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ZUm thema<br />
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Der 7. Sinn<br />
Vom tieferen Verstehen, das über das logische Denken hinausgeht<br />
von Dr. Wunibald Müller<br />
Ich erinnere mich an eine Beratungssituation<br />
vor vielen Jahren. Eine etwa 50-jährige<br />
Frau, hatte schon etliche psychotherapeutische<br />
Gespräche mit mir geführt. Je länger<br />
ich ihr zuhörte und sie auf mich wirken<br />
ließ, desto stärker spürte ich: Da ist etwas,<br />
über das sie nicht spricht oder noch nicht<br />
sprechen kann, was sie aber offensichtlich<br />
sehr belastet. Ich strengte mich nicht an,<br />
um herauszubekommen, was es ist, das sie<br />
belasten mag, sondern versuchte einfach<br />
präsent zu sein. Und dann schoss es mir bei<br />
einer Sitzung durch den Kopf oder durch<br />
mein Herz, stand es klar vor mir: Sie hat<br />
abgetrieben. Ich weiß nicht mehr wie, aber<br />
irgendwie vermochte ich meine Ahnung,<br />
die sich als richtig erwies, ihr so mitzuteilen,<br />
dass das Sprechen darüber, die Auseinandersetzung<br />
damit, sich positiv auf den<br />
therapeutischen Prozess auswirkte. Meine<br />
Vermutung war nicht nur das Ergebnis von<br />
Nachdenken, von Einfühlen, von Hinspüren.<br />
Das alles war mit beteiligt. Doch der<br />
entscheidende Impuls kam aus einer anderen<br />
Quelle, wo, alle Informationen, die<br />
ich über irgendjemanden oder über irgendetwas<br />
gesammelt und gespeichert habe,<br />
zusammenlaufen, um mir schlagartig eine<br />
Botschaft zu vermitteln, die sich als Treffer<br />
erweist – wenn ich Glück habe. „Machen“<br />
kann ich das nicht.<br />
„Mein Bauchgefühl sagt mir…“<br />
Es gibt Überlegungen und Untersuchungen,<br />
die davon ausgehen, dass diese<br />
Quelle, eine Art biologischer Computer, im<br />
Bauchbereich angelegt ist. So gibt es ja<br />
auch die Redewendung „Mein Bauchgefühl<br />
sagt mir …“, wenn man etwas nicht<br />
begründen kann und doch eine innere Gewissheit<br />
in sich verspürt, dass etwas sich<br />
so oder so verhält. Nicht selten trifft dieses<br />
Bauchgefühl ins Schwarze.<br />
Mir gefällt in diesem Zusammenhang, was<br />
die Kinderpsychologin Kathrin Asper über<br />
das Lauschen schreibt: „Lauschen kommt<br />
einem Fühlen, Merken und Spüren gleich,<br />
das sich nicht allein von der Oberfl äche<br />
der Dinge bestimmen lässt, sondern vor<br />
allem von dem, was zwischen den Zeilen<br />
sichtbar wird.“ Sie verweist in diesem Zusammenhang<br />
auf das Bauchweh kleiner<br />
Kinder, was auch alles andere in seelischer<br />
und körperlicher Hinsicht bedeuten kann.<br />
In der lauschenden Haltung der Mutter<br />
sieht sie jene Hinwendung zum Kind, die<br />
es der Mutter erlaubt herauszufi nden, was<br />
fehlt. „Sie kann sich dabei nicht auf die<br />
verbale Äußerung verlassen, sondern muss<br />
das Gesamt des Kindes wahrnehmen und<br />
sich empathisch einfühlen.“<br />
„Die Verzückung der Hl. Teresa“ von Bernini in der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom