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Eine Metatheorie des demokratischen Prozesses - WZB

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Veröffentlichungsreihe der Abteilung Institutionen und sozialer Wandel <strong>des</strong><br />

Forschungsschwerpunktes Sozialer Wandel, Institutionen und Vermittlungsprozesse<br />

<strong>des</strong> Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung<br />

FS HI 93-202<br />

<strong>Eine</strong> <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

Dieter Fuchs<br />

Berlin, Mai 1993<br />

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (<strong>WZB</strong>)<br />

Reichpietschufer 50, D-1000 Berlin 30,<br />

Telefon: (030) 25 491-0


Zitierweise:<br />

Fuchs, Dieter, 1993:<br />

<strong>Eine</strong> <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong>.<br />

Discussion Paper FS HI 93-202.<br />

Wissenschaftszentrum Berlin.


Gliederung<br />

1. Problemkontext 1<br />

2. Der Begriff der <strong>Metatheorie</strong> und metatheoretische Grund annahmen 13<br />

3. Systemtheorie und Handlungstheorie 20<br />

4 Ein Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> ... 27<br />

4.1 Der demokratische Prozeß als eine<br />

Abfolge von Handlungsprodukten 27<br />

4.2 Binnendifferenzierung <strong>des</strong> politischen Systems 40<br />

4.2.1 Differenzierung in drei Subsysteme 40<br />

4.2.2 Die kollektiven Akteure der drei Subsysteme 47<br />

4.2.2.1 Die kollektiven Akteure <strong>des</strong> Regierungssystems 47<br />

4.2.2.2 Die kollektiven Akteure <strong>des</strong> intermediären Systems 50<br />

4.2.2.3 Die kollektiven Akteure <strong>des</strong> Publikumssystems 53<br />

4.2.2.3.1 Die Staatsbürger , 53<br />

4.2.2.3.2 Die Massenmedien 60<br />

4.2.2.3.3 Die Interessengruppen 67<br />

4.3 Generalisierte Handlungsorientierungen 74<br />

4.3.1 Generalisierte Handlungsorientierungen<br />

<strong>des</strong> politischen Systems insgesamt 74<br />

4.3.2 Generalisierte Handlungsorientierungen<br />

in den drei Subsystemen 79<br />

4.4 Variationen <strong>des</strong> Prozeßmodells .. 82<br />

5. Ein Begriff politischer Strukturen • 87<br />

5.1 Der Strukturbegriff von David Easton 87<br />

5.2 Strukturen als generalisierte und komplementäre<br />

Verhaltenserwartungen 92<br />

6. Politische Strukturen und politische Performanz 100<br />

Literatur 109


Zusammenfasstang<br />

Die <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> ist ein begrifflicher Bezugsrahmen<br />

zur empirischen Analyse der <strong>demokratischen</strong> Prozesse in den liberalen<br />

Demokratien. Ausgehend von bestimmten metatheoretischen Grundannahmen<br />

wird ein Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> entwickelt. Dieses enthält u.a.<br />

eine Abgrenzung von drei Subsystemen <strong>des</strong> politischen Systems und eine<br />

Bestimmung der relevanten kollektiven Akteure dieser drei Subsysteme. Zur<br />

theoretischen Vorbereitung der empirischen Erklärung unterschiedlicher Prozeßphänomene<br />

durch unterschiedliche strukturelle Arrangements liberaler<br />

Demokratien wird zudem ein Konzept politischer Strukturen und politischer<br />

Perform anz vorgeschlagen.<br />

Abstract<br />

The metatheory on the democratic process poses a conceptual framework for<br />

the empirical analysis of democratic processes in liberal democracies. A model<br />

of democratic processes is being developed which proceeds from certain metatheoretical<br />

presuppositions. It, inter alia, distinguishes between three subsystems<br />

of the political system and defines their relevant collective actors.<br />

Moreover, a concept of political structures and political performance is being<br />

suggested to theoretically provide for an empirical explanation of diverse process<br />

phenomena by different structural arrangements in liberal democracies.


1<br />

1. Problemkontext 1<br />

Die allgemeine Fragestellung der Abteilung "Institutionen und sozialer<br />

Wandel" <strong>des</strong> <strong>WZB</strong> bezieht sich auf die Fähigkeit der politischen Institutionen<br />

der modernen Gesellschaften, die Probleme, die durch den Wandel dieser<br />

Gesellschaften erzeugt worden sind, angemessen aufzunehmen und zu verarbeiten.<br />

Diese Fähigkeit ist in einer ganzen Reihe von theoretischen Diagnosen<br />

bezweifelt worden. In dem Maße, in dem diese Zweifel auch empirisch haltbar<br />

sind, stellt sich die Frage nach funktionalen Äquivalenten einzelner Institutionen<br />

oder institutioneller Arrangements, die eine höhere Problemlösungskapazität<br />

aufweisen. Wir wollen im folgenden in einem ersten Schritt die konkrete<br />

und aktuelle Bedeutung dieser allgemeinen Fragestellung durch eine kurze<br />

Darstellung der wichtigsten theoretischen Diagnosen deutlich machen. Vor diesem<br />

Hintergrund soll dann in einem zweiten Schritt die Notwendigkeit einer<br />

<strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> als eine Bedingung der Analyse der<br />

in diesen theoretischen Diagnosen aufgeworfenen Frage begründet werden. Die<br />

angezielte <strong>Metatheorie</strong> ist also eine Voraussetzung solcher Analysen und noch<br />

nicht diese selbst.<br />

Bei den theoretischen Diagnosen dominierte seit etwa Mitte der siebziger Jahre<br />

die Hypothese einer strukturbedingten Schließung der politischen Entscheidungsprozesse<br />

gegenüber neuen Ansprüchen der Staatsbürger, die sich als<br />

Folge der weitergehenden Modernisierung ergeben haben 2 . Unter diesen<br />

Ansprüchen wurden - zumin<strong>des</strong>t innerhalb der empirischen Sozialforschung -<br />

vor allem solche verstanden, die sich im Rahmen der Entstehung postmateriali-<br />

1 Für eine konstruktive Kritik einer 1. Fassung <strong>des</strong> Papiers und für hilfreiche Hinweise danke<br />

ich den Kollegen <strong>des</strong> Schwerpunktes "Sozialer Wandel, Institutionen und Vermittlungsprozesse"<br />

<strong>des</strong> <strong>WZB</strong> und Klaus von Beyme, der im Jahre 1992/93 Gastprofessor dieses Schwerpunktes<br />

war.<br />

2 <strong>Eine</strong> vergleichbare Diskussion gab es bereits in den sechziger Jahren, die allerdings aus einer<br />

ganz anderen theoretischen Perspektive erfolgte. Der Bezugspunkt der Hypothese einer<br />

strukturbedingten Schließung <strong>des</strong> politischen Systems gegenüber Ansprüchen aus der<br />

Gesellschaft waren hier weniger bestimmte Interessen, sondern Interessen bestimmter sozialer<br />

Gruppen. Siehe dazu unter anderem Bachrach und Baratz (1962,1963) und Offe (1969).


2<br />

stischer Wertorientierungen (Inglehart 1977, 1990) konstituiert haben. Die<br />

Schließung gegenüber diesen neuen Ansprüchen wurde im wesentlichen auf<br />

zwei Strukturfaktoren zurückgeführt, die einen unterschiedlichen Grad struktureller<br />

Verfestigung haben: Erstens auf die Trägheit historisch gewachsener<br />

Parteiensysteme, die sich auf der Grundlage ganz anderer Interessen (materialistischer<br />

Grupperunteressen) herausgebildet haben und zweitens auf die Logik<br />

<strong>des</strong> Parteienwettbewerbs in repräsentativen Demokratien als solcher. Die Orientierung<br />

der konkurrierenden Parteien an der Maximierung ihrer Wählerstimmen<br />

impliziert eine Orientierung an Wählermehrheiten und das wiederum<br />

bedeutet eine strukturelle Schließungstendenz gegenüber Minderheitsinteressen.<br />

Letzteres läßt sich auf eine Schließungstendenz gegenüber den neuen<br />

Ansprüchen natürlich nur anwenden, solange diese Minderheitsansprüche darstellen.<br />

Es ist inzwischen schon fast eine Selbstverständlichkeit der wissenschaftlichen<br />

Diskussion geworden, die Anwendung nichtinstituüonalisierter<br />

Handlungsformen und die Herausbildung neuer sozialer Bewegungen als<br />

Folge dieser strukturbedingten Schließung gegenüber den neuen Ansprüchen<br />

zu begreifen.<br />

Etwa Mitte der achtziger Jahre veränderte und radikalisierte sich die Perspektive<br />

etwas. Autoren wie Offe (1985) und Beck (1986) gehen von dem Sachverhalt<br />

aus, daß die Anwendung nichtinstitutionalisierter Handlungsformen und<br />

die Konsolidierung der neuen sozialen Bewegungen als kollektive Akteure der<br />

Politik eine feste und wichtige Größe <strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong> geworden sind 3 .<br />

Im Hinblick auf den demokraüschen Prozeß ist darunter zu verstehen, daß die<br />

politischen Entscheidungsträger permanent mit einem neuen Typus von<br />

Ansprüchen (postmaterialistischen oder lebensweltlichen) 4 konfrontiert werden<br />

3 Bezogen auf das Kollektiv der Staatsbürger wird diese Annahme empirisch durch Ergebnisse<br />

repräsentativer Bevölkerungsumfragen in mehreren westeuropäischen Ländern bestätigt.<br />

Die Akzeptanz neuer sozialer Bewegungen und der von diesen verwendeten nichtinstitutionalisierten<br />

Handlungsformen ist in diesen Ländern sehr ausgeprägt und nimmt im Zeitverlauf<br />

eher zu (Fuchs 1991b, Fuchs und Rucht 1993).<br />

4 Die bei Inglehart als postmaterialistisch bezeichneten Ansprüche werden in anderen theoretischen<br />

Kontexten als lebensweltliche Ansprüche bezeichnet (siehe Habermas 1981; Offe<br />

1985; Raschke 1985). Der Bedeutungsgehalt beider Begriffe ist zwar nicht identisch, weist<br />

aber starke Überschneidungen auf.


3<br />

und das vor allem durch direkte Beeinflussungsversuche unter Umgehung der<br />

politischen Parteien. Beck (1986) bezeichnet diese Entwicklung als eine Wahrnehmung<br />

und Durchsetzung demokratischer Handlungsspielräume innerhalb<br />

<strong>des</strong> Regelsystems der repräsentativen Demokratie. Praktisch bedeutet das aber<br />

ein Unterlaufen der traditionellen Funktion <strong>des</strong> Parteiensystems, so wie es im<br />

Modell der liberalen Demokratie vorgesehen ist und zwar der Filterung (und<br />

das heißt Limitierung) von Ansprüchen der Bürger gegenüber den politischen<br />

Entscheidungsträgern und der Entlastung der Entscheidungstätigkeit von<br />

Zwängen der Legitimationsbeschaffung. Von daher diagnostizieren Offe und<br />

Beck eine Entgrenzung der Politik. Selbst wenn die Parteiensysteme immer<br />

noch die beschriebenen Schließungstendenzen haben würden, hätte sich insgesamt<br />

durch diese Wahrnehmung und Durchsetzung demokratischer Handlungsspielräume<br />

eine Offenheit <strong>des</strong> polirischen Entscheidungssystems gegenüber<br />

gesellschaftlichen Ansprüchen ergeben, die dann selbst wieder zum Problem<br />

wird. Man kann dieses Problem als eine Entmachtung der Politik kennzeichnen<br />

oder als einen Verlust an Entscheidungs- und Gestaltungsfähigkeit,<br />

die durch diese Entgrenzung bewirkt wird.<br />

In den Argumentationen von Offe und Beck sind bereits Aspekte enthalten, die<br />

in der aktuellen Diskussion über die Postmodernisierung aufgegriffen und verschärft<br />

wurden. Offe und vor allem Beck gehen von einem Zerfall der Sozialstruktur<br />

der industriellen Moderne aus und folgern von daher eine Individualisierung<br />

von Lebenslagen (siehe dazu auch Zapf 1987). Diese Individualisierung<br />

ist eine der Ursachen für die Entgrenzung der Politik, da sie neben anderen<br />

Faktoren zur Artikulation von neuen und mehr Ansprüchen an die Politik<br />

führt. Da diese Anspruchsvielfalt aber letztlich durch einen gemeinsamen substantiellen<br />

Kern gekennzeichnet ist, den man durch das Postmaterialismuskonzept<br />

oder durch das Lebenswelt-Paradigma genauer bestimmen<br />

kann, ist mit ihr eine begrenzte Entgrenzung der Politik verbunden, die als<br />

Ausdruck einer Differenzierung begriffen werden kann. <strong>Eine</strong> derartige Differenzierung<br />

erschwert die Aggregations- und Entscheidungsfähigkeit <strong>des</strong> politischen<br />

Systems sicherlich, paralysiert sie aber nicht notwendigerweise. Auf<br />

inhaltlich bestimmte und stabile Ansprüche kann man sich auf die Dauer ein-


4<br />

stellen. Anders ist die Sachlage, wenn man von einer Fragmentierung von<br />

Ansprüchen ausgeht, wie das vor allem theoretische Diagnosen im Rahmen der<br />

Postmodernisierungsdiskussion tun (zu dieser Diskussion siehe: Gibbins 1989;<br />

Crook, Pakulski und Waters 1992; Fuchs und Klingemann 1993). Danach lösen<br />

sich feste Muster politischer Orientierung zunehmend auf und an ihre Stelle<br />

treten entweder eine Vielfalt vereinzelter Ansprüche, die massenmedialen<br />

Thematisierungslogiken folgen oder aber transitorische Anspruchspakete, die<br />

eher amorphe Muster verschiedenster ideologischer Elemente darstellen. Auch<br />

wenn man diese Beschreibung als eine theoretische Überzeichnung betrachtet,<br />

so deckt sie sich grundsätzlich mit aktuellen Diagnosen über partikulare und<br />

anomische Tendenzen in den westlichen Gesellschaften, die vor allem aus journalistischer<br />

Perspektive oder der Perspektive von Politikern vorgenommen<br />

wurden (z.B. Kleinert 1992).<br />

Wenn wir von der Prämisse einer Partikularisierung oder Fragmentierung der<br />

Ansprüche der Staatsbürger ausgehen (für die einiges spricht), was würde das<br />

für die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der Politik bedeuten? Der effizienteste<br />

und legitime Bezugspunkt der Handlungsorientierung der kollektiven<br />

Akteure <strong>des</strong> politischen Systems (Parteien, Regierung) im Interesse <strong>des</strong> Machterwerbs<br />

und der Machterhaltung ist die Orientierung an Bevölkerungsmehrheiten.<br />

Die Mehrheitsregel ist aber dann kein wirksamer Mechanismus zur<br />

Herstellung von Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit, wenn sich die Mehrheiten<br />

ständig ändern und wenn die jeweiligen Minderheiten wenig Bereitschaft<br />

zeigen, die in der Orientierung an Mehrheiten getroffenen Entscheidungen<br />

zu akzeptieren. Beide Faktoren würden bedeuten, daß gerade die Offenheit<br />

der Entscheidungsträger gegenüber den Staatsbürgern ihre Entscheidungsfähigkeit<br />

begrenzen würde. Das in der Demokratietheorie bekannte Problem <strong>des</strong><br />

prekären Verhältnisses zwischen Responsivität und Effektivität <strong>des</strong> politischen<br />

Systems wäre dann in relativ drastischer Form wieder auf der Tagesordnung.<br />

Es könnte sich insgesamt eine paradoxe Situation entwickelt haben. Die Fragmentierung<br />

der Interessen und Ansprüche der Staatsbürger ist nur ein Symptom<br />

eines grundlegenderen gesellschaftlichen Desintegrationsprozesses. Diese<br />

gesellschaftsinterne Entwicklung wird forciert durch den Wegfall <strong>des</strong> Ost-West-


5<br />

Konfliktes als einen Integrationsmechanismus, der von außen auf die westlichen<br />

Gesellschaften wirkt. <strong>Eine</strong> solche Desintegration erzeugt Verunsicherung<br />

bei den Staatsbürgern, die die allgemeine Erwartung an die Politik zur Folge<br />

hat, diese Verunsicherung durch entschiedenes Handeln zu reduzieren (siehe<br />

dazu auch Kleiner! 1992). Das Paradox liegt darin, daß die fragmentierten<br />

Staatsbürger selbst als eine der Ursachen der geringen Handlungsfähigkeit der<br />

Akteure <strong>des</strong> politischen Systems angesehen werden können. Es gibt nach dieser<br />

Argumentation also eine Diskrepanz bei den Staatsbürgern zwischen einer allgemeinen<br />

Handlungserwartung und ganz unterschiedlichen Vorstellungen wo<br />

und wie gehandelt werden soll. Diese Diskrepanz wird in der gegenwärtigen<br />

Kritik an der "politischen Klasse" überdeckt. Bei dieser Kritik wird die Fiktion<br />

eines Kollektives der Staatsbürger errichtet, deren Interesse durch die "politische<br />

Klasse" nicht mehr aufgegriffen wird.<br />

An diesem Wunsch nach einer gestaltenderen Politik setzen auch aktuelle Diagnosen<br />

aus dem Bereich der Politik selber an. Biedenkopf (1989) und vor allem<br />

von Weizäcker (Hofmann und Perger 1992) sind die prominentesten Beispiele.<br />

Ihre Kritik entzündet sich vor allem an der Vernachlässigung von Langfristinteressen<br />

der Gesellschaft gegenüber Kurzfristinteressen der Staatsbürger. Als<br />

Beispiele für solche vernachlässigten Langfristinteressen werden verschiedene<br />

Formen der Umweltzerstörung genannt, Probleme also, die von Inglehart dem<br />

Bereich der postmaterialistischen Orientierungen zugerechnet werden. Das<br />

Problem der relativ hohen Responsivität gegenüber faktischen gegenwärtigen<br />

Ansprüchen und relativ geringer Responsivität gegenüber -potentiellen zukünftigen<br />

Ansprüchen lösen sie im Grunde aber nur moralisierend, indem sie die<br />

Responsivität <strong>des</strong> politischen Entscheidungssystems gegenüber bestimmten<br />

aktuellen Ansprüchen der Staatsbürger als Demoskopiedemokratie (alternative,<br />

aber inhaltlich vergleichbare Formulierungen der gegenwärtigen Debatte sind<br />

Stimmungsdemokratie, Mediendemokratie oder auch populistische Anpassung)<br />

kritisieren. Hier stellt sich allerdings die demokratietheoretisch nicht einfach<br />

zu lösende Frage, wie man langfristige Interessen der Staatsbürger notfalls<br />

auch gegen deren Kurzfristinteressen (und das heißt aktuellen Interessen) geltend<br />

macht und durchsetzt. Zudem wären noch institutionelle Alternativen zu


6<br />

den Mechanismen der kompetitiven Parteiensysteme vorzuschlagen, die eine<br />

systematische Berücksichtigung solcher Langfristinteressen strukturell überhaupt<br />

möglich machen.<br />

Wir wollen die skizzierten theoretischen Diagnosen noch einmal unter dem<br />

Aspekt der strukturbedingten Schließung gegenüber gesellschaftlichen<br />

Ansprüchen zusammenziehen und verallgemeinern. Die Hypothese einer<br />

srrukturbedingten Schließung kann grundsätzlich nach drei Dimensionen<br />

unterschieden werden:<br />

1. In der Sachdimension bezieht sie sich auf die systematische Ausgrenzung<br />

bestimmter Arten von Interessen (z.B. postmaterialistischer).<br />

2. In der Sozialdimension bezieht sie sich auf die systematische Ausgrenzung<br />

der Interessen bestimmter sozialer Gruppen (z.B. sozial schwacher).<br />

3. In der Zeitdimension bezieht sie sich auf die systematische Ausgrenzung<br />

zukünftiger Interessen gegenüber gegenwärtigen (z.B. Umweltfragen).<br />

In dem Maße, in dem solche systematischen Ausgrenzungen stattfinden,<br />

könnte man von einem Defizit <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> sprechen. Wenn<br />

solche systematischen Ausgrenzungen durch Strukturen <strong>des</strong> politischen<br />

Systems bewirkt werden, dann stellt sich aus einer demokratietheoretischen<br />

Perspektive die empirisch zu klärende Frage, welche konkreten Strukturen<br />

stärkere oder schwächere Ausgrenzungseffekte <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

bewirken. Die beabsichtigte <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> soll<br />

dazu beitragen, die theoretischen Voraussetzungen derartiger empirischer<br />

Analysen bereitzustellen.<br />

Bei der Skizzierung der theoretischen Diagnosen wurde bereits eine Problematik<br />

angedeutet, die noch einmal aufgegriffen und auf eine abstraktere begriffliche<br />

Ebene gehoben werden soll. Wenn man von einer Differenzierung oder<br />

Fragmentierung der Ansprüche der Staatsbürger ausgeht, dann bedeutet bei<strong>des</strong><br />

eine größere Vielfalt und eine stärkere Variabilität der Ansprüche. Für die<br />

Akteure <strong>des</strong> politischen Entscheidungssystems wird es dementsprechend<br />

schwieriger, die Ansprüche zu identifizieren, die gegenwärtig (in der Wahlkampfphase)<br />

und mittelfristig (bezogen auf die gesamte anstehende Legislatur-


7<br />

periode) am ehesten den "Willen" der Staatsbürger repräsentieren. Die gleichen<br />

allgemeinen Ursachen für diese Entwicklung der Ansprüche auf der Seite der<br />

Staatsbürger führen auf der Seite der Akteure <strong>des</strong> politischen Entscheidungssystems<br />

(vor allem bei den politischen Parteien) zu einer Zunahme<br />

einer instrumenteilen Rationalität, die sich primär an der Funktionslogik <strong>des</strong><br />

politischen Systems orientiert (Besetzung von Entscheidungspositionen durch<br />

Gewinnung von Wahlen) 5 . Politische Ziele gewinnen im Kontext dieser Rationalität<br />

den Charakter von Mitteln für diesen Zweck, das heißt, sie werden vor<br />

allem in opportunistischer Anpassung an die unterstellten Ansprüche der<br />

Wähler formuliert. Das wiederum bedeutet für die Wähler eine Unklarheit darüber,<br />

was die politischen Parteien letztlich wollen und tatsächlich tun werden.<br />

Im Verhältnis zwischen den Staatsbürgern und den politischen Parteien besteht<br />

somit das Problem der doppelten Kontingenz (Parsons 1951,1968): Jeder der beiden<br />

Akteure macht sein Verhalten von dem Verhalten <strong>des</strong> anderen abhängig,<br />

das jeweils nur mit großer Unsicherheit vorhersagbar ist. <strong>Eine</strong> prägnante Definition<br />

<strong>des</strong> Kontingenzbegriffs findet sich bei Luhmann (1984, 152): "Kontingent<br />

ist etwas, was weder notwendig ist, noch unmöglich ist". Wenn die interagierenden<br />

Akteure kontingent handeln 6 , dann stellt sich die Frage, wie die <strong>demokratischen</strong><br />

Prozesse unter dieser Bedingung zu beschreiben sind und wie die<br />

politischen Strukturen beschaffen sein müßten, um möglichst viel Kontingenz<br />

zu absorbieren. Willke (1992, 36) zieht aus dem Kontingenzproblem eine deutliche<br />

Schlußfolgerung für die Theoriebildung, wenn er feststellt, daß es für eine<br />

Theorie <strong>des</strong> politischen Systems in modernen Gesellschaften unerläßlich ist, die<br />

"Rolle von Kontingenz für die Operationsweise komplexer Sozialsysteme"<br />

einzubeziehen. Diese Schlußfolgerung Willkes stellt sich in verschärfter Form<br />

für Gesellschaften dar, die nach Theorien wie die <strong>des</strong> Postindustrialismus oder<br />

der Postmodernisierung eine Stufe der Modernität erreicht haben, die "ein<br />

5 Als allgemeine Ursachen werden im Rahmen von systemtheoretisch gefaßten Modernisierungstheorien<br />

weitergehende Prozesse der Säkularisierung der Kultur und der Differenzierung<br />

der Struktur betrachtet (Almond und Powell 1978; Willke 1992). Konkretere Manifestationsformen<br />

dieser Prozesse werden bei Beck (1986), Zapf (1987) und Crook Pakulski und<br />

Waters (1992) diskutiert.<br />

6 Jeder der Akteure könnte auch anders handeln und weiß, daß das der andere auch könnte<br />

und weiß, daß das der andere auch weiß (Luhmann 1984,165).


