er passte sich aber<br />

geduldig meiner schwachen Fassungskraft an u. lehrte mich über manches.<br />

So ging alles vortrefflich. Nur eines tadelte er, ich stand des morgens zu früh<br />

auf, wie er meinte. Ich war vom Mutterhause her gewohnt um 4 Uhr<br />

aufzustehen u. das wollte er nicht, er fürchtete, ich würde krank. Ich aber<br />

hielt tapfer stand, dank meines Novizeneifers u. erhob mich jeden Morgen<br />

ganz leise, leise zur vorgeschriebenen Zeit. Dass ich nur Novizin war, hat<br />

der Herr Pfarrer nie vernommen. Es war mir v. Sr. Concordia verboten<br />

worden zu sagen u. er hat auch nie darnach gefragt.<br />

Seite 63:<br />

Sobald die liebe Frau Mutter <strong>von</strong> ihrer Reise heimgekehrt war, schrieb sie<br />

mir ein liebes, aufmunterndes Briefchen u. im Laufe des folgenden Sommers<br />

beauftragte sie die liebe <strong>Schwester</strong> Cornelia, Oberin in Gruyeres (Hospitz),<br />

nach mir zu sehen. Sie zeigte ihre Ankunft an und ich ging ihr eine Strecke<br />

entgegen. Auf der Wiese welche zum Schloss Guibert gehört, war der<br />

Eigentümer samt seiner Familie mit heuen beschäftigt. Seine Kinder spielten<br />

am Wege. Das Schloss samt Liegenschaft gehörte damals einem<br />

protestantischen Bernerbauer, namens Spicher aus Bümplitz. Da rief eines<br />

seiner Kinder, ein 8-9 jähriges Mädchen: "Muetti, Chum lug, d’Frau Pfarrer<br />

geht do ahi, d’katolische Pfarreri. Muetti, chum gleitig, de gsäschi da".<br />

Offenbar hielt mich das protestantische Kind meiner Kleidung wegen für<br />

etwas vornehmeres u. das war ihm die Pfarrersfrau.<br />

Der lb. Schw. Concordia gefiel es gut in Ueberstorf u. sie blieb einen Tag u.<br />

eine Nacht bei uns. Der Herr Pfarrer u. sie verstanden sich bald sehr gut. Er<br />

erzählte ihr<br />

Seite 64:<br />

manches u. klagte ihr auch, dass es ihm viel Herzleid mache, dass in seiner<br />

Grenzpfarrei viele Berner hereinkommen u. sich Landgüter ankaufen.<br />

Besonders bedaure er auch, dass das Schloss Guibert in protestantische<br />

Hände übergegangen sei. Es sei aber jetzt wieder zum Verkaufe angeboten.<br />

Sie verstand ihn wohl u. versprach ihm, wo es gelegentlich geschehen<br />

könne, auf einen Käufer einzuwirken. Die liebe <strong>Schwester</strong> Cornelia ahnte<br />

wohl nicht, dass sie gerade in Uebersdorf ihre letzte Ruhestätte finden sollte.


- 35 -<br />

(Das Schloss wurde <strong>von</strong> unserer Congregation erworben u. später dort ein<br />

Pensionat errichtet. Schw. Cornelia Fürer starb da als Oberin desselben. )<br />

Nach einigen Wochen kam die lb. <strong>Schwester</strong> Carolina Imfeld, Oberin in<br />

Gauglera, mich zu besuchen. Auch ihr gefiel es gut u. sogleich war sie mit<br />

Herr Pfarrer freund. Sie erzählte <strong>von</strong> der Gründung der Gauglera u. ihrer<br />

Geschichte u. vom nicht vor langer Zeit abgebrannten Armenhaus<br />

Umbertschwendi. Ich wusste <strong>von</strong> allem diesem nichts, wurde nun aber durch<br />

aufmerksames Zuhören in alles eingeweiht. Die lb. Schw. Carolina erzählte<br />

mir später, sie habe ein recht gutes Andenken <strong>von</strong> Ueberstorf mitgenommen.<br />

Seite 65:<br />

Der Herr Pfarrer erzählte ihr auch <strong>von</strong> seiner Gründung, der Mädchenschule.<br />

Denken sie, sagte er, nicht ohne Anflug <strong>von</strong> Stolz, schon drei Nachbar-<br />

Pfarrherrn sind gekommen um sich zu erkundigen, ob es gut gehe u.<br />

äusserten den Wunsch auch so was einzuführen. Und wirklich, nicht lange<br />

ging es, so verlangten die Gemeinden Bösingen, Heitenried, Wünewil etc.<br />

<strong>Schwester</strong>n als Lehrerinnen für die Mädchen u. bald so in den andern<br />

Gemeinden des deutschen Bezirkes u. auch darüber hinaus.<br />

(Siehe Seite 161, Heft 4, Nachtrag)<br />

Im folgenden Sommer zeigte die liebe Frau Mutter Theresia vom Collegium<br />

Freiburg her ihren morgigen Besuch an. Welche Freude! nicht nur bei mir,<br />

sondern auch beim Herrn Pfarrer. Er lief im Hause herum u. rief seiner<br />

<strong>Schwester</strong>: "Denk Meyi, d’Frau Mutter Theresia, morn schu. Marietta, sorg<br />

für alles guet. Gang hüt no uf Neuenegg um Fleisch zu holen". Und wirklich,<br />

die lb. Frau Mutter kam ganz allein. Der Herr Pfarrer holte sie selbst mit<br />

seinem Fuhrwerk im Bahnhof Schmitten ab u. tat ihr in seiner höflichen Art<br />

alle Ehre an. Nach dem Essen<br />

Seite 66:<br />

wurde die Frage der <strong>Schwester</strong>nwohnung geregelt. Schon in erster Zeit war<br />

dem Herr Pfarren vom Mutterhause her ein Vertrag zur Unterzeichnung<br />

zugeschickt worden. Darin wurde freie Wohnung u. ein Gehalt <strong>von</strong> 320 frs.<br />

für die <strong>Schwester</strong> verlangt. Der Hr. Pfarrer hatte angenommen, konnte es<br />

aber bis jetzt noch nicht ausführen. Nun war der Zeitpunkt gekommen an die<br />

Gemeinde zu gelangen. Es ging ganz leicht. Der Gemeindeammann, Hr.<br />

Grossrat Franz Spicher auf der Wirtschaft, war gern bereit den Vertrag im<br />

Namen der Gemeinde zu unterzeichnen u. versprach die Wohnung im<br />

Schulhause zu räumen u. für die <strong>Schwester</strong> herrichten zu lassen. Bis nächste


- 36 -<br />

Ostern soll alles in Ordnung sein. Auch der Gehalt soll auf fr. 400.- erhöht<br />

werden. Die lb. Frau Mutter war hiemit zufrieden u. die Sache war in<br />

Ordnung. Nun ging der Hr. Pfarrer mit der lb. Frau Mutter zum Schlosse<br />

Guibert u. riet ihr, es zu kaufen, die Umstände seien günstig. Sie besichtigten<br />

es in- und auswendig u. die lb. Frau Mutter schien einem Ankaufe gar nicht<br />

abgeneigt, jedoch wurde einstweilen nichts weiteres beschlossen.<br />

Seite 67:<br />

Die liebe Frau Mutter zeigte sich sehr lieb u. mütterlich gegen mich u. fragte<br />

genau, ob ich meine Kost u. Logis recht habe u. ob ich auch warme<br />

Unterkleider habe. Ich konnte alles mit ja beantworten u. doch schickte sie<br />

mir bei Winteranfang ein Paar wollene Beinkleider u. eine sehr warme,<br />

wollene Unterjacke. Ich besitze die Jacke heute noch u. habe sie aus Pietät<br />

gegen die nun in Gott ruhende liebe Mutter stets sorgfältig behandelt u.<br />

gespart.<br />

Am folgenden Tage kehrte die liebe Frau Mutter wieder nach Freiburg<br />

zurück. Der Herr Pfarrer aber war stolz auf diesen Besuch u. voll Lob über<br />

die schönen Eigenschaften der lieben Frau Mutter. Gelegentlich erzählte er<br />

auch den Mitbrüdern Von dieser imponierenden, ausgezeichneten Frau u.<br />

wenn er <strong>von</strong> ihr sprach, geschah es stets mit grosser Ehrfurcht u.<br />

Hochachtung.<br />

Im folgenden Frühling wurde ich zu den hl. Exerzitien geladen. u. durfte am<br />

Schlusse derselben meine erste hl. Profess ablegen. Sie wurden, sowie auch<br />

die ganze Ceremonie, vom Hochw. P. Anizet Regli, Provinzial der schweiz.<br />

Kapuziner u. Superior unseres Institutes gehalten.<br />

Seite 68:<br />

Es war der 23. Mai 1871. Mein lb. Vater, meine einzige <strong>Schwester</strong> mit ihrem<br />

ihr vor 9 Tagen angetrauten jungen Manne u. der Hochw. Herr Pfarrer<br />

Furger aus Trimmis, ein Freund unserer Familie, waren als Geladene<br />

erschienen u. wohnten der Feier bei. (Genannter Schwager L. Lipp wohnte<br />

auch wieder meiner goldenen Jubelprofess bei u. zwar in voller geistiger<br />

Frische u. körperlicher Gesundheit u. Rüstigkeit). Zum erstenmal sah ich<br />

meinen Vater weinen, was mir sehr zu Herzen ging. Er aber sagte zu mir:<br />

"Achte nicht darauf, es sind ja meistens Freudentränen". Als sich mein Vater<br />

<strong>von</strong> der lb. Frau Mutter verabschiedete, stand ich etwas entfernt u. konnte<br />

nicht alles verstehen, hörte aber doch, dass er ihr sein Kind angelegentlich<br />

empfahl u. dass sie ihn so herzlich tröstete u. ihn bat, ohne Sorge zu sein, sie


- 37 -<br />

werde stets mütterlich für mich sorgen. Dies alles vermehrte u. bestärkte die<br />

grosse Hochachtung u. Verehrung, die mein lieber Vater für die selige<br />

Mutter Theresia stets hegte, bis zu seinem sl. Tode, der i. J. 1888, nur kurze<br />

Zeit vor dem Tode der sl. Mutter stattfand.<br />

Seite 69:<br />

Am folgenden Tage durfte ich mit meinem lieben Besuche nach Einsiedeln<br />

wallfahrten. Wir gingen alle miteinander zu Fuss über den Hacken u. es ging<br />

leicht <strong>von</strong> statten. Als wir Einsiedeln erblickten, konnte ich fast nicht<br />

glauben, dass wir schon so bald am Ziele wären, ohne eigentlich Müdigkeit<br />

zu fühlen u. so erging es den andern. Es war eine sehr schöne Tour bei<br />

günstigem Wetter u. zugleich eine ächte Wallfahrt nach früherer alter Sitte.<br />

Mein Vater war ein Mann <strong>von</strong> tiefer innerlicher Frömmigkeit. Er blieb etwas<br />

länger in der Gnadenkapelle u. als ich ihn darüber fragte, sagte er zu mir:<br />

"Ich habe noch extra etwas für dich u. die Ehrw. Mutter gebetet". Am<br />

folgenden Tage mussten wir Abschied nehmen. Ich kehrte ins Mutterhaus<br />

zurück, um mich schon am nächsten Tage wieder nach Ueberstorf zu<br />

begeben.<br />

Die liebe Frau Mutter hatte nun meinen Vater persönlich kennen gelernt u.<br />

bewies ihm ihre Geneigtheit auf verschiedentliche Art bis zu ihrem fast<br />

gleichzeitigen Tode. So lange mein Vater lebte, durfte ich alle 4 Jahre<br />

einmal meine Schulferien bei den Eltern in der Familie<br />

Seite 70:<br />

zubringen. Sie wusste mich da gut aufgehoben u. das elterliche Haus steht<br />

nahe bei der katolischen Kirche. Unsere Genossenschaft besass damals noch<br />

keine Erholungsheime u. im Mutterhause machte sich immer mehr<br />

Platzmangel fühlbar. Scherzend sagte einst die lb. Ehrwürdige Mutter zu<br />

mir, als ich in die Ferien reiste: "Ich will mal sehen, ob sie auch<br />

Anziehungskraft haben u. uns eine gute Kandidatin bringen". Und wirklich,<br />

kaum war ich einige Tage zu Hause, so meldete sich bei mir eine etwa 15-16<br />

jährige, gesunde, intelligente Tochter aus braver einfacher Bauernfamilie,<br />

namens Josefa Hug u. bat mich, für sie bei der lb. Frau, Mutter die<br />

Eintrittsbewilligung als Kandidatin der Genossenschaft nachzusuchen<br />

Umgehend kam die zusagende Antwort u. am Schlusse der Ferien begleitete<br />

ich die Tochter ins Mutterhaus. Sie wurde für die Schule bestimmt u.<br />

befriedigte nach allen Seiten sehr gut. Im Laufe des folgenden Sommers,<br />

kurz vor ihrer Einkleidung, verunglückte ihr Vater durch einen Sturz <strong>von</strong>


- 38 -<br />

einem Baum. Nach wenigen Minuten war der gesunde, starke Mann eine<br />

Leiche. Josefa wurde sofort zur Mutter geschickt. Schmerzlich bewegt<br />

erzählte<br />

Seite 71:<br />

Seite 72:<br />

es mir die liebe Frau Mutter, als ich zu den Exerzitien kam u. sagte. "Ach,<br />

das war eine so gute Kandidatin u. ich hätte sie so notwendig gehabt, aber<br />

ich konnte es nicht übers Herz bringen, sie ihrer Mutter zu entziehen. Josefa<br />

wäre gerne wiedergekommen u. die Mutter wollte schliesslich das Opfer<br />

auch bringen, obschon mit blutendem Herzen. Aber denken sie sich eine<br />

Witwe mit 6 Kindern, <strong>von</strong> denen Josefa das älteste ist u. ihr allein behilflich<br />

sein kann u. dazu ein kleines Vermögen. Nein, ich konnte nicht u. habe<br />

Josefa geraten bei ihrer Mutter zu bleiben u. ihr beizustehen". Josefa hat<br />

grossmütig dem Rate der Ehrw. Frau Mutter gefolgt u. in der Folge ihre<br />

Aufgabe ausgezeichnet gelöst. Vorerst half sie ihrer Mutter bei der<br />

Kindererziehung u. als die jüngern Geschwister etwas herangewachsen<br />

waren, übernahm sie eine Stelle in einem Grand-Hotel im Engadin, da war<br />

sie sehr geschätzt u. gut bezahlt u. half bald ihrer Mutter mit der zahlreichen<br />

Familie über alle finanziellen Schwierigkeiten hinweg, ja brachte sie zu<br />

Wohlstand. Josefa blieb bis zu ihrem Tode, im 72 Lebensjahre, eine brave,<br />

sittenreine Jungfrau u. gab durch ihre aufopfernde Kindes u.<br />

Geschwisterliebe, sowie durch ihre Werke der Nächstenliebe<br />

u. Frömmigkeit, der ganzen Gemeinde gutes Beispiel. Ihr Andenken ist im<br />

Segen.<br />

Bald nachdem ich nach meiner ersten Profess wieder nach Ueberstorf<br />

zurückgekehrt war, bezog ich meine neue Wohnung im Schulhause. Ich<br />

bereitete nun mein Essen selbst u. es ging mir eigentlich gut. Die Leute<br />

zeigten sich sehr gut u. freigebig gegen mich. Sie brachten mir Milch,<br />

Butter, Rahm etc., Kartoffeln u. Gemüse musste ich niemals kaufen u.<br />

Fleisch nur im Sommer, denn im Winter erhielt ich es auch geschenkt. Oft<br />

dachte ich, wenn ich doch eine arme Familie wüsste, der ich meinen<br />

Ueberfluss bringen könnte, aber es war keine in der Nähe. Mme. de<br />

Techtermann u. ihre Tochter Natalie de Reynold, sowie auch Hr. de Reynold<br />

waren sehr gut gegen mich. Hr. Paul de Techtermann war gelähmt u.<br />

beschäftigte sich mit Anfertigen <strong>von</strong> Rosenkränzen. Er schickte mir <strong>von</strong> Zeit<br />

zu Zeit ein Paquet mit schönen verschiedenen Rosenkränze u. adressierte


- 39 -<br />

"der lieben <strong>Schwester</strong>in" Die Familien brachten aber nur den Sommer in<br />

Ueberstorf zu.<br />

Seite 73:<br />

Eines Tages erhielt ich <strong>von</strong> der lieben Frau Mutter die Mitteilung, ich müsse<br />

in Freiburg eine staatliche Prüfung ablegen, um ein Lehrpatent zu erhalten.<br />

"Gehn sie mutig", schrieb sie mir, "wir beten für sie". Fast zu gleicher Zeit<br />

kam die Aufforderung <strong>von</strong> Freiburg, nach zwei Tagen zur Prüfung zu<br />

erscheinen. Eigentümlich unbesorgt ging ich hin. Und es ging mir gut u. ich<br />

konnte jede an mich gestellte Frage richtig beantworten. Ich erhielt ein<br />

Lehrpatent für den Kanton Freiburg auf unbeschränkte Zeit. Dies wurde<br />

niemals beanstandet u. ich musste auch nie eine Nachprüfung machen.<br />

Im Prüflingslokal hatte ich, meinen Platz neben einer Ursulinerin aus dem<br />

Kloster Freiburg. Diese war etwas schwach im rechnen u. bat mich ihr zu<br />

helfen. Ich tat es, denn es konnte leicht geschehen. O, wie sie mir dankbar<br />

war. "Alle Tage werde ich für sie beten", sagte sie u. ich werde auch meine<br />

liebe Mutter bitten, dass sie es auch tut."<br />

Seite 74:<br />

Im Herbst 1875 sagte die liebe Frau Mutter zu mir "Soll ich sie einmal<br />

rutschen?" Ich lachte u. sagte "Wie sie wollen, liebe Mutter". Ich stellte mir<br />

das ganz einfach vor u. dachte nicht im Geringsten daran, dass es vielleicht<br />

doch mit Opfer verbunden sein könnte. Ich hatte es eben noch nie erfahren.<br />

"Gut", sagte die liebe Mutter, "seien sie stets so bereitwillig u. ergeben,<br />

wenn Wechsel an sie herantreten" Und die Gelegenheit, mir dies Wort<br />

ernstlich zu Gemüte zu führen, blieb später nicht aus. Nach ein paar Tagen<br />

teilte mir die lb. Frau Mutter mit, dass ich für die neue Mädchenschule in<br />

Gurmels bestimmt sei. Ich solle jetzt nach Ueberstorf zurückkehren u. meine<br />

Sachen einpacken u. dann mitnehmen, sie werde nach Gurmels schreiben,<br />

dass man mich nächsten Mittwoch mit Fuhrwerk abhole. - Es geschah.<br />

Mein Koffer war bald gepackt. Dann verabschiedete ich mich dankend bei<br />

Hochw. Herrn Pfarrer u. seiner <strong>Schwester</strong> Haushälterin. Ich war wirklich<br />

vielen Dank schuldig, denn beide waren sehr gut gegen mich gewesen u.<br />

sorgten sich um mich. Hochw. Herr J. J. Kilchör war<br />

Seite 77:<br />

ein musterhafter Pfarrer u. hochgeschätzt u. verehrt <strong>von</strong> der ganzen Pfarrei.<br />

Ich war erstaunt über das grosse Zutrauen, das er bei allen seinen<br />

Pfarrkindern in jeder Hinsicht genoss. Er war auch ein guter Priester u.<br />

imponierte durch seine hohe würdevolle Gestalt u. sein stets höfliches,


- 40 -<br />

taktvolles Benehmen.<br />

Auch bei Hochw. Herrn Kaplan Brülhart u. seiner Köchin Lisbeth nahm ich<br />

Abschied. Er war ein sehr frommer, alter, kränklicher Herr u. bezeigte mir<br />

stets nur Liebe u. Güte. ihm u. seiner Köchin war ich Dank schuldig.<br />

Schliesslich kehrte ich noch bei der Familie U. Boschung (Schwiegersohn<br />

des Hr. Grossrat Franz Spicher u. sein Nachfolger auf der Gastwirtschaft) an,<br />

um Vergelts Gott zu sagen, denn auch <strong>von</strong> hier hatte ich viel Gutes genossen<br />

u. man liess es mir an nichts fehlen. Allen diesen, sowie allen, denen ich<br />

Dank schulde, vergelte es Gotte mit dem ewigen Leben (tägliches Gebet).<br />

Seite 78:<br />

Gegen Abend kam der Fuhrmann mit dem Bernerwägeli. Ich setzte mich<br />

vergnügt hinten auf meinen Koffer, war aber froh, dass es schon dunkelte u.<br />

dass es finster war, als wir in Gurmels ankamen. Bei der Schiffenenbrücke<br />

fürchtete ich mich heimlich einwenig, denn ich kannte diese Gegend noch<br />

gar nicht. Nicht lange jedoch währte es, denn sobald wir die Höhe erreicht,<br />

schimmerten uns viele Lichtlein aus dem plötzlich vor uns liegenden Dorfe<br />

Gurmels entgegen. Ich wurde zur Gastwirtschaft Folly gefahren u. da war<br />

für mich ein Nachtessen bereit. Der Wirt hatte den Schlüssel zu meiner<br />

Wohnung in Händen u. kam mit um zu öffnen u. beim abladen des Koffers<br />

behilflich zu sein. - Dann dankend "Gute Nacht" u. die Türen fest<br />

verschlossen. So sass ich nun da u. schon wollte mein Mut etwas sinken.<br />

Doch ich war müde u. ein gutes Bett war bereit. Mich Gottes Schutz<br />

empfehlend, schlief ich bald ruhig ein bis am nächsten Morgen.<br />

Auf der Stiege fiel ich in der Dunkelheit zu Boden, denn sie war mit Brettern<br />

belegt. Ich verletzte mich an einem Knie, jedoch nur leicht.<br />

Nach der hl. Messe begrüsste ich den Herrn Pfarrer. Er bot mir eine Tasse<br />

Caffe an, was ich gerne annahm.<br />

Seite 79:<br />

Er sprach vorläufig nicht u. schien wie in Gott versunken. In meine Augen<br />

wollten Tränen treten. Er bemerkte das u. sagte: "Fassen sie Mut, es ist<br />

besser, es gefällt u. geht im Anfang nicht so gut. Nur dann bleibt man recht<br />

lange am Orte. Ich habe es an mir selbst erfahren." Und es hat auch bei mir<br />

nun zugetroffen, denn 2o Jahre waren mir in Gurmels vergönnt, obschon ich<br />

mich nur langsam, gleichsam Schritt für Schritt angewöhnte. Im Uebrigen<br />

benahm sich der Hr. Pfarrer sehr kurz. u. doch fühlte ich schon bei dieser<br />

ersten Begegnung, dass er ein frommer Priester u. aufrichtiger, kluger Mann


- 41 -<br />

war. "Kommen sie zu mir", sagte er, "wenn es ihnen an etwas fehlt, ich<br />

werde ihnen, so gut ich kann, mit Rat u. Tat stets zu Diensten sein. (Gehn sie<br />

nie zu den Leuten, um zu klagen, das ist nicht gut.) Dies war nun für mich<br />

ein grosser, ja beglückender Trost. Ich lernte ihn nach u. nach als<br />

heiligmässigen Priester kennen. und dieser heiligmässige Priester ist allen<br />

<strong>Schwester</strong>n in Gurmels, ohne Ausnahme, ein treuer, väterlicher Freund<br />

geblieben bis zu seinem Tode.<br />

Seite 80:<br />

Seite 81:<br />

Er hiess Peter Roggo v. Pontels, Gemeinde Düdingen. Er war der jüngste<br />

Bruder des hochangesehenen Kantonsrat Peter Roggo auf dem schönen<br />

Bauernhofe Pontels bei der Kapelle, welche er, der genannte Kantonsrat, auf<br />

eigene Kosten zu Ehren der h1. Kathrina hatte erbauen lassen. Von diesem<br />

ausgezeichneten Manne hörte man viel Rühmliches erzählen. Besonders soll<br />

er zur Zeit des "Sonderbundskrieg" grosse u. schwere Opfer gebracht haben<br />

für die Erhaltung der Religion u. für seinen Heimatkanton zur Unterstützung<br />

seiner Partei. Die sl. <strong>Schwester</strong> Carolina Imfeld erzählte mir auch, dieser<br />

Mann habe zur Zeit ihrer Gründung, der Anstalt Gauglera viel Gutes getan.<br />

(Einst habe er der Anstalt Gauglera einen schönen, lebenden gesunden<br />

Ochsen geschenkt.)<br />

Lachend erzählte mir einst der selige Hr.-Pfarrer: "Zu Hause in Pontels<br />

nannte man uns beide Brüder nur der gross Peti u. der chli Peti. Mein Bruder<br />

Peter war mein Taufpate u. gab mir seinen Namen Peter u. so war ich der<br />

chli Peti u. er der gross Peti. Jeder hatte aber eine ausserordentliche<br />

Körperlänge, besondere der chli Peti, der <strong>von</strong> seinen Mitbrüdern später<br />

scherzhaft der lange Roggo genannt wurde.<br />

Im Alter <strong>von</strong> beinahe 80 Jahren resignierte Pfarrer P. Roggo auf die Pfarrei<br />

u. übernahm die Kaplanei Guschelmuth, eine kleine Filiale zur Pfarrei<br />

Gurmels gehörend. Da starb er beinahe 85 Jahre alt u. liegt in der Pfarrkirche<br />

Gurmels begraben.<br />

Ermutigt suchte ich meine Wohnung auf u. schaute mich um Es war ein<br />

kleines Inventar vorhanden, vorläufig genügend für eine <strong>Schwester</strong>. Die<br />

Mädchenschule war im Mai 1875 errichtet worden. Die lb. <strong>Schwester</strong><br />

Amiliana, Lehrerin in Ems, wurde während ihrer Ferienzeit hingeschickt um<br />

anzufangen u. den kleinen Haushalt einzurichten. Sie blieb ungefähr drei<br />

Monate u. war dann wieder nach Ems zurückgekehrt. - Mein erstes war nun


- 42 -<br />

mich um das Essen zu kümmern. Doch fand sich bald das Notwendige u. der<br />

lb. Gott zeigte sich auch hier als guter, sorgender Vater.<br />

Nun schaute ich die Umgebung an. Das Gebäude stand etwas abseits. Alles<br />

wollte mir recht unheimlich vorkommen. Es war früher ein Herrschaftssitz<br />

gewesen u.<br />

Seite 82:<br />

Seite 83:<br />

Seite 84:<br />

die Leute nannten es jetzt noch "Schloss", <strong>von</strong> dem aber nur noch die<br />

Umfassungsmauern gut waren. Meine Wohnung bestand aus nur einem<br />

Zimmer, einer Küche, Keller u. Estrich. Neben dem Wohnzimmer war das<br />

Schulzimmer, recht klein u. etwas unpraktisch. Sowohl im Schul- als im<br />

Wohnzimmer waren die Wände kahle Mauern, die bei Witterungswechsel<br />

nass wurden. Die Fenster waren alle sehr alt mit vergilbten Scheiben. Alles<br />

sah düster aus. Anstossend an das Haus war ein grosser, prächtig gelegener<br />

Schlossgarten, der aber zur Hälfte zur gänzlichen Wildnis herabgesunken<br />

war. Die Umfriedungsmauer u. Zugänge waren verwittert zerbröckelt u. zum<br />

Teil ganz zerfallen. Nebenan stand eine sehr grosse Scheune mit<br />

Wirtschaftsgebäude. Das grosse Landgut samt diesen dazugehörenden<br />

Gebäulichkeiten war <strong>von</strong> der Gemeinde käuflich erworben worden, damit es<br />

nicht<br />

in protestantische Hände falle. Es hatte früher einer Familie de Maillardoz de<br />

Rue gehört. Das Land wurde nun <strong>von</strong> der Gemeinde stückweise teils<br />

verkauft teils verpachtet (Die schöne Scheune samt Wirtschaftsgebäude<br />

wurde später abgetragen u. verkauft u. auf diesem Platze steht jetzt das neue<br />

Schulhaus <strong>von</strong> Gurmels) Alles kam mir so düster u. schwermütig vor u. ich<br />

rief zu Gott sich meiner zu erbarmen. Nach 1-2 Tagen kam eine freundliche<br />

Person aus dem nächsten Hause zu mir u. bat mich bei ihnen vorzusprechen,<br />

wenn ich etwas bedürfe. Unter anderm sagte sie: fürchten sie sich nur nicht,<br />

wenn man ihnen etwa sagt, es geistere u. sei nicht geheuer im Hause, es ist<br />

nichts daran". Ich hatte noch nichts <strong>von</strong> dem gehört u. sagte lachend: "Nein,<br />

nein, solche Geister fürchte ich nicht im Geringsten, die existieren in allen<br />

alten Schlössern, aber immer als leeres Geschwätz". - Und so war es auch<br />

hier. Diese Person war Cirila Rossier u. lebt heute noch.<br />

Sie ist längst Urgrossmutter u. auch die Grossmutter unserer Lb.<br />

Mitschwester Frohmunde Rotzeter. Sie u. ihre Familie waren u. sind den<br />

<strong>Schwester</strong>n stets gute Nachbarsleute geblieben u. letzten Frühling noch


- 43 -<br />

erzählte mir <strong>Schwester</strong> Frohmunde, dass ihre bald 90 jährige Grossmutter<br />

immer vorhabe mich noch einmal zu besuchen. Nach ein paar Tagen kam<br />

der Gemeinde-Amman. Er entschuldigte sich wegen vorhandener Misstände<br />

am Gebäude u. versprach auf Verbesserung hinzuwirken, was ihm auch nach<br />

u. nach gelang. Er war ein guter, alter Mann u. hiess Johann Anderset. Unter<br />

andern sagte er: "Wir hätten ein besseres Haus unten bei der Kirche, schauen<br />

sie dort die Bäckerei mit den schönen Granienstöcken. Aber Herr Staatsrat<br />

Schaller, der gegenwärtige Erziehungspräsident, wollte die Schule hier oben<br />

haben. Ich zürnte heimlich Hr. Schallet, sah aber später ein, dass er Recht<br />

hatte u. klarer gesehen als ich. Am nächsten Sonntag wurde in der<br />

Pfarrkirche verkündet, dass alle Schulen der Pfarrei am Nachmittag des 2.ten<br />

Seite 85:<br />

Seite 86:<br />

November beginnen werden. Ich freute mich, denn ich sehnte mich nach den<br />

Kindern. Und wirklich, meine Schülerinnen erschienen vollzählig zur<br />

bestimmten Zeit, was mich sehr freute. Von der Schulkommission aber<br />

erschien nur der Gemeindeammann für einige Minuten, sie hatten alle keine<br />

Zeit. Nun, die Hauptsache, die Kinder, war da u. wir hatten bald<br />

Bekanntschaft gemacht u. Freundschaft geschlossen. Um ihnen Freude zu<br />

machen entliess ich sie fürs erstemal schon nach 1 1/2 Stunden. Und so<br />

kamen die Kinder täglich vollzählig zur Schule, was mich sehr angenehm<br />

überraschte. In Ueberstorf war das nicht so gewesen. Die vielen<br />

Schulabsenzen bildeten dort ein rechtes Schulkreuz. Es kam wohl meistens<br />

daher, weil dort die meisten Kinder einen weiten Schulweg haben u. das war<br />

nun in Gurmels nicht der Fall. in allen Jahren meiner dortigen Wirksamkeit<br />

hatte ich in dieser Beziehung keinerlei Schwirigkeit u. keinen einzigen<br />

Warnung- od. Straffall zu verzeichnen. Die Schule ging nun<br />

ihren ruhigen Gang u. ich gab mich zufrieden.: Es fehlte mir eigentlich<br />

nichts als die Mitschwester, aber ich mangelte diese hier mehr als in<br />

Ueberstorf. Es war jedoch keinerlei Aussicht vorhanden auf Erfüllung dieses<br />

heimlichen Wunsches. Ich heizte täglich zweimal tüchtig den Ofen, lüftete<br />

fleissig u. so trockneten die nassen Wändemauern u. niemand wurde krank.<br />

Holz hatten wir genug. Bald glaubte ich zu beobachten, dass die Kinder<br />

nicht so geweckt waren, wie in Ueberstorf. Sie kamen mir auffallend<br />

langsam vor, dafür aber sehr gutwillig u. ruhig. Da hiess es Geduld lieben u.<br />

sich anpassen. Nach u. nach fühlte ich es nicht mehr viel u. später sah ich<br />

ein, dass es so im Volkscharakter dieser Gegend liegt u. durchaus nicht auf


- 44 -<br />

Mangel an Intelligenz schliessen lässt. In spätern Jahren konnte ich<br />

ähnlichen Vergleich ziehen zwischen Oberiberg u. Muotathal, so dass es mir<br />

schwer erklärlich schien, wie dort in so geringer Entfernung der<br />

Volkscharakter so verschieden sein kann.<br />

Seite 87:<br />

Seite 88:<br />

Gegen Ende November erhielt ich ein Schreiben vom Oberamt in Murten,<br />

worin mir mitgeteilt wurde, es werde nächste Tage eine <strong>Schwester</strong> <strong>von</strong><br />

Ingenbohl eintreffen um die Arbeitsschulen der zur Pfarrei Gurmels<br />

gehörenden Gemeinden Liebistorf, Cordast, Wallenried, sowie auch der<br />

Gemeinden Bärfischen u. Grissach zu übernehmen. Die <strong>Schwester</strong> werde bei<br />

mir in Gurmels wohnen. Dies geschehe im Auftrag der Erziehungs-Direktion<br />

Freiburg. Für ein Bett werde die Gemeinde Cordast sorgen. Ich war ganz<br />

erstaunt u. höchst überrascht über diese Mitteilung, denn ich hatte vorher<br />

nicht das Geringste hie<strong>von</strong> gehört. oder vernommen. Die ganze Sache kam<br />

mir sonderbar, ja fast bedenklich vor. Bald kam mir der Gedanke: vielleicht<br />

will dich der liebe Gott auf diese Weise erhören, lasse du allem freien Lauf. -<br />

Ich begab mich sogleich zum Hr. Pfarrer u. zeigte ihm das Schreiben. Auch<br />

er war erstaunt, denn auch er hatte keinerlei Kenntnis <strong>von</strong> der Sache. Im<br />

übrigen teilte er genau meine Ansicht. Nun begrüsste ich noch den<br />

Gemeindeammann. Auch er sagte, es sei ihm <strong>von</strong><br />

keiner Seite eine Mitteilung über diese Sache zugekommen, er habe auch<br />

nichts da<strong>von</strong> gehört. Er selbst habe nichts gegen diese Einrichtung u. er<br />

glaube, auch niemand in der Gemeinde habe etwas dagegen, die Leute seien<br />

gut gesinnt gegen <strong>Schwester</strong>n. Er beobachtete auch mein Erstaunen u. sagte<br />

lächelnd: "Wissen sie, die Gemeinde steht seit einiger Zeit unter Couratel,<br />

wegen früherer Misswirtschaft. Ich bin nur so ein Strohkönig, befohlen wird<br />

in Freiburg." Ich war vorläufig beruhigt. Was es heisst, unter Couratel<br />

stehen, erfuhr ich erst nach u. nach. - Am folgenden Tage brachte die<br />

Gemeinde Cordast ein vollständiges neues Bett. Ich liess es in mein Zimmer<br />

stellen. Und am 3.ten Tag, gegen 9 Uhr abends, es war ganz finster, klopfte<br />

es an der Haustüre. Und wirklich, eine <strong>Schwester</strong> stand da. mit schwerer<br />

Reistasche in der Hand. Es war die Novizin Schw. Agapita Eisengrein. Sie<br />

war totmüde u. erzählte, sie komme <strong>von</strong> der Eisenbahn-Station Düdingen zu<br />

Fuss u. sei wohl 2 - 2 1/2 Std. auf dem Weg gewesen. Bei Klein-Gurmels<br />

habe sie die Richtung gegen Laupen einge-


- 45 -<br />

Seite 89:<br />

schlagen u. sei so vom rechten Weg abgekommen. Glücklicher weise sei ihr<br />

ein Mann begegnet, der ihr mitleidig die schwere Tasche abnahm u. trug, ihr<br />

den rechten Weg wies u. sie begleitete bis nahe zu unserm Hause. Es stellte<br />

sich heraus, dass es ein in Grunenburg wohnender Protestant war. Schnell<br />

gab ich der <strong>Schwester</strong> trockene Strümpfe u. Schuhe, denn der Weg war nass<br />

gewesen, weil es leicht schneite u. bereitete ihr einen wärmenden Croc u.<br />

dann noch etwas Kräftiges zu essen u. ein warmes Bett. Sie begab sich<br />

sogleich zur Ruhe u. schlief die ganze Nacht. Am morgen befahl ich ihr<br />

liegen zu bleiben bis Mittag, was sie gerne tat u. dann war sie wieder wohl u.<br />

munter. Ich aber sagte staunend zu mir selbst: "ist es denn wirklich wahr,<br />

dass wir nun zwei sind"? Wie gut ist Gott gegen dich, dass er auf eine so<br />

ungeahnte u. ungehoffte Weise deinen heimlichen Wunsch erfüllte"<br />

Wir warteten nun ruhig der Dinge die da kommen sollten. Und schon im<br />

Laufe der gleichen Woche erschien ein Herr bei uns u. stellte sich als den<br />

Oberamtmann des Seebezirks vor. Es war Hr. Alex Bourqui, ein sehr<br />

Seite 90:<br />

Seite 91:<br />

freundlicher, wohlwollender Mann, Berner-Jurassier u. guter Katolik, Er<br />

sagte, er habe diese ganze Angelegenheit, im Auftrag den<br />

Erziehungspräsidenten Hr. H. Schaller, eingeleitet. u. besorgt. Die <strong>Schwester</strong><br />

habe nun nächste Woche mit der Arbeitsschule zu beginnen u. zwar am<br />

Montag Nachmittag in Liebistorf, Dienstag in Cordast, Mittwoch in<br />

Bärfischen, Donnerstag Vormittag in Wallenried u. Nachmittag in Courtepin<br />

u. Freitag in Grissach. Der Erleichterung wegen werde sie am Donnerstag in<br />

Wallenried im Schlosse des Hr. de Castella das Mittagessen erhalten um <strong>von</strong><br />

dort aus nach Courtepin gehen zu können. Die betreffenden Behörden werde<br />

er sofort in Kenntnis setzen. Und sollte es dann irgendwo fehlen od. etwas<br />

nicht in Ordnung sein, so möchten wir es ihm sogleich mitteilen. Dieser gute<br />

Herr war während seiner ganzen Amtszeit in Murten uns <strong>Schwester</strong>n sehr<br />

gewogen, ja wie ein guter Vater. Sein Wunsch war recht viele <strong>Schwester</strong>n in<br />

den Kanton zu bekommen zur Erziehung der weiblichen Jugend.<br />

Unterdessen hatte ich auch vom Mutterhaus eine kurze Anzeige erhalten. Ich<br />

möchte zusehen, wie das etwa zu<br />

machen u. anzugreifen sei u. ob es überhaupt gehe. Wir wussten nun jetzt,<br />

woran wir waren u. was wir zu tun hatten. Wohlgemut zog die <strong>Schwester</strong> am<br />

nächsten Montag Mittag aus. Es kamen einige Schülerinnen um sie


- 46 -<br />

abzuholen. Und so ging es täglich. Den Samstag hatte sie frei, denn die<br />

Arbeitsschule für meine Schülerinnen hielt sie selbst. Ueberall wurde die<br />

<strong>Schwester</strong> Arbeitslehrerin freundlich aufgenommen u. es ging ihr gut. u. sie<br />

fühlte sich glücklich dabei. Nur die französische Sprache ist den 4<br />

französischen Schulen machte ihr etwas Mühe, war aber zugleich eine<br />

Uebung für sie.<br />

Gegen Ostern schrieb mir die liebe Frau Mutter, sie möchte die lb.<br />

<strong>Schwester</strong> Agapita gern wieder zurücknehmen, denn sie sollte weiter<br />

studieren u. sich ein französisches Lehrpatent erwerben. Ich soll mich<br />

erkundigen, ob dies anginge ohne erhebliche Schwirigkeiten. Ich antwortete<br />

sofort, nach meiner Ansicht stehe ihrem Wunsche nichts <strong>von</strong> Bedeutung im<br />

Wege u. könne dieser Wechsel sich ohne weitere Schwirigkeiten vollziehen.<br />

Und so geschah es. Die lb. Schw. Agapita kehrte in der Charwoche ins<br />

Seite 92:<br />

Mutterhaus zurück u. am gleichen Tage abends kam lb. <strong>Schwester</strong> Edburga<br />

Benz an, auch als neu eingekleidete Novizin. Auch sie trat ihren Posten<br />

mutig u. freudig an u. alles ging einen ruhigen, friedlichen Gang. An den<br />

Vormittagen u. in der freien Zeit arbeitete Schw. Edburga viel für die<br />

Pfarrkirche durch flicken, Spitzen knüpfen u. verschiedene Anfertigung<br />

neuer Kirchensachen Der gute alte Pfarrer hatte viel Freude daran u. war<br />

sehr zufrieden nun jemand zu haben, der ihm Sakristei in Ordnung hielt.<br />

(d.h. die kirchlichen Gewänder.)<br />

Er zahlte uns sehr nobel dafür u. was weit höher zu schätzen, stets wachte<br />

sein väterliches Auge über uns u. suchte unser geistiges u. leibliches Wohl<br />

nach Kräften zu fördern. Ich glaube, nie hat eine <strong>Schwester</strong> einen<br />

Augenblick an seinem Wohlwollen gezweifelt, obschon er sich durch nichts<br />

zurückhalten liess, wenn er eine Rüge für notwendig oder nützlich fand. Er<br />

verdiente wahrhaft den Namen "Vater und Freund".<br />

In die Schule mischte er sich nicht u. war auch nicht in der<br />

Schulkommission. Er besuchte jede Schule seiner Pfarrei 2-3 mal im Jahre,<br />

ermahnte die Kinder zum Gehorchsam u. zum Fleiss u. fragte, ob das eine<br />

oder andere<br />

Seite 93:<br />

Anlass zu besonderer Klage gebe. Die Kinder waren jedesmal auffallend<br />

gespannt auf seine Bemerkung u. freuten sich sehr, wenn sie ein Wort des<br />

Lobes <strong>von</strong> ihm erhielten. Als ich ihn einlud, auch uns <strong>Schwester</strong>n zu


- 47 -<br />

besuchen, sagte er: "Zu Euch komme ich zweimal im Jahre, dann dürft ihr<br />

mich bewirten". Und so geschah es auch u. das war für uns jedesmal eine<br />

grosse Freude u. ein wahrer geistiger Genuss. Bei dieser Gelegenheit sagte<br />

er einst zu uns: Mich könnt ihr jeden Abend um 5 Uhr in der Kirche treffen,<br />

wo ich meine Stunde halte u. gern auch in den Beichtstuhl gehe, wenn es<br />

gewünscht wird. Ihr dürft täglich kommen, ich bin stets bereit, wenn mich<br />

nicht ganz besondere Geschäfte verhindern. Geht nur nie unruhig zur hl.<br />

Kommunion". Bei erster Gelegenheit erzählte ich dies der lieben seligen<br />

Frau Mutter Theresia u. sie rief aus: "O, ihr glücklichen Kinder! O, wenn<br />

doch alle <strong>Schwester</strong>n einen so guten Pfarrer hätten". Und als sie nach<br />

Gurmels kam uns zu besuchen, logierte sie bei ihm u. er freute sich sehr<br />

darüber. Auch wir beide <strong>Schwester</strong>n durften beim Nachtessen mithalten u. es<br />

war für uns ein sehr schöner, auch geistig genuss-<br />

Seite 94:<br />

reicher Abend. An diesem Abend erteilte die selige Mutter uns auch die<br />

Erlaubnis zwei bis dreimal im Jahre bei Herrn Pfarrer zu speisen. Nach<br />

ungefähr 2 Jahren kam die Ehrw. <strong>Schwester</strong> Conrada Bilger, damals<br />

Assistentin bei lb. Frau Mutter, zu uns um Visitation zu halten. Es war<br />

Sonntag abend im Septemb. am Freiburger-Kirchweihfeste Wir waren vom<br />

Herrn Pfarrer zum Nachtessen eingeladen. Ich sagte es ihr u. wollte zugleich<br />

gehen um abzusagen. "O nein", rief sie aus, sagen sie nicht ab, sondern<br />

fragen sie an, ob sie mich mitbringen dürfen. Ich freue mich königlich<br />

darauf, denn die liebe Frau Mutter erzählte mir einst, welch schönen Abend<br />

sie bei Hr. Pfarrer in Gurmels erlebt habe". Und wir gingen alle drei und<br />

wurden alle drei mit Freuden aufgenommen und bewirtet u. auf eine für uns<br />

recht angenehme u. lehrreiche Weise unterhalten.<br />

Auch die Köchin des Hr. Pfarrers war eine ausgezeichnete Person, klug, treu<br />

u. den <strong>Schwester</strong>n sehr wohlwollend gesinnt, d. h. ausgestattet mit allen<br />

Eigenschaften einer<br />

Seite 95:<br />

guten Pfarrersköchin. Es war Jungfrau Maria Hayoz <strong>von</strong> Wallenbuch. Sie<br />

bleibt mir unvergessen. Der liebe Gott wolle ihr alles Gute, das sie uns<br />

getan, vergelten mit erhöhter Seligkeit im Himmel.<br />

Bei jedem Zusammensein benützte der Herr Pfarrer die Gelegenheit uns gute<br />

Lehren zu geben, (die uns mehr nützten als lange Reden), für den Fortschritt<br />

im Geistesleben. Was er uns empfahl, übte er auch an sich selbst. Einst


- 48 -<br />

sprach er auch über grosse körperliche Strengheiten vieler Heiligen, die wir<br />

nicht nachahmen können. Um uns aber doch zu christlicher<br />

Selbstüberwindung u. Abtötung zu ermuntern, sagte er, obschon er sonst<br />

selten <strong>von</strong> sich selbst redete, folgendes: "An den gewöhnlichen Tagen des<br />

Jahres mache ich es mit dein Fasten so: Am Sonntag faste ich nicht, am<br />

Montag faste ich den Wein, am Dienstag den Zucker, am Mittwoch u.<br />

Samstag das Fleisch, am Donnerstag den Käse u. am Freitag den Caffee.<br />

Nun ratet, rief er lachend, was mich am meisten kostet? Den Caffee zu<br />

fasten, ja, den Caffee, das kostet mich viel, alles andere wenig". Er ass<br />

nämlich nur dreimal<br />

Seite 96:<br />

im Tage. Am morgen Kaffee mit Brot u. Käse, um halb 12 Uhr Mittagessen<br />

u. abends 6 Uhr Kaffee mit Zubehör. An den gebotenen Fasttagen und<br />

während der 40-tägigen Fasten fastete er streng nach kirchlicher Vorschrift,<br />

bis ins Alter. Wir konnten beobachten, dass er, wenn Ostern nahe war, aus<br />

Schwäche ohne Stütze fast nicht mehr gehen konnte. Sobald aber die<br />

Fastenzeit vorbei war erholte er sich auffallend schnell. Von uns <strong>Schwester</strong>n<br />

jedoch verlangte er an den Fasttagen nur sehr wenig,<br />

Dass er sich stets in strenger Selbstzucht hielt geht auch aus folgendem<br />

hervor: Als 80 jähriger Greis erzählte er mir einst bei heiterer Laune: Als ich<br />

noch bei den Jesuiten in Freiburg 14 jähriger Student war, führte uns einst<br />

der Spaziergang durch einen Wald, worin reife Heidelbeeren waren. Ich<br />

suchte recht viele zu pflücken u. zu essen, denn ich liebte sie sehr. Abends 5<br />

Uhr war eine Unterrichtsstunde. Bevor die Lektion begann schaute uns der<br />

gestrenge Hr. Professor scharf an u. sagte dann zu mir: "Peter, geh an den<br />

Brunnen u. wasche deinen Mund". Ich gehorchte stillschweigend, schwur<br />

aber in meinem Zorn schon auf dem Wege, niemals mehr in meinem Leben<br />

Heidelbeeren zu essen u. ich habe es pünktlich gehalten bis heute. Obschon<br />

er die Heidelbeeren so sehr liebte, benützte er diese Gelegenheit zur<br />

Abtötung.<br />

Weiter erzählte er: Während den Exerzitien vor dem Empfang der undern<br />

Weihen, fasste ich den Vorsatz nie mehr zu rauchen. Ich habe ihn niemals<br />

gebrochen, sondern getreulich gehalten bis heute. Ein andermal erzählte er<br />

mir: Beim Empfang der höhern Weihen durften wir drei besondere Wünsche<br />

tun. Einer <strong>von</strong> den meinigen war: ich bat den lieben Heiland, dass ich nie in


- 49 -<br />

meinem Leben jemanden auf sinnliche Weise liebe u. dass ich nie <strong>von</strong><br />

jemanden auf sinnliche Weise geliebt werde. Ich meine, der liebe Heiland<br />

hat mich erhört. Nun begriff ich leichter, dass er sich nie im geringsten<br />

kränkte, wenn er Widersacher hatte. Möchte nur alles zum Heile der Seelen<br />

geschehen, war dann seine Rede. Einst kamen wir auf die katolischen<br />

Ordensgenossenschaften zu sprechen. Ich liebe u. hochschätze alle<br />

Ordensleute, als bevorzugte Kinder der Kirche, sagte er. Am liebsten aber<br />

habe ich die Kapuziner u. alle Franziskuskinder der 3 Orden. Sie sind<br />

diejenigen, <strong>von</strong> welchen unser Volk u. wir Priester am meisten Hilfe haben".<br />

Er war den Kapuzinern<br />

Seite 98:<br />

ein grosser Wohltäter u. kranken u. alten Patres liess er oft etwas Stärkendes<br />

zukommen. Er trat auch dem 3.ten Orden bei u. war u. blieb ein eifriges<br />

Mitglied bis zu seinem Tode. Seine Köchin erzählte uns: "Sobald er<br />

Ordensmitglied war, entäusserte er sich alles Ueberflüssigen. Seither besitzt<br />

er stets nur noch 2 Paar Schuhe (gröbere Lederschuhe) Wird ein Paar<br />

schadhaft, lässt er sie ausbessern u. schenkt sie einem Armen. Aehnlich<br />

macht er es mit seinen andern Kleidungsstücken. Seine schönen, leinenen<br />

Hemden, die ich selbst gesponnen (sie beschäftigte sich im Winter auch mit<br />

spinnen), hat er f bis auf 6 St. alle den Armen gegeben. Seine grosse<br />

Wohltätigkeit kam erst nach seinem Tode so recht an die Oeffentlichkeit. Er<br />

bemühte sich nämlich stets seine guten Werke geheim zu halten u.<br />

bevorzugte stets die verschämten Hausarmen. In spätern Jahren, als er u.<br />

seine Köchin wegen Gicht in den Fingern nicht mehr wohl konnten, musste<br />

ich monatlich seine Geldrollen machen, d. h. viele Paketchen mit 3-5-10-15<br />

frcs. Inhalt. Diese übergab er heimlich an Hausarme u.s.w.<br />

Einfachheit, gerades, gerechtes Wesen u. wahre Herzensdemut waren<br />

Grundzüge seines schönen, goldlauteren, edlen Charakters.<br />

-oooooooooo-<br />

Seite 99:<br />

<strong>Erinnerungen</strong> <strong>von</strong> Schw. <strong>Cassilda</strong> <strong>Joos</strong>. III. Heft.<br />

Auch eine andere grosse Wohltäterin gab uns die göttliche Vorsehung in der<br />

Person der Mademoiselle Marie de Fégely de Vivis. Diese ausgezeichnete<br />

Dame gehörte einem der vornehmsten Patriziergeschlechter Freiburgs an,<br />

war aber die letzte ihres Namens. Ihr Vater war französischer Marechal


- 50 -<br />

gewesen. Im Sommer wohnte sie in ihrem Schlosse in Petit Vivis (klein<br />

Vivers) zwischen den Pfarreien Gurmels u. Bärfischen gelegen, im Winter in<br />

der Stadt Freiburg. Sie besass Landgüter in den Gemeinden Gurmels u.<br />

Bärfischen. Eines derselben in der Gemeinde Gurmels-Monterchu gelegen,<br />

ging später nach ihrem Tode lt. Testament an die Pfarreien Gurmels u.<br />

Bärfischen über, zur Gründung eines Waisenhauses. Es wirken jetzt dort<br />

<strong>Schwester</strong>n aus dem Institut Baldegg, weil es damals <strong>von</strong> unserm Institute<br />

Ingenbohl, wegen Mangel an <strong>Schwester</strong>n, nicht übernommen werden<br />

konnte. Diese genannte Dame versah<br />

Seite 100: uns <strong>Schwester</strong>n in Gurmels mit allem etwa noch fehlenden. Wir erhielten ein<br />

3.tes Bett, genügend Bett- u. Küchenwäsche, Bett- u. Fenstervorhänge<br />

(Roullon) u. andere notwendige u. nutzbringende Dinge. Wir brauchten es<br />

ihr nur zu sagen, wenn uns etwas fehlte u. sie sorgte für uns wie eine gute<br />

Mutter. Auch für Material für die Arbeitsschule war sie besorgt, was eine<br />

grosse Wohltat war u. <strong>von</strong> Zeit zu Zeit versah sie uns mit Geld zur<br />

Unterstützung verschämter Armen. Gegen unser Institut zeigte sie sich stets<br />

sehr geneigt u. hatte grosse Hochachtung u. Ehrfurcht vor der lb. sl. Mutter<br />

Theresia und vor unserm sl. Stifter, dem Hochw. Pater Theodosius, (Siehe<br />

Seite 146) den sie gut gekannt hatte Ein Patengeschenk, das bei ihrer Taufe<br />

in einer Casse an Zins gelegt wurde, war nun auf l000 frcs. tausend Frank.<br />

angewachsen. Da übersandte sie diese Summe der lb. Frau Mutter Theresia<br />

sl. als Unterstützung u. Mitgift für eine arme, aber brave Kandidatin (Sr.<br />

Canisia Fuchs, Elsässerin, zugewendet).<br />

Seite 101: Im Umgange war Frl. Marie de Fégely die vornehme, edle Dame vom Fuss<br />

bis zum Scheitel, ächte Aristokratin, dabei aber höchst liebenswürdig,<br />

wahrhaft fromm u. herablassend. (Siehe Seite 145)Von ihr sagte einst der<br />

Pfarrer P. Roggo: "Fräulein Fégely ist <strong>von</strong> allen Adeligen, die ich kenne,<br />

weit die Beste." Und das war <strong>von</strong> ihm viel gesagt, denn es war nicht seine<br />

Art, den Adeligen Complimente zu machen. Sie ruht in Bärfischen, im Chor<br />

der Pfarrkirche, in der Familiengruft begraben.<br />

Auch die Gemeinde liess sich nun herbei zur Verbesserung unserer<br />

Wohnung u. des ganzen Gebäudes. Vor allem erhielt das Haus eine neue<br />

Bedachung u. wir waren der Mühe enthoben bei Regenwetter u.<br />

Schneeschmelze Kübel u. Kessel unterstellen zu müssen, um in der Nacht


- 51 -<br />

trocken zu bleiben. Die Gartenmauer u. Zugänge wurden ausgebessert u. mit<br />

Steinplatten neu gedeckt. Im Wohn- u. Schulzimmer gab es neue Fenster u.<br />

neue Böden u. neue Oefen. Die Küche erhielt einen neuen Kochherd. Schulu.<br />

Wohnzimmer wurden mit Holz getäfert, das Wohnzimmer unterschlagen<br />

u. beide Zimmerchen gefällig gestrichen.<br />

Seite 102: Auf dem Estrich wurde ein Zimmerchen bewohnbar hergerichtet u. dahin<br />

stellten wir das 3te Bett.<br />

So hatte der liebe Gott wahrhaft väterlich für uns gesorgt, ja bis zum<br />

Ueberfluss. Es erwahrte sich auch das Wort des Pfarrers P. Roggo, das er<br />

mir anfänglich zum Troste sagte: "Es ist besser, es gehe im Anfang nicht so<br />

gut, es kommt dann später besser."<br />

Nach einigen Jahren wurden auf Anregung des Hrn. Oberamtmann A.<br />

Bourqui für die Gesamtschule in Wallenried u. für die Mädchenschule in<br />

Grissach u. auch für die neu gegründete katolische Schule in Murten<br />

<strong>Schwester</strong>n <strong>von</strong> Ingenbohl berufen. Die Arbeitsschulen <strong>von</strong> Wallenried u.<br />

Grissach fielen nun für <strong>Schwester</strong> Edburga in Gurmels weg. Dafür erhielt sie<br />

die neugegründete Schule in Gross-Guschelmuth, Pfarrei Gurmels. Es blieb<br />

ihr also noch Arbeit genug. Es war geradezu erstaunlich mit welchem Mut<br />

die liebe <strong>Schwester</strong> Edburga ihren Posten besorgte. Mochte das Wetter noch<br />

so ungünstig, der Weg noch so schlecht sein, sie blieb nie zu Hause,<br />

Seite 103: sondern zog mutig aus. Ich erinnere mich nicht, dass sie ein einziges Mal<br />

gefehlt hätte. Wallenried u. Courtepin bediente sie am gleichen Tage. Früh<br />

morgens 6 Uhr machte sie sich auf den Weg, im Winter mit dem Laternchen<br />

in der Hand, um zeitig in Wallenried bei der halbacht Uhr Messe zu<br />

erscheinen u. nachher Schule zu halten bis 11 Uhr. Dann erhielt sie im<br />

Schlosse des Herrn de Castella ein gutes Mittagessen. Die gute, alte<br />

Schlossköchin Marianne, eine Elsässerin, blieb auch im Winter im Schlosse,<br />

während die Herrschaft sich zu dieser Zeit in Paris oder Freiburg aufhielt.<br />

Um 1 Uhr musste die <strong>Schwester</strong> in Courtepin sein u. dort Schule halten bis 4<br />

Uhr. Bei den kurzen Wintertagen bricht um diese Zeit bald die Dämmerung<br />

an u. wenn sie heimkam, war es schon dunkel, ja Nacht. Jedesmal litt ich<br />

Kummer bis ich sie zu Hause sah, denn Courtepin ist 5/4 Stunden <strong>von</strong><br />

Gurmels entfernt u. Bärfischen ist nicht viel näher. Dazu sind die Wege sehr<br />

einsam u. führen teilweise durch Wälder. Ich wandte mich jedesmal an die


- 52 -<br />

Seite 104: armen Seelen, betete für sie u. bat sie um Schutz. Und jedesmal stand auch<br />

die <strong>Schwester</strong> plötzlich wohlbehalten u. wohlgemut da, schüttelte den<br />

Schnee ab, zog die Schneestiefel aus u. lachte über meine unnötige Sorge.<br />

Der Winter 1880/81 war ausserordentlich kalt u. streng, so dass sich auch die<br />

ältesten Leute nicht an so etwas erinnerten. Die <strong>Schwester</strong> wurde <strong>von</strong> Frl. de<br />

Fégely mit verschiedenen warmen, leichten Kleidungsstücken versehen.<br />

Unter anderm erhielt sie eine mit Seidenwatte gefütterte Pelerine u. die liebe<br />

Frau Mutter Theresia schickte ihr einen kurzen, leichten u. doch warmen<br />

Mantel, der auch bei verschneitem Weg gut zu tragen war. Wir lachten oft<br />

über diese Montour, aber sie war praktisch u. tat gute Dienste, u. das war<br />

doch die Hauptsache. Das Angesicht suchte sie sich zu schützen durch eine<br />

Art Maske (Gesichtsbedeckung), die sie sich selbst aus weisser Wolle<br />

anfertigte, so dass nur die Augen unbedeckt blieben. Diese Maske trug sie,<br />

Wenn es finster war u. auch sonst, wenn gerade keine Leute des Weges<br />

kamen, was meistens<br />

Seite 105: der Fall war, denn wer nicht musste, ging nicht aus. Wenn ich über ihr<br />

Costume lachte, sagte sie, es achtet das niemanden, denn jeder der mir<br />

begegnet ist eingemummt bis über die Ohren u. Augen. Und doch erfroren<br />

der <strong>Schwester</strong> Nase u. Wangen, so dass dicke Geschwulste entstanden, als<br />

gegen Ende Februar die grosse Kälte brach u. Tauwetter eintrat. Wir hatten<br />

recht Angst. Doch es heilte wieder ohne den geringsten Nachteil zu<br />

hinterlassen. "Die armen Seelen müssen mich heilen", sagte die <strong>Schwester</strong>,<br />

denn für sie habe ich auf dem Wege die grosse Kälte ertragen u. aufgeopfert.<br />

Und ihre Erwartung wurde nicht getäuscht.<br />

So besorgte <strong>Schwester</strong> Edburga Benz, eine Elsässerin, diese Arbeitsschulen<br />

14 Jahre mit vorbildlicher Pünktlichkeit. Sie blieb gesund u. wohl, war<br />

niemals krank. Und so, wie ich mich erinnere, hat sie nicht ein einziges mal<br />

die Schule gefehlt, oder nicht zur rechten Zeit gehalten, mochten Weg u.<br />

Wetter noch so ungünstig sein. Selbst durch hohen Schnee, wodurch am<br />

frühen Morgen<br />

Seite 106: noch niemand gegangen, ist sie durchgewatet u. doch blieb sie gesund,<br />

fröhlich u. heiter. Hie u. da sagte sie lachend zu mir: "Ich habe doch viele<br />

Freuden, denn am Abend freue ich mich schon auf dem Heimweg königlich<br />

auf den warmen Kaffee, auf den grossen geheizten Ofen, auf den ich mich


- 53 -<br />

nun setze um mich gehörig durchzuwärmen u. auf den gemütlichen Abend in<br />

der warmen Stube. Dann erzählte sie mir ihre etwaigen Erlebnisse während<br />

des Tages.<br />

Es sei hier lobend erwähnt, dass wir in allen Jahren keinerlei<br />

Unannehmlichkeiten hatten mit den betreffenden Gemeinde- u.<br />

Schulbehörden u. auch in keiner andern Weise. Auch auf den weiten<br />

Schulwegen ist ihr nie etwas Misshelliges oder Unangenehmes begegnet u.<br />

die Bevölkerung war überall wohlwollend u. zuvorkommend. Ich litt oft<br />

Angst, wenn ich die <strong>Schwester</strong> so allein auf einsamen Wegen wusste, sie<br />

selbst aber äusserte nie Angst u. sagte stets, es sei keine Ursache dazu.<br />

Einst kam Schw. Edburga aus den hl. Exerzitien zurück u. erzählte mir mit<br />

einem Anflug <strong>von</strong> Stolz folgendes:<br />

Seite 107: "Denken Sie, als ich zur lieben Frau Mutter Theresia Scherer ins Zimmer<br />

getreten, schaute sie mich einige Augenblicke fest an u. sagte dann zu mir:<br />

"sie machen mir eine grosse Freude, denn sie sind die erste, die während<br />

diesen Exerzitien zu mir kommt u. ein gesundes u. frisches Aussehen hat".<br />

Ja liebe Frau Mutter, sagte ich, ich bin ganz gesund u. zufrieden. "Danken<br />

sie dem 1b. Gott wozu sie alle Ursache haben", sagte sie dann weiter. Und so<br />

frisch u. gesund war Schw. Edburga noch, als sie nach 14 Jahren versetzt<br />

wurde u. einen andern Wirkungskreis erhielt. (Siehe Seite 119)<br />

Jede Woche war der ganze Freitag den Religionsunterricht gewidmet. Er<br />

wurde <strong>von</strong> Hochw, Herrn Pfarrer erteilt u. zwar in der Kirche in zwei<br />

Abteilungen, die ältern Schüler Vormittag u. die jüngern Nachmittag. Alle<br />

Schüler der Pfarrei, mit Ausnahme Wallenried, hatten zu erscheinen. Für die<br />

Kinder der zwei untersten Klassen jedoch wurde der Katechismusunterricht<br />

vom Hochw. Herrn Kaplan am Freitag Nachmittag im Mädchen-<br />

Schulzimmer erteilt.<br />

Seite 108: In der Kirche sollte beim Unterricht abwechselnd ein Lehrer dabei sein u.<br />

die Aufsicht halten. Aber es war kein gesuchtes Aemtchen u. so blieben den<br />

die Lehrer sehr oft aus u. der gute alte Hr. Pfarrer hatte Mühe die Disciplin<br />

aufrecht zu halten. Und nun fiel mir diese Aufgabe zu. Es war wirklich kein<br />

beneidenswertes Amt, 70-80 u. noch mehr, mutwillige, zerstreute Kinder in<br />

Ruhe halten. Oft litten sie auch <strong>von</strong> Kälte in ungeheizter Kirche, waren<br />

müde u. hungrig vom weiten Weg u. klopften eifrig mit ihren kalten Füssen.


- 54 -<br />

Es gab manche ergötzliche Scene, aber auch hie u. da Aerger u. ein oder<br />

andermal erhielt ich wohl keine schmeichelhaften Titel. Glücklicherweise<br />

waren auch die grössern Knaben nicht eigentlich boshaft od. gar verdorben<br />

u. <strong>von</strong> ihren Schullehrern wurden sie zum Gehorchsam ermahnt, denn jeder<br />

wusste aus eigener Erfahrung wie schwierig mein Amt war. An Sonn u.<br />

Feiertagen hatten die Schulknaben während des Gottesdienstes ihren Platz<br />

im Chor u. ein Lehrer musste die Aufsicht halten. Einst während dem<br />

Seite 109: Religionsunterrichte kicherten die Knaben mehr als gewöhnlich u. ich sah,<br />

dass sie kaum das Ende erwarten mochten. Nach dem Gebet sagten sie zu<br />

mir: "<strong>Schwester</strong>, schauen sie schnell, wer dort an der Chormauer ist". Und<br />

richtig, sie hatten am gestrigen Feiertage, während der Vesper, den<br />

abwesenden Aufseher mit Stift an die Mauer gezeichnet mit höchst zornigem<br />

Gesichte. Sie hatten es zum Staunen zutreffend fertig gebracht u. darunter<br />

geschrieben: C. Egger, Lehrer! Ich erschrak u. rief Hr. Pfarrer herbei. Er<br />

lachte herzlich u. sagte zu mir: Lassen sie es stehen. Der Lehrer soll es am<br />

Sonntag sehen u. selbst entfernen. Warum war er nicht auf seinem Posten".<br />

Nach den Tätern fragte er nicht u. ich auch nicht. Die Zeichnung aber wurde<br />

schon am Samstag abend <strong>von</strong> Lehrer Egger so heimlich als möglich entfernt.<br />

Im Uebrigen hielt wohl auch er für das Klügste stillschweigend über die<br />

Sache wegzugehen. Ein andermal, als ich nach der Ursache eines Gekichers<br />

fragte, sagte ein kleinerer Schüler zu mir:<br />

Seite 110: "<strong>Schwester</strong>, der da (er kannte seinen Nachbar nicht) hat gesagt, Ihr seit a<br />

Aegersta (Elster). Augenblicklich gerät der Angeklagte in solchen Zorn, dass<br />

er sich mit wütenden Streichen über den Kopf des Anklägers rächte. Er<br />

selbst aber kam ungeschoren da<strong>von</strong>, d.h. ungestraft. Der gute alte Herr<br />

Pfarrer war sehr geduldig u. nachsichtig u. das viele Strafen war nicht seine<br />

Sache. An Knabenstreichen zeigte er meistens kindliche Freude u. lachte<br />

herzlich mit. Er war eine wahre Philipp Neri Natur. Auch bei den<br />

monatlichen allgemeinen Kinderbeichten musste ich die Kinder hüten. Es<br />

dauerte dabei oft lange u. die grössere Zahl war weiter hergekommen u. da<br />

gab es denn Streit, ja hie u. da Püffe u. Schläge vor dem Beichtstuhl, selbst<br />

ohne Bussgeissel. (Aehnliches, nur noch Schlimmeres bekam ich später in<br />

der Liebfrauenkirche in Zürich zu sehen, als wir dort zufällig während der<br />

Kinderbeichte eingetreten waren. Der gute Herr Vikar musste


- 55 -<br />

Seite 111: den Beichtstuhl öfter verlassen um Ordnung zu schaffen, weil keinerlei<br />

Aufsicht da war. Ich musste unwillkürlich an Gurmels denken. Einst, als<br />

junge <strong>Schwester</strong>, kam ich müde u. etwas verstimmt <strong>von</strong> meinem Hüterdienst<br />

nach Hause. Ich stellte mich ans Fenster u. schaute durch die Scheiben, bis<br />

sich die Schüler der obern Gemeinden endlich versammelt hatten, um<br />

gemeinschaftlich nach Hause zu gehen. Der Weg der Schüler <strong>von</strong><br />

Guschelmuth führte neben unserm Garten vorbei. An der Gartenmauer stand<br />

ein Pflaumenbäumchen mit reifen Pflaumen behangen. Die Knaben blieben<br />

stehen, schauten begierlich bald nach dem Bäumchen, bald nach unsern<br />

Fenstern u. schienen Rat zu halten u. sich zu besinnen. Plötzlich wurde das<br />

Bäumchen fest angepackt, heftig geschüttelt, die Pflaumen eingepackt, dann<br />

eiligst Fersengeld genommen u. weiter oben auf der langen Zelg Mahlzeit<br />

gehalten. Ich war ganz empört über eine solche Tat und gerade nach der<br />

Beichte! Nein, traurige Vorsätze! Sofort lief ich zum Herrn Pfarrer u. hoffte,<br />

er werde<br />

Seite 112: jetzt "Feuer vom Himmel regnen lassen". Aber er hatte die Kirche soeben<br />

verlassen u. stand schon im Wohnzimmer mit dem Rücken an die Ofenwand<br />

gelehnt, wie gewöhnlich, wenn er müde war. Ruhig hörte er mir zu, ohne<br />

über meinen Feuereifer u. über meine Rachepredigt ein Wort zu verlieren u.<br />

das machte mich noch ärgerlicher. Schliesslich neigte er sich lächelnd nahe<br />

an mein Ohr u. sagte leise: Machen wir es besser? Jetzt war ich geschlagen<br />

u. verstummte. Ich dachte an meine wöchentlichen Beichten u. Vorsätze,<br />

griff nach der Türklinke u. eilte nach Hause. Der Verlust der Pflaumen war<br />

bald verschmerzt. Ob die Knaben gestraft wurden, weiss ich nicht. Bei ihren<br />

Lehrern habe ich sie nicht verklagt u. auch nicht anderswo. Diesen Vorfall<br />

habe ich nie mehr vergessen, mich aber auch nie mehr so aufgehalten über<br />

die Unzulänglichkeit "guter" Vorsätze. Die feine Lektion, die mir der gute<br />

Herr Pfarrer gab, war mir <strong>von</strong> grossem Nutzen.<br />

(Siehe weiter Heft 4, Nachtrag)<br />

Einst an einem Sommerabend sah uns der Herr Pfarrer, zufällig <strong>von</strong> seiner<br />

Laube aus, etwa verspätet <strong>von</strong> einem<br />

Seite 113: Besuche bei Mitschwestern nach Hause kommen. Des andern Tages machte<br />

er uns tadelnde Bemerkung u. sagte uns in Zukunft sollen wir sorgen, dass


- 56 -<br />

wir Betglockenzeit zu Hause seien. Wir merkten es uns u. haben uns niemals<br />

mehr verspätet.<br />

Besuchet hie u. da die nähern Mitschwestern, sagte er, jedoch nicht zu oft, u.<br />

bleibet mit ihnen in schwesterlicher Fühlung, das erfordert die Liebe. Und<br />

noch viele andere gute u. weise Lehren gab uns der fromme Pfarrer. Ich<br />

erzählte sie dann gelegentlich auch der lb. sl. Mutter Theresia u. sie hat alles<br />

gut gefunden u. sich darüber gefreut.<br />

Seite 114 bis 117<br />

Es folgt nun eine wörtliche Wiederholung aus Heft 2 Seite 95 bis 98.<br />

beginnend mit dem Passus: Bei jedem Zusammensein benützte er die<br />

Gelegenheit und schliessend mit dem II. Heft ohne den letzten Abschnitt mit<br />

den Worten: Diese übergab er heimlich an Hausarme u.s.w. Diese offenbar<br />

irrtümliche Wiederholung ist am Rande mit blauem Tintenstift angestrichen.<br />

Dagegen findet sich auf S. 117 unten noch folgender Passus:<br />

Seite 116: Einst sagte er zu mir: Ich liebe jedes meiner Pfarrkinder mit väterlicher<br />

Liebe. Am nächsten aber stehen meinem Herzen die Kapläne der Pfarrei u.<br />

Ihr <strong>Schwester</strong>n.<br />

Seite 118: Nun gab es eine neue Schuleinteilung. Man hielt dafür die Knabenschule in<br />

Gurmels u. die Gesamtschule in Liebistorf erfüllen ihre Aufgabe nicht mehr<br />

genügend. Hochw. Hr. Schulinspektor Tschopp, im Einverständnis mit den<br />

zuständigen Behörden, übertrug mir die Oberklassen, d.h. die drei letzten<br />

Schuljahre der Schüler <strong>von</strong> Gurmels u. Liebistorf, Knaben u. Mädchen. Die<br />

Lehrer behielten die übrigen untern Klassen. Die liebe Frau Mutter war<br />

einverstanden. Ich kam etwas bös weg, denn es gab nun für mich einige<br />

schwierige Jahre. Doch der lb. Gott half mir glücklich darüber hinweg.<br />

Endlich wurden die Lehrer <strong>von</strong> Gurmels u. Liebistorf durch junge, tüchtige<br />

Lehrkräfte ersetzt. Liebistorf erhielt eine Oberschule u. eine zweite<br />

<strong>Schwester</strong> für die zwei untersten Klassen, Knaben u. Mädchen. Die grössern<br />

Knaben erhielt der Lehrer u. die grössern Mädchen blieben mir. Alles<br />

wickelte sich ruhig u. im Frieden ab.<br />

Seite 119: Nun war für mich die erwünschte goldene Zeit angebrochen. Die<br />

auswärtigen Arbeitschulen konnten wir jetzt leicht fallen lassen. Liebistorf<br />

erhielt ein Fräulein für die Unterschule u. für die Arbeitsschule u. die<br />

Arbeitsschule <strong>von</strong> Courtepin übernahmen die <strong>Schwester</strong>n <strong>von</strong> Wallenried. In


- 57 -<br />

den Gemeinden Bärfischen, Cordast u. Guschelmuth wurden Mädchen<br />

ausgebildet als Arbeitslehrerinnen u. es ging alles gut.<br />

Die katolischen Schulen <strong>von</strong> Murten wurden nach einiger Zeit vom Institute<br />

Menzingen übernommen, Grissach erhielt ein Welt-Fräulein als Lehrerin u.<br />

Wallenried einen Lehrer. Unsere <strong>Schwester</strong>n wurden zurückgenommen.<br />

Seite 119: unten. Zu Seite 107. Für jede Arbeitsschule erhielten wir frcs. 80 Gehalt pro<br />

Jahr. Wir wurden aber stets <strong>von</strong> Frl. Marie de Fégely u. <strong>von</strong> Hochw. Herrn<br />

Pfarrer P. Roggo grossmütig unterstützt, so dass uns nichts mangelte.<br />

Seite 120: Hospitz St. Peter.<br />

Herr Pfarrer P. Roggo war nun bereits alt geworden u. ging mit dem<br />

Gedanken um, die grosse Pfarrei Gurmels mit der kleinen Kaplanei<br />

Guschelmuth, die zur Pfarrei Gurmels gehört, zu vertauschen. Um aber noch<br />

vorher armen u. alten verlassenen Leuten der Pfarrei für eine Heimat zu<br />

sorgen, fasste er den Entschluss aus eigenen Mitteln ein kleineres Hospitz<br />

erbauen zu lassen. Jetzt sorgte die göttliche Vorsehung für einen Vikar.<br />

Dieser verstand sich gut in Bausachen u. stand nun dem Herr Pfarrer mit Rat<br />

u. Tat treu zur Seite. Recht bald entstand das hübsche Gebäude, schön<br />

gelegen, mitten im Dorfe, nahe bei der Pfarrkirche, erbaut durch Baumeister<br />

J. Perler, Vater unserer <strong>Schwester</strong> Leandra. Van nannte es zu Ehren seines<br />

Gründers "Hospitz St. Peter". Es wird <strong>von</strong> unsern <strong>Schwester</strong>n bedient. Bald<br />

zogen arme verlassene Alte u. Gebrechliche verschiedener Art ein. Für sie<br />

war es zur grossen Wohltat geworden. Es gereichte dem Herrn Pfarrer zur<br />

Freude u.<br />

Seite 121: zum grossen Troste, dass nun für die Aermsten in der Pfarrei gesorgt war.<br />

