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ZUm thema<br />
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Auch Gehörlose haben<br />
sich viel zu erzählen<br />
Sr. Brigitte Kolb berichtet von ihren erfahrungen an einer Sonderschule in ruhuwiko<br />
von Sr. Brigitte Kolb<br />
„Wer nicht hören will, muss fühlen“: Wir<br />
kennen diese Redewendung. Damit wollen<br />
wir sagen, wer nicht auf die Ratschläge<br />
oder Mahnungen erfahrener Menschen<br />
hört, muss durch eigene Erfahrung, vielleicht<br />
sogar auf bittere Weise, lernen.<br />
Wenn ich nun etwas von meiner Zeit in<br />
Tansania erzähle, die ich mit gehörlosen<br />
Kindern und Jugendlichen verbracht habe,<br />
geht es natürlich nicht um jemand, der<br />
nicht hören will, sondern um Kinder, die<br />
nicht hören können.<br />
Anhören, zuhören, überhören, weghören,<br />
abhören, jemanden aushorchen... Sie merken,<br />
hören hat etwas mit Kommunikation<br />
und dem Erwerb von Wissen zu tun.<br />
Hören und Sprechen gehören zusammen.<br />
Die Sprache lernt ein Kind zuerst über das<br />
Gehör. Das Ohr ist das älteste Sinnesorgan<br />
nicht nur hinsichtlich der gesamten<br />
Evolution der Lebewesen, sondern auch<br />
in der Lebensgeschichte jedes einzelnen<br />
Menschen. In der vierten Woche beginnt<br />
der Embryo mit der Entwicklung seiner Ohren,<br />
die nach viereinhalb Monaten schon<br />
ausgebildet sind.<br />
Mit Hilfe des Hörsinns können wir Geräusche,<br />
Stimmen, Töne und Klänge<br />
wahrnehmen und unterscheiden. Es dient<br />
uns zur Orientierung, es warnt uns vor<br />
Gefahren und ermöglicht uns, in Kommunikation<br />
zu anderen Menschen zu treten.<br />
Im Laufe ihrer Entwicklung lernen Kinder,<br />
Geräusche zu unterscheiden, die Richtung<br />
zu erkennen, aus der sie kommen, und auch<br />
zu wissen, was das Geräusch bedeutet. Hören<br />
liefert Informationen, macht neugierig<br />
und lässt uns am Leben anderer teilhaben.<br />
Ein hoch komplexes<br />
Sinnesorgan<br />
Das Ohr ist ein hoch komplexes Sinnesorgan.<br />
Auf der einen Seite ist es fähig, ganz<br />
leise, zarte Töne wahrzunehmen, während<br />
es auf der anderen Seite starken Schallwellen<br />
wie bei einem Presslufthammer oder<br />
lauter Disco-Musik standhalten kann. Darüber<br />
hinaus ist es sogar fähig, aus vielen<br />
verschiedenen Geräuschen ein ganz<br />
besonderes wahrzunehmen, zum Beispiel<br />
aus dem Geplauder vieler Frauenstimmen<br />
die Stimme der Mutter. Auch das Hör-<br />
Gedächtnis spielt eine wesentliche Rolle,<br />
denn was man gehört hat, kann man sich<br />
auch besser merken. Über das Gehör lernen<br />
wir sprechen.<br />
Aber wie ist das, wenn ein Kind gehörlos<br />
ist? Wie ist es, wenn es mit seinen Ohren<br />
Geräusche, Musik und Sprache nicht hört?<br />
Ich habe 15 Jahre lang gehörlose Kinder in<br />
Ruhuwiko unterrichtet, einer Missionsstation<br />
der Untermarchtaler Vinzentinerinnen in<br />
Tansania. Dazu möchte ich Ihnen einiges<br />
von meinen Erfahrungen erzählen.<br />
Meine erste Begegnung mit den gehörlosen<br />
Kindern in Ruhuwiko hatte ich, kaum<br />
dass ich dort angekommen war. Es war<br />
im November 1991 kurz vor den Ferien.<br />
Da versammelten sich die Schüler, Lehrer<br />
und Erzieherinnen im Speisesaal. Der<br />
stellvertretende Schulleiter sprach zu den<br />
Schülern über das, was sie nun erwartet<br />
und legte ihnen ans Herz, zu Hause<br />
mitzuhelfen und beim Essenschöpfen an<br />
die anderen Familienmitglieder zu denken.<br />
Jeremias, der Schulsprecher, hat alles mit<br />
Pantomime und Gebärden für seine Mitschüler<br />
übersetzt. Es war stellenweise sehr<br />
humorvoll und äußerst lebendig.<br />
Sr. Brigitte Kolb mit einer 1. Klasse auf dem Schulhof<br />
Mehrmals im Lauf der Jahre hatte ich<br />
eine erste Klasse und unterrichtete diese<br />
drei Jahre lang, um dann wieder neu mit<br />
einer ersten Klasse anzufangen. Es war<br />
spannend, zehn bis zwölf gehörlose Kinder<br />
ohne jegliche schulische Vorbildung<br />
zum Sprechen, Lesen und Schreiben zu<br />
bringen und ihnen den Zahlbegriff und