8<br />

ungewöhnliches Maß an Kontingenz" (Luhmann 1992, 93) erzeugt. In der nachfolgenden<br />

<strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> wird auf dieses Kontingenzproblem<br />

immer wieder zurückgekommen, um auch in der modellhaften<br />

Erfassung <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> das Kontingenzproblem schon zu<br />

berücksichtigen. Dabei wird unterstellt, daß das Kontingenzproblem einerseits<br />

ein Grundproblem für die politischen Strukturen aller modernen Gesellschaften<br />

darstellt, das andererseits aber strukturelle Variationen die Fähigkeit der<br />

Absorption von Kontingenz wesentlich beeinflussen.<br />

Die kurze Darstellung der theoretischen Diagnosen sollten den Problemhorizont<br />

deutlich machen, auf den sich die allgemeine Fragestellung der<br />

Problemverarbeitungskapazität der politischen Institutionen moderner Gesellschaften<br />

bezieht. Das institutionelle Arrangement dieser Gesellschaften kann<br />

auf einer abstrakten Ebene mit dem Begriff der liberalen Demokratie bezeichnet<br />

werden (Barber 1984, Held 1987). <strong>Eine</strong> alternative Bezeichnung wäre die der<br />

repräsentativen Demokratie, die bereits einen Verweis auf einen zentralen Strukturaspekt<br />

dieser politischen Ordnungsform enthält. Die kritischen Diagnosen<br />

werden <strong>des</strong>halb in der Regel auch als Diagnosen eines Defiziies <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> formuliert, der durch die Strukturen dieses Typs von<br />

Demokratie gesteuert wird (liberale oder repräsentative Demokratie). Als empirisch<br />

identifizierbare Erscheinungsformen dieses Defizites wird häufig auf<br />

Phänomene wie <strong>des</strong> steigenden Anteils an Nichtwählern, einer zunehmenden<br />

Unzufriedenheit mit den etablierten politischen Parteien, der Entstehung neuer<br />

Rechts- und Regionalparteien, einer wachsenden Unzufriedenheit mit dem<br />

Funktionieren der Demokratie insgesamt, einer Zunahme <strong>des</strong> politischen Protestes<br />

und ähnlichem verwiesen. Das Problem dieser Belege besteht aber darin,<br />

daß sie fast durchweg eher illustrativ für eine theoretisch begründete Hypothese<br />

verwendet werden und vor allem darin, daß sie selektiv zitiert werden.<br />

Wie komparative Studien jedoch zeigen, treffen diese Phänomene nur in einem<br />

Teil der westlichen Länder zu und das in sehr unterschiedlichen Ausmaßen<br />

(siehe: Klingemann und Fuchs). Auch wenn man unterstellt, daß diese Phänomene<br />

Erscheinungsformen eines Defizites <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> sind<br />

(was zum Teil durchaus bestreitbar ist), zeigen diese empirischen Diskrepanzen


9<br />

doch, daß das Ausmaß <strong>des</strong> Defizites in den westlichen Ländern sehr unterschiedlich<br />

ist. Dieser Tatbestand verweist schon auf die Bedeutung von Unterschieden<br />

innnerhalb <strong>des</strong> generellen Typus der liberalen Demokratie. Dieser<br />

Aspekt wird später noch einmal aufgegriffen.<br />

Die allgemeine Frage nach der Fähigkeit der politischen Institutionen zur Verarbeitung<br />

und Aufnahme von Problemen, die durch gesellschaftlichen Wandel<br />

entstehen, kann auf der Grundlage der diskutierten theoretischen Diagnosen in<br />

drei konkretere Fragen transformiert werden und zwar den Fragen nach:<br />

1. dem Ausmaß der systematischen Ausgrenzung von Interessen (differenziert<br />

nach der Sach-, Sozial- und Zeitdimension);<br />

2. der Kapazität zur Absorption von Kontingenz;<br />

3. der Art und Stärke der Folgen von 1. und 2. für die Einstellungen und<br />

Verhaltensweisen der Staatsbürger 7 .<br />

Es ließen sich sicherlich noch weitere Konkretisierungen vornehmen, aber wir<br />

nehmen an, daß mit den drei genannten die wichtigsten Fragen der aktuellen<br />

Diskussion über die Qualität <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> in den liberalen<br />

Demokratien erfaßt sind. Die empirische Analyse solcher Fragen setzt zunächst<br />

einmal eine empirische Rekonstruktion <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> voraus.<br />

Dazu gehören zwei Arten von Deskription. Wenn wir vorgreifend von der allgemeinen<br />

Prämisse ausgehen, daß der demokratische Prozeß eine durch die<br />

Strukturen <strong>des</strong> politischen Systems festgelegte, geordnete Abfolge von klar<br />

unterscheidbaren Stufen ist, dann gilt es erstens die einzelnen Stufen als solche<br />

empirisch zu beschreiben und zweitens den Zusammenhang zwischen diesen<br />

Stufen zu ermitteln. Zur ersten Art von Deskription gehört beispielsweise die<br />

empirische Erfassung der konkreten Ansprüche, die von den Staatsbürgern an<br />

das politische System gerichtet werden, oder die empirische Erfassung der<br />

konkreten Entscheidungen, die durch das politische System getroffen werden.<br />

7 Diese Frage als zusätzliche Frage zu postulieren, macht natürlich nur dann einen Sinn, wenn<br />

man von einem nicht-deterministischen Verhältnis von 1. und 2. in bezug auf 3. ausgeht.


10<br />

Die zweite Art von Deskription ist in paradigmatischer Weise durch ein Forschungsprojekt<br />

realisiert worden, das für zehn westliche Länder empirisch<br />

analysiert, inwieweit die Programme der politischen Parteien das Regierungsverhandeln<br />

vorhersagen (Klingemann, Hofferbert und Budge, 1993). In vergleichbarer<br />

Form könnten und müßten andere Prozeßabschnitte analysiert<br />

werden, wie zum Beispiel das Ausmaß der Determination der Parteiprogramme<br />

durch die Ansprüche der Bürger.<br />

Wenn in dieser Weise der demokratische Prozeß in verschiedenen Ländern<br />

beschrieben und rekonstruiert worden ist, kann die Frage nach einer Erklärung<br />

der empirisch aufgefundenen Variationen in diesen Ländern gestellt werden. Es<br />

ist eine alte sozialwissenschaftliche Kontroverse, welche Faktoren letztlich die<br />

relevanten Ursachen für politische Phänomene sind: sind diese eher auf gesellschaftliche<br />

Faktoren zurückzuführen oder eher auf endogene Faktoren <strong>des</strong><br />

politischen Systems selbst (siehe dazu Sartori 1969; Easton 1990)? Wir schließen<br />

uns Sartoris und Eastons Auffassung an, daß endogene Faktoren <strong>des</strong> politischen<br />

Systems einen eigenständigen Effekt auf politische Phänomene haben. Im<br />

Kontext unserer Problemstellung bedeutet das eine Erklärung von empirischen<br />

Variationen auf der Prozeßebene durch empirische Variationen auf der Strukturebene.<br />

Ein konkretes Beispiel für eine derartige Erklärungsstrategie ist, die<br />

unterschiedliche Transformation von Wähleransprüchen in Regierungshandeln<br />

in verschiedenen Demokratien auf unterschiedliche Strukturen der Parteiensysteme<br />

dieser Demokratien zurückzuführen. Derartige Analysen sind nur<br />

dann durchzuführen, wenn entsprechende Daten für eine Mehrzahl von Ländern<br />

zur Verfügung stehen, die zudem so ähnlich sind, daß eine vergleichende<br />

Analyse überhaupt sinnvoll ist Diese beiden Kriterien sind im Falle der OECD-<br />

Länder ausreichend erfüllt. Die OECD wurde 1961 gegründet und umfaßt seit<br />

1973 24 Vollmitglieder. <strong>Eine</strong> der für unsere Forschungszwecke bedeutsame<br />

Konsequenz dieser Mitgliedschaft ist, daß für alle dieser Länder eine Vielzahl<br />

ökonomischer und politischer Makrodaten zur Verfügung stehen. Darüber hinaus<br />

weisen diese Länder zwei Homogenitätsmerkmale auf "die sie eindeutig als<br />

einer Kategorie von Ländern zugehörig identifizieren: Ihre Ökonomien sind


11<br />

kapitalistisch und relativ entwickelt (mit der Folge eines relativ hohen Lebensstandards<br />

ihrer Bevölkerungen), ihre politischen Systeme sind liberal-pluralistisch<br />

bzw. kompetitiv" (Nohlen 1983, 13). Das bedeutet im Rahmen <strong>des</strong> hier<br />

ausgeführten Problemkontextes, daß die Frage nach funktionalen Äquivalenten<br />

politischer Strukturen auf funktionale Äquivalente innerhalb <strong>des</strong> Systems der<br />

liberalen oder repräsentativen Demokratie beschränkt wird. Wir gehen zwar<br />

nicht soweit wie Fukuyama (1992), daß mit dem Zusammenbruch der sozialistischen<br />

Regimes in Osteuropa auch das Ende der Geschichte gekommen sei,<br />

aber dieser Zusammenbruch bedeutet doch das Ende einer existierenden und<br />

somit grundsätzlich realisierbaren Alternative zu den liberalen Demokratien.<br />

<strong>Eine</strong> Verengung der Perspektive auf funktionale Äquivalente von Strukturen<br />

innerhalb von liberalen Demokratien und nicht zu liberalen Demokratien liegt<br />

von daher gesehen nahe. Auf ihre Weise gehen auch so kritische Analysen wie<br />

die von Rödel, Frankenberg und Dubiel (1989) von den liberalen Demokratien<br />

als Bezugspunkt aus, indem sie die demokratische Frage zwar wieder stellen,<br />

das aber, indem sie die liberale Demokratie als institutionellen Rahmen begreifen,<br />

in dem diese sinnvollerweise erst gestellt werden kann. Gerade durch den<br />

Zusammenbruch der sozialistischen Regimes ist es nicht mehr möglich, jede<br />

Form der liberalen Demokratie durch den Verweis auf diese schlechtere<br />

Systemalternative zu legitimieren. Die Blickrichtung verschiebt sich auf den<br />

Vergleich unterschiedlicher struktureller Arrangements der liberalen Demokratien<br />

als einer allgemeinen Kategorie politischer Systeme.<br />

Der Aufweis <strong>des</strong> Problemkontextes, auf den sich die <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> letztlich beziehen soll, besagt noch nichts über den Charakter<br />

und den Status dieser <strong>Metatheorie</strong> selbst. <strong>Eine</strong> empirische Rekonstruktion <strong>des</strong><br />

<strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> in den OECD-Ländern und die Erklärung empirisch<br />

ermittelter Unterschiede auf der Prozeßebene durch empirisch identifizierte<br />

Unterschiede auf der Strukturebene erfordert eine solche <strong>Metatheorie</strong>. Die<br />

<strong>Metatheorie</strong> ist also lediglich eine (nicht die einzige) theoretische Voraussetzung<br />

zur Durchführung solcher empirischer Analysen. Sie hat zwei grundlegende


12<br />

Komponenten. Erstens ein Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> 8 , das für alle<br />

OECD-Länder gültig ist und allererst eine empirische Rekonstruktion der Prozesse<br />

in den einzelnen Ländern erlaubt. Zweitens ein Begriff politischer<br />

Strukturen, auf <strong>des</strong>sen Grundlage konkrete Strukturen und Strukturunterschiede<br />

empirisch bestimmt werden können. Die intendierte <strong>Metatheorie</strong> mit<br />

diesen beiden Komponenten hat durch die Begrenzung <strong>des</strong> Geltungsbereiches<br />

auf die OECD-Länder und das heißt, auf liberale Demokratien, lediglich eine<br />

mittlere Reichweite. Sie unterscheidet sich somit von universell angelegten<br />

<strong>Metatheorie</strong>n <strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong>, wie sie beispielsweise von Easton (1965)<br />

entwickelt wurde.<br />

S Die Rede von einem <strong>demokratischen</strong> Prozeß ist natürlich nur sinnvoll im Hinblick auf dieses<br />

allgemeine Modell. Auf der empirischen Ebene dürfte sich eine Mehrzahl demokratischer<br />

Prozesse identifizieren lassen, die ihrerseits wiederum strukturelle Gemeinsamkeiten und<br />

Unterschiede aufweisen können.


13<br />

In einem neueren Sammelband stellt Ritzer (1992, 7) eine Explosion <strong>des</strong> Interesses<br />

an soziologischen <strong>Metatheorie</strong>n in den letzten Jahren fest. <strong>Metatheorie</strong> wird<br />

bei Ritzer (1992, 7) allgemein definiert "as the systematic study of the underlying<br />

structure of sociological theory". Das kann sehr Verschiedenes bedeuten,<br />

wie auch die Beiträge <strong>des</strong> Sammelban<strong>des</strong> von Ritzer zeigen. Wir beziehen uns<br />

auf die Weise, in der Lehmann (1988) <strong>Metatheorie</strong> in die Politologie zur Entwicklung<br />

eines Modells der Polity eingeführt hat (wir beziehen uns nicht auf<br />

dieses Modell der Polity selbst). Lehmann stützt sich dabei auf Alexanders<br />

(1982) "scientific continuum and its components". Der Grundgedanke dabei ist,<br />

daß man empirische Tatbestände überhaupt erst erzeugen und dann interpretieren<br />

kann, wenn man einen Bezugsrahmen hat, der eben Meta-Theorie<br />

genannt werden kann. Der Begriff Meta ist vor allem dann sinnvoll, wenn<br />

Theorien im Sinne Poppers verstanden werden, das heißt aus Hypothesen in<br />

der Form von Wenn-Dann-Aussagen bestehen, die empirisch getestet werden<br />

können. Die Spezifikation solcher Hypothesen beruht nach Alexander aber auf<br />

Voraussetzungen, die ihrerseits nicht oder nur eingeschränkt empirisch überprüfbar<br />

sind. Diese Voraussetzungen begleiten implizit jede empirische Forschung<br />

und sollten explizit gemacht werden, um die Implikationen der wissenschaftlichen<br />

Arbeit, die man tut, auch einschätzen zu können. Alexander (1982,<br />

3) bietet dazu gewissermaßen als Meta-Meta-Theorie das erwähnte Kontinuum<br />

an, <strong>des</strong>sen beide Pole das "metaphysical environment" und das "empirical environment"<br />

der wissenschaftlichen Arbeit sind (siehe Schaubild 1).<br />

Alexanders Konzeptualisierung der wissenschaftlichen Arbeit durch dieses<br />

Kontinuum 9<br />

zwischen den beiden Polen hat neben seiner intellektuellen Eleganz<br />

min<strong>des</strong>tens zwei wichtige Vorzüge: erstens wird die polare Kontrastierung<br />

zwischen Theorie und Empirie aufgebrochen und zweitens werden die<br />

Bedeutung und der Stellenwert der einzelnen Komponenten <strong>des</strong> Kontinuums<br />

9 Im Grunde handelt es sich um kein Kontinuum, sondern um eine Abfolge eindeutig<br />

bestimmter Komponenten zwischen den beiden Polen.


14<br />

Metaphysical<br />

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Empirical<br />

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Source: Alexander (1982, S.3)<br />

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eben dadurch klarer, daß sie auf einer Dimension liegen und sich somit wechselseitig<br />

explizieren können. An dieser Stelle soll aber nicht das gesamte Kontinuum<br />

betrachtet werden, sondern vor allem die Komponenten, die zweifelsfrei<br />

als <strong>Metatheorie</strong> bezeichnet werden können und zwar "presuppositions" und<br />

"models" (Lehmann 1988, 809). Die <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

bezieht sich hauptsächlich auf diese beiden Komponenten, wenn auch an einigen<br />

Stellen Sprünge auf Komponenten vorgenommen werden, die näher am<br />

"empirical environment" liegen wie z.B. "complex and simple propositions" und<br />

"observations". Wie die Bezeichnung "general presuppositions" schon andeutet,<br />

beziehen sich diese auf allgemeine und unvermeidliche Grundentscheidungen,<br />

die die weitere Theoriebildung steuern. "Models" bestehen demgegenüber aus<br />

"a logically ordered set of concepts that highlights the key features of the subject<br />

matter of a scientific discipline" (Lehmann 1988, 809). Aus dieser kurzen<br />

Bestimmung der beiden metatheoretischen Komponenten wird schon deutlich,<br />

daß <strong>Metatheorie</strong> im Verständnis von Alexander und Lehmann weder eine<br />

Theorie über Theorien noch eine allgemeine Reflexion über Theoriebildung ist<br />

(zu letzteren siehe Coleman 1990, 1-23). Das "Meta" bezieht sich lediglich auf


15<br />

ein Überschreiten von Theorien im Sinne Foppers, die auf Alexanders Kontinuum<br />

den "laws" zugeordnet werden müßten. 10<br />

Nach dieser Klärung <strong>des</strong> Verständnisses von <strong>Metatheorie</strong> kann die Frage<br />

gestellt werden, was die Kriterien einer guten <strong>Metatheorie</strong> sind und wie man<br />

diese für bestimmte Gegenstandsbereiche gewinnt. Alexander gibt zwei<br />

grundlegende Kriterien für eine adäquate <strong>Metatheorie</strong> an: Sparsamkeit<br />

(parsimony) und Multidimensionalität (multidimensionality) (siehe dazu auch<br />

Lehmann 1988, 809f). Während das Kriterium der Sparsamkeit ein allgemein<br />

akzeptiertes Kriterium der Wissenschaftstheorie für Theoriebildung ist, ist das<br />

Kriterium der Multidimensionalität nicht unmittelbar einsichtig, zumal es im<br />

Widerspruch zur Sparsamkeit zu stehen scheint. Letztlich wird es bei Alexander<br />

als eine Restriktion <strong>des</strong> Einfachheitskriteriums begriffen: die <strong>Metatheorie</strong><br />

sollte zwar möglichst sparsam formuliert sein, aber ohne daß damit im Hinblick<br />

auf die empirische Wirklichkeit einseitige apriorische Festlegungen getroffen<br />

werden. Diese Offenheit der einfachen Grundannahmen (presuppositions)<br />

gegenüber einer komplexen empirischen Wirklichkeit kann eben als<br />

(potentielle) Multidimensionalität bezeichnet werden. Das Kriterium der Multidimensionalität<br />

impliziert bei Alexander zudem eine Bewegung der wissenschaftlichen<br />

Arbeit in beide Richtungen, das heißt von dem metaphysischen Pol<br />

<strong>des</strong> Kontinuums zum empirischen Pol und umgekehrt. Das bedeutet, daß<br />

empirische Forschung auf der Grundlage metatheoretischer Überlegungen<br />

gemacht wird, die metatheoretischen Überlegungen aber wiederum im Lichte<br />

der Ergebnisse der empirischen Forschung reformuliert werden. <strong>Eine</strong> Voraussetzung<br />

dieses permanenten Rückkopplungsprozesses ist, daß die jeweils konkreteren<br />

Ebenen (konkreter verstanden als näher zum "empirical environment"<br />

liegend) als Spezifikation der generelleren begriffen werden. Erst dadurch ist<br />

ein systematischer Rückbezug der konkreteren Ebenen auf die allgemeineren<br />

möglich. Das impliziert unter anderem, daß die <strong>Metatheorie</strong> schon unter der<br />

Perspektive erarbeitet werden sollte, daß sie empirische Forschung eini-<br />

10 Die vorgeschlagene <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> wäre nach dem Theorieverständnis<br />

der Systemtheorie keine <strong>Metatheorie</strong>, sondern eine allgemeine Theorie <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> in liberalen oder repräsentativen Demokratien.


16<br />

germaßen stringent steuern kann oder wie Lehmann (1988, 810) formuliert:<br />

"Metatheory then consists of presuppositions and models. It constitutes a<br />

framework that permits the formulation and testing of "decisive" hypotheses.<br />

Presuppositions and models are more scientific when they successfully balance<br />

the needs of parsimony and multidimensionality."<br />

Neben dem Charakter der Allgemeinheit (generality) fordert Alexander (1982,<br />

37) für akzeptable theoretische Grundannahmen noch den Charakter der<br />

"decisiveness". Grundannahmen sind dann "decisive", wenn sie nicht-trivial<br />

sind im Hinblick auf signifikante wissenschaftliche Probleme <strong>des</strong> interessierenden<br />

Gegenstandsbereiches. Bezüglich soziologischer Forschung geht Alexander<br />

(1982, 40) von zwei fundamentalen Fragen aus, die die Grundannahmen jeder<br />

wissenschaftlichen Arbeit in diesem Bereich berücksichtigen sollten: die Frage<br />

<strong>des</strong> Handems (action) und die Frage der Ordnung (order). Wir versuchen, diese<br />

beiden Probleme für unsere Fragestellung aufzugreifen und etwas zu konkretisieren.<br />

Alexander begreift Handeln ganz im Sinne soziologischer Selbstverständlichkeiten<br />

als die elementarste Form sozialen Verhaltens. Seine Definition<br />

knüpft an die klassische Definition von Parsons an, der Handeln als Realisierung<br />

von Intentionen in Situationen bestimmt, und damit seinerseits ältere<br />

klassische Definitionen aufgreift. Wir reformulieren diese Definitionen etwas<br />

und bestimmen Handeln durch das Treffen (und Umsetzen) rationaler Entscheidungen<br />

(choices) von Akteuren (individuellen und kollektiven) im Rahmen<br />

von situativen und strukturellen Restriktionen (constraints). Diese Handlungsdefinition<br />

stammt letztlich aus dem Rational-Choice-Paradigma und hat<br />

den Vorzug, daß sie einerseits in der Substanz sehr einfach ist, andererseits aber<br />

durch die wissenschaftliche Forschung in verschiedenen Handlungsbereichen<br />

erfolgreich adaptiert werden konnte. <strong>Eine</strong> der Konsequenzen dieser vielfältigen<br />

Adaption ist die zunehmend größere Realitätsnähe gegenüber dem ursprünglich<br />

sehr restriktiven Begriff <strong>des</strong> "rational choice" aus der Ökonomie, ohne daß<br />

der Charakter der Sparsamkeit verlorengegangen ist. Die von uns vorgenommene<br />

Definition erfüllt also die Kriterien der Einfachheit und der Multidimensionalität<br />

Die Restriktivität der klassischen Rational-Choice-Theorie aus der<br />

Ökonomie bezog sich vor allem auf die Annahmen, daß es keine kognitiven


17<br />

und informationellen Grenzen der Akteure bei ihrer rationalen Kalkulation der<br />

Handlungsalternativen gibt und daß diese rationale Kalkulation durch das<br />

Prinzip der Nutzenoptimierung gesteuert wird. Beide Annahmen wurden von<br />

einer Reihe von Rational-Choice-Theorien inzwischen aufgegeben: Es wird<br />

nunmehr davon ausgegangen, daß die Suche und die Auswahl von Handlungsalternativen<br />

bei der Realisierung von Zielen auf begrenzter und unsicherer<br />

Informationsbasis beruht und daß eine Handlungsalternative gewählt wird, die<br />

für den Akteur einen befriedigenden Nutzen ("satisficing") hat und nicht notwendigerweise<br />

eine optimalen Nutzen ("optimizing") 11 . Diese Entwicklung war<br />

bereits bei Downs (1957) und Simon (1957) angelegt, die die Probleme der<br />

Informationsunsicherheit und Informationskosten sowie der "bounded rationa-<br />

Hty 11<br />

diskutierten.<br />

Trotz der relativ größeren Realitätsnähe der neueren Rational-Choice-Theorien<br />

stellt sich die Frage, warum überhaupt Rational Choice als Handlungstheorie<br />

verwendet werden solltel 2 . <strong>Eine</strong> Antwort darauf kann nur relativ gegeben werden.<br />

Unter den verfügbaren Alternativen hat die Rational-Choice-Theorie das<br />

relativ größte Potential für eine deduktive Erklärungsstrategie. Ein deduktives<br />

Vorgehen würde bedeuten, daß man von allgemeinen Annahmen über das<br />

Handeln von Akteuren ausgeht und in Verbindung mit Zusatzannahmen, die<br />

den Bereich betreffen, in dem gehandelt wird, genaue Prognosen für das<br />

tatsächliche Verhalten der Akteure formuliert. Diese können dann empirisch<br />

getestet werden. Ein solches Potential kann beispielsweise für sozialpsychologische<br />

Handlungstheorien kaum beansprucht werden. Diese sind in der Regel auf<br />

Ex-Post-Erklärungen <strong>des</strong> faktischen Handelns angewiesen, da dieses psychologisch<br />

überdeterminiert ist (Bennett und Salisbury 1987, 5f). Inwieweit dieses<br />

Potential einer deduktiven Erklärungsstrategie allerdings auch unter den<br />

11 Zur aktuellen Diskussion über einen "realistischeren" Rationalitätsbegriff siehe: March<br />

(1978), Simon (1985), Elster (1989), Wiesenthal (1987), Monroe (1991), Coleman und Fararo<br />

(1992). Zum Rationalitätsbegriff im Bereich politischen Handelns siehe: Fiorina (1981),<br />

Bennett und Salisbury (1987), March und Olsen (1983, 1989), Tsebelis (1990), Popkin (1991),<br />

Fuchs und Kühnel (1993).<br />

12 Diese Frage stellt sich zudem angesichts der Einwände, die auch dann noch bestehen, wenn<br />

man eine größere Realitätsnähe in Rechnung stellt. Siehe dazu die Beiträge in den Sammelbänden<br />

von Monroe (1991) und Coleman und Fararo (1992).


18<br />

Bedingungen eines weniger restriktiven Rationalitätsbegriffs vorhanden ist, ist<br />

theoretisch und empirisch noch eine offene Frage. Dennoch gehen wir angesichts<br />

der Alternativen (wie beispielsweise sozialpsychologischer Handlungstheorien<br />

oder Theorien <strong>des</strong> symbolischen Interaktionismus) davon aus, daß nur<br />

bei der Anwendung von Rational-Choice-Theorien die Chance der Verallgemeinerungsfähigkeit<br />

von Hypothesen und der Spezifikation empirisch fruchtbarer<br />

Prognosen besteht. Das gilt vor allem dann, wenn die relevanten Akteure auch<br />

oder vor allem kollektive Akteure sind, wie das im Falle der <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> der Fall ist. Für kollektive Akteure sind beispielsweise<br />

psychologische Handlungserklärungen wenig plausibel. Zudem<br />

läßt sich über die theoretische Leitdifferenz der Rational-Choi ce-Theorie zwischen<br />

"choices" und "constraints" ein systematischer Bezug zur Systemtheorie<br />

herstellen. Dies wiederum ist notwendig, um den Charakter von "constraints"<br />

genauer zu explizieren, als das innerhalb der Rational-Choice-Theorie möglich<br />

ist.<br />

Damit sind wir bei dem zweiten Problem, das die Grundannahmen jeder<br />

soziologischen Forschung nach Alexander berücksichtigen soll, dem Problem<br />

der Ordnung (order). Die Frage der Ordnung ist unseres Erachtens auf der<br />

Handlungsebene allein nicht aufzugreifen und zu beantworten. Sie wird im<br />

Rational-Choice-Paradigma durch den Begriff <strong>des</strong> "constraints" lediglich angesprochen,<br />

aber auf der Handlungsebene ist nicht hinreichend bestimmbar, was<br />

"constraints" denn jeweilig sein können. Auf diese Frage nach der Bedeutung<br />

von "constraints" und dem Zusammenhang von "constraints" und "choices"<br />

wird in den nachfolgenden Kapiteln noch zurückgekommen. Zunächst soll<br />

noch einmal zusammengefaßt werden. Der uns interessierende Forschungsgegenstand<br />

ist der demokratische Prozeß. Durch die von uns vorgenommene<br />

Handlungsdefinition ist eine Grundannahme festgelegt, die eine zweite präjudiziert,<br />

die sich auf den Forschungsgegenstand bezieht: Der demokratische<br />

Prozeß wird begriffen als Interaktionen von Akteuren, die innerhalb situativer<br />

und struktureller constraints rational handeln, um ihre Intentionen zu realisieren.<br />

Der demokratische Prozeß und die mit ihm verbundenen strukturellen<br />

"constraints" werden in der vorgelegten <strong>Metatheorie</strong> unter Rückgriff auf


19<br />

systemtheoretische Kategorien analysiert. Auf der Grundlage der erörterten<br />

Grundannahmen wird versucht, verschiedene Elemente einer <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>demokratischen</strong> politischen <strong>Prozesses</strong> zu umreißen. Diese besteht vor allem in<br />

einem systemtheoretischen Modell dieses <strong>Prozesses</strong> und der Entwicklung eines<br />

Strukturbegriffes, der eine genauere Bestimmung der Handlungsrestriktionen<br />

der Akteure, die diesen <strong>demokratischen</strong> politischen Prozeß tragen, ermöglicht.<br />

Da es bei der angezielten <strong>Metatheorie</strong> letztlich um eine möglichst systematische<br />

Verbindung von Handlungstheorie und Systemtheorie geht, wollen wir vorab<br />

die aktuelle Diskussion über die Auseinandersetzung beider Paradigmen<br />

zumin<strong>des</strong>t andiskutieren. Im Rahmen dieser Diskussion werden zugleich weitere<br />

metatheoretische Grundannahmen vorgenommen.