Diese armen, alten Leute waren damals näml. fast nicht zu bewegen, sich in<br />

ein Spital der Providence in Freiburg zu begeben, wo für sie gesorgt worden<br />

wäre. (Diese böse Vorurteil rührte <strong>von</strong> dem abgebrannten Armenhause<br />

Umbertschwendi her.) Ganz aus eigenen Mitteln, d. h. aus seinem<br />

väterlichen Vermögen, hatte der Herr Pfarrer das Haus erbauen lassen.<br />

Die untere Kirche.<br />

Zu unterst im Dorfe, auf einer kleinen Erhöhung, steht eine alte Muttergottes<br />

Kirche. Ihre Gründung reicht zurück bis zur Murtenschlacht im<br />

Burgunderkrieg. Es besteht da eine kleine Wallfahrt zur "Muttergottes vom<br />

dürren Berg". An allen Monatsonntagen und Muttergottesfesten wird der


- 58 -<br />

Hauptgottesdienst da gehalten. Nun wurde durch einen Blitzschlag der Turm<br />

u. das Innere der Kirche stark beschädigt. Der Hochaltar wurde zerstört u.<br />

der Turm brannte gänzlich nieder. Die Kirche wurde aber jetzt wieder ganz<br />

renoviert, ein neuer Hochaltar erstellt u. der Turm wieder schön aufgebaut.<br />

Dies geschah<br />

Seite 122: hauptsächlich durch finanzielle Hilfe des Pfarrers P. Roggo u. der Frl. Maria<br />

de Fégely de Vivis u. auch durch fleissige, tätige Mitwirkung des Herrn<br />

Vikar F. Xaver Zengerling.<br />

Siehe weiter S. 178.<br />

Es wurde auch oft <strong>von</strong> der Notwendigkeit einer neuen Pfarrkirche<br />

gesprochen, denn die alte war zu klein geworden. Doch Pfarrer Rogge sagte,<br />

diesen Bau muss ich meinem Nachfolger überlassen. Bald demissionierte er<br />

auf die Pfarrei u. zog sich auf die leichte Kaplanei Guschelmuth zurück. Die<br />

Pfarrstelle wurde <strong>von</strong> den Chorherren zu St. Nicolaus, welche Kollatoren der<br />

Pfarrei sind, dem früheren Vikarius Franz Xaver Zengerling übertragen. Der<br />

Bau der neuen Pfarrkirche kam bald zustande. Er wurde durch Baumeister J.<br />

Perler ausgeführt u. glücklich vollendet. Eine gute finanzielle Hilfe war<br />

wieder alt Pfarrer Roggo. Herr Pfarrer Zengerling aber mühte sich ab Tag u.<br />

Nacht u. verwendete seine Geistes- u. Körperkräfte für das gute Gelingen<br />

des Baues. Bei Wind u. Wetter selbst im Winter, stand er unter den<br />

Arbeitern<br />

Seite 123: um sie zu ermuntern, zu belehren u. mitzuhelfen. Doch auch an ihm sollte<br />

sich das Wort bewahrheiten: "Eine Kirche kostet einen Pfarrer". Kaum war<br />

die schöne Kirche zu seiner grossen Freude vollendet, kam schwere<br />

Krankheit über ihn, die er wohl schon längere Zeit gefühlt, aber nicht<br />

beachtet hatte u. nach einigen Wochen sank der sonst so starke Mann ins<br />

Grab. Er starb zwei Jahre vor alt Pfarrer Roggo. Beide aber ruhen Seite an<br />

Seite in der schönen Pfarrkirche in Gurmels u. erwarten de den Tag der<br />

Auferstehung.<br />

Es scheint, dass alt Pfarrer Roggo zum Bau der neuen Pfarrkirche den<br />

ganzen Rest seines Vermögens geopfert hat. Denn ungefähr ein Jahr vor<br />

seinem Tode sagte er zu mir: "Nun bin ich wirklich arm u. ich bin glücklich<br />

dabei. Erst wenn man die Armut am eigenen Leibe fühlt, kann man sagen<br />

ich bin arm. Seien sie darum nicht zu tüpfalig in ihren Sachen. Es soll immer


- 59 -<br />

etwas fehlen, damit man die gelobte Armut nicht zu leicht vergisst". Mit<br />

grossem Eifer dem Gebete und der Betrachtung obliegend<br />

Seite 124: lebte er ruhig u. ungestört auf der einsamen Kaplanei. Täglich weilte er<br />

stundenlang in Andacht versunken vor dem Tabernakel. An allen Sonn- u.<br />

Feiertagen aber kam er, nachdem er in Guschelmuth die Frühmesse gelesen,<br />

zu Hochamt u. Predigt in die Pfarrkirche. Sommer u. Winter machte er<br />

diesen Weg zu Fuss, ohne auf Wind u. Wetter zu achten, obschon er eine<br />

Stunde weit ist. Er gab hiemit dem Volke ein herrliches, unvergessliches<br />

Beispiel u. erbaute hiedurch die ganze Pfarrei. Auch hierin, wie in vielen<br />

Dingen, glich er seinem heiligmässig verstorbenen Onkel, Hochw. Herr<br />

Piller, Spiritual des Klosters der Visitation in Freiburg. Ruhig u. gottergeben<br />

beschloss er sein heiligmässiges Leben nach kurzer, leichter Krankheit.<br />

Tiefe Frömmigkeit, einfaches gerades Wesen, grosser Gerechtigkeitssinn u.<br />

wahre Herzensdemut waren Hauptzüge seines schönen, edlen Charakters. Es<br />

wäre zu wünschen, dass eine berufenere Feder solch schönes Priesterleben<br />

ausführlich schildern würde um es der Nachwelt zu überliefern.<br />

Seite 125: Ein ebenso frommer Priester war der Hochw. Herr Berset, Pfarrer der Stadt<br />

Neuenburg u. Freund des Pfarrers Roggo. Während seiner Amtszeit wurde<br />

die schöne katolische Kirche in Neuenburg gebaut. Hiefür brachte er grosse<br />

u. schwere Opfer. Der Erbauer war Ing. Ritter-Ducrest in Neuenburg. Seine<br />

Tochter Yolanda, die Herr Pfarrer Berset nahe gestanden, erzählte mir später<br />

viele rührende Züge aus seinem opferreichen, heiligmässigen Priesterleben.<br />

So schlief er die letzten 25 Jahre in Neuenburg, ob gesund oder krank, stets<br />

nur auf einem alten Kanapee, weil er sein eigenes Bett einer notdürftigen<br />

Familie gegeben hatte. Anstatt sich ein anderes zu kaufen, verwendete er das<br />

hiefür geschenkte Geld zum Bau der Kirche. Für seine eigenen Bedürfnisse<br />

verbrauchte er nur das Allernotwendigste, Alles andere kam in die Hände<br />

der Armen. Und so noch mehreres, höchst Erbauliches, erzählte sie mir,<br />

wenn Frl. Y Ritter zur ihrer <strong>Schwester</strong> Valentine nach Gnadenthal zu Besuch<br />

u. in die Ferien kam.<br />

Seite 126: Gott sei gepriesen in seinen Heiligen u, in seinen heiligmässigen Dienern.<br />

Solange wir noch viele fromme u. eifrige Priester haben, brauchen wir nicht<br />

zu sehr zu bangen um die Erhaltung unserer hl. Religion im lb. Vaterlande.<br />

Es bleibt ewig wahr, was der Katechismus sagt: Ein guter Priester ist eine


- 60 -<br />

der besten Gaben, die Gott seiner Kirche geben kann.<br />

Der Nachfolger des Hr. Pfarrers Zengerling war Hr. Pfarrer Canisius Greber,<br />

Schulinspektor. Aber schon nach drei Jahren trat er <strong>von</strong> der Pfarrei zurück u.<br />

wurde durch Hochw. Herrn Ems, dem jetzigen Generalvikar des Bischofs<br />

<strong>von</strong> Freiburg, ersetzt.<br />

Im Herbst 1875 hatte ich die Schule in Gurmels übernommen u. im Herbst<br />

1904 trat ich da<strong>von</strong> zurück. Also 29 Jahre brachte ich in Gurmels zu. Und<br />

überall, wo man arbeitet u. wirkt, lässt man einen Teil seiner Lebenskraft<br />

zurück. Dies traf auch bei mir zu. Auch meine Gesundheit hatte gelitten u.<br />

war nicht mehr in gutem Zustande. Ich war<br />

Seite 127: gezwungen mich einer schwierigen Operation zu unterziehen u. nach den<br />

Herbstexerzitien 1904 hielten es die Obern für besser, dass ich nicht mehr<br />

nach Gurmels zurückkehre. An meine Stelle, als Lehrerin <strong>von</strong> Gurmels, trat<br />

nun Schw. Valentina Schafer.<br />

Seite 128: Bald war meine Gesundheit wieder soweit hergestellt, dass ich arbeiten<br />

konnte u. die liebe Frau Mutter Anizeta schickte mich ins Theresianum, um<br />

dort die 1 Primarklasse zu übernehmen. (Man hielt damals auch eine<br />

Primarklasse). Es war mir später ganz unbegreiflich, mit welchem Schrecken<br />

ich diesen Auftrag vernahm. Ich machte schüchtern verschiedene<br />

Einwendungen u. stellte schliesslich die Bitte im Kloster essen u. schlafen zu<br />

dürfen. Aber die liebe Frau Mutter war in keinem Punkte meiner Ansicht u.<br />

willigte in nichts ein. Und so begab ich mich dann schweren Herzens, aber<br />

mit grossem Gottvertrauen in meinen neuen Wirkungskreis. Und der Segen<br />

des Gehorchsams u. des guten Willens blieb nicht aus. Es ging alles u. in<br />

allem so gut, dass ich sagen konnte, es war dies wohl in jeder Beziehung das<br />

schönste u. leichteste Jahr meiner langen Schultätigkeit. Die liebe <strong>Schwester</strong><br />

Berta Theiler war Oberin u. verstand meinen Standpunkt sehr gut u.<br />

unterstützte mich in mütterlicher Weise. Unter den <strong>Schwester</strong>n herrschte ein<br />

sehr gutes, friedliches<br />

Seite 129: Verhältnis. Ach, die lieben guten <strong>Schwester</strong>n, fast alle sind sie schon lange<br />

in der Ewigkeit u. geniessen des Himmels seligen Frieden. Der liebe Gott<br />

vergelte ihnen allen reichlich die grosse schwesterliche Liebe, die sie mir<br />

erwiesen. Heute noch erfreut die Erinnerung daran mein armes Herz u. ich<br />

preise Gott dafür.


- 61 -<br />

Nur zu bald war ein Schuljahr entschwunden. Meine Gesundheit war immer<br />

etwas schwankend geblieben, der schwachen Lunge wegen. Da wurde ich<br />

nach Siders versetzt zur Uebernahme der deutschen Schule. Der Abschied<br />

war mir etwas schwer, doch auch in Siders ging es mir gut. Meine Atmungsu.<br />

Stimmorgane kräftigten sich auffallend schnell. Bald war ich wieder im<br />

vollen Besitz meiner frühern Stimme u. konnte auch ungehemmt u. leicht<br />

atmen. Ich glaube, das milde Klima in Siders hat auf meinen<br />

Gesundheitszustand einen sehr günstigen Einfluss ausgeübt.<br />

Auch das Verhältnis im <strong>Schwester</strong>nkreise war ein gutes. Recht bald lernten<br />

wir uns verstehen. Während den Sommermonaten wird nicht Schule<br />

gehalten. Im Mai u. Juni<br />

Seite 130: machte man mit den Kindern grosse Spaziergänge, so nach Leukerbad, auch<br />

in Eifischthal, auch nach Langeborn zum Einsiedler u. einmal sogar nach<br />

Brig u. mit der Eisenbahn durch den Simplon ins Italienische. Die<br />

Grossartigkeit der Alpenwelt im Wallis u. die schöne Natur machten stets<br />

einen wohltuenden u. herzerhebenden Eindruck auf mich.<br />

Oefter machten wir <strong>Schwester</strong>n kleine Spaziergänge in die nahe<br />

Taubstummenanstalt Gerunden, wo die liebe, gute <strong>Schwester</strong> Bernarda Jaggi<br />

Oberin war. Sie zeigte stets Freude, wenn wir kamen u. erwies uns Gutes,<br />

wo sie konnte. Sie starb in Gerunden, bei ihren lieben Taubstummen u. liegt<br />

dort begraben. Sie war eine ausgezeichnete Mitschwester. Recht viel<br />

schönes u. interessantes bekam ich während meines Aufenthaltes in Siders<br />

zu sehen. Der Pfarrer <strong>von</strong> Siders, Hochw. J. Lagger, war ein guter, frommer<br />

Herr u. väterlicher Hirte seiner Pfarrei. Auch gegen die <strong>Schwester</strong>n war er<br />

sehr wohl gesinnt.<br />

Seite 131: Die Knabenschule in Siders wurden damals <strong>von</strong> Schulbrüdern aus der<br />

Congregation der Marienbrüder gehalten. Bruder Zehnder, ein lieber,<br />

wackerer Walliser, war Direktor u. hielt seine Klasse im <strong>Schwester</strong>n-<br />

Schulhause Er war sehr Wohlwollend gegen uns <strong>Schwester</strong>n u. wo er<br />

glaubte, uns einen Dienst tun zu können, tat er es sicher u. war stets mit Rat<br />

u. Tat zur Hand. Nun ruhen alle drei, diese lieben, guten Wallisser, Erw.<br />

<strong>Schwester</strong> Bernarda Jaggi, Ehrw. Bruder Zehnder u. Hochw. Pfarrer I.<br />

Lagger in Walliser-Erde in Gottes heiligen Frieden u. geniessen<br />

himmlischen Lohn für ihr sehr opferreiches Leben. Bruder Zehnder starb


- 62 -<br />

plötzlich in Sitten in den besten Mannsjahren u. Hochw. Herr Lagger starb<br />

als Chorherr in Sitten.<br />

Nach zweijähriger Tätigkeit in Siders musste ich schon wieder den<br />

Wanderstab ergreifen. Ich wurde nach Oberiberg versetzt um dort die Schule<br />

zu übernehmen. Die Ober-Yberger Luft wird ihnen jetzt gut tun, sie wird<br />

ihre Lunge stärken u. wiederstandsfähiger machen, sagte die liebe Mutter<br />

Anizeta zu mir u. so kam es auch. Bald<br />

Seite 132: fühlte ich mich wohl u. heimisch bei diesen lieben, herzigen Kindern. O so<br />

unschuldig u. zutraulich waren sie alle, ohne Ausnahme. Wohl selten wird es<br />

irgendwo so zu finden sein. Ich selbst habe nirgends so viel unberührte<br />

Kinderunschuld getroffen, wenigstens so allgemein, bei allen.<br />

Gute Kinder lassen gewöhnlich auf gute Eltern u. gute Einwohnerschaft<br />

schliessen. In Oberiberg traf es zu. Eine ausschliesslich gut katolische<br />

Bevölkerung bewohnt diese sonnigen Höhen. Nur schade, dass sie jetzt <strong>von</strong><br />

Jahr zu Jahr abnimmt. Früher brachte die Seidenweberei guten Verdienst u.<br />

die Leute beschäftigten sich, zu Hause damit. Nun aber stockt auch diese<br />

Industrie u. so wurden manche Familien gezwungen abzuwandern u. ihr Brot<br />

anderswo zu verdienen. Der Ortspfarrer, Hochw. Herr Franz Suter,<br />

bedauerte dies sehr u.. hie u. da stimmte es ihn wehmütig. Er war ein echter<br />

alter Schwyzer, ein herzensguter Mann u. wahrer Vater seiner<br />

Pfarrgemeinde. Er wurde aber auch vom Volke dafür gehalten. Sein ganzes<br />

Priesterleben hat er in Oberiberg zugebracht, bis zu seinem in hohen Alter<br />

dort erfolgten Tode. Die letzten<br />

Seite 133: Jahre seines Lebens war er durch ein hartnäckiges Fussleiden etwas invalid<br />

geworden. Einen Ruf auf eine höhere Stelle in jüngern Jahren verschmähte<br />

er. Er wollte bei seiner lieben Herde bleiben. Sein Bruder war Pfarrer in<br />

Schwyz gewesen u. seine einzige <strong>Schwester</strong> war Klosterfrau in St. Peter in<br />

Schwyz. Für Oberiberg u. seine Kirche opferte er bereits sein ganzes<br />

Vermögen, denn unter ihm wurde die neue Kirche gebaut. Die Leute<br />

erzählten hie u. da, wie viel er als junger Priester getan. So z. Bsp. trug er die<br />

ganze Woche täglich Steine auf seinem starken Rücken zum Baue der<br />

Kirche auf den Bauplatz u. hielt doch am Sonntag den ganzen Gottesdienst<br />

selbst.


