Von Unkel zur Erpeler Ley - Rheinkiesel

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Natur Ob die mittelalterlichen Ritter unter ihrer kiloschweren Rüstung mit ihrem Schweißgeruch Gegner beeindrucken oder gar in die Flucht schlagen konnten, ist heute nicht mehr eindeutig zu klären. Fakt ist: Alle Wanzen haben zur Abwehr Duftdrüsen (früher abwertend als Stinkdrüsen bezeichnet), die sich in den Flanken ihres Außenskeletts befinden und die sie gezielt einsetzen können. So berichtet ein Zoologe von einer Baumwanze, die ihn bei Annäherung auf etwa einen Meter mit fünf scharfen Strahlen beschoß, welche eine Reichweite von 15 bis 20 cm erreichten. Für den Menschen sind die Sekrete weitgehend harmlos, manche jedoch sehr geruchsintensiv. Es handelt sich um Aldehyde, deren Aromen wir bei Zitrusfrüchten und Gewürzen wie zum Beispiel Zimt so lieben. Und tatsächlich duften manche Wanzen, wenn man sie ärgert, nach Zimt, Zitrone, Curry … Jedoch in so hoher Konzentration, wie im Wanzensekret ist das nicht jedermanns Sache – die Dosis macht das Gift! Räuberische Insekten, die es auf eine Wanze abgesehen haben, kommen nicht näher beziehungsweise suchen schnell das Weite. Ameisen und Laufkäfer, gefürchtete Beutegreifer im Insektenreich, werden mit dieser „Repellent- Funktion abgeschreckt. Das ist die erste Stufe der Abwehr. Beschuß mit lähmenden Folgen Sollte sich ein Feind dadurch noch nicht in die Flucht schlagen lassen, wird er mit einem Strahl aus der Drüse direkt beschossen. Dabei können manche Wanzen einen Winkelsektor von 90 Grad bestreichen. Die unter Beschuß liegende Fläche wird noch dadurch vergrößert, daß sich die Wanze gleichzeitig dreht. Der unmittelbare Kontakt mit dem Sekret führt zur Lähmung des Angreifers. Dafür ist weniger der betörende Duft, wie man zunächst vermuten würde, als vielmehr ein hoher Anteil von Kohlenwasserstoffen verantwortlich. Diese dienen als „Insekt des Jahres 200 “: die Ritterwanze Diffusionsbeschleuniger, die den Chitinpanzer der Insekten und Spinnen in kurzer Zeit durchdringen, ähnlich wie Kriech- und Lösungsmittel in Form von Kontaktspray, Waschbenzin oder Rostentferner uns Menschen oft aus der Klemme helfen. Ameisen werden innerhalb weniger Minuten gelähmt, wenn das wanzliche “Kontaktspray sie trifft. Wird das Spray vom Angreifer eingeatmet, dauert es gar nur Sekunden. Bei soviel ritterlicher Wehrhaftigkeit wird man nicht vermuten, daß sie sich auch von einer zarten Seite zeigen können: quasi als Minnesänger. Wie hinlänglich bekannt, erzeugen Heuschrecken, Zikaden und manche Käfer Laute, doch Ritterwanzen, die einen Balz- Juli 2007 9
Natur gesang anstimmen, überraschen auch noch manche Fachleute. Kein Wunder, denn der Gesang ist sehr leise und für den Menschen nur unter Laborbedingungen hörbar. Er wird vermutlich nur vom artgemäßen Partner verstanden und dient der Vermeidung von Fehlpaarungen. Es ist aber noch ein großes Rätsel, wie dies den „Rittersleut möglich ist, da bislang weder am, noch im oder unter ihrem Harnisch Hörorgane entdeckt wurden. Ein Hauch von Kannibalismus Ritterwanzen sind nicht besonders häufig, gelten aber noch nicht als gefährdet. Weitaus häufiger und bekannter, da sie vor allem in Ortschaften auftreten, sind die Feuerwanzen, manchmal auch als Feuerkäfer bezeichnet. Die sehr geselligen Tiere, die Mauerfüße, Baumwurzeln und sonnenbeschienene Stellen am Boden in Scharen schon im zeitigen Frühjahr bevölkern, haben