20<br />

3. Systemtheorie und Handlungstheorie<br />

Die Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Paradigmen sozialwissenschaftlicher<br />

TheoriebÜdung - der Systemtheorie und der Handlungstheorie<br />

(bzw. Akteurs-Theorie) - vollzieht sich offenbar in Wellen, wobei einmal das<br />

eine und dann das andere Paradigma dominiert (Schimank 1988a, 619). Im folgenden<br />

soll die Kritik an beiden Paradigmen kurz dargestellt werden. Als<br />

Bezugspunkt der Systemtheorie dient dabei die funktionalistische Systemtheorie<br />

und als Bezugspunkt der Handlungstheorie die schon erörterte Rational-<br />

Choice-Theorie. Die leitende Perspektive ist dabei die Annahme, daß eine<br />

<strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> beide Paradigmen berücksichtigen<br />

muß. Die in dieser Perspektive relevante Kritik an der Systemtheorie kann als<br />

"mangelnder Akteursbezug" (Schimank 1985) bezeichnet werden, und die relevante<br />

Kritik an der Handlungstheorie - in Abwandlung der Bezeichnung<br />

Schimanks - als "mangelnder Systembezug".<br />

Die funktionalistische Systemtheorie, deren prominenteste Version die Theorie<br />

Parsons ist, hat als Ausgangspunkt der Theoriebildung funktionale Erfordernisse<br />

zur Bestandserhaltung eines sozialen Systems. Unter der Perspektive dieser<br />

Funktionen werden dann soziale Interaktionen analysiert. Die ältere Kritik<br />

der furtktionalistischen Systemtheorie hat nun eingewendet, daß funktionale<br />

Erfordernisse weder apriori gegeben, noch wissenschaftlich beobachtbar sind<br />

(Nagel 1956; Hempel 1959; siehe dazu auch Wiswede/Kutsch 1978). Die<br />

genannten Autoren und später auch Giddens (1976) haben dann die Schlußfolgerung<br />

gezogen, funktionale Erfordernisse in den Bereich der Metaphysik zu<br />

verweisen und aus dem soziälwissenschafliichen Diskurs auszuschließen. Wenn<br />

man im Rahmen <strong>des</strong> empirieorientierten Wissenschaftsbegriffs bleibt, der dieser<br />

Schlußfolgerung zugrundeliegt, dann bietet unseres Erachtens ein Vorschlag<br />

von Mayntz (1988) eine Möglichkeit, an dem Funktionsbegriff festzuhalten<br />

und ihn zugleich empiriefähig zu machen. Sie schlägt vor, den Funktionsbegriff<br />

ohne Rekurs auf apriorische und/oder universelle funktionale<br />

Erfordernisse zu bestimmen. <strong>Eine</strong> funktionale Ausdifferenzierung eines Teilsystems<br />

aus dem gesamtgesellschaftlichen Handlungszusammenhang kann erst<br />

dann gelingen, wenn sowohl die Akteure innerhalb dieses Teilsystems als auch


21<br />

die seiner relevanten Umwelt die funktionale Spezifität dieses Teilsystems<br />

wahrnehmen und anerkennen. Dieser Funktionsbegriff ist unmittelbar kompatibel<br />

mit Alexanders "scientific continuum". Als Begriff ist er der <strong>Metatheorie</strong><br />

zuzuordnen, er ist aber so gefaßt, daß er empirische Forschung steuern, und<br />

durch die Ergebnisse der empirischen Forschung in seinem konkreten Inhalt<br />

modifiziert werden kann.<br />

Die neuere Kritik an dem mangelnden Akteursbezug ist von einer Vielzahl von<br />

Wissenschaftlern formuliert worden, unter anderem natürlich durch die Vertreter<br />

<strong>des</strong> handlungstheoretischen Paradigmas. Wir wollen uns hier aber vor<br />

allem auf solche Wissenschaftler stützen, die sich selbst entweder dem systemtheoretischen<br />

Paradigma zurechnen oder aber in ihrer eigenen Forschungsarbeit<br />

Überlegungen aus diesem Paradigma verwenden (Mouzelis 1974;<br />

Rueschemeyer 1977; Crozier und Friedberg 1980; Schimank 1985,1988a; Mayntz<br />

1988; Easton 1990). Immanente Kritiken eines Theorieparadigmas sind häufig<br />

konstruktiver für <strong>des</strong>sen Weiterentwicklung als Kritiken aus der Perspektive<br />

alternativer Theorieparadigmen.<br />

Die Kritik <strong>des</strong> mangelnden Akteursbezuges der Systemtheorie entfaltet sich auf<br />

zwei aufeinander aufbauenden Ebenen. Zunächst einmal auf der Ebene <strong>des</strong><br />

Erklärungsdefizits dieser Theorie. Schimank (1985, 425) wendet gegenüber<br />

Parsons Aussagen zur sozialen Differenzierung ein, daß man sich je<strong>des</strong>mal die<br />

Frage stellt, "warum geschieht das?". Parsons (1971) rekurriert bei der Erklärung<br />

evolutionärer Prozesse zwar auf solche hochabstrakten Mechanismen, wie<br />

inclusion, value generalization, differentiation and adaptive upgrading. Der<br />

Erklärungscharakter dieser Mechanismen bleibt allerdings recht unklar. Sie<br />

scheinen eher Teil <strong>des</strong> Phänomens zu sein als eine Erklärung. Die zweite Ebene<br />

richtet sich auf den Stellenwert von Akteuren, wenn sie im Rahmen systemtheoretischer<br />

Analysen auftauchen. Mouzelis (1974, 426f) kritisiert beispielsweise an<br />

Smelser (1959), daß kollektive Akteure zwar erwähnt werden, aber keine eigenständige<br />

Bedeutung haben (das heißt nicht wirklich handeln), weil ihre<br />

Handlungen von dem System vollständig determiniert werden und somit bloße<br />

Produkte dieses Systems sind. Schimank (1985, 427) greift diese Kritik auf und<br />

führt die Unterscheidung handlungsprägender und handlungsfähiger Sozial-


22<br />

Systeme ein, wobei die handlungsfähigen Sozialsysteme offenbar dann weitgehend<br />

synonym gesetzt werden mit handelnden kollektiven Akteuren, die den<br />

Status von Subsystemen innerhalb umfassenderer Systeme bekommen. Erst<br />

dann wird die Unterscheidung Schimanks unseres Erachtens plausibel.<br />

Diesem Problem von "actors and Systems" haben Crozier und Friedberg (1980)<br />

eine Monographie gewidmet. Sie gehen von einem bestimmten Begriff <strong>des</strong> Verhältnisses<br />

von Systemen und Akteuren aus und entwickeln auf dieser Grundlage<br />

eine Theorie kollektiven Handelns in Organisationen als einer spezifischen<br />

Form von Sozialsystemen. Auf die Theorie wollen wir hier nicht näher eingehen,<br />

da sie eine andere Richtung verfolgt als die von uns eingeschlagene. Von<br />

Interesse ist für unsere Zwecke allerdings die Bestimmung <strong>des</strong> Verhältnisses<br />

von Systemen und Akteuren. Nach Crozier und Friedberg (1980,45) ist die Vorstellung<br />

einer Determination <strong>des</strong> Handelns durch Systeme unangemessen: "A<br />

given organizational Situation never completely constrains an actor. He always<br />

retains a margin of liberty and negotiation." Jeder Akteur versucht bei der Verfolgung<br />

seiner eigenen Strategien diese Freiheitszonen zu erhalten und auszudehnen,<br />

schon weil er damit seine Strategien effektiver realisieren kann. Die<br />

Ausweitung der Freiheitszonen bedeutet aber eine Reduktion der Abhängigkeit<br />

von anderen Akteuren. Sofern diese Ausweitung der Freiheitszonen von allen<br />

handelnden Akteuren versucht wird, stellt sich die Frage, wie das System - im<br />

Falle von Crozier und Friedberg die Organisation - Bestand haben kann.<br />

Crozier und Friedberg (1980, 52) versuchen dieses Problem zu lösen, indem sie<br />

rational handelnden Akteuren unterstellen, daß sie an der Aufrechterhaltung<br />

der Bedingungen interessiert sind, die aufeinander bezogene Interaktionen<br />

überhaupt erst ermöglichen. Diese Bedingungen bestehen in einer mehr oder<br />

weniger großen Menge von "rules of the game", die von den interagierenden<br />

Akteuren akzeptiert werden müssen und somit einerseits ihre "choices" limitieren,<br />

sie andererseits aber auch nicht vollständig festlegen. In einem ganz anderen<br />

systemtheoretischen Ansatz ist Easton (1965) zu einer vergleichbaren<br />

Schlußfolgerung gekommen. Er sieht als Bedingung eines funktionierenden<br />

politischen <strong>Prozesses</strong> die Existenz eines ausreichenden Ausmaßes an generali-


23<br />

sierter Unterstützung <strong>des</strong> Regimes an, das bei ihm unter anderem auch durch<br />

diese "rules of the game" definiert ist.<br />

In seiner neuesten theoretischen Studie geht Easton explizit auf das Verhältnis<br />

von "actors and Systems" ein und bestimmt dieses Verhältnis ähnlich wie die<br />

Rational-Choice-Theorie über die Begriffe "constraints" und "choices": "... a<br />

constraint is a limit on the variety of choices open to an individual or collectivity.<br />

It is a condition that reduces choices from infinity to some finite number.<br />

The smaller the number of choices the greater the constraint" (Easton 1990, 25).<br />

Auch Easton greift also die Gedanken auf, daß das Handeln von individuellen<br />

und kollektiven Akteuren durch Systeme beschränkt werden, daß es aber trotz<br />

dieser "constraints" keine Determination <strong>des</strong> Handelns gibt, sondern eben auch<br />

"choices". Bei der Diskussion der systemischen "constraints" <strong>des</strong> Handelns der<br />

Akteure nimmt Easton dann eine einfache aber folgenreiche Spezifikation vor.<br />

Es sind weniger Systeme überhaupt, die das Handeln von Individuen und<br />

Kollektiven limitieren, sondern Strukturen dieser Systeme (Easton 1990, 55). Erst<br />

mit dieser Spezifikation kann theoretisch expliziert und empirisch eingelöst<br />

werden, wie sich constraints systematisch auf das Handeln von Akteuren<br />

auswirkt. Aus diesem Grunde muß die Diskussion eines Strukturbegriffes Element<br />

der intendierten <strong>Metatheorie</strong> sein.<br />

Wenn Handeln in der beschriebenen Weise von systemischen Strukturen zwar<br />

beeinflußt und gesteuert wird, es aber gleichzeitig mehr oder weniger große<br />

"Freiheitszonen" im Sinne von Crozier und Friedberg sowie von Easton für die<br />

rational handelnden Akteure gibt, dann ist Handeln immer auch Reproduktion<br />

einer Struktur, sofern die "choices" dieses Handelns sich im Rahmen der gegebenen<br />

Strukturen vollziehen. Es kann aber auch zu einer Veränderung dieser<br />

Strukturen fuhren erstens durch ein bewußtes Nicht-Akzeptieren der Spielregeln<br />

(das heißt die "choices" werden auf Strukturen ausgedehnt) und zweitens<br />

durch nicht-intendierte kumulative Effekte von Handeln, das grundsätzlich<br />

innerhalb der gegebenen Strukturen geschieht (z.B. aufgrund von Widersprüchen<br />

in Strukturvorgaben). In diesem Sinne ist Handeln auch strukturierend<br />

(Giddens 1984). Ein solcher Begriff <strong>des</strong> Verhältnisses von Systemen und Akteuren<br />

erlaubt im Unterschied zur älteren "akteurslosen" Systemtheorie Analysen,


24<br />

wie es zur Stabilisierung und Veränderung gegebener Systeme kommt, ohne<br />

daß auf wenig einsichtige Selbstregulierungsmechanismen zurückgegriffen<br />

werden muß.<br />

Bei der Systemtheorie kann mit gutem Gründen ein "mangelnder Akteursbezug"<br />

behauptet werden. Die komplementäre Kritik an der Handlungstheorie (in<br />

ihrer Gestalt als Rational-Choice-Theorie) wurde bereits mit dem Begriff <strong>des</strong><br />

"mangelnden Systembezuges" bezeichnet. Ohne diese Bezeichnung zu verwenden,<br />

ist der Sache nach eine solche Kritik auch von Handlungstheoretikern selber<br />

formuliert worden. Heiner (1983, 1985) argumentiert, daß ein rationales<br />

Handeln von Akteuren nur dann möglich ist, wenn es eine begrenzte Menge<br />

von Handlungsalternativen gibt. Erst diese können unter bestimmten Gesichtspunkten<br />

miteinander verglichen werden. Wiesenthal (1987,435) weist auf einen<br />

anderen Aspekt rationalen Handelns hin: Wenn rationales Handeln sich vor<br />

allem an den Konsequenzen von Handlungen orientiert, dann setzt es ein<br />

Minimum an Erwartbarkeit solcher Konsequenzen voraus. Die Bedingung rationalen<br />

Handelns ist demnach die Existenz von "constraints". Deshalb können die<br />

konkreten "constraints" bei der Erklärung und Prognose <strong>des</strong> Handelns von<br />

Akteuren auch nicht als theorieextern behandelt werden, wie das bei der<br />

Rational-Choice-Theorie der Fall ist. Zu ähnlichen Schlußfolgerungen sind auch<br />

March und Olsen (1983, 1989) und Shepsle (1989) gekommen 13 . Die Notwendigkeit<br />

einer systematischen Einbeziehung von "constraints" in die Erklärungsstrategie<br />

wird auch an zwei beispielhaften Analysen im Rahmen <strong>des</strong> Rational-<br />

Choice-Paradigmas deutlich und zwar an der klassischen Analyse von Downs<br />

(1957) und einer neueren Analyse von Strom (1990). Nur weil in diesen Analysen<br />

die "constraints" genau expliziert werden, gewinnen diese Analysen ihre<br />

Überzeugungskraft. Sie kompensieren also den "mangelnden Systembezug"<br />

implizit durch die Einführung von systemischen constraints, ohne diese aber<br />

durch eine eigene Theorieanstrengung systematisch vorzunehmen.<br />

13 Die genannten Autoren fordern aus diesem Grunde die Einbeziehung von Institutionen in<br />

den Rational-Choice-Ansatz. Wir glauben allerdings, daß dieses Postulat nicht nur im Theoriekontext<br />

<strong>des</strong> Rational-Choice-Ansatzes umzusetzen ist, sondern eine Berücksichtigung<br />

systemtheoretischer Kategorien erfordert.


25<br />

Die Bedeutung <strong>des</strong> "mangelnden Systembezuges" wird bei Münch (1983) und<br />

Schimank (1985,1988a) genauer herausgearbeitet. Münch macht zunächst noch<br />

einmal deutlich, daß die Perspektive der Handlungstheorie von vornherein<br />

(aufgrund ihrer eigenen Prämissen) auf Situationen gerichtet ist, in denen sich<br />

verschiedene und begrenzte Handlungsalternativen für die Akteure zeigen.<br />

Dabei wird stillschweigend das vorausgesetzt, was bereits als Bedingung rationalen<br />

Handelns dargestellt wurde und was Münch (1983, 52) als stabile und<br />

gemeinsame Verhaltensregeln und Verhaltensnormen bezeichnet. Schimank<br />

(1988a, 622) verwendet den Begriff der "situationsübergreifenden, generalisierten<br />

Handlungsorientierungen". Vor allem diese generalisierten Handlungsorientierungen<br />

konstituieren Sozialsysteme und legen in einer zweifachen Weise<br />

Handlungsbeschränkungen für die Akteure fest. Erstens stellt sich die Frage, in<br />

welchem System überhaupt gehandelt wird. Dadurch wird bereits ein Raum<br />

möglicher Handlungen eingegrenzt und andere ausgegrenzt. Wenn ein Akteur<br />

beispielsweise Ziele im Wirtschaftssystem verwirklichen will, dann muß er<br />

auch wirtschaftlich handeln und nicht etwa kulturell oder politisch" 14 . Wenn die<br />

Frage geklärt ist, in welchem Sozialsystem gehandelt wird, dann stellt sich<br />

zweitens die Frage nach Handlungsalternativen innerhalb dieses Sozialsystems.<br />

Diese werden durch die Strukturen dieses Sozialsystems und seiner Subsysteme<br />

definiert. Es handelt sich also um eine generalisierte Handlungsorientierung<br />

geringeren Generalisierungsgra<strong>des</strong> als die oben genannte. Als generalisiert<br />

können beide Handlungsorientierungen bezeichnet werden, sofern sie für<br />

alle Akteure gelten und die Bedingung für ihre "choices" sind. Diese "choices"<br />

beziehen sich dann auf die Selektion einer dieser vorgegebenen Handlungsalternativen<br />

nach Maßgabe eigener Präferenzen <strong>des</strong> Akteurs. In diesem Sinne<br />

kann bei den "choices" von einer spezifischen Handlungsorientierung geredet werden<br />

15 . Der "mangelnde Systembezug" der Handlungstheorie bezieht sich<br />

14 Wenn er keine wirtschaftlichen Handlungen wählt, dann erzeugt er auch keine Resonanz im<br />

Wirtschaftssystem und das wiederum bedeutet, daß er auch keine Ziele in diesem System<br />

verwirklichen kann.<br />

15 Wenn man die Leitdifferenz der Handlungstheorie, nämlich die von "choices" und<br />

"constraints" als Differenz von spezifischem und generalisiertem Handiungssinn begreift,<br />

dann gewinnt man damit einen Anschluß an die Bestimmung von Systemen als Sinnsy-


26<br />

demzufolge auf die Ausblendung der generalisierten Handlungsorientierung<br />

bei der Analyse der spezifischen Handlungsorientierung. Wir wollen diese<br />

Überlegungen mit einer abstrakten aber gleichwohl genauen Bestimmung von<br />

Schimank (1985, 428) abschließen: "Handeln konstituiert sich... aus der Intentionalität<br />

handlungsfähiger Sozialsysteme im Rahmen der Kondüionalität handlungsprägender<br />

Sozialsysteme". Handlungsprägende Sozialsysteme sind gesellschaftliche<br />

Teilsysteme wie das politische System, und handlungsfähige Sozialsysteme<br />

sind kollektive Akteure, die im Rahmen dieses gesellschaftlichen Teilsystems<br />

handeln.<br />

steme, wie sie beispielsweise von Luhmann vorgenommen wird. Auf diese Weise besteht<br />

zumin<strong>des</strong>t die Möglichkeit einer systematischeren Integration von Handlungs- und<br />

Systemtheorie als dies bislang der Fall ist.


27<br />

4. Ein Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

4.1 Der demokratische Prozeß als eine Abfolge von Handlungsprodukten<br />

Nach dem von uns errichteten metatheoretischen Bezugsrahmen ist die Voraussetzung<br />

der empirischen Rekonstruktion <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> der<br />

liberalen Demokratien die Entwicklung eines Modells dieses <strong>Prozesses</strong>, das für<br />

alle Varianten dieses Typs von Demokratie gültig ist. Die unterschiedlichen<br />

Varianten ergeben sich erst auf der Grundlage unterschiedlicher struktureller<br />

Arrangements der Subsysteme der liberalen Demokratien in den einzelnen<br />

Ländern. Diese generieren dann auf der empirischen Ebene auch unterschiedliche<br />

demokratische Prozesse. Ein solches Modell ist so zu formulieren, daß es<br />

einerseits ein vereinfachtes Abbild der Wirklichkeit in ihren wesentlichen<br />

Aspekten darstellt (das ist bereits im Begriff <strong>des</strong> Modells impliziert) und<br />

andererseits die Spezifizierung theoretisch bedeutungsvoller und empirisch<br />

testbarer Hypothesen erlaubt. Wenn nach Lehmann (1988, 809) ein Modell aus<br />

einem "logically ordered set of concepts" besteht, dann gilt es darzustellen, mit<br />

welchen Konzepten der demokratische Prozeß zu beschreiben ist und was die<br />

Logik der Ordnung dieser Konzepte darstellt. Bei der Erarbeitung dieses<br />

Modells wollen wir an Analysen anknüpfen, die im Rahmen von Systemtheorien<br />

bereits vorgenommen wurden.<br />

Auch innerhalb von Systemtheorien werden politische Prozesse als eine<br />

Abfolge aufeinander bezogener Handlungen eines bestimmten Sinns begriffen.<br />

Dieser Sinn wird durch die Kennzeichnung als politische Handlung zunächst<br />

nur benannt. Vor dem Hintergrund der bisherigen metatheoretischen Festlegungen<br />

kann der inhaltliche Sinn <strong>des</strong> Politischen nicht nur aus einer theoretischen<br />

Bestimmung von Funktionserfordernissen im Kontext der gesellschaftlichen<br />

Reproduktion bestimmt werden, sondern auch unter Rekurs auf die<br />

Wahrnehmung der Handelnden selbst. Ein ausdifferenziertes politisches<br />

System existiert einerseits in dem Maße, in dem die Handelnden in der Lage<br />

sind, es von seiner Umwelt zu unterscheiden und in seinen Grenzen zu erkennen<br />

(Luhmann 1970, 155; Mayntz 1988, 19). Die Möglichkeit der Identifikation


28<br />

und Abgrenzbarkeit <strong>des</strong> politischen Systems durch die Handelnden wird andererseits<br />

von dem Grad der Ausdifferenzierung auf struktureller Ebene<br />

bestimmt. In letzterer Hinsicht lassen sich zumin<strong>des</strong>t drei analytische Ebenen<br />

mit einem unterschiedlichen Grad an struktureller Verfestigung unterscheiden,<br />

die bei der Ausdifferenzierung eines Funktionssystems aufeinander aufbauen<br />

(siehe dazu Mayntz 1988, 20f und Stichweh 1988, 261): erstens die unterste<br />

Ebene von einzelnen und situativen Handlungen; zweitens die Ebene der Herausbildung<br />

spezieller politischer Funktionsrollen und drittens die Ebene<br />

komplexerer sozialer Gebilde, die durch Rollenverbindungen entstehen (sei es<br />

in Form informeller Netzwerke von Rollenhandeln, sei es in Form formaler<br />

Organisationen, die verschiedene Rollen nach Maßgabe eines übergeordneten<br />

Handlungszwecks kombinieren). Wenn alle drei Ebenen der Systembildung<br />

vollzogen sind - und das ist bei den uns interessierenden Demokratien der Fall -<br />

dann beschränkt die jeweils höhere Ebene das, was auf der niedrigeren Ebene<br />

an Ereignissen und Handlungen möglich ist. Wir greifen diesen Gedanken bei<br />

der Diskussion <strong>des</strong> Strukturbegriffs in Kapitel 5 noch einmal auf. An dieser<br />

Stelle gilt es vor allem festzuhalten, daß der Grad der Ausdifferenzierung eines<br />

politischen Systems von einem komplementären Verhältnis der Wahrnehmung<br />

der Handelnden und der strukturellen Verfestigung dieses Systems bestimmt<br />

wird. Auf dieses komplementäre Verhältnis weist Luhmann (1970, 155) hin,<br />

wenn er betont, daß "nur auf der Rollenebene ... die Ausdifferenzierung eindeutig<br />

vollzogen werden [kann], so daß in hohem Maße erkennbar ist, ob eine<br />

Rolle (etwa die <strong>des</strong> Beamten, <strong>des</strong> Abgeordneten, <strong>des</strong> Parteisekretärs, <strong>des</strong> Wählers,<br />

<strong>des</strong> Gesuchstellers) dem politischen System zugeordnet wird oder nicht".<br />

Je eindeutiger also die Ausdifferenzierung eines Funktionssystems auf der<br />

Rollenebene vollzogen ist, <strong>des</strong>to eher sind die Handelnden in der Lage, dieses<br />

System in seinen Grenzen zu erkennen und diesem bestimmte Handlungen<br />

zuzurechnen.<br />

Der politische Prozeß ist als eine Abfolge aufeinander bezogener Handlungen<br />

definiert worden. Damit stellt sich zuallererst die Frage, wie dieser Handlungszusammenhang<br />

als ein politischer erkannt und gegen nicht-politische Handlungen<br />

abgegrenzt werden kann. In Anknüpfung an die Begriffsverwendung


29<br />

<strong>des</strong> vorangehenden Kapitels handelt es sich also um eine erste Bestimmung <strong>des</strong><br />

generalisierten Handlungssinns <strong>des</strong> politischen Systems. Zur Bestimmung <strong>des</strong><br />

besonderen Charakters politischer Handlungen greifen wir auf die Funktionsbestimmung<br />

<strong>des</strong> politischen Systems zurück, wie sie in praktisch allen wichtigen<br />

Systemtheorien formuliert wurde: Die Funktion <strong>des</strong> politischen Systems ist die<br />

Formulierung kollektiver Ziele und ihre Umsetzung in Form kollektiv bindender<br />

Entscheidungen (siehe unter anderem Easton 1965; Parsons 1969; Luhmann<br />

1970; Almond und Powell 1978). Auf die Realisierung dieser Funktion ist der<br />

Handlungszusammenhang bezogen, der als politischer Prozeß bezeichnet wird.<br />

Diese Furiktionsbestimmung <strong>des</strong> politischen Systems wurde in den genannten<br />

Theorien quasi objektiv vorgenommen. Wir gehen demgegenüber davon aus,<br />

daß diese auch als Kriterium in der Wahrnehmung der Subjekte fungiert, um<br />

Handlungen als politische zu identifizieren. Von dieser Annahme auszugehen,<br />

ist unseres Erachtens schon <strong>des</strong>halb plausibel, weil es eine Ausdifferenzierung<br />

<strong>des</strong> politischen Systems auf der Rollenebene gibt 16 . Politisches Handeln ist<br />

infolge dieser Ausdifferenzierung vor allem Rollenhandeln, und mit jeder Rolle<br />

ist eine hohe Eindeutigkeit <strong>des</strong> Handlungssinns verbunden. Im Fokus dieser<br />

Rollen, die eine relativ problemlose Identifikation von Handlungen als politische<br />

ermöglichen, stehen die Rollen, deren Vernetzung die kollektiven Akteure<br />

"Regierung" und "Parlament" konstituieren. In dem Handeln dieser kollektiven<br />

Akteure wird unmittelbar deutlich, daß es um kollektiv bindende Entscheidungen<br />

geht, die vor dem Hintergrund der Möglichkeit <strong>des</strong> Einsatzes von staatlichen<br />

Zwangsmitteln getroffen und implementiert werden (siehe dazu auch<br />

Parsons 1969, 206f). In ähnlicher Weise argumentiert Mayntz (1988,22f) - wenn<br />

auch bezogen auf die Ausdifferenzierung von Sozialsystemen überhaupt und<br />

nicht nur bezogen auf das politische System. Sie sieht es als ein wesentliches<br />

Kriterium der Ausdifferenzierung eines Sozialsystems an, "ob und inwieweit es<br />

Akteure gibt, die dafür Selbstregelungskompetenzen nach innen und Interessenvertretungsbefugnisse<br />

nach außen beanspruchen". Wenn diese Stufe der<br />

Ausdifferenzierung erreicht ist, dann werden solche Sozialsysteme "in aller<br />

16 Letztlich ist es natürlich eine empirisch zu klärende Frage, inwieweit die Staatsbürger um<br />

dieses Kriterium wissen (wie diffus dieses Wissen auch nur sein mag) und es zur Kognition<br />

von Ereignissen in ihrer Umwelt auch anwenden.


30<br />

Regel von den Gesellschaftsmitgliedern selbst als eigenständige und recht problemlos<br />

abgrenzbare Systeme wahrgenommen".<br />

Die nächste zu klärende Frage auf der Handlungsebene betrifft die Differenzierung<br />

der politischen Handlungen im Rahmen dieses generalisierten Handlungssinns:<br />

Wie kann die Handlungsabfolge oder der politische Prozeß in<br />

distinkte und theoretisch sinnvolle Stufen unterteilt werden? Wir wollen zur<br />

Klärung dieser Frage erst einmal auf Lösungen schon diskutierter Systemtheorien<br />

eingehen. Almond und Powell (1978, 1988) versuchen eine solche Einteilung<br />

durch eine Abfolge von Prozeßfunktionen zweiter Ordnung 17<br />

vorzunehmen<br />

(zweiter Ordnung im Hinblick auf die schon genannte primäre Funktion<br />

<strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong>). Wir wollen uns aber stärker auf Eastons Unterscheidungen<br />

stützen, da sie unseres Erachtens das Prozeßkontinuum schärfer<br />

separieren und zudem eher einen systematischen Akteursbezug zulassen, was<br />

im Sinne unserer metatheoretischen Grund annahmen geboten ist. Easton (1965)<br />

spezifiziert sein Prozeßmodell auf eine zweifache Weise: erstens durch ein einfaches,<br />

dynamisches Rückkopplungsmodell, das lediglich die Phasen input,<br />

conversion, Output und feedback unterscheidet, und zweitens durch den Inhalt<br />

oder das Material dieses <strong>Prozesses</strong>. Hinsichtlich <strong>des</strong> Materials unterscheidet<br />

Easton vier Qualitäten - wants, demands, issues, und decisions - die zugleich<br />

die Abfolge der Stufen <strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong> kennzeichnen. Easton (1965,<br />

72) bezeichnet diese Qualitäten auch als Produkte und bezieht sich damit<br />

implizit auf handelnde Akteure, die diese Produkte generieren. Die handelnden<br />

Akteure haben in der weiteren Ausarbeitung <strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong>, den er<br />

"a Systems analysis of political life" nennt, aber keinen systematischen Stellenwert,<br />

da die <strong>Metatheorie</strong> Eastons universell angelegt ist, das heißt für alle politischen<br />

Systeme Gültigkeit haben soll. Die Kategorien einer <strong>Metatheorie</strong> dieser<br />

Reichweite sind demzufolge invariant und können variable Größen wie<br />

bestimmte Typen kollektiver Akteure lediglich illustrativ integrieren. Nach<br />

17 Diese Prozeßfunktionen (process functions) sind bei Almond und Powell folgende: interest<br />

articulation, interest aggregation, policy making, policy implementation, und policy adjudication.<br />

Dazu kommen noch die sogenannten policy functions, die sich auf den Output der<br />

Prozeßfunktionen beziehen, und in extraction, regulation und distribution unterteilt werden<br />

(Almond und Powell 1988, 9).


31<br />

Easton (1990, ix) selbst kann eine solche <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong>halb keinen Bezugsrahmen<br />

zur Klärung solcher Fragen abgeben, was in den konkreten politischen<br />

Systemen die Erzeugung der einzelnen Produkte <strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong><br />

determiniert und wie die Transformation dieser Kette von Produkten im einzelnen<br />

zu begreifen ist Die uns interessierende <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> politischen<br />

<strong>Prozesses</strong> hat eine erheblich geringere Reichweite. Sie bezieht sich auf die liberalen<br />

Demokratien der westlichen Gesellschaften, für die ausreichend viele<br />

(systemtheoretische) Analysen vorliegen, auf deren Grundlage das Eastonsche<br />

Prozeßmodell differenziert und konkretisiert werden kann.<br />

<strong>Eine</strong>r der Vorzüge dieser <strong>Metatheorie</strong> geringerer Reichweite ist die Möglichkeit,<br />

die verschiedenen Qualitäten <strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong> auf bestimmte Akteure<br />

zu beziehen und sie als Produkte <strong>des</strong> Handelns dieser Akteure zu begreifen.<br />

Wir bezeichnen die Stufen <strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong> <strong>des</strong>halb im folgenden als<br />

Handlungsprodukte. Auf diese Weise wird eine Akzentverschiebung vorgenommen:<br />

Der politische Prozeß wird nunmehr weniger durch eine Abfolge aufeinander<br />

bezogener Handlungen bestimmter Akteure bestimmt, sondern eher<br />

durch eine gerichtete Kette von Produkten der Handlungen dieser Akteure.<br />

Durch diese Akzentverschiebung wird erstens die empirische Messung der Stufen<br />

<strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong> erleichtert, da sich Produkte in irgendeiner Form<br />

materialisieren müssen und zweitens entspricht diese Akzentverschiebung dem<br />

Tatbestand, daß es bei politischem Handeln letztlich um die Herstellung<br />

bestimmter Leistungen geht, die an die Umwelt <strong>des</strong> politischen Systems abgegeben<br />

werden, und Leistungen sind Produkte <strong>des</strong> Handelns von Akteuren. Im<br />

Schaubild 2 ist die gerichtete Kette von Handlungsprodukten im einzelnen aufgeführt.<br />

Die Pfeile kennzeichnen einerseits die Richtung der Abfolge und sollen<br />

andererseits symbolisieren, daß die jeweils spätere Stufe von der unmittelbar<br />

vorgelagerten beeinflußt wird. Auf den Charakter dieser Beeinflussung und auf<br />

die Abweichungen von dieser schrittweisen Beeinflussung kommen wir an<br />

späterer Stelle noch zurück. Zunächst einmal soll erläutert werden, was mit den<br />

einzelnen Jiandlungsprodukten gemeint ist.


32<br />

Schaubtld 2: Ein Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

Handlungs- Akteure Subsysteme Generalisierte<br />

orodukte<br />

y<br />

Handlungs-<br />

Orientierungen<br />

Akteure aus anderen<br />

^ , n t gese.isohaMchen u-<br />

Funktionssystemen<br />

,-. „ u<br />

l<br />

Staatsbürger<br />

• Publikums- _ . _<br />

p Ansprüche . Pressen- Massen- system Response<br />

gruppen<br />

medien<br />

in 1 , 1 1 1 - •<br />

Streitfragen<br />

Programme<br />

„ - Intermediäres ,. . „^^ -0<br />

Politische Parteien System Unterstützung 3.<br />

i *s<br />

Entscheidungen „ 1 Parlament *<<br />

Regierung Regierungs- Effektivität i<br />

l<br />

system<br />

Implementationen —,<br />

Verwaltung<br />

Interessen- Massen-<br />

I Abnahme gruppen medien Publikums- Angemessenheit<br />

system<br />

Staatsbürger<br />

7<br />

'<br />

W<br />

-0 §•<br />

1<br />

Akteure aus anderen<br />

heteroaen (ie nach<br />

Resultate« gesellschaftlichen Umwelt Funktionssystem)<br />

Funktionssytemen<br />

Nach der <strong>demokratischen</strong> Grundnorm beginnt der demokratische Prozeß bei<br />

den Ansprüchen der Staatsbürger. In dem Prozeßmodell sind diesen Ansprüchen<br />

aber noch Interessen vorgeschaltet. Mit dem Begriff <strong>des</strong> Interesses greifen<br />

wir das auf, was Easton "wants" nennt. Wants ist bei Easton (1965, 71f) aber ein<br />

Sammelbegriff für eine Vielzahl von Faktoren, die die Ansprüche beeinflussen.<br />

Mit dem Begriff <strong>des</strong> Interesses wollen wir demgegenüber eine engere und spezifischere<br />

Bedeutung einführen. Interesse wird in verschiedenen Handbüchern<br />

als zu verwirklichende Absicht oder ein zu verwirklichender Nutzen einer Person<br />

oder einer Gruppe definiert (siehe z.B. Fuchs et al. 1975, 312; Massing 1985,<br />

384; siehe dazu auch von Alemann 1987,29). Wir knüpfen an diese Definitionen<br />

an, geben ihnen aber eine stärkere handlungstheoretische Wendung. Interessen<br />

können demnach als Handlungsziele von individuellen und kollektiven Akteu-


33<br />

ren begriffen werden, die für diese Akteure einen Nutzen darstellen und die<br />

diese Akteure im Rahmen von situativen und strukturellen constraints von<br />

Sozialsystemen zu realisieren versuchen. Mit dem Begriff der Handlungsprodukte<br />

sind zwei unterschiedliche Stufen der Realisierung von Interessen durch<br />

die Handlungen der Akteure verbunden: Erstens die explizite Artikulation der<br />

Interessen als zu verwirklichende Handlungsabsichten und zweitens die faktische<br />

Verwirklichung dieser artikulierten Interessen 18 . Beide Stufen sind Resultate<br />

der Inter-Aktionen zwischen relevanten Akteuren von Sozialsystemen und<br />

insofern als Handlungsprodukte bestimmbar. Ablesbar und meßbar wären<br />

Interessen im Stadium der expliziten Artikulation beispielsweise anhand von<br />

Äußerungen der Repräsentanten von kollektiven Akteuren oder von programmatischen<br />

Dokumenten dieser Akteure. Bei individuellen Akteuren ist die<br />

Erfaßbarkeit sicherlich komplizierter; es wäre eine an anderer Stelle noch zu<br />

diskutierende Frage, ob die Anwendung elaborierter Umfragetechniken eine<br />

adäquate Methode zu ihrer Erfassung sein könnte.<br />

Wenn wir die Interessen auf den <strong>demokratischen</strong> Prozeß beziehen, dann sind<br />

sie Handlungsziele von Akteuren, die potentiell zu (politisierten) Ansprüchen<br />

werden können, aber es noch nicht geworden sind. Sie müssen demzufolge der<br />

Umwelt <strong>des</strong> politischen Systems zugerechnet werden. Sie gehören aber aus verschiedenen<br />

Gründen zu dem Modell eines <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong>. Erstens<br />

ist es eine aus der Perspektive der normativen Demokratietheorie relevante<br />

Frage, ob es bestimmte Interessen gibt, die systematisch nicht zu Ansprüchen<br />

transformiert werden können, weil es z.B. strukturell bedingte Ausschließungsmechanismen<br />

gibt. Zweitens setzen sich die Outputs <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> (implementierte Entscheidungen) nicht nur unmittelbar in neue<br />

Ansprüche um, sondern häufig erst vermittelt über komplexe Wirkungsketten,<br />

18 Die explizite Artikulation von Interessen wird vor allem im Hinblick auf ihre Gestalt als<br />

Ansprüche als erste Stufe der Realisierung betrachtet. Bestimmte Akteure <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> haben gar nicht die Möglichkeit, ihre Ansprüche selber zu verwirklichen.<br />

Die Staatsbürger beispielsweise benötigen dazu spezialisierte Akteure wie Parteien und<br />

Regierung, Infolge der Verkopplung <strong>des</strong> Entscheidungshandeins dieser Akteure mit den<br />

artikulierten Ansprüchen der Staatsbürger, die über den Wahlmechanismus erfolgt, kann<br />

aber auch schon die Anspruchsartikulation als intentionales Handeln im Sinne der Realisierung<br />

von Zielen betrachtet werden.


34<br />

die dann erst neue Interessen erzeugen, die wiederum mögliche Inputs in dem<br />

<strong>demokratischen</strong> Prozeß darstellen. Dieser letztgenannte Aspekt der Rückkopplung<br />

sollte zumin<strong>des</strong>t auf der Modellebene nicht ausgeschlossen bleiben.<br />

Mit der Definition der Interessen haben wir eine Folie auch für die anderen<br />

Handlungsprodukte errichtet, sofern auch diese als Produkte rational handelnder<br />

Akteure begriffen werden. Der Unterschied liegt vor allem in dem höheren<br />

Bestimmtheitsgrad, der sich durch die Logik <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

selbst ergibt. Ansprüche unterscheiden sich von Interessen vor allem durch zwei<br />

Kriterien: Erstens stellen sie lediglich eine Selektion aus der Menge der Interessen<br />

dar und zweitens sind sie in dem Sinne politisiert, daß sie mit der Erwartung<br />

(oder eben dem Anspruch) verbunden sind, durch den kollektiv bindenden<br />

Entscheidungsprozeß berücksichtigt und verwirklicht zu werden (siehe<br />

dazu auch Easton 1965, 38ff).<br />

An die Ansprüche schließen sich in der Kette der Handlungsprodukte die<br />

Streitfragen (in der Terminologie von Easton sind das die "Issues") an. Diese<br />

sind Selektionen aus den Ansprüchen, die durch die politischen Parteien vorgenommen<br />

werden. Easton (1965, 128ff) bezeichnet das als eine "demand<br />

reduction" mit der Funktion eines "intrasystem gate keeping" zur Verhinderung<br />

eines "demand overload". Streitfragen sind eine Teilmenge von Ansprüchen,<br />

die die politischen Parteien aufgreifen und zum Gegenstand ihrer Konkurrenz<br />

um Wählerstimmen machen. Die qualitative Differenz zu den Ansprüchen<br />

beruht in Vorschlägen der politischen Parteien zur Realisierung dieser Ansprüche,<br />

das heißt in Lösungsvorschlägen oder in Politikalternativen (siehe dazu auch<br />

Easton 1965, 14ff sowie Almond und Powell 1988, 9). Programme der Parteien<br />

nehmen Selektionen aus der Menge der Streitfragen vor und relationieren diese<br />

im Sinne der Bildung von Präferenzhierarchien und zeitlicher Abfolgen der<br />

Verwirklichungsabsicht. Diese Art von Relationierung kann auch als Aggregation<br />

bezeichnet werden. Innerhalb der Kategorie der Programme ist eine Differenzierung<br />

zwischen Partei-, Wahl- und Regierungsprogrammen sinnvoll, die<br />

jeweils unterschiedliche Zeithorizonte haben und in dem <strong>demokratischen</strong> Prozeß<br />

entweder "näher" zu den Streitfragen oder zu den Entscheidungen liegen.


35<br />

Das den Entscheidungen unmittelbar vorausliegende Handlungsprodukt sind<br />

die Programme in Form von Regierungsprogrammen. Die Entscheidungen, die<br />

in Parlamenten und Regierungen getroffen werden, sind Selektionen aus diesen<br />

Regierungsprogrammen, die schon <strong>des</strong>halb vorgenommen werden müssen,<br />

weil nicht alles sofort und genauso in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann,<br />

wie es programmatisch formuliert ist. Die spezifische Qualität der Entscheidungen<br />

als Handlungsprodukte liegt zum einen in der Allokation von Ressourcen<br />

zu Politikalternativen, die eine grundlegende Bedingung der Realisierung<br />

programmatischer Ziele sind. Zum anderen liegt sie in dem Charakter der Verbindlichkeit<br />

für das Kollektiv der Staatsbürger und für die Akteure aus den<br />

anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen. Wenn die primäre Funktion<br />

politischer Handlungen die Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen<br />

ist, dann bildet dieses Handlungsprodukt den Kern <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong>.<br />

Der Charakter der Verbindlichkeit wirkt sich auf die nachfolgenden Handlungsprodukte<br />

in unterschiedlicher Weise aus. Innerhalb <strong>des</strong> Regierungssystems<br />

bedeuten die Entscheidungen der Regierung, daß diese von der Verwaltung<br />

als Prämisse ihrer Handlungen übernommen werden müssen. Bei der<br />

Herstellung der spezifischen Handlungsprodukte der Verwaltung, die Implementationen<br />

genannt werden, gibt es nicht die Alternative, bestimmte Entscheidungen<br />

aufzugreifen und andere nicht, und das heißt es gibt keine Selektion<br />

aus mehreren Möglichkeiten. Es wird lediglich eine qualitative Transformation<br />

durch die Spezifikation der Entscheidungsprämissen in Form von ökonomischen<br />

und rechtlichen Verfahrensregeln vorgenommen. Erst diese implementierte<br />

Entscheidung kann dann an das Publikumssystem und die Gesellschaft<br />

als "Output" abgegeben werden 19 .<br />

Das letzte Handlungsprodukt <strong>des</strong> Modells <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> ist die<br />

Abnahme der implementierten Entscheidungen durch die Akteure <strong>des</strong><br />

Publikumssystems. Auch in diesem Falle erlaubt der bindende Charakter der<br />

19 Almond und Powell (1978,15) bezeichnen diese Handlungsprodukte als "implemented policies".


36<br />

implementierten Entscheidung keine Selektion, denn eine Nicht-Abnahme ist<br />

zumin<strong>des</strong>t offiziell nicht zugelassen. Demgegenüber ist es legal und legitim, die<br />

implementierten Entscheidungen unterschiedlich zu bewerten und deren<br />

Bewertung (Akzeptanz) dann in die Formulierung neuer und anderer Ansprüche<br />

an der Input-Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> wieder einfließen zu lassen.<br />

Abweichungen von dieser Art der Abnahme der bindenden Entscheidungen<br />

werden im Sinne der offiziellen Machtstruktur als Störungen betrachtet, die<br />

dysfunktional für den <strong>demokratischen</strong> Prozeß sind. Auf diese Problematik<br />

werden wir noch einmal zurückkommen.<br />

Das letzte der in Schaubild 2 aufgeführten Handlungsprodukte sind die Resultate<br />

<strong>des</strong> Entscheidungshandelns <strong>des</strong> Regierungssystems in der gesellschaftlichen<br />

Umwelt. Die implementierten Entscheidungen erzeugen zwar mehr oder<br />

weniger große Wirkungen in der gesellschaftlichen Umwelt, aber das letztliche<br />

Resultat konstituiert sich erst in der Interaktion mit Wirkungsfaktoren, die von<br />

der eigenen Funktionslogik der gesellschaftlichen Teilsysteme generiert werden,<br />

auf die die implementierten Entscheidungen bezogen sind. Das, was in<br />

dem Prozeßmodell als Resultate bezeichnet wird, ist weitgehend mit den sogenannten<br />

"outcomes" von Easton (1965, 351) und Almond und Powell (1978,16,<br />

322-357) identisch (eine Diskussion <strong>des</strong> Outcome-Konzeptes findet sich bei<br />

Roller 1992,18-22).<br />

Nach dieser Darstellung der einzelnen Handlungsprodukte soll noch einmal<br />

zusammengefaßt und verallgemeinert werden. Der demokratische Prozeß ist<br />

als eine gerichtete Abfolge von Handlungsprodukten bestimmter Akteure<br />

begriffen worden. Diese Abfolge kann nach zwei Dimensionen charakterisiert<br />

werden: der Weitergabe von Selektionen der Akteure und der Transformation<br />

dieser Selektionen durch die Akteure. Die Weitergabe der Selektionen ist vor<br />

allem quantitativer Art, da es sich um eine Reduktion von Möglichkeiten der<br />

jeweils früheren Stufe handelt (bei zwei der Handlungsprodukten ist die Weitergabe<br />

allerdings alternativlos, das heißt die Selektionen der vorangehenden<br />

Stufe müssen ohne weitere Wahlmöglichkeiten übernommen werden). Demgegenüber<br />

ist die Transformation der Selektionen qualitativer Art, weil das jeweils<br />

spätere Handlungsprodukt durch eine zusätzliche Spezifizierung seine Qualität


37<br />

verändert. In dem Schaubild 3 werden die konkreten Bedeutungen der einzelnen<br />

Handlungsprodukte im Hinblick auf die beiden genannten Dimensionen<br />

noch einmal schematisch dargestellt.<br />

Schaubild 3: Schematische Darstellung der Bedeutung der<br />

Handlungsprodukte<br />

Selektion<br />

(Quantitativer Aspekt)<br />

Transformation<br />

(Qualitativer Aspekt)<br />

Interessen<br />

(Ausgangsprodukte)<br />

(Ausgangsprodukte)<br />

Streitfragen<br />

Entscheidungen<br />

Selektion<br />

Selektion<br />

Selektion<br />

Selektion<br />

Politisierung<br />

("Gerichtethetr')<br />

Lösungsvorschläge<br />

(Poiitikalternativen)<br />

Relationierung<br />

(Aggregation)<br />

Ressourcenzuweisung<br />

Verbindlichkeit<br />

Implementationen (keine Selektion möglicn) +<br />

Abnahme (keine Selektion möglich) +<br />

Resultate andere analytische Ebene +<br />

Verfahrensregeln<br />

Akzeptanz<br />

Wirkung<br />

Im folgenden soll die Steuerung der gerichteten Abfolge von Handlungsprodukten<br />

auf einer allgemeinen Ebene etwas genauer erläutert werden. Allgemein<br />

bedeutet, daß es sich um eine Steuerung handelt, die für alle repräsentativen<br />

Demokratien gilt. Diese Steuerung wird erläutert, indem der demokratische<br />

Prozeß als Machtprozeß expliziert wird. Wir greifen dabei einige Überlegungen<br />

noch einmal auf, die schon bei der Darstellung der Handlungsprodukte angestellt<br />

worden sind, das aber unter einer anderen Perspektive.<br />

Das im Schaubild 2 dargestellte Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> bezieht<br />

sich auf den formalen Prozeß. Formal ist der Prozeß in dem Sinne, daß "die


38<br />

dominante Kommunikationsrichtung ... von der offiziellen Machtstruktur<br />

gestützt wird" (Luhmann 1970, 165). Die offizielle Machtstruktur ist die durch<br />

die Verfassung definierte und wird nach der hier diskutierten <strong>Metatheorie</strong> als<br />

formale Struktur bezeichnet (siehe Kapitel 5), die den Ablauf <strong>des</strong> politischen<br />

<strong>Prozesses</strong> in bestimmter Weise steuert. Macht wird bei Luhmann (1970, 162)<br />

definiert als "die Möglichkeit, durch eigene Entscheidung für andere eine<br />

Alternative auszuwählen ... Macht ist immer dann gegeben, wenn aus einem<br />

Bereich von Möglichkeiten eine bestimmte durch Entscheidung gewählt wird<br />

und diese Selektion von anderen als Entscheidungsprämisse übernommen<br />

wird" (eine vergleichbare Bestimmung von Macht findet sich bei Parsons 1969,<br />

352-404). Das Recht, für andere eine Alternative auszuwählen, die diese dann<br />

als Prämisse ihres Handelns übernehmen müssen, ist in den Verfassungen der<br />

repräsentativen Demokratien der westlichen Gesellschaften an den entscheidenden<br />

Stellen <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> verbindlich festgelegt. Der formale<br />

demokratische Prozeß nimmt als Machtprozeß seinen Ausgangspunkt von<br />

dem Kollektiv der Staatsbürger. Dieses Kollektiv konstituiert sich aus einer<br />

Mehrzahl von Rollen, bei der die Wählerrolle die entscheidende zur Ingangsetzung<br />

<strong>des</strong> Machtflusses ist. Die Spezifikation der Wählerrolle durch das Wahlrecht<br />

ist in liberalen Demokratien so etwas wie die Operationalisierung der<br />

Volksherrschaft auf struktureller Ebene. Diese durch das Wahlrecht implementierte<br />

Strukturkomponente wirkt sich in zweifacher Weise als machterzeugend<br />

aus. Erstens durch die Antizipation <strong>des</strong> Wählens der Staatsbürger seitens der<br />

politischen Parteien. Wenn als ein handlungsleiten<strong>des</strong> Interesse der politischen<br />

Parteien die Besetzung von Regierungspositionen unterstellt werden kann (auf<br />

diese Frage kommen wir später noch einmal zurück), dann ist es für die konkurrierenden<br />

Parteien auch rational, die Ansprüche der Staatsbürger in ihren<br />

Wahlprogrammen zu berücksichtigen. Insofern sind die Ansprüche der Staatsbürger<br />

Prämissen <strong>des</strong> Handelns der politischen Parteien, und insofern erfolgt<br />

auch eine machtgesteuerte Weitergabe von Selektionsleistungen. Die machterzeugende<br />

Wirkung <strong>des</strong> Wahlrechts wirkt sich zweitens durch den Vollzug <strong>des</strong><br />

Wählens der Staatsbürger aus. Durch diesen Vollzug werden eine oder mehrere<br />

Parteien als Regierungspartei bzw. als Regierungsparteien ausgewählt und<br />

damit auch das Programm dieser Partei bzw. dieser Parteien als Prämissen für


39<br />

das Handeln der Regierung gesetzt. Dieser zweistufige Machtprozeß hat zwei<br />

grundsätzliche Unbestimmtheiten, die bedeuten, daß das Handeln der Machtunterworfenen<br />

nicht vollständig von dem Handeln der Machthabenden determiniert<br />

wird. Zum einen entstehen die Unbestimmtheiten bei dem Versuch der<br />

politischen Parteien, die Ansprüche der Wähler zu identifizieren 20 . Wie die<br />

Einstellungsforschung zeigt, sind diese weder eindeutig, noch stabil, noch transitiv<br />

im Sinne einer Präferenzordnung. Daraus erwachsen für das Handeln der<br />

politischen Parteien Freiheitsspielräume oder Freiheitszwänge (je nach<br />

Gesichtspunkt). Zum anderen ergeben sich Unbestimmtheiten bei der Umsetzung<br />

der Programme der gewählten Parteien im Regierungshandeln bzw. der<br />

Entscheidungstätigkeit. Das Regierungshandeln ist an komplexe und sich wandelnde<br />

Realitätsrestriktionen gebunden, die eine bruchlose Umsetzung programmatischer<br />

Vorhaben zumin<strong>des</strong>t einschränken. Dieser gebrochenen Umsetzung<br />

könnte strukturell durch die verfassungsmäßige Einführung eines imperativen<br />

Mandats gegengesteuert werden. Die Anpassungsfähigkeit <strong>des</strong> Regierungshandelns<br />

an komplexe und sich wandelnde Realitätsrestriktionen ist aber<br />

einer der Gründe, warum das imperative Mandat ausdrücklich kein Strukturelement<br />

der liberalen Demokratien ist. Diese Art von Unbestimmtheiten können je<br />

nach demokratischer Norm natürlich unterschiedlich bewertet werden. Sie<br />

machen aber deutlich, daß eine empirisch ermittelte starke Determination der<br />

Programme der Parteien durch aktuelle Ansprüche der Staatsbürger oder der<br />

Entscheidungen der Regierung durch die Programme der Regierungsparteien<br />

nicht per se im Sinne der normativen Demokratietheorie eindeutig positiv zu<br />

bewerten sind 21 .<br />

Wahrend die machtgesteuerte Weitergabe von Selektionsleistungen bis hin zu<br />

den Entscheidungen Unbestimmtheiten und damit<br />

Handlungsspielräume<br />

20 Um Mißverständnisse zu vermeiden: die Machtunterworfenen sind in diesem Falle die politischen<br />

Entscheidungsträger und die Machthabenden die Staatsbürger.<br />

21 <strong>Eine</strong> solche empirische Ermittlung der Determination eines Handlungsprodukts durch ein<br />

anderes kann z.B. in Form der Vorhersage mittels einer linearen Regression vorgenommen<br />

werden. Diese Methode wird in den bereits erwähnten Analysen von Klingemann, Hofferbert<br />

und Budge bei der Vorhersage <strong>des</strong> Regierungshandems durch Parteiprogramme verwendet.


40<br />

erzeugt, ändert sich das im (formalen) <strong>demokratischen</strong> Prozeß ab der Stufe der<br />

Entscheidungen. Diese sind durch die Verfassungen als bindend festgelegt und<br />

das bezieht sich innerhalb <strong>des</strong> Regierungssystems auf die Implementationen<br />

der Verwaltung und außerhalb <strong>des</strong> Regierungssystems auf die Abnahme der<br />

implementierten Entscheidungen durch die Akteure <strong>des</strong> Publikumssystems.<br />

Das ist bereits bei der Darstellung der Handlungsprodukte diskutiert worden<br />

(siehe dazu auch Schaubild 3). In der Begrifflichkeit <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

als Machtprozeß ist durch die Verbindlichkeit der Entscheidungen die<br />

Weitergabe der Selektionen <strong>des</strong> Machthabers an den Machtunterworfenen eindeutig:<br />

Der Machtunterworfene muß die Selektionsleistungen <strong>des</strong> Machthabenden<br />

alternativlos als Prämisse <strong>des</strong> eigenen Handelns übernehmen.<br />

Die bisherige Analyse <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> begriff diesen als eine<br />

gerichtete Kette von Handlungsprodukten bestimmter kollektiver Akteure.<br />

Diese Abfolge von Handlungsprodukten wurde unter den Gesichtspunkten der<br />

Selektion und Transformation beschrieben. Dabei wurde der Aspekt vernachlässigt,<br />

daß sich diese Selektion und Transformation im Rahmen einer Differenzierung<br />

<strong>des</strong> politischen Systems in Subsysteme vollzieht. Dieser Aspekt soll<br />

nunmehr aufgegriffen werden. Wir wenden uns also der Binnendifferenzierung<br />

<strong>des</strong> politischen Systems der liberalen Demokratien zu.<br />

4.2 Binnendifferenzierung <strong>des</strong> politischen Systems<br />

4.2.1 Differenzierung in drei Subsysteme<br />

Ein soziales System ist in dem Maße ausdifferenziert, in dem sich sowohl eine<br />

spezifische Struktur herausgebildet hat als auch eine generalisierte Handlungsorientierung<br />

der Akteure, deren Vernetzung die Struktur bildet. Diese Bestimmung<br />

muß auch auf die Binnendifferenzierung von Sozialsystemen angewendet<br />

werden, die grundsätzlich der gleichen Ausdifferenzierungslogik folgt wie<br />

die <strong>des</strong> übergeordneten Sozialsystems selbst. Die Diskussion der Binnendifferenzierung<br />

<strong>des</strong> politischen Systems soll in drei Schritten vorgenommen werden:<br />

Erstens wird dargestellt, welche Subsysteme überhaupt differenziert werden,


41<br />

zweitens werden diesen Subsystemen kollektive Akteure zugeordnet, und<br />

drittens werden die generalisierten Handlungsorientierungen der Akteure der<br />

jeweiligen Subsysteme beschrieben.<br />

Zur Darstellung der Binnendifferenzierung <strong>des</strong> politischen Systems greifen wir<br />

zunächst noch einmal auf die allgemeine Funktion oder die generalisierte<br />

Handlungsorientierung <strong>des</strong> politischen Systems insgesamt zurück, die in der<br />

Herstellung kollektiv bindender Entscheidungen liegt. Die Bedeutung oder der<br />

Bezug dieser allgemeinen Funktion unterliegt aber historischen Definitionsprozessen.<br />

Während der lang andauernden Phase der Entstehung und Konsolidierung<br />

der europäischen Nationalstaaten konkretisierte sich diese Funktion vor<br />

allem in der permanenten nationalstaatlichen Herrschaftssicherung durch das<br />

politische Handeln der Herrschenden. Diese Reproduktion bestand im wesentlichen<br />

in der Erhaltung (oder Ausweitung) eines Territoriums durch die Stabilisierung<br />

einer Grenze nach außen und in der administrativen Durchdringung<br />

dieses Territoriums nach innen. Beide Reproduktionsweisen der nationalstaatlichen<br />

Herrschaft setzen die Existenz eines Machtzentrums mit einem Gewaltmonopol<br />

voraus 22 . Diese Beschränkung in der Definition staatlichen Handelns<br />

auf das Interesse der Selbsterhaltung wird durch die Entwicklung der westeuropäischen<br />

Wohlfahrtsstaaten aufgegeben. Diese Entwicklung ist an anderer<br />

Stelle detailliert beschrieben und analysiert worden (Flora, Alber und Kohl<br />

1977; Luhmann 1981c; Alber 1982; Roller 1992). Zwar sind mit der Herrschaftsreproduktion<br />

auch schon spezifische Leistungen der Herrschenden für die<br />

Gesellschaft verbunden (bzw. können verbunden sein), wie z.B. die Friedenssicherung<br />

nach außen und die Ordnungsstiftung nach innen. Diese politischen<br />

Kerrifunktionen bilden im Verlauf der Entwicklung <strong>des</strong> Wohlfahrtsstaates aber<br />

lediglich die Basis einer zunehmenden Aufgabenzuweisung bzw.<br />

Leistungserwartung an den Staat (Mayntz 1988, 39). Erst mit diesem wohlfahrtsstaatlichen<br />

Aufgabenkatalog hat sich ein klares Austauschverhältnis<br />

konstituiert: Die Herrschaftsausübenden geben die von der Gesellschaft<br />

erwarteten wohlfahrtsstaatlichen Leistungen an die Gesellschaft ab und<br />

bekommen dafür Steuerzahlungen und generalisierte Unterstützung. Dieses<br />

22 Zur Entstehung und Konsolidierung der europäischen Nationalstaaten siehe Flora (1983).


42<br />

Austauschverhältnis kennzeichnet das politische System als ein Leistungssystem.<br />

Ein aktuelles Beispiel, daß die wohlfahrtsstaatliche Entwicklungsdynamik<br />

immer noch greift, ist die Diskussion in Deutschland über die Aufnahme von<br />

Staatszielen in die Verfassung (zu einer Diskussion der Logik der wohlfahrtsstaatlichen<br />

Entwicklung siehe Luhmann 1981c). Gleichgültig, ob im Endeffekt<br />

eine solche Aufnahme erfolgt, so spiegelt doch alleine diese Diskussion die<br />

Erwartungen relevanter sozialer Gruppen an das staatliche Handeln. Ob der<br />

Versuch eines Zurückschraubens dieser Erwartungen und der Relimitierung<br />

<strong>des</strong> staatlichen Handelns - wie er z.B. in Großbritannien in den achtziger Jahren<br />

erfolgte - langfristig erfolgreich sein kann, oder aber an tiefersitzenden strukturellen<br />

Entwicklungstrends moderner Gesellschaften scheitern muß, soll hier als<br />

eine wichtige Fragstellung lediglich erwähnt, aber nicht weiter diskutiert<br />

werden.<br />

<strong>Eine</strong> leistungsbasierte Ausdifferenzierung eines Sozialsystems ist mit der<br />

Ausdifferenzierung "klar umrissener Produzenten- und Abnehmerrollen"<br />

(Mayntz 1988,19) von Leistungen verknüpft. Die spezifische Konfiguration der<br />

Produzentenrolien ist ein Strukturmerkmal <strong>des</strong> Regierungssystems und die<br />

spezifische Konfiguration der Abnehmerrollen ist ein Strukturmerkmal <strong>des</strong><br />

Publikumssystems. Die Bezeichnung Publikumssystem ist von Luhmann (1970,<br />

163) und Parsons (1969, 208) entlehnt und die <strong>des</strong> Regierungssystems lediglich<br />

von Parsons (1969,207, 312) 23 . Statt Regierungssystem gebraucht Luhmann den<br />

Begriff der "bürokratischen Verwaltung". Wenn aber schon einer der kollektiven<br />

Akteure <strong>des</strong> "Entscheidungssystems" zur Kennzeichnung <strong>des</strong> Systems insgesamt<br />

herangezogen wird, dann ist unseres Erachtens der Begriff Parsons<br />

plausibler, da letztlich Regierung und Parlament die verbindlichen Entscheidungen<br />

festlegen, während die bürokratische Verwaltung auf die Ausarbeitung<br />

der gesetzten Entscheidungsprämissen spezialisiert ist. Unabhängig von der<br />

konkreten Bezeichnung ist diese Differenzierung eines "Produktionssystems"<br />

von Leistungen (Regierungssystem) und eines "Abnehmersystems" von Lei-<br />

23 Parsons exakte englische Begriffsverwendungen für beide Subsysteme lauten "public" und<br />

"government".


43<br />

stungen (Publikumssystem) die grundlegende Differenzierung, die praktisch<br />

alle Systemtheorien der Politik vornehmen.<br />

Die Interaktion zwischen Produzenten und Abnehmern in Leistungssystemen<br />

sind Austauschprozesse von Leistung und Gegen-Leistung. In den meisten<br />

Sytemtheorien der Politik ist diese Austauschbeziehung sachlich und zeitlich<br />

auseinandergezogen. Das Regierungssystem liefert bindende Entscheidungen<br />

bestimmter Art an der Output-Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> und erhält<br />

Unterstützung an der Input-Seite (siehe Parsons 1969, 209). Im negativen Falle<br />

erfolgt ein Unterstützungsentzug an der Input-Seite bei den nächsten Wahlen.<br />

Der Hintergrund dieses Auseinanderziehens liegt in der Annahme, daß sich ein<br />

politisches System in seinem Entscheidungshandeln nur dann "auf fluktuierende<br />

gesellschaftliche Problemlagen einstellen" kann, wenn ein "nahezu<br />

motivloses, selbstverständliches Akzeptieren bindender Entscheidungen<br />

zustandekommt" (Luhmann 1970, 159). Wenn man von dieser Prämisse ausgeht,<br />

dann ist es auch ausreichend, Modelle politischer Prozesse mit den<br />

implementierten Entscheidungen enden zu lassen, die an die Umwelt abgegeben<br />

werden, ohne diese Abgabe bzw. Abnahme weiter zu analysieren. Diese<br />

Abgabe an die Umwelt wird in der Regel mit dem unspezifischen Begriff <strong>des</strong><br />

"Outputs" benannt. Wir wollen hier nicht erörtern, ob das motivlose Akzeptieren<br />

der implementierten Entscheidungen durch die Abnehmer tatsächlich eine<br />

Funktionsbedingung <strong>des</strong> politischen Systems ist, sondern gehen von dem<br />

unterstellbaren Tatbestand aus, daß das faktisch nicht mehr der Fall ist 24 . In<br />

dem bereits dargestellten Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> (siehe Schaubild<br />

2) wird <strong>des</strong>halb ein Gedanke Luhmanns aufgegriffen, der die Publikumsrollen<br />

in Rollen differenziert, die der Input- bzw. der Output-Seite der Polity<br />

zuzuordnen sind (Luhmann 1970,164f). Im Unterschied zu Luhmann vermuten<br />

wir Austauschbeziehungen zwischen Polity und Publikum nicht nur an der<br />

Input-Seite <strong>des</strong> EntScheidungsprozesses, sondern auch an der Output-Seite. Die<br />

Abnahme der implementierten Entscheidungen ist nicht schon durch den Verbindlichkeitscharakter<br />

eindeutig festgelegt, sondern eine in gewissen Grenzen<br />

24 Auch diese Annahme ist natürlich als ein metatheoretischer "Vorgriff' zu verstehen, der als<br />

testbare Hypothese empirisch überprüft werden kann.


44<br />

variable Größe, die auch von der Bewertung dieser implementierten Entscheidungen<br />

durch das Publikum beeinflußt wird. Ein Kernkraftwerk oder eine<br />

Autobahn durch ein Naturschutzgebiet beispielsweise wird nicht notwendigerweise<br />

gebaut werden, nur weil das durch den legalen EntScheidungsprozeß<br />

der Polity so beschlossen wurde. Das Ausmaß der Abnahme der implementierten<br />

Entscheidungen durch das Publikum dürfte dann seinerseits einen<br />

Effekt auf die Resultate einer intendierten Politik haben, wie z.B. der Energiepolitik<br />

oder der Verkehrspolitik 25 . Der Sachverhalt der bedingten Abnahme der<br />

implementierten Entscheidungen der Polity durch das Publikum läßt sich mit<br />

Hilfe der Differenzierung Parsons (1969, 41Off; zu dieser Differenzierung siehe<br />

auch Gerhards 1993, 30ff) zwischen macht- und einflußbasierten Kommunikationsprozessen<br />

auf einer allgemeineren Ebene darstellen und damit begrifflich<br />

genauer lokalisieren. <strong>Eine</strong> machtgestützte Weitergabe der Selektionsleistungen<br />

(implementierte Entscheidungen) würde eine fraglose Abnahme dieser Selektionen<br />

durch das Publikum bedeuten. Das Annahmemotiv läge dann vor allem<br />

in der Möglichkeit <strong>des</strong> Einsatzes negativer Sanktionen bis hin zu Zwangsmitteln<br />

(die durch das staatliche Gewaltmonopol abgestützt sind). Das Annahmemotiv<br />

bei einer einflußgestützten Weitergabe von Selektionsleistungen liegt<br />

demgegenüber in dem Ausmaß der Überzeugungskraft, die der Akteur x auf<br />

den Akteur y ausübt. Wenn unsere Hypothese einer bedingten Abnahme der<br />

implementierten Entscheidungen der Polity durch das Publikum zutrifft, dann<br />

ist es dem Publikum gelungen, die Kommunikation mit der Polity an der<br />

Output-Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> weitgehend auf eine Einflußbasis<br />

zu stellen und die Polity dazu zu bewegen, auf Macht als Kommunikationsmedium<br />

zu verzichten. Für die Akteure der Polity stellt sich damit aber<br />

das Problem, daß auch die Output-Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> kontingent<br />

wird. <strong>Eine</strong> mögliche Form, auf diese Kontingenzzunahme strukturell zu<br />

reagieren, wäre eine Ausdifferenzierung von speziellen Funktionsrollen zur<br />

Mobilisierung von Unterstützung für bereits implementierte Entscheidungen.<br />

Die Einrichtung von Abteilungen für Öffentlichkeitsarbeit in den verschiedenen<br />

25 Dieser Effekt ist in der Kette der Handlungsprodukte im Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

berücksichtigt (siehe Schaubild 2).


45<br />

Verwaltungseinheiten kann als ein Kennzeichen dieser "Adaptionsweise" interpretiert<br />

werden.<br />

Im Unterschied zur Output-Seite <strong>des</strong> politischen <strong>Prozesses</strong> hat sich an der<br />

Input-Seite ein spezialisiertes Subsystem ausdifferenziert, das zwischen dem<br />

Publikumssystem und dem Regierungssystem vermittelt 26 . Infolge dieses Vermittlungscharakters<br />

nennen wir es auch intermediäres System. Der genauere<br />

Charakter bzw. die Logik dieser Vermittlung wird in den nachfolgenden Kapiteln<br />

zu verdeutlichen versucht. Das intermediäre System ist der Sache nach<br />

dasselbe wie das Subsystem "parteimäßige Politik" von Luhmann (1970, 163).<br />

Die Funktion dieses Subsystems ergibt sich für Luhmann aus der prinzipiellen<br />

Offenheit <strong>des</strong> politischen Systems für Themen und Probleme aus der Gesellschaft,<br />

über die kollektiv bindend entschieden werden soll. Das hat nach<br />

Luhmann zur Folge, daß die Mobilisierung politischer Unterstützung für das<br />

Handeln <strong>des</strong> Regierungssystems zu einer bestandswichtigen Daueraufgabe<br />

wird. Die Struktur, in der sich diese Mobilisierung vollzieht, ist die <strong>des</strong> geregelten<br />

Parteienwettbewerbs um Wählerstimmen. Die Wählerstimmen selbst<br />

sind dann die manifeste Form der mobilisierten Unterstützung. Der Sinn dieser<br />

ausdifferenzierten Funktion <strong>des</strong> intermediären Systems ist nach Luhmann vor<br />

allem die Entlastung <strong>des</strong> Regierungssystems von der Aufgabe der Unterstützungsmobilisierung.<br />

Erst diese Entlastung ermöglicht die Konzentration <strong>des</strong><br />

Regierungssystems auf die "Ausarbeitung und den Erlaß bindender Entscheidungen"<br />

(Luhmann 1970, 164) nach Maßgabe von programmatischen<br />

Prämissen, für die eben durch das intermediäre System Unterstützung mobilisiert<br />

wurde (siehe dazu auch Parsons 1969, 208ff). Mit der Funktionserfüllung<br />

<strong>des</strong> intermediären Systems ist zugleich auch eine Selektion und Transformation<br />

von Ansprüchen <strong>des</strong> Publikums verbunden (siehe dazu Schaubild 3), die eine<br />

26 Hier könnte auch anders argumentiert werden, indem die Verwaltung in die Ministerialbürokratie<br />

und die lokalen Verwaltungen differenziert wird. Für letztere könnte dann die<br />

Funktion einer Vermittlung zwischen dem Regierungssystem und dem Publikumssystem an<br />

der Output-Seite beansprucht werden. Wir glauben aber, daß sich diese Differenzierung<br />

nicht so eindeutig vornehmen läßt, daß daraus zwei unterschiedliche Systeme postuliert<br />

werden können. <strong>Eine</strong> Alternative wäre, die Differenzierung von Ministerialbürokratie und<br />

lokalen Verwaltungen als Subsysteme <strong>des</strong> Verwaltungssystems zu begreifen.


46<br />

effektive Bearbeitbarkeit der Ansprüche <strong>des</strong> Publikums durch das Entscheidungshandeln<br />

<strong>des</strong> Regierungssystems allererst ermöglicht.<br />

<strong>Eine</strong>n etwas anderen Ansatz der Konzeptualisierung eines intermediären<br />

Systems zwischen Publikumssystem und Regierungssystem verfolgt Gerhards.<br />

Er stellt die allgemeinere These auf, daß zwischen "Leistungsrollen und<br />

Publikumsrollen" bei allen ausdifferenzierten gesellschaftlichen Teilsystemen<br />

teilsystemspezifische Öffentlichkeiten vermitteln. Im Falle <strong>des</strong> politischen<br />

Systems ist das eben die politische Öffentlichkeit (Gerhards 1993, 22). Politische<br />

Öffentlichkeit wird als ein "intermediäres Kommunikationssystem" begriffen,<br />

das "Themen und Problemstellungen der Gesamtgesellschaft .... an das politische<br />

Entscheidungssystem ..." vermittelt (Gerhards 1993, 23). Durch diese<br />

Bestimmung wird implizit eine folgenreiche Festlegung getroffen: Bei dem<br />

Gegenstand der Vermittlung handelt es sich um Themen und Probleme der<br />

Gesellschaft; wenn wir das auf die Differenzierung zwischen Leistungssystem<br />

und Publikumssystem beziehen, zwischen denen die teilsystemische Öffentlichkeit<br />

vermitteln soll, dann muß dieser Gegenstand dem Publikumssystem<br />

zugeordnet werden. Der Charakter der Vermittlung liegt dann vor allem in der<br />

kommunikativen Weitergabe dieser Themen und Probleme aus dem Publikumssystem<br />

an das Leistungssystem. Dieser Charakter drückt sich auch in der<br />

Bezeichnung als "intermediäres Kommunikationssystem" aus. Diese Konzeptualisierung<br />

eines intermediären Systems ist in unserem Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> nicht aufgreifbar, da es eindeutiger lokalisiert sein muß. Es<br />

geht in diesem Modell weniger um die kommunikative Weitergabe von Informationen<br />

(Themen und Probleme), sondern die Erfüllung spezifischerer Funktionen:<br />

Erstens der Abschirmung <strong>des</strong> Regierungssystems gegenüber Zwängen<br />

permanenter Unterstützungsmobilisierung für seine laufende Entscheidungstätigkeit<br />

und zweitens die Transformation der Ansprüche <strong>des</strong> Publikums,<br />

so daß diese durch das Regierungssystem in seinem Entscheidungshandeln<br />

auch bearbeitbar sind. Es geht also um die Herstellung ganz bestimmter Handlungsprodukte<br />

(siehe Schaubilder 2, 3) durch bestimmte Akteure. Diese in<br />

verschiedenen Systemtheorien durchaus ähnlich spezifizierten Funktionen<br />

kann die politische Öffentlichkeit als ein Kommunikationssystem, das vor allem


47<br />

Ansprüche an das Regierungssystem kommuniziert, gerade nicht erfüllen.<br />

Nach unserem Modell erzeugt die politische Öffentlichkeit eher die Probleme,<br />

aufgrund derer es ein intermediäres System geben muß.<br />

In der weiteren Argumentation von Gerhards werden einige Spezifikationen<br />

vorgenommen, die eine größere Annäherung an unser Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> implizieren. Die Bedeutung der politischen Öffentlichkeit wird<br />

von ihm auf die Erzeugung einer öffentlichen Meinung eingegrenzt und in ein<br />

Modell <strong>des</strong> Policy-<strong>Prozesses</strong> eingeordnet (Gerhards 1993, 27-29). Politische<br />

Öffentlichkeit wird bei dieser Lokalisation als ein "Meinungsbildungssystem" 27<br />

bezeichnet, das an der Input-Seite <strong>des</strong> politischen Entscheidungsprozesses zu<br />

plazieren ist. Daraus lassen sich zwei Schlußfolgerungen ziehen. Die von uns<br />

aufgeworfene und bedeutsam gehaltene Frage, wer und wie diese öffentliche<br />

Meinung in das politische Entscheidungssystem vermittelt, bleibt offen. Vermittlung<br />

reduziert sich dann wieder auf die Bedeutung einer (einflußreichen)<br />

Weitergabe der Ansprüche der Staatsbürger an die Akteure <strong>des</strong> Entscheidungssystems.<br />

Diese Ansprüche haben die Gestalt der Öffentlichen Meinung. Die<br />

öffentliche Meinung wird bei Gerhards (1993,26) als ein Ersatzindikator für die<br />

Ansprüche der Staatsbürger begriffen. Diese Bestimmung der öffentlichen Meinung<br />

greifen wir später in der <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> selber<br />

auf. Aber auch als öffentliche Meinung handelt es sich immer noch um Ansprüche,<br />

die das Problem der Selektion und Transformation nach sich ziehen, so daß<br />

sie durch das Entscheidungssystem auch bearbeitbar werden. Unter anderem<br />

diese Funktion hat im Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> das intermediäre<br />

System.<br />

4.2.2 Die kollektiven Akteure der drei Subsysteme<br />

4.2.2.1 Die kollektiven Akteure <strong>des</strong> Regierungssystems<br />

Ausdifferenzierte Sozialsysteme in komplexen Gesellschaften gewinnen ihre<br />

Struktur durch Interaktionsmuster kollektiver Akteure, die als kollektive<br />

Akteure Rollenverbindungen darstellen. Die Struktur dieser Systeme läßt sich<br />

27 Genauer müßte man es als ein System der Bildung der öffentlichen Meinung bezeichnen.


48<br />

also sowohl über die Verbindung einzelner Rollen bestimmen, als auch über die<br />

Verbindung von Rollenkomplexen. <strong>Eine</strong> Voraussetzung der konkreten Bestimmung<br />

solcher Strukturen ist die Identifikation der relevanten kollektiven<br />

Akteure <strong>des</strong> Systems. Dies soll im folgenden für die drei unterschiedenen Subsysteme<br />