- 63 -<br />

Aber auch gegen uns <strong>Schwester</strong>n war er ein lieber, guter Vater. Schon die<br />

ersten Tage kam er zu uns u. sagte: "Ihr sollt wissen, wo ich zu Hause bin.<br />

Wenn euch etwas fehlt, so kommt zu mir. Ich bin stets bereit Euch zu helfen,<br />

wenn ich kann". Und es war dies kein leeres Wort. In verschiedener<br />

Beziehung hatten wir ihm viel Gutes zu verdanken. Auch seine Köchin, Frl.<br />

Verena Reichmuth, <strong>von</strong> Oberiberg, war eine ausgezeichnete<br />

Seite 134: Person, ausgestattet mit allen wünschenswerten Eigenschaf einer<br />

Pfarrersköchin. Sie zeigte grosse, edle Herzensgüte, wie man sie wohl selten<br />

in der Welt findet. Der liebe Gotte wolle es beiden im vollsten Masse<br />

belohnen im ewigen Leben. Oberiberg war wirklich ein Ruheplätzchen u.<br />

Erholungsort in jeder Beziehung, wohin Missmut u. Verdruss selten od. nie<br />

ihren Weg fanden.<br />

Doch schont nach vier Jahren musste ich die so lieb gewordene Schule in<br />

Oberiberg mit der Schule im Ried vertauschen. Dieser Tausch fiel mir<br />

ordentlich schwer u. die Folge zeigte, dass ich richtig geahnt. Auch im Ried<br />

blieb ich vier Jahre u. während dieser Zeit wurde die neue schöne<br />

Filialkirche gebaut durch Herrn Architekt Steiner aus Schwyz. Vorerst<br />

musste die alte Kapelle gänzlich abgetragen werden wegen Grundlegung des<br />

Fundamentes. Der Schulunterricht wurde in das Erdgeschoss des<br />

Kaplanhauses verlegt, denn das Schulzimmer im Schulhause wurde zur<br />

Kapelle hergerichtet u. das Allerheiligste dort aufbewahrt.<br />

Seite 135: Täglich wurde da die hl. Messe gelesen, auch der Sonntagsgottesdienst mit<br />

Predigt u. Christenlehre da gehalten. Wir <strong>Schwester</strong>n hatte grosse Freude<br />

den lieben Heiland in Brotsgestalt im Hause beherbergen zu dürfen. Wir<br />

hielten sorgfältig Wache u. bemühten uns ihn so viel als möglich zu<br />

besuchen u. unsere Gebete dort andächtig zu verrichten. Viele Mühe gab uns<br />

das tägliche auskehren dieser Kapelle nach der hl. Messe, besonders bei<br />

Regenwetter. Es wurde wie selbstverständlich uns <strong>Schwester</strong>n allein<br />

überlassen. Doch wir taten es gerne für den lieben Heiland und machten<br />

keinerlei Einwendungen.<br />

Aber das Schulehalten ging nun recht schwer. Das Lokal war viel zu klein u.<br />

in jeder Beziehung höchst unpassend. Vorher war es Holzbehälter gewesen.<br />

Die Handhabung notwendiger, genügender Disziplin war unmöglich Genau<br />

obenan hatte Hochw. Herr Kaplan Zell sein Studierzimmer. Es war für


- 64 -<br />

Lehrerin u. Schüler ein schwerer Winter u. ich hätte kaum den Mut gehabt,<br />

einen zweiten so durchzumachen, besonders auch aus Mitleid mit den armen<br />

Kindern vom Stoss. Dort wo die Not am grössten, da<br />

Seite 136: ist Gott am nächsten, es ging alles glücklich vorüber u. niemand wurde<br />

eigentlich krank. Noch bevor ein Jahr ganz zu Ende war, stand das schöne<br />

Gotteshaus vollständig fertig, in allen Teilen sehr wohl gelungen. Wir hatten<br />

alle eine sehr grosse Freude, lobten u. priesen Gott u. dankten ihm recht<br />

herzlich. Alle ertragenen Unannehmlichkeiten u. Beschwernisse während<br />

des Baues wurden leicht verschmerzt u. vergessen. Das schöne Gebäude<br />

macht sowohl seinem Erbauer, Hr. Ing. Steiner, als auch der ganzen Pfarrei<br />

Ried-Muotathal Ehre.<br />

Bald wurde der Hochwürdigste Herr Bischof Georgius mit Gefolge<br />

angemeldet zur Einweihung der neuen Kirche. Am Vorabend brachte man<br />

die Reliquien für die Altäre. Sie wurden in die Kapelle zur Verehrung<br />

ausgestellt u. mit 6 brennenden Kerzen umgeben. Wir zwei <strong>Schwester</strong>n<br />

hielten die ganze Nacht Wache dabei u. knieten betend davor. So hatte es<br />

uns der Hochw. Herr Hofkaplan J. M. Ruos, aufgetragen u. wir taten es<br />

gerne.<br />

Seite 137: Am folgenden Morgen in aller Frühe wurden die Reliquien <strong>von</strong> der<br />

Geistlichkeit prozessionsweise singend u. betend abgeholt u. in die neue<br />

Kirche gebracht u, die Kirchweihe begann. Das Volk wohnte aufmerksam u.<br />

andächtig bei. Für uns alle aber war der Kirchweihtag ein grosser<br />

Freudentag.<br />

Schon am folgenden Tage konnte das Schulzimmer im Schulhause wieder<br />

eingerichtet u. bezogen werden. Die ganze Filiale Ried kam mir jetzt anders<br />

vor, d.h. in einem viel günstigern Lichte, da jetzt ein so schönes Kirchlein<br />

dastand u. so günstig gelegen.<br />

Auch uns <strong>Schwester</strong>n ist die Gemeindebehörde in Muotathal freundlich<br />

entgegengekommen. Auf meine Bitte die <strong>Schwester</strong>nwohnung mittelst einer<br />

Türe vom Stiegenhaus abschliessen u. ein drittes Zimmerchen bewohnbar<br />

herrichten zu lassen, ging man willig ein u. es geschah sogleich. Die grosse<br />

u. weitläufige Pfarrei Muotathal war nun mit Gelegenheit zum Besuch des<br />

Gottesdienstes wohl versehen, denn auch die entlegene Filiale Bisistal hatte<br />

Seite 138: vor mehreren Jahren eine neue Filialkirche erhalten, gewidmet dem


- 65 -<br />

hochheiligen Herzen Jesu. Um dieses alles hat sich der Ortspfarrer, Hochw.<br />

Herr bischöfl. Commissar u. Canonikus Schmid am meisten verdient<br />

gemacht. Er war ein sehr frommer u. gelehrter Mann. Dieser hochverdiente<br />

u. heiligmässige Priester war ein wahrer Vater seines Volkes. In den<br />

verschiedensten Nöten und Anliegen nahm man zu ihm Zuflucht u. fand oft<br />

merkwürdig Hilfe. "Er ist ein Heiliger u. sieht auch in die Zukunft", hörte<br />

man hie u. da die Leute sagen.<br />

Dieser Herr Pfarrer war extra-Beichtvater für uns <strong>Schwester</strong>n. Und so<br />

begaben wir uns denn vierteljährlich in die Pfarrkirche zur hl. Beicht u.<br />

machten im Vorbeigehen auch unserm greisen Vater einen kurzen Besuch u.<br />

fragten nach seinem Befinden. Einst führte das Gespräch auf die Nähe des<br />

Todes. Dann sagte er scherzend zu mir: Sie brauchen noch nicht zu<br />

pressieren, sie müssen noch vorher Jubiläum feiern, u. dann noch ein zweites<br />

mal.<br />

Seite 139: Dabei neigte er sich lächelnd gegen mich und gab mir einen eigenen Blick.<br />

Ich nahm dies alles für Scherz u. dachte nicht im Geringsten darüber nach.<br />

Als sich aber nach mehreren Jahren diese seine Worte bewahrheiteten, kam<br />

mir alles getreulich wieder in den Sinn. Ich sah ihn deutlich vor mir stehen u.<br />

wieder traf mich sein sonderbarer Blick.<br />

Man kann hierüber denken, wie man will. So etwas lässt sich hie u. da auch<br />

zufällig erraten u. ich war damals noch ziemlich rüstig. Sein eigentümlicher<br />

Blick aber blieb mir stets eingeprägt. Im meinen Augen war u. blieb der<br />

Muotathaler Pfarrer Schmid ein heiligmässiger Priester. Nicht etwa wegen<br />

obiger u. ähnlicher Voraussagungen, sondern wegen seines tadellosen,<br />

heiligmässigen Priesterlebens. Er ist ein würdiges Gegenstück zu Pfarrer P.<br />

Roggo u. stets lobe u. danke ich Gott, der mich so gute Beispiele sehen liess.<br />

Alljährlich am Frohnleichnamsfeste machten wir <strong>Schwester</strong>n auch die grosse<br />

Prozession mit. Es war dabei sehr erbaulich. Besonders erbaute uns die<br />

greise Frau Mutter<br />

Seite 140: des dortigen Frauenklosters, welche trotz ihres hohen Alters mit dem ganzen<br />

Convente den weiten Weg ganz mitmachte. Der grossen Schwäche wegen<br />

wurde sie abwechselnd <strong>von</strong> zwei ihren Mitschwestern gestützt. An diesen<br />

Tage waren wir jedesmal ins Frauenkloster zum Mittagessen eingeladen.<br />

Das bedeutete für uns eine Wohltat, denn der Gottesdienst dauerte lange u.


- 66 -<br />

der Heimweg war noch weit. Den lieben guten Klosterfrauen ein herzliches<br />

Vergelts Gott dafür.<br />

Schon hatte ich vier Jahre in Ried zugebracht. Während dieser Zeit, war die<br />

Muotaverbauung u. deswegen hatten sich mehrere Arbeiterfamilien mit<br />

Kindern niedergelassen. Dadurch wurde die Schülerzahl vermehrt u. das<br />

Schulzimmer überfüllt u. die Disziplin erschwert. Nun waren diese Arbeiten<br />

beendigt u. die Leute zogen wieder fort. In der Schule herrschte wieder<br />

Ordnung u. es ging viel besser. Doch bald folgte anderes Kreuz.<br />

Mein Gesundheitszustand gab zu Bedenken Anlass und<br />

Seite 141: zwang mich ärztliche Hilfe zu suchen. Ein altes Uebel stellte sich ein u. war<br />

<strong>von</strong> häufigen Erstickungsanfällen begleitet. Mit Erlaubnis der lb. Obern<br />

begab ich mich ins Kreuzspital nach Chur u. consultierte Hr. Dr. Plattner.<br />

"Gründlich helfen kann nur eine Operation" sagte er. Doch wies er mich<br />

vorläufig ab wegen geschwächter Gesundheit u. vorgerücktem Alter. Nach<br />

vierwöchentlicher Erholung in Chur erbat ich mir <strong>von</strong> den lb. Obern die<br />

Erlaubnis nach Zürich zu gehen u. Hr. Dr. Tschudi zu beraten, denn er hatte<br />

mich schon früher in gleicher Sache behandelt u. auch operiert. Dr. Tschudi<br />

hielt eine Operation für sofort notwendig. Er vollzog sie u. es gelang<br />

glücklich. Ich hatte aber eine etwas lange Rekonvaleszenz, wohl wegen<br />

vorher geschwächter Gesundheit. Gegen Ende November kam ich ins lb.<br />

Mutterhaus zurück u. durfte den Winter über da verbleiben. Unterdessen<br />

hatte sich mein Gesundheitszustand wieder gebessert. Ich fühlte mich wieder<br />

arbeitsfähig u. sehnte mich nach regelmässiger, passender Beschäftigung.<br />

Schon<br />

Seite 142: sechsundvierzig Schuljahre hatte ich zurückgelegt. Meine Stimme hatte<br />

durch wiederholte Kropfoperation etwas gelitten. Und so übertrug mir die<br />

liebe Mutter Anizeta das Bureau in der Pflegeanstalt Gnadenthal.<br />

Recht schwer wollte nur der Abschied <strong>von</strong> der Schule u. den lb. Kindern<br />

fallen. Doch mit dem Segen des Gehorchsams begab ich mich den 3ten Mai<br />

1916 mutig auf meinen neuen Posten. Und wirklich, der liebe Gotte segnete<br />

sichtbar meinen guten Willen. Er half mir über alle Schwirigkeiten so leicht<br />

hinweg, dass ich bald weder Heimweh noch den Wunsch nach anderer<br />

Beschäftigung mehr hatte. Die Schw. Oberin, liebe Schw. Bertildis, war sehr<br />

gut gegen mich u bald fühlte ich mich ganz glücklich u. daheim. Schon das


- 67 -<br />

Klostergebäude übte einen eigenen Reiz auf mich aus. Die schönen<br />

heimeligen Kachelöfen, die mit alten Oelgemälden behangenen Gänge, der<br />

Klosterhof, ja jeder Winkel des Hauses u. die ganze Umgebung<br />

Seite 143: mutete mich lieb u. traut an. Besonders aber gefiel mir der Chor im<br />

Klosterkirchlein mit den schönen Chorstühlen für die Klosterfrauen. Wie<br />

gerne kniete ich dort neben der Orgel u. wie leicht liess sich da beten. Der<br />

Gedanke, hier haben fromme Frauen Tag u. Nacht Gottes Lob gesungen u.<br />

ihm in Lieb u. Freude gedient, stimmte mich andächtig. Ich stellte mir vor,<br />

wie sie fromm u. eilig in der Nacht zur Mette aus ihren Zellen hervorkamen<br />

u. opferte alle ihre Lobgesänge dem lieben Gott neuerdings auf. Ein süsser,<br />

idealer Traum meiner Jugend fand da in etwa seine Wirklichkeit u. ich<br />

dankte Gott dafür. Ich sah mich nämlich einst, als ich noch zu Hause war, im<br />

Traum in einem schönen Chorstuhl sitzen u. aus allen Kräften fromme<br />

Psalmen singen. Und als ich in Schweiss gebadet erwacht, tönte es noch<br />

länger in meinen Ohren nach und erfüllte mein Herz mit Freude. Und in der<br />

Tat, was gibt es schöneres im Himmel u. auf Erden, als Gottes Majestät u.<br />

Güte zu besingen u. ihm für seine Wohltaten zu danken Jetzt u. in alle<br />

Ewigkeit sei er gelobt u. gepriesen.<br />

Seite 144: Wie glücklich mussten sich die Klosterfrauen hier gefühlt haben. Und nun<br />

hatte sie der aargauische Klostersturm unbarmherzig zum Aussterben<br />

verurteilt u. weggefegt. Fast alle ruhen längst auf dem Klosterfriedhof in<br />

Gnadenthal. Eine der letzten derselben, Frau Martina Meyer <strong>von</strong> Tägerig,<br />

starb 1909 in Tägerig u. liegt dort vor der Kirchtüre begraben. Sie hatte sich<br />

nach ihrer gänzlichen Vereinsamung zu ihren Verwandten nach Tägerig<br />

zurück gezogen. O du ungerechte Neuzeit !<br />

An den Sonntagen der guten Jahreszeit ging ich gewöhnlich nach Tägerig<br />

zum Pfarrgottesdienst. Ich kniete dort ganz unbemerkt auf der Empore im<br />

abgeschlossenen Chorstuhl der verstorbener Klosterfrau Martina Meyer. Er<br />

war sehr gut plaziert. Man konnte gut auf den Altar sehen u. die Predigt<br />

leicht verstehen. Ich fühlte mich da ganz stolz, wie eine richtige Chorfrau.<br />

Dieser Kirchgang war mir für Leib u. Seele wohltätig. Der Weg<br />

Seite 145: ist nicht mühsam u. der schöne Spaziergang am Morgen war meiner<br />

Gesundheit zuträglich. Er musste auch für die ganze Woche ausreichen. Auf<br />

dem Heimwege betrachtete ich mit seelischem Behagen Gottes herrliche


- 68 -<br />

Natur u. betete Gott an in seiner wunderbaren Schöpfung.<br />

Zu Seite 101:<br />

Sie allein mit uns zwei <strong>Schwester</strong>n lud der Herr Pfarrer an seinem<br />

Namenstag St. Peter zum Mittagessen ein. Frl. de Fégely hielt es für eine<br />

grosse Ehre u. Auszeichnung u. freute sich wie ein Kind. Wir <strong>Schwester</strong>n<br />

durften auch einmal 8 Tage Ferien bei ihr im Schlosse petit Vivis zubringen.<br />

Sie hielt oft Ordensleute u. Geistliche in den Ferien, so auch hie u. da<br />

<strong>Schwester</strong>n aus dem Ursulinerinnenkloster in Freiburg. Unsere Verstorbene<br />

<strong>Schwester</strong> Canisia Fuchs, ihr Schützling, durfte auch ihre Ferien im Schlosse<br />

petit Vivis bei Frl. de Fégely zubringen.<br />

Seite 146: Zu S. 100, Heft 3.<br />

Während der Wirren des sog. Sonderbundskrieges zog die Familie de Fégely<br />

nach Genf u. kehrte erst wieder nach Freiburg zurück, nachdem die Ruhe im<br />

Land wieder hergestellt war. In Genf nun lernte Frl. M. de Fégely unsern sl.<br />

Stifter P. Theodosius persönlich kennen u. hochschätzen. Müde u. abgehetzt<br />

<strong>von</strong> der Flucht aus dem Aargau klopfte P. Thedosius eines Abends an ihrem<br />

Hause in Genf an u. ihr Vater, Graf de Fégely, nahm ihn herzlich gern auf.<br />

Er hielt sich verborgen u. nach einigen Tagen der Ruhe u. der Pflege floh er<br />

weiter ins Elsass. Ihre Mutter unterstützte ihn auch später des öftern mit<br />

Geld.<br />

Graf Franz Philipp de Fégely de Vivis, war ein französischer Maréchal<br />

gewesen u. in den Grafenstand erhoben worden. Er starb in Genf im J. 1850<br />

im Alter <strong>von</strong> 90 Jahren ihre Mutter war Marianne de Malliardoz de Rue,<br />

welche im Lande als grosse Wohltäterin bekannt war. Frl. Marie de Fégely<br />

hatte bis zu ihrem Tode grosse Hochachtung u. Verehrung für P. Theodosius<br />

u. zeigte stets Interesse u. Wohlwollen für seine Werke u. Stiftungen.<br />

Anmerkung: Obiges sind eigene Mitteilungen des Frl. M. de Fégely an uns<br />

<strong>Schwester</strong>n.<br />

-ooooo-


- 69 -<br />

Seite 147: <strong>Erinnerungen</strong> IV. Heft.<br />

In die Zeit meiner Tätigkeit in Gnadental fällt die Feier meiner 50jährigen<br />

Jubelprofess. Am 23. Mai 1871 hatte ich in die Hände unserer ersten<br />

Generaloberin, der sl. Mutter Theresia Scherer meine erste Profess abgelegt.<br />

Der damalige Superior des Institutes, Hochw. P. Anizet Regli, erster<br />

Nachfolger des sl. Stifters P. Theodosius Florentini, leitete die ganze<br />

Ceremonie. Ich durfte also i. J. 1921 Jubelprofess feiern. Die Feier wurde<br />

auf die Herbstexerzitien verlegt u. fiel auf den 13. October 1921.<br />

Mein jüngerer Bruder Crispin, mein Neffe Martin, Sohn des ältern Bruders<br />

Caspar u. damals studierender an der Universität Freiburg, ein Grossneffe,<br />

Peter Hug, Lehramtskandidat am freien Lehrseminar Zug u. mein Schwager<br />

Lorenz Lipp mit seiner Tochter Sabina, waren <strong>von</strong> Untervaz hergekommen<br />

um den Feier beizuwohnen, was mich sehr freute. Mein Schwager war schon<br />

bei meiner ersten Profess vor 50 Jahren anwesend mit seiner Frau, meiner<br />

einzigen geliebten <strong>Schwester</strong>. Nun kam er zum<br />

Seite 148: zweiten male u. zwar ganz gesund u. rüstig, begleitet <strong>von</strong> seiner Tochter.<br />

Meine liebe <strong>Schwester</strong> aber konnte wohl vom Himmel herunter zuschauen,<br />

denn sie war vor 5 Jahren gestorben.<br />

Diese schöne Profess bedeutete für mich ein grosser Freudentag.<br />

Nach der Jubelprofess brachte ich drei Wochen im Elisabethenheim in<br />

Zürich zu u. kehrte dann wieder auf meinen alten Posten in Gnadenthal<br />

zurück. Es ging mir auch fürderhin gut in jeder Beziehung. Ich überliess<br />

mich ruhig u. mit Vertrauen der göttlichen Vorsehung. Meiner Arbeit auf<br />

dem Bureau konnte ich noch leicht nachkommen u. sie besorgen. Ich war<br />

froh u. zufrieden wieder in den alten Verhältnissen zu sein, denn im Alter<br />

fällt jede Veränderung schwer. So ging alles wieder im alten Geleise. Selbst<br />

der Wechsel der Oberin machte keinerlei Störung.<br />

Die liebe Schw. Kyneburga wurde näml. nach ihrer 6jährigen treuen, guten<br />

Wirksamkeit durch lb. Schw. Illuminata ersetzt.<br />

Seite 149: So vergingen recht rasch wieder fünf Jahre in ruhiger Arbeit u.<br />

Zufriedenheit, denn auch die Mittel für geistige Pflege des Seelenlebens<br />

fehlten in Gnadenthal nicht. Da im Herbste 1926 schrieb mir die liebe,<br />

Ehrwürdige Frau 14 Mutter Theresia Beck, es sei ihr Wunsch, dass ich am


- 70 -<br />

3ten October zu den hl. Exerzitien ins Mutterhaus komme u. nachher<br />

daselbst verbleibe. Ich war sofort gänzlich einverstanden, denn ich hielt es<br />

für einen Wink des Himmels mich auf den nahen Tod gefasst zu halten,<br />

obschon ich mich noch verhältnismässig wohl u. rüstig fühlte. Und so<br />

verliess ich denn am 3ten Oct. 1926 das liebgewordene Gnadenthal, um es<br />

bis heute nicht wieder zu sehen.<br />

Mit dankbarem Herzen u. zufriedenen Sinnes nahm ich Abschied, denn die<br />

Bücher waren in Ordnung bis auf den letzten Tag, was ich mir stets zur<br />

Regel gemacht hatte. Feinde kannte ich keine, denn alle ohne Ausnahme<br />

waren gut gegen mich gewesen, die lieben Oberinnen u. Mitschwestern u.<br />

Insassen. Aber auch die Herren der Aufsichtsbehörde zeigten sich stets sehr<br />

gut gegen mich u. erwiesen<br />

Seite 150: mir Dienste, wo sie konnten, so besonders der Herr Präsident, Hochwürden<br />

Herr Domherr F. Meyer, Pfarrer in Wohlen, Hochw. Herr P. Hauser in<br />

Bremgarten, Herr J. Koch in Büttikon, Hr. Ing. G. Meyer in Wohlen, Hr. Dr.<br />

Candinas in Wohlen u. Hr. N. Meyer, Gerichtspräsident in Bremgartern. Der<br />

liebe Gotte wolle es allen in allem Masse vergelten. Er wollen die schöne<br />

Anstalt u. ihre Leitung stets segnen, damit recht viel Gutes geschehe zu<br />

seiner Ehre u. zum Heile der Seelen.<br />

Die ersten Tage im Mutterhause machte ich die geistlichen Exerzitien u.<br />

fühlte mich dann schon daheim. Mit vollem Vertrauen warf ich mich in die<br />

Arme der göttlichen Vorsehung, die stets väterlich für ich gesorgt hatte u. es<br />

nun auch fürderhin tun wird. Alle Oberinnen u. Mitschwestern waren lieb u.<br />

gut gegen mich u. ruhig in Gottes Frieden verlebte ich meine Tage.<br />

Seite 151: Obschon etwas müde infolge des Alters, konnte ich doch täglich noch<br />

arbeiten. Doch diese Welt ist nicht der Ort der Ruhe. Plötzlich wurde ich <strong>von</strong><br />

einem Uebel befallen, das eine sofortige Operation erheischte. Am Abend<br />

des 14. März 1931 brachte man mich ins Krankenhaus nach Schwyz u. die<br />

Operation wurde sofort durch Hr. Dr. Bommer vollzogen. Es gelang alles<br />

glücklich u. schon nach 12 Tagen wurde ich wieder nach Ingenbohl ins<br />

Krankenhaus St. Joseph verbracht. Das Uebel war behoben u. die Genesung<br />

schritt vorwärts.<br />

Zu Seite 152:<br />

Nun waren wieder 10 Jahre verflossen seit meiner 50 jährigen Jubelprofess.