ebenfalls eine schwarzrote Musterung. Allerdings fehlt ihnen der weiße Punkt der Ritterwanzen. Die ebenfalls völlig harmlosen Tierchen saugen gerne an abgefallenen Lindenfrüchten und anderen Pflanzenarten. In gleicher Farbgebung, die sich bei Wanzen offenbar bewährt hat, allerdings in apartem Streifenmuster, präsentiert sich die Streifenwanze. Im Sommer finden sich meist mehrere Vertreter dieser hübschen Art auf Doldenblüten ein, wo sie Pflanzensaft saugen. Nur selten bemerkt man, daß die Unterseite zwar die gleiche Farbkombination aufweist, aber dennoch ein überraschend anderes Design: statt Streifen viele feine schwarze Punkte! Wer das überprüfen will, muß das Insekt von der Blüte „pflücken und umdrehen, dabei freilich riskieren, daß die Finger streng parfümiert riechen … Die im Vergleich mit den Ritterwanzen doppelt so breite Streifenwanze sieht zwar sehr ritterlich aus, ist aber dennoch nicht näher mit ihnen verwandt. Die Farben signalisieren aber gleichfalls allen Fressfeinden: Vorsicht Ekelgeschmack und Gift! Die Rote Mordwanze, die größte einheimische Wanzenart mit schwarz-roter Musterung signalisiert vor allem Wehrhaftigkeit. Sie könnte man als den Raubritter der Wanzenwelt bezeichnen. Mit ihrer Die Rote Mordwanze kann sich mit einem Stechapparat verteidigen und dem potentiellen Fressfeind sehr schmerzhafte Stiche beibringen Körperlänge von rund zwei Zentimeter sieht sie aus wie eine große Ausgabe der Ritterwanze. Sie ist eher selten und tritt bei uns nur in den wärmsten Gebieten, typischerweise oft in Weinbergslagen auf, so zum Beispiel in den rechtsrheinischen Hängen an der Rheinbrohler Ley, der Erpeler Ley oder in Unkel. Sie ist alles andere als ein harmloser Pflanzensauger, sondern gehört zu der Familie der Raubwanzen, die Insekten erbeuten (darunter auch manche Schädlinge), anstechen und aussaugen. Der dolchartige Stechrüssel sieht – selbst für Menschen – respekteinflößend aus. Er erinnert in seinen Dimensionen nicht nur an die Spritzennadel, die uns bei einem Arztbesuch eventuell erwartet, sondern tut auch mindestens so weh. Selbst leidenschaftliche Insektenfreunde überlegen sich lieber zweimal, ob und wie sie die Mordwanze anfassen, um sie unter dem Risiko, einen schmerzhaften Stich zu erleiden, anhand der Details auf Rücken- und Bauchseite von nah verwandten Schwesterarten zu unterscheiden. Feuerwanzen sind gesellig Die Rote Mordwanze schreckt nach eigenen Beobachtungen übrigens auch nicht davor zurück, Artgenossen auszusaugen. Angesichts dieser kannibalistischen Züge trägt sie ihren Namen also zu Recht. Die Raubwanzen können ebenfalls Geräusche erzeugen, indem sie mit der Spitze des Rüssels über eine quergeriefte Rinne auf der Unterseite zwischen den Vorderhüften kratzen. Das hat schon etwas Gruseliges, so als würde gerade der Dolch gewetzt! Ob räuberisch oder ritterlich, stinkig oder duftig, in Tarn- oder Warnfarben: Gegen die menschliche Übermacht, vor allem in Form von Zerschneidung der Landschaft und massiven Lebensraumzerstörungen in Deutschland haben die Schutzstrategien der Wanzen nichts ausrichten können. Ein Drittel der artenreichen Gruppe gilt aktuell als gefährdet. Wie lang die „Roten Listen“ der bedrohten Arten bei uns noch werden, hängt davon ab, wie (raub- ) ritterlich wir uns zukünftig gegenüber den Geschöpfen der heimischen Natur verhalten. • Ulrich Sander 10 Juli 2007
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