<strong>des</strong> politischen Systems geschehen.<br />

Die relevanten Strukturelemente von Systemen werden als kollektive Akteure<br />

begriffen, um damit an das metatheoretische Postulat der Einführung eines<br />

Akteurbezuges in die Systemtheorie angeschlossen werden soll. Man kann<br />

diese kollektiven Akteure auch als Systeme eines geringeren Generalisierungsgra<strong>des</strong><br />

betrachten. Rucht (1991, 7ff) beispielsweise bezeichnet Parteien, Verbände<br />

und Bewegungen als Systeme der Interessenvermittlung und Massenmedien<br />

als Systeme der Informationsvermittlung. Diese Sprachregelung würde<br />

in unserem Theoriekontext aber einen Verlust an notwendiger Spezifität nach<br />

sich ziehen. Schimank hat die Notwendigkeit einer Differenzierung innerhalb<br />

der Kategorie <strong>des</strong> Systems betont, als er zwischen handlungsprägenden und<br />

handlungsfähigen Systemen unterschied. Handlungsfähige Systeme lassen sich<br />

aber auch im Kontext der Argumentation von Schimank präziser als kollektive<br />

Akteure bezeichnen, weil man damit einen Referenzpunkt errichtet, der deutlich<br />

machen kann, was ein handlungsfähiges System denn ist.<br />

Der Begriff <strong>des</strong> kollektiven Akteurs impliziert auf der ersten Bedeutungsebene<br />

ein handeln<strong>des</strong> Kollektiv. Wenn Handeln als intentionales Handeln bestimmt<br />

ist, das heißt auf die bewußte Verwirklichung von Zielen gerichtet ist, dann<br />

setzt das voraus, daß auch Kollektive zu einem solchen intentionalen Handeln<br />

in der Lage sind. Diese Annahme ist um so plausibler, je expliziter und eindeutiger<br />

eine Zwecksetzung <strong>des</strong> Kollektivs existiert und diese sich in bestimmten<br />

Rollen verfestigt, die zugunsten der Zwecksetzung Weisungsbefugnisse nach<br />

innen und Interessenvertretungsbefugnisse nach außen haben. Diese Bedingung<br />

trifft am stärksten auf formale Organisationen zu. In dem Maße, wie ein<br />

"kollektiver Akteur" von diesen Merkmalen abweicht, ist es auch schwieriger,<br />

ihn als kollektiven Akteur zu bezeichnen und dementsprechend in die Analyse<br />

einzuführen. Darauf kommen wir vor allem bei der Diskussion der Staatsbürger<br />

als kollektiven Akteur noch einmal zurück. An dieser Stelle steht noch eine


49<br />

Erläuterung <strong>des</strong>sen aus, was mit Kollektiv gemeint ist. Wir stützen uns hier<br />

weitgehend auf Parsons (1969, 21), für den die "collectivity" eine strukturelle<br />

Einheit von Sozialsystemen ist und als primäre Funktion die <strong>des</strong> "goal-attainment"<br />

hat. Kollektive setzen sich nicht aus Individuen zusammen, sondern sind<br />

ein bestimmtes Aggregat von Rollen. Individuen sind in dieser Perspektive<br />

lediglich notwendige Substrate von Rollenhandeln. Rollen werden von Parsons<br />

(1969, 21) <strong>des</strong>halb auch als "boundary-structure" bezeichnet, sofern sie eine<br />

Relation zu den Individuen herstellen, die als Individuen aber der Umwelt <strong>des</strong><br />

Kollektivs zugehören. Hinsichtlich der Rollen führt Parsons (1969, 31) noch<br />

zwei weitere Spezifikationen ein, die ein Kollektiv konstituieren: Es muß Rollen<br />

geben, die eine klare Differenzierung zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern<br />

erlauben, und intern muß eine Rollendifferenzierung nach Statuspositionen<br />

erfolgen. Dieser letztere Aspekt knüpft an das schon erläuterte Kriterium<br />

an, daß ein Kollektiv um so eindeutiger identifizierbar ist, je stärker sich die<br />

Zwecksetzung <strong>des</strong> Kollektivs (seiner "goals") in entsprechenden Rollen ausdifferenziert<br />

und verfestigt.<br />

In dem Ausmaß der Eindeutigkeit, in dem die kollektiven Akteure den Subsystemen<br />

<strong>des</strong> politischen Systems zugeordnet werden können, gibt es ein deutliches<br />

Gefälle. Entsprechend unterschiedlich wird auch der jeweilige Begründungsaufwand<br />

ausfallen. Am einfachsten verhält es sich mit den kollektiven<br />

Akteuren <strong>des</strong> Regierungssystems. Das Regierungssystem stellt den Kern <strong>des</strong><br />

politischen Systems dar, da es im Rahmen <strong>des</strong> gesamten <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

auf die faktische Herstellung und Durchsetzung bindender Entscheidungen<br />

spezialisiert ist 28 . Der Tatbestand, daß das Regierungssystem Entscheidungen<br />

treffen kann, die für die gesamte Gesellschaft verbindlich sind und der<br />

Tatbestand, daß sich diese Entscheidungstätigkeit auf die Monopolisierung und<br />

Kontrolle physischer Gewalt stützt, verlangt eine detaillierte rechtliche Codifizierung<br />

der einzelnen Rollen und der Rollenkomplexe dieses Teilsystems der<br />

Politik (Luhmann 1987, 149). Die Struktur <strong>des</strong> Regierungssystems ist infolge<br />

dieser detaillierten rechtlichen Codifizierung durch die Verfassung hochgradig<br />

28 Es handelt sich bei den Tätigkeiten der Akteure <strong>des</strong> Regierungssystems also nicht nur um<br />

Vorstufen der Entscheidungsbildung.


50<br />

formalisiert. Das bedeutet zugleich auch, daß es eindeutig ist, welche kollektiven<br />

Akteure diesem Teilsystem zugehören und was die Funktion dieser kollektiven<br />

Akteure ist. Bei der Darstellung der Handlungsprodukte <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> wurde innerhalb <strong>des</strong> Regierungssystems zwischen Entscheidungen<br />

und Implementationen unterschieden (siehe Schaubild 2). Entscheidungen<br />

beziehen sich genauer auf die Herstellung von Entscheidungs-Prämissen<br />

und auf den Erlaß der implementierten Entscheidungen. Bei<strong>des</strong> sind Produkte<br />

<strong>des</strong> Handelns von Parlament und Regierung 29 . Die Entscheidungsprämissen<br />

werden von der Verwaltung spezifiziert und das heißt, in detaillierte<br />

ökonomische und rechtliche Verfahrensregeln übersetzt 30 . Das Ergebnis dieser<br />

Spezifikation wird Implementation genannt, und es sind letztlich die implementierten<br />

Entscheidungen, die nach der Verabschiedung durch die Regierung<br />

und das Parlament als bindende Entscheidungen an die gesellschaftliche<br />

Umwelt abgegeben werden.<br />

4.2.2.2 Die kollektiven Akteure <strong>des</strong> intermediären Systems<br />

Das intermediäre System als Subsystem <strong>des</strong> politischen Systems vermittelt zwischen<br />

dem Regierungssystem und dem Publikumssystem, das heißt es vermittelt<br />

zwischen zwei Sozialsystemen. Es wurde bereits erläutert, daß Individuen<br />

zur Umwelt von Sozialsystemen und Kollektiven gehören. Sie gehören in ihrer<br />

Staatsbürgerrolle zum politischen System, und die Verbindungen der einzelnen<br />

Staatsbürgerrollen konstituieren das Kollektiv der Staatsbürger. Dieses ist eines<br />

der Akteure <strong>des</strong> Publikumssystems. <strong>Eine</strong> soziologische Analyse der Austauschbeziehungen<br />

zwischen zwei Sozialsystemen kann <strong>des</strong>halb nicht auf die Vermittlung<br />

von Individuen und Regierungssystem abzielen. Dieses ist beispielsweise<br />

29 Der Einfachheit halber wurden in dem Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> nur Parlament<br />

und Regierung berücksichtigt. In Präsidialsystemen müßte der Präsident als Akteur natürlich<br />

miteinbezogen werden,<br />

30 <strong>Eine</strong> weitere mögliche Untergliederung der Verwaltung wäre die in Ministerialbürokratie<br />

und in lokale Verwaltung (dieser Aspekt wurde bereits angesprochen). Vor allem die Ministerialbürokratie<br />

hat bei dieser Unterscheidung die Funktion der Implementation der durch<br />

die Regierung getroffenen Entscheidungsprämissen, während die lokalen Verwaltungen die<br />

Funktion der Weitergabe dieser implementierten Entscheidungen an die gesellschaftliche<br />

Umwelt hat. Die lokalen Verwaltungen entscheiden,, in welchen konkreten Fällen die<br />

implementierten Entscheidungen angewendet werden sollen und dürfen.


51<br />

die Analyseperspektive von Rucht (1991), aus der dann Interessengruppen,<br />

Massenmedien und politische Parteien gleichermaßen zu Systemen der<br />

Vermittlung werden 31 . Demgegenüber gehen wir davon aus, daß als kollektive<br />

Akteure <strong>des</strong> intermediären Systems lediglich die politischen Parteien<br />

veranschlagt werden können und Interessengruppen und Massenmedien dem<br />

Publikumssystem zuzuordnen sind 32 . Diese Einstufung der politischen Parteien<br />

als die dominanten Akteure <strong>des</strong> intermediären Systems drückt sich unter<br />

anderem auch in Luhmanns Bezeichnung dieses Systems als "parteimäßige<br />

Politik" aus und wird ganz deutlich bei Parsons herausgestellt. Nach Parsons<br />

(1969, 209) wird der Austauschprozeß zwischen dem Publikumssystem und<br />

dem Regierungssystem durch das Parteiensystem vollzogen. In ähnlicher Weise<br />

argumentieren auch Analysen, die nicht von vornherein systemtheoretischen<br />

Ansätzen verbunden sind (Sartori 1976, ix; von Beyme 1984, 22, 374). Es lassen<br />

sich also genügend prominente Referenzen für die Annahme beibringen, daß<br />

die politischen Parteien die kollektiven Akteure <strong>des</strong> intermediären Systems<br />

sind. Damit ist die Frage aber noch nicht beantwortet, warum das so sein soll.<br />

Da die Gleichsetzung von intermediären Systemen und Parteiensystemen und<br />

die damit verbundene Ausschließung von Interessengruppen aus dem intermediären<br />

System nicht unkontrovers ist, wird versucht, diese Festlegung noch<br />

genauer zu begründen.<br />

In den liberalen Demokratien ist die Ausübung der Volksherrschaft durch die<br />

Wahlen an ein kompetitives Parteiensystem gebunden. Das institutionelle<br />

Arrangement <strong>des</strong> kompetitiven Parteiensystems konstituiert dieses als das<br />

intermediäre System. Die Parteien müssen vor den jeweiligen Wahlen den<br />

Staatsbürgern Angebote machen über die Politiker, die die Entscheidungsposi-<br />

31 Dieser Analyseperspektive ist letztlich auch die bekannte Differenzierung von Mikro-Meso-<br />

MaJkroebene verbunden.<br />

32 Die Interessengruppen und Massenmedien "vermitteln" natürlich auch Interessen bzw.<br />

demands der Staatsbürger an die Akteure der Polity. Das ist schon im Begriff der Artikulation<br />

von Interessen und demands enthalten. Aus diesem sehr weitgefaßten Vermittlungsbegriff<br />

kann aber nicht gefolgert werden, daß diese Akteure einem eigenen intermediären<br />

System zugehören bzw. dieses konstituieren, das im Rahmen <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

spezifische Funktionen erfüllt. Das ist im Kapitel 4.2.1 bereits begründet worden und wird<br />

im Kontext dieses Kapitels ergänzt.


52<br />

tionen besetzen sollen und vor allern über die Programme, die verwirklicht<br />

werden sollen. Bei<strong>des</strong> geschieht unter der Perspektive einer möglichen Besetzung<br />

der Entscheidungspositionen. Deshalb macht es auch keinen Sinn, die<br />

Parteien als Parteien bereits dem Regierungssystem zuzuordnen (nur eine<br />

Teilmenge der konkurrierenden Parteien kann zwangsläufig die Regierung<br />

stellen, und nur eine Teilmenge der konkurrierenden Politiker kommt in das<br />

Parlament). Es macht auch keinen Sinn, sie dem Publikumssystem zuzurechnen,<br />

da sie keine Ansprüche artikulieren, sondern artikulierte Ansprüche<br />

berücksichtigen müssen, um gewählt zu werden. Diese Berücksichtigung<br />

impliziert zweierlei: Erstens eine Auswahl aus der Menge der Ansprüche (nicht<br />

alle können durch das Regierungshandeln verwirklicht werden) und zweitens<br />

Vorschläge zur Realisierung der Ansprüche. Genau diese beiden Aspekte der<br />

Selektion und Transformation der Ansprüche 33<br />

ermöglichen eine effektive<br />

Entscheidungstätigkeit <strong>des</strong> Regierungssystems nach den Wahlen. Insofern<br />

vermitteln die Parteien zwischen den Ansprüchen <strong>des</strong> Publikumssystems und<br />

den Entscheidungen <strong>des</strong> Regierungssystems.<br />

Der Charakter der Vermittlung zwischen diesen beiden Subsystemen durch die<br />

politischen Parteien kann auch unter einer anderen Perspektive verdeutlicht<br />

werden. Wenn man von der dominanten Handlungsrationalität der politischen<br />

Parteien ausgeht, Macht zu erwerben und Macht zu erhalten, dann ist durch<br />

diese Handlungsrationalität und dem Wahlmechanismus eine doppelte Perspektive<br />

der politischen Parteien festgelegt: Erstens der Erwerb von Macht in<br />

bezug auf die aktuellen Wahlen und zweitens der Erhalt von Macht in bezug<br />

auf die nächsten Wahlen. Das impliziert, daß von den politischen Parteien von<br />

vornherein eine gewisse Verschränkung der Input- und Output-Perspektive der<br />

Polity vorgenommen werden muß. Diese doppelte Perspektive gewährleistet<br />

eine Vermittlung von Publikumssystem und Regierungssystem, weil dadurch<br />

unterschiedliche Handlungsrationalitäten miteinander verkoppelt werden: Die<br />

möglichst starke Responsivität gegenüber den Ansprüchen <strong>des</strong> Publikumssystems<br />

und die möglichst effektive Realisierung dieser Ansprüche. Wie stark<br />

33 Im Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> (siehe Schaubild 2) werden die durch die Parteien<br />

selektierten und transformierten Ansprüche Streitfragen und Programme genannt.


53<br />

einzelne Parteien in diesem Sinne rational handeln und beide Perspektiven<br />

tatsächlich miteinander verbinden, hängt sicherlich auch von Zusatzfaktoren<br />

ab. Es dürfte beispielsweise eine Rolle spielen, inwieweit sich politische Parteien<br />

von ideologisch festgelegten Parteien zu "Großparteien" 34<br />

transformieren<br />

konnten und somit relativ flexibel gegenüber den Ansprüchen der Staatsbürger<br />

sein können. Ein weiterer Faktor dürfte der Nutzen der Langfristperspektive<br />

(nächste Wahlen) gegenüber der Kurzfristperspektive (aktuelle Wahlen) sein:<br />

Dieses Nutzenkalkül wird vermutlich wesentlich von der erwarteten Wahrscheinlichkeit<br />

eines Wahlerfolges bei den aktuellen Wahlen beeinflußt. Wenn<br />

keine Chancen bestehen, Versprechen einlösen zu müssen, können auch mehr<br />

Versprechen gemacht werden. Unangesehen, wie sich die Situation einzelner<br />

Parteien darstellt, das, was die politischen Parteien von Interessengruppen als<br />

kollektiven Akteuren <strong>des</strong> politischen Systems unterscheidet, ist, daß sie potentiell<br />

politische Ämter besetzen können 35<br />

(von Beyme 1984, 23). Und diese verfassungsmäßig<br />

festgelegte Möglichkeit versetzt die politischen Parteien - und<br />

nur diese - aus strukturellen Gründen in die Lage, die notwendige Vermittlungsfunktion<br />

zwischen Regierungssystem und Publikumssystem zu<br />

erfüllen. Das intermediäre System eines politischen Systems in repräsentativen<br />

Demokratien ist also weitgehend identisch mit seinem Parteiensystem.<br />

4.2.2.3 Die kollektiven Akteure <strong>des</strong> Publikumssystems<br />

4.2.2.3.1 Die Staatsbürger<br />

Die Legitimationsgrundlage repräsentativer Demokratien beruht wesentlich<br />

darin, daß der Machtprozeß bei den Staatsbürgern seinen Ausgang nimmt und<br />

34 Alternative Bezeichnungen sind "Vielthemenparteien" oder "Volksparteien". Alle diese<br />

Bezeichnungen beleuchten unterschiedliche Aspekte und sind in unterschiedlichen Diskussionszusammenhängen<br />

entstanden. Für unsere Zwecke ist bedeutsam, daß sich Parteien von<br />

festen Bindungen an ganz bestimmte Gruppeninteressen und ganz bestimmte programmatische<br />

Ziele lösen und somit Flexibilitäten für eine Responsivität auf fluktuierende Ansprüche<br />

<strong>des</strong> Publikums gewinnen.<br />

35 Weil die Interessengruppen diese Möglichkeit nicht haben, sind sie auch nicht genötigt, ihre<br />

Ansprüche in Relation zu anderen zu setzen und sie eventuell in ihrer zeitlichen Dringlichkeit<br />

zurückzustellen oder sogar gänzlich fallenzulassen. Sie brauchen also Ansprüche nicht<br />

in der Weise selektieren oder transformieren, wie das die politischen Parteien tun müssen.


54<br />

über einen Rückkopplungsprozeß wieder an die Staatsbürger zurückgebunden<br />

wird. Auf diese Weise entsteht ein kreisförmiger Machtprozeß mit dem Fixpunkt<br />

der Staatsbürger. Das Kollektiv der Staatsbürger ist demzufolge der entscheidende<br />

kollektive Akteur <strong>des</strong> Publikumssystems. In welchem Ausmaß und<br />

in welcher Weise sind die Staatsbürger aber als handlungsfähiges Kollektiv zu<br />

begreifen oder lediglich als ein Aggregat einzelner Staatsbürger, deren Charakter<br />

als Kollektiv nur in der errechneten Mehrheit der abgegebenen Stimmen<br />

besteht? Die Klärung dieser Frage setzt eine Erörterung voraus, wie das Kollektiv<br />

der Staatsbürger überhaupt zu verstehen ist.<br />

Das Kollektiv der Staatsbürger hat eine hochformalisierte Dimension in dem<br />

Sinne, daß in den Verfassungen der repräsentativen Demokratien <strong>des</strong> Westens<br />

genau festgelegt ist, wer zu dem Kollektiv gehört und welche Rechte und<br />

Pflichten mit dieser Mitgliedschaft verbunden sind. Es gibt also eine klare<br />

Mitgliedschaftsdennition. Damit ist das erste Kriterium für das Vorliegen eines<br />

Kollektivs erfüllt. Der gesamte Komplex <strong>des</strong> Mitgliedschaftsstatus und der darauf<br />

bezogenen Rechte und Pflichten wird häufig als die Institution der Staatsbürgerschaft<br />

bezeichnet. Die zentralen Komponenten dieser Institution sind<br />

von Marshall (1965), Parsons (1969) und Heater (1990) unter unterschiedlichen<br />

theoretischen Perspektiven herausgearbeitet worden. Die erste Komponente ist<br />

die Sicherung von grundlegenden Bürgerrechten, die zweite ist die der<br />

Gewährleistung von politischer Beteiligung und die dritte die Garantie<br />

bestimmter "wohlfahrtsstaatlicher" Leistungen, wie z.B. eines Minimums an<br />

Lebensstandard, von Schulbildungsmöglichkeiten für alle Staatsbürger etc.<br />

Diese drei Komponenten sind historisch etwa in der aufgeführten Reihenfolge<br />

entstanden. Während die Grundrechtskomponente sich auf das grundlegende<br />

Verhältnis zwischen Bürgern und Staat angesichts <strong>des</strong> staatlichen Gewaltmonopols<br />

bezieht und somit auf eine Rahmenbedingung <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

insgesamt, ist die Komponente der politischen Beteiligung eher der<br />

Input-Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> zuzuordnen und die Komponente<br />

der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen eher der Output-Seite. Der strukturierende<br />

und dynamische Faktor für den <strong>demokratischen</strong> Prozeß ist aber vor<br />

allem die Partizipationskomponente, die in erster Linie durch das Prinzip der


55<br />

freien, gleichen und geheimen Wahl definiert ist. Durch diese Formalisierung<br />

der Wählerrolle ist das Kollektiv der Staatsbürger aber durch eine segmentäre<br />

Differenzierung gleicher Einheiten charakterisiert, ohne daß es eine hierarchische<br />

Differenzierung geben kann, deren Spitze dann die Intentionen <strong>des</strong> Kollektivs<br />

insgesamt repräsentieren könnte. Die Klärung der Frage nach dem<br />

Kollektivitätscharakter dieses Kollektivs verschiebt sich also auf andere Ebenen.<br />

<strong>Eine</strong> solche Ebene errichtet Parsons (1969, 19, 21, 40, 42), wenn er als bestimmende<br />

Merkmale eines Kollektivs ein legitimes Normensystem und ein<br />

"ausreichen<strong>des</strong>" Ausmaß an Solidarität, Zusammenhalt oder Gemeinschaftsgefühl<br />

ansieht. Kollektive konstituieren sich also auch oder vielleicht sogar vor<br />

allem als "imagined communities" (Easton 1965,171-189; Anderson 1991; Fuchs,<br />

Gerhards und Roller 1993). Als die legitime normative Ordnung <strong>des</strong> Kollektivs<br />

der Staatsbürger kann die Verfassung begriffen werden - natürlich nur<br />

insoweit, als sie von den Staatsbürgern auch als legitim angesehen wird. Die<br />

Bezugspunkte <strong>des</strong> Aufbaus und <strong>des</strong> Erhalts eines Gemeinschaftsgefühls können<br />

sehr unterschiedlich sein. In den westeuropäischen Nationalstaaten spielten<br />

und spielen verschiedene Kombinationen territorialer, religiöser, ethnischer<br />

und weiterer Merkmale als Grundlage <strong>des</strong> Gemeinschaftsgefühls eine Rolle<br />

(Fuchs, Gerhards und Roller 1993). In Deutschland wird seit einiger Zeit die<br />

Frage diskutiert, inwieweit die Verfassung als legitime normative Ordnung<br />

auch gleichzeitig die Basis <strong>des</strong> Gemeinschaftsgefühls abgeben könnte. Sternberger<br />

(1990) hat dafür den Begriff <strong>des</strong> "Verfassungspatriotismus" eingeführt,<br />

der sich in der Diskussion weitgehend durchgesetzt hat. Unabhängig von der<br />

Tragfähigkeit einer so kognitionsbetonten Basis eines Gemeinschaftsglaubens<br />

muß davon ausgegangen werden, daß ohne eine geglaubte oder gefühlte<br />

Gemeinschaft - auf welcher Grundlage diese auch immer beruht - von einem<br />

Kollektiv der Staatsbürger nur sehr eingeschränkt geredet werden kann. Das<br />

Ausmaß der Kollektivität dieses Kollektivs ist nicht nur theoretisch bestimmbar,<br />

sondern vor allem auch eine empirische Frage. In jedem Falle dürfte das<br />

Ausmaß <strong>des</strong> Zusammenhalts und der Solidarität im Kollektiv der Staatsbürger<br />

ein politisch folgenreicher Sachverhalt sein. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten<br />

der politischen Entscheidungsträger in Deutschland unter Rekurs auf die Soli-


56<br />

darität <strong>des</strong> Kollektivs Opferbereitschaften für den Prozeß <strong>des</strong> Zusammenwachsens<br />

beider Teile Deutschlands zu mobilisieren, sind ein Beispiel für solche Folgen.<br />

Sie illustrieren zugleich auch Eastons (1965,171-189) allgemeine These, daß<br />

der "sense of community" eine fundamentale Ressource aller politischen<br />

Systeme ist, die vor allem in Krisenzeiten wirksam wird.<br />

<strong>Eine</strong> letzte noch zu diskutierende Frage hinsichtlich <strong>des</strong> Kollektivs der Staatsbürger<br />

betrifft seine Handlungsfähigkeit ab Kollektiv und nicht nur die der<br />

einzelnen Mitglieder <strong>des</strong> Kollektivs (z.B. als Wähler). <strong>Eine</strong> derartige Handlungsfähigkeit<br />

setzt einerseits voraus, daß sich Interessen <strong>des</strong> Kollektivs überhaupt<br />

identifizieren lassen und andererseits, daß sich diese in irgendeiner<br />

Weise in Handlungen umsetzen bzw. in einem weiteren Sinne handlungsrelevant<br />

werden. Bezüglich beider Voraussetzungen erfüllen die Massenmedien<br />

und die Interessengruppen als weitere kollektive Akteure <strong>des</strong> Publikumssystems<br />

eine angebbare Funktion für das Kollektiv der Staatsbürger. Bei<br />

dieser Hypothese wird von zwei Prämissen ausgegangen: 1. In hochmodernen<br />

Gesellschaften gibt es keine limitierten und stabilen Interessen der Staatsbürger<br />

mehr, sondern die Interessen sind vielfältig und fluktuierend. 2. Die einzelnen<br />

Staatsbürger können schon dadurch, daß sie als Individuen Träger eines ganzen<br />

Rollenkomplexes sind "nur punktuell, intermittierend und situativ in den<br />

Handlungszusammenhang <strong>des</strong> politischen Systems einbezogen werden" 36<br />

(Mayntz 1988, 32). Es bedarf einer Ausdifferenzierung von kollektiven Akteuren,<br />

die diese beiden "Defizite" der Staatsbürger kompensieren können und den<br />

Staatsbürgern eine Gestalt als Kollektiv geben. Die Massenmedien und die<br />

Interessengruppen können diese Funktion in jeweils unterschiedlicher Weise<br />

erfüllen. Um diese These ausführen zu können, ist noch ein begrifflicher Exkurs<br />

notwendig.<br />

36 Diese Prämisse ist zumin<strong>des</strong>t plausibel. Mit Hilfe <strong>des</strong> evidenten Tatbestan<strong>des</strong>, daß die Individuen<br />

in vielfältiges Rollenhandeln eingebunden sind, kann das Phänomen erklärt werden,<br />

daß die Staatsbürger einerseits eine ausgeprägte Bereitschaft haben, sich an verschiedensten<br />

politischen Handlungsformen zu beteiligen, dieses aber faktisch relativ selten tun (siehe<br />

Fuchs 1991b). Rollenvielfalt wirft zwangsläufig das Problem der Zeitallokation zu verschiedenen<br />

Handlungsoptionen auf.