- 71 -<br />

Wie ein Augenblick waren sie mir entschwunden. (Doch was sage ich, heute<br />

den 24. Mai <strong>1933</strong> sind es 65. Jahre, seitdem ich als Kandidatin in unser<br />

Institut eingetreten bin u. doch ergeht es mir wie oben. Wie ein Augenblick<br />

sind mir diese 65 Jahre entschwunden)<br />

"Tausend Jahr sind vor Dir, wie ein Tag, o Herr".<br />

Seite 152: Ich durfte nun Diamantene Jubelprofess feiern. Am Schlusse 8tägiger<br />

geistlicher Exerzitien fand sie am 3. Sep. 1931 statt. Es ging höchst feierlich<br />

zu. Die Feier wurde <strong>von</strong> Seiner Eminenz, dem Hochseligen Cardinal-<br />

Protektor Wilhelm van Rossum geleitet. Die Wohlehrwürdige, liebe Frau<br />

Mutter M. Theresia Beck kniete führte mich zum Altare u. kniete sich neben<br />

mich. Mit kräftiger Stimme sprach ich die Professformel vor dem<br />

ausgesetzten Hochwürdigsten Gute in Monstranz. Ich fühlte mich körperlich<br />

u. geistig so wohl u. freudig erregt u. gehoben. Ohne besondere Beschwerde<br />

konnte ich dem ganzen hochfeierlichen Gottesdienste beiwohnen.<br />

Im April 1871 hatten wir unserer fünf <strong>Schwester</strong>n die erste Profess abgelegt.<br />

Die andern vier wurden schon vor vielen Jahren <strong>von</strong> Gott abberufen u. sind<br />

zu ihm heimgekehrt, Ich allein blieb übrig, um es zu berichten u. warte<br />

achtsam auf seinen Ruf.<br />

Seite 153: Jedoch konnten 10 liebe Mitschwestern zu gleicher Zeit ihre 50 jährige<br />

Jubelprofess feiern. Wir waren also 11 Jubilarinnen, eine bis jetzt noch nie<br />

erreichte Zahl, was auch zur Freude beitrug.<br />

Auch diesmal war wieder mein lieber Bruder Crispin erschienen. Es freute<br />

mich sehr, ihn so gesund u. rüstig vor mir zu sehen, wie bei meiner<br />

Jubelprofess vor 10 Jahren. Auch der liebe Bruder Caspar war freudig bereit<br />

mitzukommen u. mich durch seine Teilnahme an der Feierlichkeit zu<br />

beehren, erlitt aber kurz zuvor einen kleinen Unfall, der ihm die Reise<br />

verunmöglichte u. ihm u. mir Verdruss verursachte. Es scheint, ein<br />

Tröpfchen Wermut gehörte eben doch zur Sache. - An seiner Stelle sandte<br />

der Bruder seine jüngste Tochter Anna. Gott sei 1000-mal Dank gesagt u.<br />

hochgepriesen sei er für alles.<br />

Seite 154: Während den baulichen Veränderungen im Mutterhause entstand<br />

Platzmangel u. so fand die lb. Frau Mutter, es sei besser, wenn ich<br />

einstweilen im Krankenhause meine Wohnung nehme. Ich gehorchte guten<br />

Mutes, denn ich hoffte bestimmt, ich werde bald wieder ins Kloster


- 72 -<br />

zurückkehren dürfen. Aber auch nachdem man zu bauen aufgehört, hiess es<br />

im Krankenhause bleiben u. hiemit hatte mir der liebe Gotte ein besonderes<br />

Kreuz auferlegt.<br />

Es befiel mich grosses Heimweh nach dem lieben Kloster, nach der lieben,<br />

teuren Frau Mutter, nach den lieben Oberinnen u. Mitschwestern u.<br />

unmöglich war es mir, mich im Krankenhause daheim zu fühlen. Ich war u.<br />

blieb fremd u. verlassen bis heute. Natürlich haben auch verschiedene<br />

missliche u. mir unpassende Umstände viel dazu beigetragen Auf allen<br />

meinen Lebensstationen konnte ich mich mehr oder weniger schnell<br />

angewöhnen, hier aber gelang es mir trotz meines guten Willens nie ganz.<br />

Das Heimweh nach dem Kloster kam immer wieder mit aller Macht über<br />

mich. Ich kam mir vor, wie ein Fisch<br />

Seite 155: ausser dem Wasser u. ich konnte <strong>von</strong> Sieg reden, wenn ich es zeitweilig<br />

stillschweigend ertrug. Es ist nun einmal so, je näher der Tod, desto steiler<br />

der Weg auf den Berg Calvaria. Und im Alter ist der Tod nahe u.<br />

unausweichlich. Daher schickt der lb. Gott so verschiedene Kreuze, die er<br />

für uns gut u. dienlich findet. Es ist aber ausser Zweifel, dass der liebe Gott<br />

jede Art <strong>von</strong> Leiden, die er uns schickt u. die wir aus Liebe zu ihm ertragen,<br />

annimmt u. belohnt. Und im Alter gibt es Leiden verschiedenster Art, die<br />

uns meistens in jüngern Jahren noch erspart geblieben sind u. <strong>von</strong> denen<br />

man keine Ahnung hatte. Der liebe Gott muss sich mit uns Alten meistens<br />

zufrieden geben, wenn wir diese Leiden still u. geduldig ertragen. Die<br />

Wirksamkeit im Alter besteht fast nur noch in geduldig ertragenem Leiden u.<br />

im Gebet. Das Alter ist aber eine beständige Krankheit, die zum Tode führt<br />

u. sehr oft sind auch die Gebete u. andern fromme Uebungen, die man im<br />

Alter errichtet, gleichsam angekränkelt.<br />

Seite 156: Die Gebete sind nicht mehr so intensiv feurig u. innig, die Betrachtungen u.<br />

Anmutungen naturgemäss abgeschwächt. Darum sagt auch die Nachfolge<br />

Christi: "Viel Gutes kannst du tun, solange du gesund bist, was du aber<br />

auszurichten vermagst, wenn du krank bist, das weiss ich nicht. Tue also<br />

Busse u. sei treu u. eifrig im Dienste Gottes solange du noch bei Kräften<br />

bist, denn gar bald wirst auch du sagen: ich sehe die Tage nahen, <strong>von</strong> denen<br />

ich sagen muss, sie gefallen mir nicht."


- 73 -<br />

Ich aber bete mit dem Propheten: "Herr, verlass mich nicht zur Zeit des<br />

Alters, wenn abgenommen meine Kraft". Und weiter: "Auf dich, O Herr,<br />

habe ich gehofft u. ich werde in Ewigkeit nicht zu schanden werden.<br />

Seite 157: Vorstehende <strong>Erinnerungen</strong> habe ich SCHW. CASSILDA JOOS<br />

niedergeschrieben im vierundachtzigsten Jahre meines Lebens u. im<br />

sechsundsechzigsten Jahre meines Ordenslebens. Mein Wunsch ist, möge es,<br />

wenigstens in ein oder anderer Hinsicht, zu Nutzen u. Frommen unserer<br />

Nachkommen gereichen. Krankenhaus St. Joseph im Juni <strong>1933</strong>.<br />

---0000000---<br />

Seite 158: leer.<br />

Seite 159: Heft 4 Nachtrag. Zu Seite 112, Heft 3.<br />

Als durch Papst Leo XIII verordnet wurde, dass an allen Sonn- u. Feiertagen<br />

in jeder Pfarrkirche der Rosenkranz soll gemeinschaftlich gebetet werden,<br />

kam Herr Pfarrer Roggo dieser Verordnung sogleich nach. Aber, sagte er,<br />

das muss bei uns nach dem Hochamt geschehen, denn sonst sind die Männer<br />

nicht zu haben. Am Nachmittag u. Abend kommen sie trotz bitten u. mahnen<br />

nicht zur Kirche. Und doch sollten gerade die Männer den Rosenkranz<br />

mitbeten, sonst vergessen ihn einige sogar.<br />

Es musste nun jemand vorbeten, denn dort ist es so Sitte. Aber jetzt wollte<br />

sich niemand dazu hergeben in der Kirche laut vorzubeten, nicht einmal der<br />

Sakristan. Die Männer aber waren nicht zu bewegen abwechselnd,<br />

chorweise laut mit einander zu beten, denn sie waren es nicht gewöhnt. Da<br />

bat der Herr Pfarrer mich das Vorbeten zu übernehmen zu Ehren der lieben<br />

Mutter Gottes u. zum<br />

Seite 160: Heile der Seelen. Die Männer laufen aus der Kirche, ohne den Rosenkranz<br />

gebetet zu haben, wenn man nicht tut, wie sie gewöhnt sind, sagte er. Ich<br />

entschuldigte mich u. sagte: "Man wird mich nicht verstehen in dieser<br />

grossen dicht gefüllten Kirche, meine Stimme ist zu schwach". Er aber<br />

beharrte bei seiner Bitte u. ich musste einwilligen.<br />

Nicht lange u. die Sache ging ganz gut. Ich wurde leicht verstanden u. die<br />

Männer antworteten alle einstimmig: Heilige Maria Mutter Gottes, bitt’ für<br />

uns arme Sünder u.s.w. u. keiner lief da<strong>von</strong>, worüber der Herr Pfarrer eine


- 74 -<br />

grosse Freude hatte. Und der Herr Vikarius sagte mir einst: "Ihr Gebet tönt<br />

wie Musik in der Kirche u. jedesmal bete ich mit Freude mit den Männern".<br />

Ich aber strengte mich aus allen Leibeskräften an recht laut a. deutlich u.<br />

auch schnell zu beten, denn nicht alle Männer beten gerne lang u. dauerte<br />

doch schon der Gottesdienst nahe 2 Stunden. So betete ich viele Jahre alle<br />

Sonn- u. Feiertage vor. Von meiner Stirne rann jedesmal der Schweiss. Die<br />

Stimme aber blieb mir wohl erhalten, trotz der grossen Anstrengung. Die<br />

Männer machten wieder Bekanntschaft mit dem Rosenkranz u. wohl auch<br />

mit der lieben Mutter Gottes der Königin des hl. Rosenkranzes u. der<br />

Zuflucht der Sünder.<br />

Zu Seite 65. II. Heft<br />

Nicht lange vorher war die Anstalt Umbertschwendi, ein gemeinsames<br />

Armenhaus für den Sensebezirk <strong>von</strong> Insassen angezündet und gänzlich<br />

niedergebrannt worden. Die Anstalt war unsern <strong>Schwester</strong>n bedient worden.<br />

Die <strong>Schwester</strong>n hatten aber da sehr schwer, denn es ging nie gut,<br />

verschiedener misslicher Umstände wegen. Ich hörte hie u. da <strong>von</strong><br />

Geistlichen sagen, es sei gut, dass es so geendet habe. Wohl deswegen waren<br />

die Pfarrherrn anfänglich etwas ängstlich in Berufung <strong>von</strong> <strong>Schwester</strong>n.<br />

Seite 162: Zu Seite 72, Zeile 3<br />

Die nächste Gemeinde nördlich <strong>von</strong> Untervaz heisst Mastrils. Es ist eine<br />

kleine Berggemeinde. Auf der Höhe erhebt sich ein kleines, schönes<br />

Kirchlein u. schaut freundlich ins Thal hinab. Es wurde nach der<br />

Reformation <strong>von</strong> einigen dem alten Glauben treu gebliebenen Einwohnern<br />

mit vieler Mühe erbaut u. dem h1. Antonius <strong>von</strong> Padua geweiht, weil die<br />

Pfarrkirche an die überwiegende Mehrzahl Von Protestanten übergegangen<br />

war. Seither besteht da eine Wallfahrt zum hl. Antonius u. besonders jeden<br />

Dienstag kommen Wallfahrer dahin. Die Väter Kapuziner der schweiz.<br />

Provinz haben da ein Hospitz u. besorgen die Pfarrei u. die Wallfahrt. Wie<br />

schon als Schulmädchen, so machte ich auch wieder diese Wallfahrt, so oft<br />

ich die Schulferien bei meinen Eltern zubrachte. Damals war P. Eberhard<br />

Walser daselbst Superior. Pater Eberhard galt in der ganzen Umgebung beim<br />

Volke als Heiliger. In den verschiedensten Nöten u. Anliegen nahmen die<br />

Leute Zuflucht zu ihm u baten ihn um Rat u. Gebetshülfe. Selbst aus dem<br />

reformierten Prätigau kamen Protestanten u. suchten n. fanden Hilfe bei ihm.


- 75 -<br />

Seite 163: Also ging auch ich begleitet <strong>von</strong> einer Nichte zum hl. Antonins auf den<br />

"Strilserberg". An einem Dienstag, morgens 6 Uhr machten wir uns auf den<br />

Weg u. waren rechtzeitig dort um die hl. Kommunion zu empfangen u. dem<br />

Gottesdienste um halb acht Uhr beiwohnen zu können. Nachher nahmen wir<br />

im Hospitz das Frühstück. Während dessen sass P. Eberhard gemütlich<br />

neben uns u. wir lauschten aufmerksam jedem seiner Worte. Er selbst aber<br />

ass nicht. Bei jedem Besuche dachte ich: "Die Leute haben recht, das ist ein<br />

Heiliger". Sei ganzes Wissen sprach dafür. Es machte mir jedesmal grosse<br />

Freude P. Eberhard besuchen u. ihm etwas bringen zu dürfen, das mir meine<br />

Mutter mitgegeben hatte.<br />

Die liebe, selige Mutter Theresia erlaubte mir diese Wallfahrt gerne u.<br />

empfahl sich auch dem Gebete dieses heiligmässigen Paters.<br />

Seite 164: Ein andermal machte ich während den Ferien eine andere Wallfahrt.<br />

Aufgemuntert durch die Mutter des Hochw. Veit Gadient, welche kurz zuvor<br />

diese Wallfahrt auch selbst gemacht hatte, wagte ich es, begleitet <strong>von</strong> meiner<br />

Nichte Margareta Lipp, die Stätte zu besuchen, wo der Martyrer Fidelis <strong>von</strong><br />

Sigmaringen sein Blut für den katolischen Glauben vergossen hat. Morgens<br />

halb 6 Uhr machten wir uns auf u. gingen zu Fuss nach Mastrils. Dort<br />

wohnten wir dem Gottesdienste bei u. wollten nachher an der Station<br />

Landquart die Bahn besteigen u. benützen bis Grüsch. Aber kaum einige<br />

Minuten vorher war der Zug abgefahren. Mutig nahmen wir den Weg unter<br />

die Füsse u. kamen nach 4-5 stündigem Marsche glücklich in Seewis an. Wir<br />

fanden bald die eingezäunte Wiese, wo der Heilige erschlagen wurde u. die<br />

Quelle, die dort entsprungen. (Diese Wiese ist jetzt Eigentum der schweiz.<br />

Kapuziner-Provinz. Wir kletterten über den Zaun, knieten bei der Quelle<br />

nieder, tranken <strong>von</strong> ihrem Wasser u. küssten andächtig den Boden. Dann<br />

beteten wir mit<br />

Seite 165: ausgespannten Armen zum leidenden, sterbenden Heiland, besonders um<br />

Ausbreitung unsere hl. Glaubens in dieser Gegend. Durch die Fürbitte des hl.<br />

Martyrers Fidelis. Die bald sinkende Sonne mahnte uns zur Heimkehr u.<br />

schon war es Abend geworden, als wir wieder in Grüsch ankamen, wo wir<br />

nun die Bahn benützen konnten bis Zizers. Nun noch eine Fusstour <strong>von</strong> einer<br />

kleinen halben Stunde u. wir waren wieder zu Hause in Untervaz. Wir waren<br />

erschöpft u. übermüdet, denn seit morgen hatten wir nichts Warmes


- 76 -<br />

gegessen u. 7-8 Stunden waren wir am gleichen Tag zu Fuss gegangen,<br />

bergauf u. bergab. An andern morgen war es mir unmöglich ohne Hilfe die<br />

Stiege hinunter zu kommen, so waren meine Beine übermüdet u. es ging<br />

einige Tage bis sie wieder ihren Dienst taten, wie vorher. Meine damals<br />

noch jungen Brüder aber lachten mich weidlich aus u. spotteten, ich werde<br />

wohl nicht so bald wieder wallfahrten gehen u. so dumme Streiche machen.<br />

Mir aber macht diese Wallfahrt heute noch Freude u. noch sehe ich<br />

Seite 166: die erstaunten u. verwunderten Gesichter einiger Bewohner des<br />

ausschliesslich protestantischen Prättigauer-Dorfes Seewis. Zu leide getan<br />

hat man uns nicht das Geringste, im Gegenteil, jeder der uns begegnete<br />

zeigte sich hübsch höflich.<br />

Als ich die Geschichte der lb. sl. Mutter Theresia erzählte, lachte sie u.<br />

sagte: "das ist gut für einmal, ein zweites mal aber machen sie keine solchen<br />

