26.12.2013 Aufrufe

Das Programmheft zum Konzert. - Deutsche Radio Philharmonie ...

Das Programmheft zum Konzert. - Deutsche Radio Philharmonie ...

Das Programmheft zum Konzert. - Deutsche Radio Philharmonie ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

MUSIK UND POLITIK IN UNGARN – EINE VORBEMERKUNG<br />

In vielen osteuropäischen Ländern spielt die Politik in alle Lebensbereiche<br />

hinein. Auch die drei Komponisten, von denen Werke an diesem ungarischen<br />

Abend aufgeführt werden, haben mehr oder weniger direkt politische<br />

Pressionen oder Verfolgungen erfahren: Béla Bartók (1881 – 1945),<br />

György Ligeti (1923 – 2006) und Peter Eötvös (* 1944). Aus Furcht vor dem<br />

Faschismus und nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland<br />

und der zunehmenden Macht der Rechten in Ungarn verließ Bartók 1940<br />

seine Heimat. Nachdem Ligeti den Faschismus und den Stalinismus erlebt<br />

und überlebt hatte, floh er 1956 nach dem Ungarn-Aufstand in den<br />

Westen. Auch Peter Eötvös sieht die Lage in seiner Heimat voller Sorge:<br />

Bis 1989 hatten wir eine staatliche Kulturpolitik und eine illegale Gegenkultur.<br />

Beides war in Ordnung, es hat dem Land eine Struktur gegeben.<br />

Seit 1989 ist beides zusammengebrochen. Jetzt haben wir eine kulturelle<br />

Brache, hat Eötvös bereits 2010 festgestellt. Inzwischen hat sich die Lage<br />

in Ungarn massiv verschlechtert. Eötvös zog die Folgen daraus und lebt<br />

überwiegend in Westeuropa.<br />

Ein Beispiel für die momentan besorgniserregende Lage in Ungarn ist<br />

die Berufung des rechtsgerichteten György Dörner <strong>zum</strong> Intendanten des<br />

Neuen Theaters in Budapest. Er machte unumwunden klar, welches Verständnis<br />

er von Kulturarbeit hat: Er wolle, so der neue Funktionär, die entartete,<br />

krankhafte, liberale Hegemonie der ausländischen Kultur brechen.<br />

Nicht zuletzt wegen solcher Sprüche sieht der Schriftsteller György Konrad,<br />

Träger des Friedenspreises des <strong>Deutsche</strong>n Buchhandels, Ungarn auf<br />

dem Weg zu einer sanften Diktatur.<br />

Die Folgen dieses Kulturkampfes sind längst sichtbar und werden sich<br />

mittelfristig massiv nachteilig auf das Land auswirken: Viele junge, gut<br />

ausgebildete Ungarn verlassen ihre Heimat. Darunter sind auch zahlreiche<br />

Musiker, die es mit ihrer Kunst vergleichsweise einfach haben, in der<br />

Fremde einen Neuanfang zu wagen.<br />

Wer die Situation in Ungarn heute verstehen will, muss einen Blick in die<br />

Vergangenheit werfen und die Frage nach den Ursprüngen des ungarischen<br />

Nationalismus stellen. Nach den zahlreichen historischen Brüchen<br />

ist das Bedürfnis vieler Menschen groß, sich ihrer Herkunft zu versichern.<br />

Sie wollen aus der realen oder imaginierten Geschichte Schlüsse für die<br />

Gegenwart und Zukunft ziehen. <strong>Das</strong> Beispiel Ungarn zeigt: Je komplizierter<br />

eine Vergangenheit ist, desto intensiver wird die Diskussion darüber<br />

geführt. Eine wichtige Rolle bei der Vergangenheitsarbeit spielen die<br />

Künstler. Sie knüpfen mit ihren Werken an Traditionen an und bringen<br />

wie Archäologen Vergessenes oder auch Verdrängtes ans Licht. Sie bewerten<br />

die Funde neu – und nutzen sie als Inspirationsquelle.<br />

Ungarn mit seinen unterschiedlichen Gründungsmythen und einer verworrenen<br />

politischen Geschichte liegt mitten in Europa und ist immer<br />

3

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!