57<br />

Der Bezugspunkt <strong>des</strong> Exkurses ist das Kollektiv der Staatsbürger. Wir wollen<br />

noch einmal festhalten, was darunter zu verstehen ist. Damit von einem solchen<br />

Kollektiv überhaupt geredet werden kann, ist als Minimalkriterium eine Mitgliedschaftsregel<br />

notwendig, die eindeutig festlegt, wer diesem Kollektiv zugehört<br />

und wer nicht. Dadurch wird eine formale Grenze nach außen gezogen.<br />

Nach innen ist ein gewisses Ausmaß eines Solidaritäts- und Gemeinschaftsgefühls<br />

notwendig, wobei theoretisch nicht eindeutig festzulegen ist, wie groß<br />

dieses Ausmaß denn sein muß. Als eine weitere Ebene kann das Ausmaß der<br />

Gemeinsamkeit von Interessen gelten. Diese drei Ebenen bauen aufeinander auf<br />

und bestimmen, wie ausgeprägt der Kollektivitätscharakter <strong>des</strong> Kollektivs im<br />

einzelnen ist. Diese Ebenen sind alle auf die Integration <strong>des</strong> Gesamtkollektivs<br />

bezogen. Ein gesellschaftliches Kollektiv ist zumin<strong>des</strong>t in modernen Gesellschaften<br />

aber "nach unten" hin geschichtet, das heißt unterhalb dieser Integrationsebene<br />

existieren noch sogenannte "solidary groupings" (Parsons), das heißt<br />

Kollektive geringerer Größe, die Teil <strong>des</strong> Gesamtkollektivs sind. Wir haben<br />

somit innerhalb der Kategorie der Staatsbürger das Gesamtkollektiv und Subkollektive<br />

unterschieden. Beide Arten von Kollektiven können im Rahmen <strong>des</strong><br />

<strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> nur handeln, wenn sie Interessen und Ansprüche an<br />

die Polity richten. In Schaubild 4 werden die Interessen <strong>des</strong> Gesamtkollektivs<br />

Kollektivinteressen genannt und die Interessen der jeweiligen Subkollektive Partikularinteressen.<br />

Um diese analytische Differenzierung zu vervollständigen,<br />

werden noch die Individiialinteressen eingeführt, das heißt die Interessen der<br />

jeweils einzelnen Staatsbürger.<br />

Interessen wurden bereits als Handlungsziele von individuellen und kollektiven<br />

Akteuren bestimmt, die diese im Rahmen von situativen und strukturellen<br />

constraints zu realisieren suchen (siehe Kapitel 4.1). Wie kann diese Bestimmung<br />

im Hinblick auf die empirische Identifikation von Interessen operationalisiert<br />

werden? Wenn davon ausgegangen werden kann, daß es für die einzelnen<br />

Staatsbürger immer eine Vielzahl von Zielen gibt, die sie durch ihr politisches<br />

Handeln verwirklichen wollen, dann stellt sich die Frage, welches dieser


58<br />

Schaubild 4: <strong>Eine</strong> Typologie von Interessen und Gütern<br />

Kollektiv- Partikular- IndMdual-<br />

Güter Güter Güter<br />

Kollektiv-<br />

Interessen<br />

\J V "J •J V \J\<br />

Partikulartnteressen<br />

Individualinteressen<br />

Ziele denn vordringlich ist 37 . Nur die aktuellen (vordringlichen) Ziele aus der<br />

Menge möglicher Ziele werden Interessen genannt, und von diesen kann angenommen<br />

werden, daß sie für das faktische Handeln der Individuen maßgebend<br />

sind. Zur empirischen Bestimmung der Interessen der Staatsbürger ist demzufolge<br />

die Ermittlung einer Präferenzordnung ihrer Ziele notwendig.<br />

Individualinteressen sind also solche Ziele von Individuen, die auf ihrer Präferenzordnung<br />

möglicher Ziele relativ hoch rangieren 38 . Diese Grundüberlegung<br />

wird auch auf die Definition von Partikularinteressen und Kollektivinteressen<br />

angewendet. Da sich Kollektive aber per Definitionen aus einer Vielzahl von<br />

Mitgliedern zusammensetzen, ist ein Zusatzkriterium notwendig, wie sich die<br />

Präferenzordnungen der einzelnen Mitglieder zueinander verhalten. Das einzig<br />

plausible Kriterium scheint uns die Mehrheitsregel zu sein. Partikularinteressen,<br />

das heißt die Interessen eines Subkollektivs der Staatsbürger sind dann solche<br />

Interessen, die bei der Mehrheit der Mitglieder dieses Subkollektivs relativ hoch<br />

plaziert sind. Die gleiche Definition ist auch auf die Kollektivinteressen anzu-<br />

37 Es ist völlig unrealistisch, eine große Zahl von Zielen oder gar alle in Handlungssituationen<br />

verwirklichen zu wollen.<br />

38 Auf theoretischer Ebene kann nicht festgelegt werden, wie hoch ein Handlungsziel auf der<br />

Präferenzordnung rangieren muß, um als Interesse eingestuft zu werden. Diese Frage ist nur<br />

empirisch und pragmatisch zu lösen.


59<br />

wenden, nur daß in diesem Falle die Referenz das Gesamtkollektiv der Staatsbürger<br />

ist.<br />

In Schaubild 4 werden Interessen und Güter unterschieden. Die Differenzierung<br />

der drei Güterkategorien gründet auf der klassischen Analyse von<br />

Musgrave (1959), der als das entscheidende Differenzierungskriterium die Ausschließbarkeit<br />

vom Nutzen eines Gutes angegeben hat. Kollektivgüter sind<br />

dadurch gekennzeichnet, daß niemand vom Nutzen dieses Gutes ausgeschlossen<br />

werden kann, auch wenn er zur Herstellung <strong>des</strong> Gutes nichts beiträgt. Bei<br />

Individualgütern ist demgegenüber die Nutzung <strong>des</strong> Gutes direkt an die<br />

Erbringung einer Gegenleistung gekoppelt, das heißt die Nutzung hat einen<br />

Preis. Bei der Anwendung dieser Bestimmung Musgraves für unseren Analysekontext<br />

sind KollektivgUter solche Güter, die je<strong>des</strong> Mitglied <strong>des</strong> Gesamtkollektivs<br />

der Staatsbürger nutzen kann. Partikulargüter sind solche Güter, die lediglich<br />

ein Subkollektiv der Staatsbürger nutzen kann und Individualgüter sind solche<br />

Güter, die nur eine Teilmenge der Staatsbürger nutzen kann, ohne daß<br />

diese ein Subkollektiv bilden.<br />

Im Schaubild 4 sind die unterschiedenen Typen von Interessen und die unterschiedenen<br />

Typen von Gütern zueinander in Bezug gesetzt worden. Drei<br />

logisch mögliche Verknüpfungen werden nicht hergestellt (siehe schraffierter<br />

Teil der Matrix): Es ist nicht plausibel, daß das Gesamtkollektiv der Staatsbürger<br />

Interessen artikuliert, die sich auf die Herstellung von Partikular- und Individualgütern<br />

beziehen, das heißt auf Güter, von deren Nutzung ein Teil ihrer<br />

Mitglieder ausgeschlossen ist. Aus demselben Grund ist es nicht plausibel, daß<br />

ein Subkollektiv die Herstellung von Individualgütern als eines ihrer Interessen<br />

formuliert. Unter der Prämisse rationalen Handelns nach dem Eigennutz-Theorem<br />

müßte man annehmen, daß die Interessen <strong>des</strong> Gesamtkollektivs sich auf<br />

Kollektivgüter richtet, die Interessen der Subkollektive auf Partikulargüter und<br />

die Interessen der Individuen auf Individualgüter. Wenn diese Annahme<br />

grundsätzlich zutrifft, dann ist es eine wichtige Frage, unter welchen Bedingungen<br />

Individuen auch an der Herstellung von Partikular- und Kollektivgütern<br />

interessiert sind und Subkollektive auch an der Herstellung von Kollektivgütern<br />

(auf diese Frage kommen wir in bestimmter Weise noch einmal zurück).


60<br />

Nach diesem begrifflichen Exkurs kann die Funktion der Massenmedien und<br />

Interessengruppen für die Staatsbürger im Rahmen <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

genauer expliziert werden.<br />

4.2.2.3.2 Die Massenmedien<br />

Die Massenmedien sind nicht in gleicher Weise als kollektive Akteure zu<br />

begreifen wie beispielsweise Interessengruppen und politische Parteien. Das<br />

liegt daran, daß sie auch oder sogar hauptsächlich ein Medium der Vermittlung<br />

zwischen den kollektiven Akteuren <strong>des</strong> politischen Systems sind 39 . Deshalb ist<br />

es zu begründen, in welcher Weise den Massenmedien der Status eines kollektiven<br />

Akteurs mit einer angebbaren Funktion im <strong>demokratischen</strong> Prozeß zugesprochen<br />

werden kann. Das bedeutet vor allem den Nachweis eines spezifischen<br />

Handlungsproduktes, das dieser kollektive Akteur herstellt und das<br />

einen Stellenwert im <strong>demokratischen</strong> Prozeß hat. Als dieses Handlungsprodukt<br />

kann die sogenannte öffentliche Meinung postuliert werden. In dem Charakter<br />

der Massenmedien als Medium liegt schon beschlossen, daß dort Meinungen<br />

veröffentlicht werden. Was unterscheidet also veröffentlichte Meinung von<br />

Öffentlicher Meinung? Das entscheidende Merkmal einer öffentlichen Meinung<br />

ist die erfolgreiche Suggestion bei dem Publikum der Massenmedien, daß die<br />

veröffentlichte Meinung eine Mehrheitsmeinung der Staatsbürger ausdrückt,<br />

die für diese gleichzeitig eine relativ hohe Priorität besitzt. Die öffentliche Meinung<br />

ist also eine erfolgreiche Suggestion eines Kollektivinteresses der Staatsbürger<br />

zu einem bestimmten Thema. Darin beruht die Bedeutung der Öffentlichen<br />

Meinung, die auch von Gerhards (1993,11,26f) so herausgestrichen wird.<br />

Die öffentliche Meinung wird von den Massenmedien und in den Massenmedien<br />

konstruiert. Diese These schließt nicht aus, daß Akteure außerhalb<br />

39 Wir wollen noch einmal festhalten, daß aus diesem Vermittlungscharakter nicht die Funktion<br />

eines intermediären Systems zwischen Publikumssystem und Regierungssystem<br />

geschlossen werden kann. Die massenmediale Vermittlung von Themen, Meinungen etc. ist<br />

nicht die einzige Form der Vermittlung, und sie vermittelt nicht nur zwischen den Akteuren<br />

<strong>des</strong> Publikumssystems und <strong>des</strong> Regierungssystems, sondern auch zwischen den Akteuren<br />

innerhalb <strong>des</strong> Publikumssystems und innerhalb <strong>des</strong> Regierungssystems. Diese Aspekte gelten<br />

unangesehen der schon ausgeführten These, daß das intermediäre System der Politik<br />

ganz spezifische Funktionen für den <strong>demokratischen</strong> Prozeß hat, die die Massenmedien<br />

gerade nicht erfüllen können (siehe dazu die Kapitel 4.2.1 und 4.2.2.2).


61<br />

der Massenmedien versuchen, diesen Konstruktionsprozeß zu beeinflussen 40 .<br />

Es kann angenommen werden, daß die Diskrepanz bzw. Homogenität der<br />

Richtung der Beeinflussungsversuche von außen die systemeigenen Rationalitäten<br />

und Selektivitäten der Massenmedien abschwächt bzw. verstärkt 41 . Entscheidend<br />

ist aber, daß es letztlich die Massenmedien selbst sind, die aufgrund<br />

ihrer eigenen Rationalitäten und Selektivitäten eine öffentliche Meinung quasi<br />

durch die veröffentlichten Meinungen hindurch erzeugen können und somit<br />

die Suggestion errichten, das Kollektivinteresse der Staatsbürger zu repräsentieren.<br />

In dieser Suggestion liegt eine doppelte Wirkung, die folgenreich für den<br />

<strong>demokratischen</strong> Prozeß ist. Erstens können die Staatsbürger das, was als Mehrheitsmeinung<br />

suggeriert wird, gerade infolge dieser Suggestion in ihr Selbstverständnis<br />

aufnehmen und auf diese Weise tatsächlich eine Mehrheit bilden,<br />

die dann entsprechende Folgen für ihr Wahlverhalten hat. Wie solche Wirkungsmechanismen<br />

genau zu verstehen sind, ist eine noch offene Forschungsfrage.<br />

Mit der Explikation <strong>des</strong>sen, was Noelle-Neumann (1989) "Meinungsklima"<br />

und "Schweigespirale" nennt, liegt einer der wenigen Versuche vor,<br />

diese Wirkungsmechanismen theoretisch und empirisch zu beschreiben. Die<br />

zweite relevante Wirkung bezieht sich auf die Akteure der Polity. Je erfolgreicher<br />

die Suggestion einer Mehrheitsmeinung durch die Massenmedien ist,<br />

<strong>des</strong>to rationaler ist es für diese Akteure, diese als Substitution für die kontingenten<br />

Interessen und Ansprüche der Staatsbürger zu nehmen (siehe dazu<br />

auch Luhmann 1986, 175; Gerhards 1993, 26f). Diese Substitution erfolgt aber<br />

nur <strong>des</strong>halb, weil hier die Vermutung einer aktuellen oder potentiellen Mehrheit<br />

der Staatsbürger im Spiel ist. Die Akteure der Polity können natürlich nicht<br />

mit Gewißheit annehmen, ob die öffentliche Meinung zu einem Thema auch<br />

tatsächlich ein aktuelles Kollektivinteresse der Staatsbürger darstellt, selbst<br />

40 In der Massenkommunikationsforschung wird dieser Sachverhalt unter dem Titel <strong>des</strong><br />

"agenda-building" diskutiert.<br />

41 Die systemeigenen Rationalitäten und Selektivitäten von Massenmedien werden bei<br />

Gerhards und Neidhardt (1990) und Gerhards (1992) detailliert beschrieben. <strong>Eine</strong>r der wichtigsten<br />

Handlungslogiken der Massenmedien zur Konstruktion öffentlicher Meinungen ist<br />

der Zwang, die eigenen Standpunkte unter Rekurs auf allgemein akzeptierte Werte zu rechtfertigen.<br />

Das impliziert beispielsweise, daß auch ein Akteur, der bei seiner Beteiligung an<br />

öffentlichen Diskursen ein Partikularinteresse verfolgt, dieses als Kollektivinteresse darstellen<br />

muß.


62<br />

wenn sie das als wahrscheinlich unterstellen. Dies dürfte einer der Gründe<br />

dafür sein, warum die Akteure der Polity versuchen, Anhaltspunkte über die<br />

kontingenten Interessen der Staatsbürger, die letztlich für deren Wahlentscheidungen<br />

relevant werden, sowohl durch die Beobachtung der Massenmedien,<br />

als auch durch die Erhebung von Umfragen zu gewinnen. Umfragen allein reichen<br />

nicht aus, weil sie nur Momentaufnahmen <strong>des</strong> permanenten Generierungsprozesses<br />

der Interessen der Staatsbürger darstellen, die sich schnell wieder<br />

ändern können und deren Änderung unter anderem durch die Massenmedien<br />

beeinflußt wird. Die Beobachtung der Massenmedien allein reicht ebenfalls<br />

nicht aus und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist auf dieser Grundlage<br />

nicht mit Gewißheit entscheidbar, ob die öffentliche Meinung auch tatsächlich<br />

das Kollektivinteresse der Staatsbürger repräsentiert, und zweitens ist unklar,<br />

ob dieses Kollektivinteresse eine relativ höhere Priorität für die Wahlentscheidung<br />

der Staatsbürger hat als beispielsweise Partikularinteressen von Subkollektiven,<br />

denen die Staatsbürger auch zugehören.<br />

Wir wollen die behauptete Bedeutung und Wirkung der Öffentlichen Meinung<br />

an einem bestimmten Thema illustrieren, das zugleich die Kontingenzproblematik<br />

wieder aufgreift. Die Wähler müssen ihre Wahlentscheidung unter<br />

Bedingungen hoher Unsicherheit treffen: Sie können nicht wissen, wie die politischen<br />

Parteien handeln werden, wenn sie gewählt sind. Downs (1957) hat<br />

diese Situation durch einen Mangel an notwendiger Information für eine rationale<br />

Wahlentscheidung gekennzeichnet. Dieser Mangel kann auch durch einen<br />

Vergleich der Programme der konkurrierenden Parteien nicht vollständig<br />

behoben werden, da die Wähler wissen, daß diese zumin<strong>des</strong>t teilweise unter<br />

wahltaktischen Gesichtspunkten formuliert wurden und keine der Parteien in<br />

der Lage sein wird, alles zu verwirklichen, was sie versprochen hat. <strong>Eine</strong> rationale<br />

Möglichkeit, diesem Informationsmangel zu begegnen, ist die Orientierung<br />

an dem, was in der vergangenen Legislaturperiode tatsächlich getan<br />

wurde. Dieses kann natürlich nur im Hinblick auf die Partei oder die Parteien<br />

geschehen, die während dieser Periode die Regierung bildeten. Die tatsächlichen<br />

Leistungen der Regierungsparteien in der vergangenen Legislaturperiode<br />

sind ein relativ guter Prädiktor für die erwartbaren Regierungsleistungen in der


63<br />

kommenden Legislaturperiode. Bei einem solchen Vorgehen der Wähler haben<br />

die Regierungsparteien einen strukturellen Vorteil, da es nur dann sinnvoll ist,<br />

eine Oppositionspartei zu wählen, wenn die Bilanz für die Regierungsparteien<br />

eindeutig negativ ausfällt. Fiorina hat eine derartige Wählerrationalität mit dem<br />

Begriff <strong>des</strong> "retrospective voting" bezeichnet (siehe dazu auch Popkin 1991;<br />

Fuchs und Kühnel 1993). In dem Maße, in dem ein solches retrospektives Wählen<br />

stattfindet, ist die Meinung der einzelnen Wähler zu dem Thema<br />

"Regierungsleistung" auch maßgeblich für ihre Wahlentscheidung. Hinsichtlich<br />

der Herausbildung ihrer Meinung zu diesem Thema stellt sich allerdings ein<br />

weiteres Informationsproblem. Es ist für die meisten Wähler auf der Grundlage<br />

ihrer Primärerfahrungen nur schwierig entscheidbar, welche Auswirkungen<br />

die Regierungshandlungen für die Realisierung ihrer Interessen gehabt haben.<br />

Von daher gesehen liegt eine Orientierung der Wähler an der öffentlichen Meinung<br />

zu dem Thema "Regierungsleistung" nahe, die in den Massenmedien und<br />

durch die Massenmedien konstruiert wird. Das eigentliche Thema der Massenmedien<br />

ist nicht die Bewertung der Leistungen der Regierung zu einzelnen<br />

Politiken, sondern eine generalisierte Bewertung. Gerade die Konstruktion einer<br />

öffentlichen Meinung zu den Regierungsleistungen insgesamt macht diese<br />

geeignet als "information shortcut" für einen "reasoning voter" unter Bedingungen<br />

einer "low-information-rationality" (Popkin 1991,7ff).<br />

Die Massenmedien operieren unter einer eigenen Handlungsrationalität. Vor<br />

diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wieso und in welcher Weise die<br />

Regierungsleistung zu einem Thema der Konstruktion einer öffentlichen Meinung<br />

in und durch die Massenmedien werden kann. Luhmann (1981a, 317) hat<br />

als das wichtigste Kriterium für die Selektion eines Themas durch die Massenmedien<br />

das der Aktualität eingeführt und als den wichtigsten Maßstab für<br />

Aktualität seine Neuigkeit bestimmt. Nur ein aktuelles Thema hat die Chance,<br />

die Aufmerksamkeit möglichst vieler Mitglieder <strong>des</strong> Publikums zu gewinnen<br />

und die Dynamik der Herausbildung einer Öffentlichen Meinung zu diesem<br />

Thema in Gang zu setzen. Wenn die Regierungsleistung sich auf die gesamte<br />

Legislaturperiode bezieht, dann bedeutet das, daß das Thema zu einem Dauerthema<br />

werden muß, damit sich eine öffentliche Meinung dazu herausbilden


64<br />

kann. Unter dem AktuaÜtätszwang sind nur wenige Themen als Dauerthema<br />

geeignet. Luhmann (1981a, 317) gibt als Beispiel für ein geeignetes Dauerthema<br />

die Inflation an, da die Rate der Preissteigerung ständig wechselt und jeder<br />

Wechsel politische Relevanz besitzt. In vergleichbarer Weise lassen sich die<br />

permanent anfallenden Regierungshandlungen als immer neue Ereignisse<br />

begreifen, die im Lichte einer ansteigenden oder abfallenden generalisierten<br />

Bewertung der Regierungsleistung interpretiert werden. Der Sachverhalt einer<br />

sich verschlechternden oder sich verbessernden Regierungsleistung ist wiederum<br />

von so gravierender Bedeutung für das Publikum der Massenmedien,<br />

daß diese als Thema eine hohe Selektionschance hat.<br />

Durch die Dauerthematisierung der Regierungsleistung in den Massenmedien<br />

wird eine Geschichte der Legislaturperiode aufgebaut. Für die Wahlentscheidungen<br />

der Staatsbürger ist zwar die öffentliche Meinung zur Regierungsleistung<br />

während der Wahlkampfperiode maßgeblicher als die zu früheren<br />

Zeitpunkten der Legislaturperiode. Diese öffentliche Meinung selbst konstituiert<br />

sich aber im Rahmen der Geschichte der gesamten Legislaturperiode,<br />

das heißt, sie ist nicht bezugslos zu dem, was vorher passierte. Auch wenn die<br />

Regierungsleistung ein Dauerthema ist, kann sie sich der Logik von Themenkarrieren<br />

(Luhmann 1990, 177) nicht gänzlich entziehen. Es hat wenig Neuigkeitswert,<br />

wenn in den Massenmedien eine Gleichförmigkeit der Regierungsleistungen<br />

festgestellt werden würde. Die Handlungsrationalität der Massenmedien<br />

treibt zur Konstatierung eines Aufstiegs oder eines Abstiegs. <strong>Eine</strong> in den<br />

Massenmedien vieler Demokratien eingespielte Zäsur zur Inszenierung eines<br />

solchen Trends ist die Schwelle der ersten 100 Tage. Es ist eine aus der Perspektive<br />

der Handlungsrationalität der Massenmedien interessante und wichtige<br />

Frage, wie lange solche Trends zeitlich ausdehnbar sind, ohne daß sie an<br />

Neuigkeitswert verlieren. Es ist vermutlich nicht möglich, einen kontinuierlichen<br />

Trend (sei es ein Anstieg oder ein Abstieg) über die gesamte Legislaturperiode<br />

zu konstruieren, ohne daß sich nach einer gewissen Zeit der Neuigkeitswert<br />

verbraucht und einen Aufmerksamkeitsentzug <strong>des</strong> Publikums nach sich zieht.<br />

Wenn diese Annahme zutrifft, dann müßte es aus der Perspektive der<br />

konkurrierenden politischen Parteien wiederum rational sein, an der Kon-


65<br />

struktion eines Trends der öffentlichen Meinung über die Regierungsleistung<br />

beizutragen (agenda-building), der etwa Mitte der Legislaturperiode beginnt.<br />

Für die Regierungsparteien bedeutet das natürlich die Konstruktion eines<br />

ansteigenden Trends und für die Oppositionsparteien eines absteigenden<br />

Trends.<br />

Nach der Erläuterung <strong>des</strong> Konzeptes der öffentlichen Meinung soll noch einmal<br />

der Bezug zu dem Kollektiv der Staatsbürger hergestellt werden. Wir gingen<br />

von der Annahme aus, daß das Staatsbürgerkollektiv aus sich selbst heraus<br />

keine Gemeinsamkeit von Interessen herstellen kann. Den Massenmedien<br />

wurde die spezifische Funktion zugeschrieben, dieses Defizit zu kompensieren.<br />

Die Kollektivinteressen der Staatsbürger sind demnach kurzfristige und wechselnde<br />

Konstruktionen, die von den Massenmedien wesentlich erzeugt werden<br />

und die sich in den Massenmedien manifestieren. Diese Konstruktionen selber<br />

wurden öffentliche Meinung genannt. Im Rahmen <strong>des</strong> Modells <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> ist öffentliche Meinung somit eine bestimmte Kategorie von<br />

Ansprüchen, die vom Publikum an die Polity gerichtet werden.<br />

Inwieweit die Massenmedien diese Funktion der Artikulation und Erzeugung<br />

von Kollektivinteressen in der beschriebenen Weise tatsächlich erfüllen und<br />

inwieweit diese im Selbstverständnis der Handelnden und Betroffenen enthalten<br />

ist, ist letztlich eine empirische Frage. Gerhards (1993) zeigt anhand seiner<br />

Fallstudie, daß zumin<strong>des</strong>t die einzelnen Printmedien politischen Konfliktstrukturen<br />

zugeordnet werden können und diese möglicherweise sogar<br />

stabilisieren. Bei einer eindeutigen Zurechenbarkeit einzelner Medien zu solchen<br />

Konfliktstrukturen könnte man von einer Konstruktion von Kollektivinteressen<br />

durch diese Medien nur schwerlich reden, da das Kollketiv der<br />

Staatsbürger durch solche Konfliktstrukturen ja gerade gespalten wird. Bei diesem<br />

Ergebnis von Gerhards muß aber offenbleiben, inwieweit es themeninduziert<br />

ist und inwieweit es eher für die Printmedien gilt und weniger für das<br />

Fernsehen 42 . Wir wollen die Diskussion über den Stellenwert der Massenme-<br />

42 <strong>Eine</strong> Strukturkomponente der Massenmedien, die für die zugeschriebene Funktionserfüllung<br />

relevant sein könnte, ist die Organisation <strong>des</strong> Fernsehens als Öffentlich-rechtliches oder<br />

privates Fernsehen.