Sprünge mehr?<br />

Seite 167: Zu Seite 83, Heft II.<br />

Die ersten Wochen meines Aufenthaltes in Gurmels fielen mir recht schwer.<br />

Offenbar hatte ich Heimweh u. fühlte mich verlassen. u. fremd au. allein in<br />

dem alten, halbzerfallenen Hause. Manches bisher Gewohnte musste ich<br />

entbehren. Bald schrieb ich an die liebe Mutter Theresia u. erzählte u. klagte<br />

ihr meine Kreuze u. Kreuzchen. Umgehend antwortete sie mir mit wenigen<br />

Zeilen, die mir bis heute im Gedächnis geblieben sind. Sie schrieb: "Haben<br />

Sie stets Hochachtung vor der Armut u. vor den Armen. Das gefällt dem<br />

lieben Gott u. gern knüpft er hieran die Gnade zu fleissiger Uebung dieser<br />

Tugend u. zu treuer Befolgung des Gelübdes der hl. Armut. Ueben Sie<br />

täglich die Geduld u. denken Sie oft an das hl. Haus Nazareth. - Auf dem<br />

ärmlichen Anfang eines Werkes liegt gewöhnlich Segen für seine Zukunft."<br />

Diese wenigen Zeilen trösteten mich.<br />

Die Erfahrung hat bewiesen, dass der letzte Satz bei manchen Anstalten<br />

zutrifft, die heute so gut gedeihen.<br />

Seite 168: leer<br />

Seite 169: Die liebe selige Mutter legte es uns bei jeder Gelegenheit ans Herz die hl.<br />

Armut hochzuschätzen u. die Gelegenheit zur Uebung derselben im rechten<br />

Geiste zu benützen. Es gebe ja solche in den verschiedensten Formen. Aber


- 77 -<br />

trotzdem hielt sie stets auf kräftige, gesunde u. hinreichende Kost u. wo<br />

möglich liess sie es hierin an nichts fehlen. Ich war noch junge <strong>Schwester</strong>,<br />

als sie mir einst schrieb: "Ich will, dass Sie täglich ein halbes Glas Wein<br />

trinken, weil Sie schwächlich sind". Leckereien, Süssigkeiten u. dergl. als<br />

Dessert u.s.w. gibt es jedoch nicht. Als die liebe Schw. Hyazintha Lehrerin<br />

in Bösingen war, erzählten wir uns freudig <strong>von</strong> dem Besuche der lb. Mutter<br />

Theresia, der kurz vorher in Bösingen u. Gurmels stattgefunden hatte. Und<br />

lb. Schw. Hyazintha sagte, sie habe <strong>von</strong> lb. Frau Mutter strenger Tadel<br />

bekommen, weil sie in Laupen beim Zuckerbäcker einen kleinen Kuchen<br />

holen lies um ihn beim Mittagessen der lt. Mutter vorzusetzen. "So etwas<br />

dürfen Sie niemals tun", habe die liebe Mutter gesagt, denn<br />

Seite 170: Solches beim Zuckerbäcker zu kaufen ist Luxus u. wider die Armut.<br />

Ungern sah es die liebe Mutter, wenn junge <strong>Schwester</strong>n bei Tisch nicht<br />

gehörig essen wollten. "Man soll sich etwas zwingen", sagte sie, "u.<br />

genügend gesunde Kost zu sich nehmen auch wenn sie unserm Geschmacke<br />

nicht gerade zusagt. Selbstüberwindung auch in diesem Punkte ist guter Akt<br />

der Abtötung u. verdienstlich. Ebenso verdienstlich ist es, das zu lassen,<br />

wo<strong>von</strong> man weiss, dass es der eigenen Gesundheit nicht zuträglich ist.<br />

Selbstbeherrschung u. Selbstüberwindung auch in diesem Punkte erhält<br />

gesund u. schützt vor vielen Krankheiten."<br />

Seite 171: Einst kam die liebe selige Mutter ganz unerwartet <strong>von</strong> Freiburg her zu eine<br />

kurzen Besuche nach Ueberstorf. Ich besorgte mir damals meinen Haushalt<br />

und meine Küche schon selbst. Nachdem sie meine Kücheneinrichtung<br />

besichtigt, sagte sie lachend: "heute will ich kochen u. zwar eine geröstete<br />

Mehlsuppe u. Kartoffeln mit Hülse. Unterdessen besorgen Sie Käse u.<br />

decken den Tisch". Eilig ging ich zur Wirtschaft Boschung u. kaufte 1 Pfund<br />

Käse. Als ich zurückkam, war die Suppe bereits gekocht u. die Kartoffeln<br />

bald weich. "Wieviel haben Sie für den Käse bezahlt", fragte die lb. Mutter.<br />

Einen Frcs., war meine Antwort. "Das ist nicht zuviel", sagte die lb. Mutter.<br />

"Er ist sehr gut, auch ist das mehr als 1 Pfund, es ist ja ein so grosses,<br />

schönes Stück". Bald hatte ich den Tisch besorgt u. aufgetragen u. ich fügte<br />

auch noch Brot u. guten Wein bei. Wir assen u. waren vergnügt beisammen.<br />

Auch tranken wir 1/2 Glas Wein mit etwas Wasser vermischt. "So gut hat<br />

mir das Essen schon lange nicht mehr geschmeckt u. so wohl getan", sagte


- 78 -<br />

die liebe Mutter. "Ich bin eben in meiner Jugend<br />

Seite 172: an Mehlsuppe gewöhnt worden, darum liebe ich sie jetzt noch". Das alles<br />

freute mich sehr u. ich rief aus: " ich auch, ich auch! Wir Kinder mussten am<br />

Abend wenigstens einige Löffel voll geröstete Mehlsuppe essen, bevor wir<br />

die Milch bekamen u. so wurde ich daran gewöhnt u. liebe sie heute noch.<br />

Obschon die liebe Mutter nie direkt da<strong>von</strong> sprach, wenigstens nicht zu uns<br />

Jüngern, so wussten wir doch, dass sie mit vielen finanziellen<br />

Schwirigkeiten zu kämpfen hatte. Als ich noch Novizin war, liess sie mich<br />

gelegentlich einer Vorbeireise <strong>von</strong> Ueberstorf ins Collegium nach Freiburg<br />

rufen. Die liebe Mutter fand, mein Kopf sei zu sehr beschwert mit Haaren,<br />

das sei beim Tragen des Schleiers ungesund, sie wolle mir einen Teil<br />

wegschneiden u. sie tat es. "Ach, wie viele u. schöne Haare", sagte sie, "die<br />

könnte man verkaufen, wir hätten das Geld so bitter nötig". "Ja ich weiss<br />

schon Abnehmer" sagte die lb. Schw. Caritas, die daneben stand. Die liebe<br />

Mutter<br />

Seite 173: besann sich eine Weile u. sagte dann: "Nein, ich will es nicht tun, werfen sie<br />

die Haare ins Feuer". Die lb. <strong>Schwester</strong> Caritas tat es.<br />

Der Bekennerbischof Stephan Marylei wohnte die letzte Zeit seines Lebens,<br />

nachdem er sich vom bischöflichen Amte zurückgezogen hatte, im Hause<br />

der Frl. Marie de Fégely de Vivis. Während des Sommers begab auch er sich<br />

einige Zeit ins Schloss petit Vivis. Als wir ihn einst dort trafen, drückte er<br />

mir frcs. l00.- in die Hand n. sagte leise: Das ist für Sie u. ihren Haushalt.<br />

Ich war ganz erschrocken u. wusste kaum was tun. Lächelnd ermutigte er<br />

mich u. dann nahm ich dankend an. Bei nächster Gelegenheit übergab ich<br />

das Geld freudig der lieben Mutter. Sie rief aus: Wie gut ist Gott gegen uns.<br />

Haben Sie nur immer recht grosses<br />

Seite 174: Vertrauen, er verlässt uns nicht, ich erfahre es so deutlich. Immer war "wo<br />

die Not am grösster Gott am nächsten".<br />

Schon in den ersten Jahren meines Ordenslebens machte ich gleichsam<br />

unbewusst die Beobachtung, dass alle <strong>Schwester</strong>n, die ich kannte, bestrebt<br />

waren der lieben Mutter in ihren Sorgen zu helfen, wie etwa die Kinder einer<br />

braven Familie ihren Eltern. Man sparte, wo es recht u. vernünftigerweise<br />

anging. Man brachte auch Opfer u. freiwillige körperliche Abtötung.


- 79 -<br />

Auch wenn man <strong>von</strong> morgen bis abends reiste, dachte man nicht daran<br />

"einzukehren" um etwas "Warmes" zu geniessen, man nahm seinen Proviant<br />

in der Tasche mit sich. Von u. zum Schiff trug man seine, u. wenn<br />

Seite 175: auch schwere Reisetasche selbst an der Hand. Man wusste gleichsam nichts<br />

anderes.<br />

Die liebe Schw. Carolina Imfeld kam <strong>von</strong> der Gauglera bis Ueberstorf zu<br />

Fuss um mich zu besuchen, sobald sie vernahm, ich sei dort. Und noch<br />

grössere Touren machte sie zu Fuss. Die liebe Schw. Gustavina Martin kam<br />

mit zwei <strong>Schwester</strong>n <strong>von</strong> Plaffeyen bis Ueberstorf zu Fuss zu den hl.<br />

Exerzitien. Das Reisegepäck trugen sie den ganzen weiten Weg mit sich. Sie<br />

erzählten mir, dass sie euch <strong>von</strong> Plaffeyen nach Freiburg zu Fuss gehen. Die<br />

liebe Schw. Febronia sel. ging zu Fuss <strong>von</strong> Cressier bis Düdingen mit der<br />

Reisetasche an der Hand, wenn sie zu den Exerzitien reiste. Wir gingen auch<br />

hie u. da <strong>von</strong> Gurmels nach Freiburg zu Fuss u. wenn wir zur Quatemberzeit<br />

gingen, machten wir uns gewöhnlich schon morgens 4 Uhr nüchtern auf die<br />

Füsse, um zeitig in der Kapuzinerkirche zu sein. Wir nehmen ein Laternchen<br />

mit, es war dies notwendig um glücklich durch die stockdunkle<br />

Wendeltreppe die Grandfey-Brücke zu erreichen.<br />

Seite 176: Aehnliche u. auch noch beschwerlichere Fusstour machten noch viele andere<br />

<strong>Schwester</strong>n. Die lieben alten <strong>Schwester</strong>n Carolina Imfeld, Anastasia Hauser,<br />

Januaria Edelmann, Cornelia Führer, Hyazintha Zoller, Gustavina Martin,<br />

Adelheid Scherrer u. noch viele, viele andere, die ich nicht so nahe kannte,<br />

waren hierin geradezu vorbildlich, Der liebe Gott lohne ihnen ihr gutes<br />

Beispiel mit ewiger, himmlischer Glückseligkeit.<br />

Seite 177: Ich war in Gurmels, als in unsrer Congregation das neue Chorgebet<br />

"Officium parvum der seligsten Jungfrau Maria" eingeführt wurde. Wir<br />

<strong>Schwester</strong>n waren sehr erfreut hierüber u. beteten das Officium täglich mit<br />

Eifer u. Freude. Oefter sangen wir den Hymnus "Ave Maria stella" u. das<br />

"Magnificat" mit voller Stimme, ja hie u. da auch die Vesperpsalmen. Wir<br />

hatten dies schon zu Hause gelernt. Auch konnte das ohne Aufsehen<br />

geschehen in unserer entlegenen Wohnung, wo sonst niemand im Hause<br />

war.<br />

Seite 178: Zu Seite 122 Heft 3<br />

Das Volk der Pfarrei liebt diese Muttergotteskirche sehr. Recht oft knien


- 80 -<br />

dort fromme Leute um zu beten u. Novenen zu halten zur lieben<br />

Muttergottes. Aber auch <strong>von</strong> weiter her kommen hie u. da Wallfahrer. Es<br />

wird auch viel geopfert u. es vergeht wohl kaum eine Woche, dass nicht ein<br />

oder mehrere mal hier Messe gelesen wird. Auch wir <strong>Schwester</strong>n liebten<br />

diese Kirche u. fast jeden Sonn u. Feiertag lenkten wir unsern Spaziergang<br />

dorthin um die lb. Mutter Gottes zu grüssen, hie u. da mit einem Liedchen.<br />

Kein Muttergottes-Fest, auch kein kleines, liessen wir vorbeigehen ohne<br />

gegen abend in diese "untere" Kirche zu pilgern. Heute noch habe ich<br />

grosses Zutrauen zur lieben »Muttergottes vom Dürrenberg" u. rufe sie in<br />

mancher Not an. In dieser Kirche, im Chor, ruht auch der Hochw. Herr<br />

Domprobst u. Schulinspektor J. Alois Tschopp, ein hochverdienter Priester<br />

u. Freund des Volkes. Geboren u. aufgewachsen in Liebistorf, in der Nähe<br />

dieser<br />

Seite 179: Kirche, betete er schon in seinen Kinderjahren viel u. gern an diesem Orte,<br />

in dieser Kirche u. erhielt durch die Fürbitte der lieben Mutter Gottes die<br />

Gnade des Priesterberufes. Seinem Wunsche gemäss erhielt er auch in dieser<br />

Kirche seine letzte Ruhestätte. (Gestorben den.......)<br />

Seite 180: Zu Seite 45<br />

Noch eine Freude ähnlicher Art gewährte mir der lb. Gott in Gnadenthal. Es<br />

trat ein Pensionär ein namens Schmid <strong>von</strong> Niederwil, ein gebildeter Mann.<br />

Eines Tages sagte der alte Briefträger Hufschmid wohlwollend zu mir:<br />

"Hören Sie, Schmid versteht sehr gut Bureauarbeiten u. könnte ihnen viel<br />

helfen u. würde es gerne tun. Er ist ein guter Charakter u. sie dürfen ihm<br />

trauen, nur hat er sein Vermögen verloren u. was schlimmer ist, Glauben u.<br />

Religion. Er war einziger Sohn eines reichen Vaters in dieser Pfarrei, hat<br />

sich alleinstehend u. sorglos durchs Leben getrieben u. ist nun ein armer<br />

Mann geworden. Ich teilte dies gelegentlich dem Hochw. Hr. Präsidenten,<br />

Hr. Pfarrer Meyer in Wohlen, mit. "Ich kenne Hr. Schmid schon", sagte er,<br />

"ein alter Militär u. Offizier u. wie ich vernahm, ein Logenbruder. Um<br />

seinem zerütteten Vermögen aufzuhelfen ging er nach Amerika, kam aber<br />

bald wieder zurück, noch ärmer als zuvor. Seither war er in Wohlen. Ich<br />

konnte ihm nie<br />

Seite 181: beikommen, denn mich flieht er. Nachteiliges über seine Sitten habe ich nie<br />

gehört. Nehmen sie ihn u. probieren sie ihn, vielleicht ist dann auch für den


- 81 -<br />

Priester eine Annäherung möglich. Schmid hat nämlich seit vielen Jahren<br />

keine katolischen Pflichten mehr erfüllt." Ich liess Schmid kommen, gab ihm<br />

passende Arbeit u. sah bald, dass er ganz tüchtig war in seinem Fache. Ich<br />

konnte <strong>von</strong> ihm manches lernen, denn er gab stets gefällige Auskunft. War<br />

bescheiden u. zeigte sich als nobler Charakter. Letzteres rühmten alle<br />

<strong>Schwester</strong>n nach. Er redete überhaupt wenig. Auf dem Bureau wurde nur<br />

Geschäftliches gesprochen. Von Religion etwas direkt zu betonen, hatte ich<br />

noch nie gewagt. Ein Jahr war bereits vorbei u. Ostern war wieder vor der<br />

Türe. Mit Erlaubnis des Dr. Präsidenten übergab ich Hr. Schmid eine<br />

Erkenntlichkeit (frcs. 10.-) u. sagte: "Nun Hr. Schmid da Ostern ist, wollen<br />

wir ein wenig feiern u.<br />

Seite 182: auch an uns selbst denken. Sie sind Katolik u. werden mit uns Ostern halten,<br />

nicht wahr". Er wurde rot im Gesicht u. zuckte die Achseln, ohne ein Wort<br />

zu erwiedern. Ich liess ihn nächste Tage nicht ganz aus dem Auge u. glaubte<br />

auch seinen Seelenkampf zu beobachten, aber seine Osterpflicht erfüllte er<br />

nicht. Als wir im Laufe nächster Woche wieder auf dem Bureau arbeiten,<br />

sagte er zu mir: "Jetzt bin ich ein armer Mann, aber ich war auch einmal<br />

glücklich. Ich habe mein Gymnasium in Zug gemacht u. war ein braver<br />

Student u. glücklicher Sodale der Muttergottes-Congregation". Gut, sagte ich<br />

das können sie wieder werden. Bitten sie die liebe Mutter Gottes um<br />

Wiederaufnahme u. sie wird es tun. Still u. in sich gekehrt ging Schmid<br />

einige Zeit herum. Dann wurde er krank. Ein altes Uebel kam wieder zum<br />

Vorschein. Er verlangte nach Hr. Pfarrer Senn in Rohrdorf u. in Gegenwart<br />

<strong>von</strong> 2 Zeugen wurde er wieder in die Kirche aufgenommen. Er empfing<br />

andächtig die hl. Sakrament, was er seit vielen Jahren nicht mehr<br />

Seite 183: getan u. nach längerer geduldig ertragener Krankheit starb er ruhig eines<br />

seligen Todes.<br />

--000000--


- 82 -<br />

Sr. <strong>Cassilda</strong> als Jubilarin


- 83 -<br />

Anmerkung:<br />

Die Nachträge an den Hefträndern sind in Klammern gesetzt. Die Nummern der<br />

Seitenzahlen sind der Abschrift entnommen und es ist ungewiss ob die Fehler aus dem<br />

Original oder aus der Abschrift stammen.


- 84 -<br />

Nachtrag:<br />

Ökumenisches Heiligenlexikon online<br />

<strong>Cassilda</strong> <strong>von</strong> Toledo (<strong>von</strong> Burgos)<br />

Gedenktag katholisch: 9. April<br />

Einsiedlerin * in Toledo<br />

+ im 11. Jahrhundert in Briviesca bei Burgos<br />

<strong>Cassilda</strong> war Tochter eines Emirs der Sarazenen.<br />

Als sie im Heilbad San Vincente nahe Burgos vom<br />

Blutfluss geheilt wurde, trat sie zum Christentum<br />

über und lebte fortan als Einsiedlerin.<br />

Ihre Fürsorge galt besonders christlichen<br />

Gefangenen. Die Legende berichtet, wie sie <strong>von</strong><br />

ihrem Vater ertappt wurde als sie Gefangenen im<br />

Kerker Brot brachte, worauf sich das Brot in ihrer<br />

Schürze in Rosen verwandelte. Über Casildas Grab<br />

wurde die Kirche <strong>von</strong> Briviesca gebaut<br />

Attribute: Schürze mit Rosen<br />

Patronin <strong>von</strong> Toledo und Burgos, gegen Blutfluss,<br />

eheliche Unfruchtbarkeit und Unglück<br />

Gemälde <strong>von</strong> Francisco Zurbarán,<br />

im Prado in Madrid<br />

Internet-Bearbeitung: K. J. Version 11/2013<br />

- - - - - - - -

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!