66<br />

dien im Publikumssystem mit der folgenden konditionalen Formulierung<br />

abschließen: Wenn es unter den anfangs geschilderten Prämissen so etwas wie<br />

ein Kollektivinteresse der Staatsbürger gibt, dann kann sich das nur in der<br />

beschriebenen Weise durch die Mitwirkung der Massenmedien herausbilden<br />

und in den Massenmedien manifestieren. In dem Maße, in dem diese Funktion<br />

der Massenmedien nicht realisiert wird, in dem Maße reduziert sich auch die<br />

Wahrscheinlichkeit, daß Kollektivinteressen existieren und erhöht sich komplementär<br />

dazu die Wahrscheinlichkeit einer Fragmentierung <strong>des</strong> Kollektivs<br />

der Staatsbürger.<br />

Als die Besonderheit der Massenmedien gegenüber anderen kollektiven Akteuren<br />

wurde ihr "Doppelcharakter" als Akteur und als Medium dargestellt. Im<br />

Rahmen dieses Kapitels wurden sie unter der Akteurperspektive analysiert.<br />

Ihren Charakter als Akteur gewinnen sie in dem Maße, in dem sie ein spezifisches<br />

Handlungsprodukt innerhalb der allgemeineren Kategorie der Ansprüche<br />

erzeugen. Dieses wurde als öffentliche Meinungen bezeichnet, die der<br />

Sache nach kurzfristige und wechselnde Konstruktionen von Kollektivinteressen<br />

der Staatsbürger sind. Bei dieser Analyseperspektive wurden notwendigerweise<br />

die Implikationen der Massenmedien als Medium für den <strong>demokratischen</strong><br />

Prozeß vernachlässigt. Durch die Ausbreitung und Mutzung der Massenmedien<br />

(Kiefer 1987) ist der Kommunikationsprozeß zwischen den Akteuren<br />

<strong>des</strong> politischen Systems wesentlich ein massenmedial bestimmter Kommunikationsprozeß<br />

geworden. Demzufolge können die systemeigenen Rationalitäten<br />

der Massenmedien nicht ohne Folge bleiben für diesen Kommunikationsprozeß.<br />

Wenn die Annahme zutrifft, daß es bestimmte Nachrichtenwertfaktoren<br />

sind, die die massenmediale Selektivität von Ereignissen steuern 43<br />

(siehe<br />

dazu Luhmann 1971, Schulz 1976, Staab 1990, Gerhards 1991), dann müßten die<br />

Wirkungen dieser Selektivität eher in Richtung einer Verstärkung der Polarisierung<br />

zwischen den konkurrierenden politischen Parteien <strong>des</strong> intermediären<br />

Systems sowie zwischen dem intermediären System und dem Parteiensystem<br />

gehen. Diese Polarisierung muß nicht notwendigerweise bedeuten, daß die<br />

43 Neben dem schon genannten Neuigkeitswert sind hier Krisensymptome, Skandale, Überraschungen,<br />

Kontroversen etc. zu nennen.


67<br />

inhaltlichen Positionen entsprechend auseinandertreiben, sondern kann sich<br />

auch auf eine rhetorische Zuspitzung marginaler Differenzen beziehen, die<br />

dennoch den diffusen Eindruck der Zestrittenheit hinterlassen und Einigungsprozesse<br />

erschweren. Diese Aspekte betreffen aber weniger die Frage <strong>des</strong> spezifischen<br />

Charakters der Massenmedien als kollektive Akteure, die den Fokus<br />

dieses Kapitels bildeten, als vielmehr die grundlegende Frage der Art der<br />

Kommunikationsprozesse in hochmodernen Gesellschaften, die unter anderem<br />

durch die Ausbreitung und Nutzen der Massenmedien beschrieben werden<br />

können.<br />

4.2.2.3.3 Die Interessengruppen<br />

Neben den Massenmedien wurden die Interessengruppen als spezialisierte<br />

kollektive Akteure bezeichnet, die das Kollektiv der Staatsbürger als handlungsfähiges<br />

Kollektiv erst konstituieren. Diese Handlungsfähigkeit ist bezogen<br />

auf die Artikulation von Ansprüchen gegenüber den Akteuren der Polity. Diese<br />

Funktion der Massenmedien und Interessengruppen schließt nicht aus, daß<br />

auch einzelne Staatsbürger Ansprüche artikulieren. Das kann beispielsweise in<br />

öffentlichen Veranstaltungen mit Politikern geschehen oder durch individuelle<br />

Kontaktierung von Politikern. Es ist aber anzunehmen, daß diese Art der Artikulation<br />

von Ansprüchen eine relativ geringe Bedeutung für die Responsivität<br />

der Akteure der Polity besitzen, da sie nicht hinreichend instruktiv ist für die<br />

Verteilung der Ansprüche im Kollektiv der Staatsbürger und nur diese ist letztlich<br />

für den Wahlerfolg entscheidend. Anders einzuschätzen sind demgegenüber<br />

die durch repräsentative Umfragen ermittelten Meinungen der Bürger.<br />

Diese sind nicht notwendigerweise identisch mit folgenreichen Ansprüchen.<br />

Wenn meßtechnisch aber sichergestellt werden kann, daß die ermittelten Meinungen<br />

auch als Ansprüche interpretiert werden können, dann stellen solche<br />

Umfragen für die Akteure der Polity bis zu einem gewissen Grade ein funktionales<br />

Äquivalent zu den Massenmedien und Interessengruppen zur Feststellung<br />

der Ansprüche der Staatsbürger dar, die sie berücksichtigen müssen, um<br />

gewählt zu werden. <strong>Eine</strong> Ersetzung der Beobachtung der Massenmedien und<br />

Interessengruppen zur Ermittlung der Ansprüche <strong>des</strong> Publikumssystems durch<br />

Umfragen wäre für die Akteure der Polity aber nur dann rational, wenn die


68<br />

Staatsbürger lediglich aus sich selbst heraus ihre Ansprüche erzeugen würden.<br />

Wir gingen demgegenüber davon aus, daß die Ansprüche der Staatsbürger<br />

vielfältig und fluktuierend sind und daß die Massenmedien und Interessengruppen<br />

die wichtigsten Erzeuger dieser fluktuierenden Vielfalt sind. Gleichzeitig<br />

dürften nur die Massenmedien und Interessengruppen in der Lage sein,<br />

zu bestimmten Perioden (wie der Wahlkampfperiode) diese fluktuierende Vielfalt<br />

zu verdichten und zu fokussieren, so daß die Staatsbürger Anhaltspunkte<br />

für ihr politisches Handeln (vor allem für das Wahlverhalten) gewinnen. Die<br />

Massenmedien und die Interessengruppen gehen bei ihrer Funktion im Rahmen<br />

<strong>des</strong> Publikumssystems also nicht darin auf, schon existierende Ansprüche<br />

der Staatsbürger ausdrücklich und wirksam zu artikulieren, sondern sie konstituieren<br />

diese Ansprüche auch und damit in bestimmter Weise das Kollektiv<br />

der Staatsbürger.<br />

Die Integration <strong>des</strong> Kollektivs der Staatsbürger erfolgt auf zwei Ebenen: Erstens<br />

auf der Ebene <strong>des</strong> Gesamtkollektivs und zweitens auf der Ebene von Subkollektiven.<br />

Bezogen auf die Staatsbürger liegt die Funktion der Massenmedien in<br />

der Artikulation und Erzeugung von Kollektivinteressen und ist somit der<br />

ersten Integrationsebene zuzuordnen. Die entsprechende Funktion der Interessengruppen<br />

liegt in der Artikulation und Erzeugung von Partikularinteressen<br />

und ist somit der zweiten Integrationsebene zuzuordnen. Interessengruppen<br />

werden in der Literatur unterschiedlich eng oder weit definiert (zu dem Begriff<br />

und der Analyse von Interessengruppen siehe Salisbury 1975; von Beyme 1980;<br />

von Alemann 1987). Für die <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> scheint<br />

uns die Definition von Salisbury (1975, 175) ein geeigneter Anknüpfungspunkt<br />

zu sein: "An interest group is an organized association which engage in activity<br />

relative to governmental decisons". Diese Definition ist für unsere Zwecke in<br />

zweierlei Hinsicht zu modifizieren und zu ergänzen: Erstens beziehen sich die<br />

durch die Interessengruppen vertretenen Interessen auf Interessen von Subkollektiven<br />

der Staatsbürger und zweitens richtet sich die Vertretung dieser<br />

Interessen nicht nur auf die Akteure <strong>des</strong> Regierungssystems, sondern auch auf<br />

die Akteure <strong>des</strong> intermediären Systems.


69<br />

Mit diesem allgemeinen Begriff der Interessengruppen werden zwei unterschiedliche<br />

Typen verbunden: Die Interessenverbände und die sozialen Bewegungen.<br />

Sowohl Interessenverbände als auch soziale Bewegungen sind als Interessengruppen<br />

zu bezeichnen, sofern sie spezialisierte kollektive Akteure zur<br />

Erzeugung und Artikulation der Interessen von Subkollektiven der Staatsbürger<br />

sind. Die Relation der beiden Typen von Interessengruppen zu den Staatsbürgern<br />

wird aber in ganz unterschiedlicher Weise hergestellt: Die Interessenverbände<br />

sind dauerhafte, formale Organisationen mit relativ eindeutig definierten<br />

Organisationszwecken. Dementsprechend vollzieht sich ein permanenter<br />

Interaktionsprozeß zwischen den Interessenverbänden und den sozialen<br />

Gruppen, die sie vertreten. Auf diese Weise entstehen innerhalb <strong>des</strong> Publikumssystems<br />

stabile Relationen, die diesem System eine gewisse Struktur verleihen.<br />

Auf der Grundlage solcher stabiler Relationen zwischen sozialen Gruppen<br />

und Interessenverbänden wurden Theorien entwickelt, die noch umfassendere<br />

stabile Relationen im <strong>demokratischen</strong> Prozeß behaupten. Die Theorie<br />

politischer Konfliktlinien (Lipset und Rokkan 1967) geht von stabilen Relationen<br />

zwischen sozialen Gruppen, Interessenverbänden und politischen Parteien<br />

aus und die Korporatismusthese (Schmitter 1979, 1983) bezieht darüberhinaus<br />

noch administrative Einheiten ein. Beide Theorien postulieren auf diese Weise<br />

bestimmte informelle Strukturen <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong>, die die Subsysteme<br />

mehr oder weniger ausgeprägt übergreifen. Es stellt sich allerdings die<br />

Frage, inwieweit diese Art von Strukturen <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> auch<br />

noch für "postmoderne" Gesellschaften angenommen werden können (siehe<br />

dazu Crook, Pakulski und Waters 1992). Durch die Differenzierung der Sozialstruktur<br />

und die Auflösung homogener Sozialmilieus löst sich gewissermaßen<br />

die Grundlage solcher informeller Strukturen auf.<br />

Bei den sozialen Bewegungen muß infolge <strong>des</strong> Charakters dieses Typs von<br />

Interessengruppen die Relation zu Subkollektiven der Staatsbürger von ganz<br />

anderer Art sein. Soziale Bewegungen formieren sich als manifeste Bewegungen<br />

in Form von koordinierten Protestaktionen nur über bestimmte Anlässe.<br />

Danach nehmen sie wieder einen Latenzzustand ein, das heißt, sie reduzieren


70<br />

sich auf Orgarúsationskerne und auf Alltagsnetzwerke 44 . Die Besonderheit der<br />

sozialen Bewegungen gegenüber den Interessenverbänden im Rahmen <strong>des</strong> Publikumssystems<br />

liegt also vor allem in ihrer Flexibilität für Interessen der<br />

Staatsbürger, die durch die institutionalisierten Interessengruppen (den Interessenverbänden)<br />

nicht oder unzureichend aufgegriffen werden können 45 . Dabei<br />

handelt es sich typischerweise um Interessen, die Kollektivgüter repräsentieren.<br />

Als Beispiele können hier die Interessen der Ökologiebewegung angeführt<br />

werden, die sich auf Güter beziehen, von deren Nutzung niemand ausgeschlossen<br />

werden kann, wenn sie einmal hergestellt sind. Etwas komplizierter ist die<br />

Sachlage bei den Interessen der Frauenbewegung, die zunächst einmal als Partikularinteressen<br />

bezeichnet werden müssen, die sich auf Partikulargüter richten<br />

(sofern die Männer von dem Nutzen dieser Güter ausgeschlossen werden).<br />

Kollektivgüter sind die Interessen der Frauenbewegung lediglich dann, wenn<br />

man argumentieren kann, daß sie sich auf noch nicht realisierte Kollektivgüter<br />

beziehen, die als Kollektivgut längst realisiert sein sollten (die Gleichheit zwischen<br />

Mann und Frau). Unangesehen dieser spezifischen Problematik kann<br />

davon ausgegangen werden, daß sich die Interessen der sozialen Bewegungen<br />

der siebziger und achtziger Jahre weitgehend auf die Herstellung von Kollektivgütern<br />

richteten. Das bedeutete nicht notwendigerweise, daß es sich auch um<br />

Kollektivinteressen handelt, sondern nur dann, wenn auch eine Mehrheit <strong>des</strong><br />

Kollektivs der Staatsbürger der Herstellung dieser Güter eine hohe relative<br />

Priorität einräumt (relativ zu Partikulargütern). Olson (1965) hatte auf der<br />

Grundlage der Theorie rationalen Handelns gefolgert, daß die Herausbildung<br />

formaler Organisationen zur Vertretung von Kollektivgütern nur schwierig zu<br />

verwirklichen ist, selbst wenn es sich um KoOektivinteressen handelt. Der<br />

Hauptgrund dieser Schwierigkeit liegt in der schon diskutierten Möglichkeit,<br />

das hergestellte Gut zu nutzen, auch wenn man zu seiner Herstellung nichts<br />

beiträgt. Die sozialen Bewegungen können in dieser Perspektive als ein funk-<br />

44 Ob man diesen Latenzzustand auch noch als soziale Bewegung bezeichnen kann, oder<br />

lediglich als das notwendige Substrat solcher Bewegungen, die zu Bewegungen erst durch<br />

eine erfolgreiche Mobilisierung dieses Substrats werden, soll hier als Frage lediglich angemerkt<br />

werden.<br />

45 Die konstituierenden Merkmale von sozialen Bewegungen werden ausführlich beschrieben<br />

bei: Offe (1985), Rucht (1988), Neidhardt und Rucht (1992), Fuchs und Klingemann (1993).


71<br />

tionales Äquivalent zu formalen Organisationen zur Vertretung einer<br />

bestimmten Kategorie von Ansprüchen <strong>des</strong> Publikumssystems begriffen werden<br />

46 . Die sozialen Bewegungen können diese Funktion <strong>des</strong>halb erfüllen, weil<br />

die Beteiligung an ihren kollektiven Aktionen eine andere Kosten-Nutzen-<br />

Bilanz impliziert, als das bei formalen Organisationen der Fall ist. <strong>Eine</strong>rseits ist<br />

der Aufwand der Beteiligung an solchen kollektiven Aktionen relativ gering.<br />

Andererseits sind mit einer solchen Beteiligung über das propagierte Ziel<br />

(Kollektivgut) hinaus selektive Anreize verbunden, wie beispielsweise expressive<br />

Erfahrungen. Auf der Grundlage einer solchen Kosten-Nutzen-Kalkulation<br />

kann auch die Beteiligung von Staatsbürgern an Protestaktionen der sozialen<br />

Bewegungen plausibel gemacht werden, für die das Kollektivgut, auf das sich<br />

das Ziel der Protestaktionen richtet, in ihrer Prioritätenordnung niedriger rangiert<br />

als Partikulargüter (wie z.B. ökonomische Gruppeninteressen).<br />

Faktisch haben sich die sozialen Bewegungen der letzten beiden Jahrzehnte<br />

zwar als Bewegungen dargestellt, die bestimmte Interessen vertraten, die hier<br />

als Kollektivgüter bezeichnet werden. Diese Art von Interessen wurden in der<br />

Regel auch als ein Bestimmungsmoment der neuen sozialen Bewegungen<br />

betrachtet, die unter anderem <strong>des</strong>halb als neue klassifiziert wurden. Ein<br />

anderes Merkmal der neuen sozialen Bewegungen war (und ist) die befristete<br />

Beteiligung einer größeren Anzahl von Staatsbürgern an Protestaktionen zur<br />

Artikulation dieser Interessen. Diese Protestaktionen werden durch Infrastrukturen<br />

moderner Gesellschaften ermöglicht, wie z.B. die massenmedial<br />

bedingte Möglichkeit der schnellen und weitreichenden Vermittlung von<br />

Informationen und die Möglichkeit der schnellen Überbrückung räumlicher<br />

Distanzen durch das Verkehrswesen. Diese durch die moderne Gesellschaft<br />

bereitgestellte Mögüchkeitsstruktur ist im Prinzip auch zur Artikulation ganz<br />

anderer Interessen verfügbar. Soziale Bewegungen können in diesem Sinne<br />

grundsätzlich als eine spezifisch moderne Form der Herausbildung einer Interessengruppe<br />

und der Artikulation von Interessen betrachtet werden. Aus der<br />

46 Unterschiede in der konkreten Funktionsweise zwischen Interessenverbänden und sozialen<br />

Bewegungen im Rahmen <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> werden von Rucht (1991) herausgearbeitet.


72<br />

Perspektive der Individuen können auf diese Weise zwei grundlegende Probleme<br />

gelöst werden, die ihrerseits wieder eine Folge von Modernisierungsprozessen<br />

sind: <strong>Eine</strong>rseits das Problem der Zeitknappheit (diese Zeitknappheit<br />

ist unter anderem eine Folge eines Überangebots von Handlungsoptionen, die<br />

die Individuen in ihrer außerberuflichen Zeit haben) und andererseits das<br />

Problem <strong>des</strong> Beteiligungswunsches. Bei Protestaktionen können die Individuen<br />

vorübergehend eine bestimmte politische Rolle übernehmen und solchermaßen<br />

beide Problem lösen. Aus der Perspektive der Akteure der Polity würde sich<br />

durch eine Zunahme dieser Orgarüsationsform der Staatsbürger allerdings die<br />

Kontingenz <strong>des</strong> Publikums weiter erhöhen. Das gilt umso mehr, als sich solche<br />

Interessengruppen auch an der Output-Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

konstituieren können, wie beispielsweise zur Verhinderung bereits implementierter<br />

Entscheidungen.<br />

Das Kollektiv der Staatsbürger ist auf der Grundlage seiner einzelnen Mitglieder<br />

weder in der Lage, Interessen <strong>des</strong> Kollektivs zu identifizieren (sei es als<br />

Interessen <strong>des</strong> Gesamtkollektivs oder sei es als Interessen von Subkollektiven),<br />

noch diese in kollektive Handlungen umzusetzen. Die Interessengruppen und<br />

Massenmedien wurden im Rahmen der hier vorgelegten <strong>Metatheorie</strong> als eine<br />

Ausdifferenzierung <strong>des</strong> Kollektivs der Staatsbürger begriffen, die diese Funktion<br />

übernehmen und somit das Kollektiv der Staatsbürger mitgestalten. Die<br />

Massenmedien und die Interessengruppen wurden bislang - um die Analyse<br />

nicht schon in diesem Stadium zu verkomplizieren - jeweils als kollektive<br />

Akteure benannt. Tatsächlich sind sie aber Konfigurationen einzelner kollektiver<br />

Akteure derselben Art und diese Konfigurationen bilden dann ein Subsystem<br />

"Massenmedien" und ein Subsystem "Interessengruppen". Die Struktur<br />

dieser Subsysteme <strong>des</strong> Subsystems Publikum ist seinerseits auch ein Merkmal<br />

der Publikumsstruktur selbst. Die Ausführung dieser Behauptung ist nicht Teil<br />

der hier dargestellten <strong>Metatheorie</strong>. Demgegenüber ist aber ein anderer Strukturaspekt<br />

<strong>des</strong> Publikumssystems von unmittelbarer Bedeutung für unseren<br />

Argumentationskontext, der eine mögliche Kontingenzerhöhung <strong>des</strong> Publikumssystems<br />

(die bezüglich der sozialen Bewegungen schon angesprochen<br />

wurde) auch auf die Interessenverbände bezieht.


73<br />

Im Rahmen der weitergehenden Modernisierung moderner Gesellschaften<br />

haben sich in den meisten westlichen Demokratien die dominanten politischen<br />

Parteien mehr oder weniger zu sogenannten Großparteien (Vielthemenparteien,<br />

Volksparteien) transformiert und damit erst die Ausdifferenzierung eines Parteiensystems<br />

ermöglicht, das die bereits diskutierte Vermittlungsfunktion<br />

zwischen Publikumssystem und Regierungssystem erfüllen kann. Von der<br />

Sache her bedeutet diese Transformation der politischen Parteien eine weitgehende<br />

Entkopplung von bestimmten sozialen Gruppen. <strong>Eine</strong>rseits macht diese<br />

Entkopplung erst eine flexible Reaktion auf die Publikumsansprüche möglich<br />

und andererseits ist der Wandel <strong>des</strong> Publikums auch eine Voraussetzung dieser<br />

Transformation der Parteien. Das Publikum als das Kollektiv der Staatsbürger<br />

hat sich differenziert, so daß die traditionelle einfache Konfliktstruktur aufgeweicht<br />

wurde, auf deren Grundlage sich die Parteiensysteme ursprünglich konstituiert<br />

haben. Autoren wie Beck (1986) treiben diese Differenzierungsthese so<br />

weit, daß sie von einer Auflösung der Sozialformen und Sozialmilieus der<br />

industriellen Moderne ausgehen und einer damit verbundenen Freisetzung der<br />

Individuen. Das Resultat ist nach Beck (1986,122ff) eine Individualisierung und<br />

Diversifizierung von Lebenslagen. Das würde zugleich auch bedeuten, daß<br />

innerhalb <strong>des</strong> Publikumssystems eine Entkopplung von Interessenverbänden<br />

und Staatsbürgern stattfindet. Die Interessenverbände wären dann weniger auf<br />

angebbare und stabile soziale Gruppen bezogen, sondern vielmehr auf Dauer<br />

gestellte Organisationen der Interessenvertretung (im Falle von Interessenverbänden),<br />

die sich ihre Klientel permanent selbst suchen muß (siehe dazu auch<br />

Streeck 1987). Das Konstitutionsverhältnis hätte sich dann umgedreht: Nicht<br />

mehr gegebene und dauerhafte soziale Gruppen konstituieren Interessenverbände,<br />

sondern gegebene und dauerhafte Interessenverbände konstituieren<br />

wechselnde Klientel mit unterschiedlicher Größe, deren Gruppencharakter<br />

lediglich in der befristeten Gemeinsamkeit eines bestimmten Interesses beruht.<br />

Es sollen hier keine Festlegungen getroffen werden, inwieweit dieser Individualisierungsprozeß<br />

tatsächlich fortgeschritten ist. Der Tendenz nach bedeutet<br />

er aber sowohl eine Differenzierung als auch eine Entstrukturierung <strong>des</strong> Publikums.<br />

Ein derartiger gleichzeitiger Differenzierungs- und Entstrukturierungsprozeß<br />

<strong>des</strong> Publikums müßte das Handeln der kollektiven Akteure der Polity


74<br />

zwangsläufig erschweren: Diese müßte dann unter Bedingungen einer hochgradigen<br />

Kontingenz <strong>des</strong> Publikums stattfinden, sowohl was die Output-Seite als<br />

auch die Input-Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> anbetrifft. Diese Schlußfolgerung<br />

ist allerdings an die Voraussetzung geknüpft, daß diese Differenzierungs-<br />

und Entstrukturierungsprozesse grundsätzlich stattfinden und daß sie<br />

sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befinden. Diesbezüglich gibt es<br />

gegenwärtig noch ein Übergewicht an theoretischer Plausibilisierung gegenüber<br />

empirischen Beweisführungen 47 .<br />

4.3 Generalisierte Handlungsorientierungen<br />

4.3.1 Generalisierte Handlungsorientierungen im politischen System insgesamt<br />

Bei der Diskussion <strong>des</strong> handlungstheoretischen Paradigmas wurden die wichtigsten<br />

Kritikpunkte an diesem Paradigma in der Bezeichnung <strong>des</strong> "mangelnden<br />

Systembezugs" zusammengefaßt (siehe Kapitel 3). Der mangelnde Systembezug<br />

wurde vor allem in der Ausklammerung der generalisierten Handlungsorientierungen<br />

der Akteure gesehen. Generalisierte Handlungsorientierungen sind<br />

neben den Rollenstrukturen eine der Sinnebenen, auf denen sich Sozialsysteme<br />

aus ihrer gesellschaftlichen Umwelt ausdifferenzieren. In einer handlungstheoretischen<br />

Perspektive bilden diese generalisierten Handlungsorientierungen<br />

den gemeinsamen und stabilen Handlungssinn der Akteure, die innerhalb <strong>des</strong><br />

Systems handeln. Die Handlungsalternativen der Akteure, auf die sich ihre<br />

"choices" richten (ihre spezifischen Handlungsorientierungen), stellen sich erst<br />

im Rahmen solcher generalisierten Handlungsorientierungen. Diese werden in<br />

dem Begriff der "constraints" in der Handlungstheorie zwar implizit angesprochen,<br />

aber bei den Handlungsanalysen letztlich stillschweigend vorausgesetzt.<br />

Nach Schimank (1988a, 623) müssen vollständige Handlungserklärungen <strong>des</strong>halb<br />

"stets zweistufig angelegt sein: Akteure treffen im Sinne rationaler Interessenverfolgung<br />

Haxidhmgsselektionen im Rahmen von diesen konditionierenden<br />

47 Zur Frage der Strukturiertheit <strong>des</strong> Publikums und <strong>des</strong> Verhältnisses von Publikumssystem<br />

und Parteiensystem sind einige empirische Analysen im Rahmen <strong>des</strong> Konzeptes politischer<br />

Konfliktlinien vorgelegt worden (z.B. Fuchs 1991a; Weßels 1991,1993; Gerhards 1993).


75<br />

generalisierten Handlungsorientierungen". Schimank wirft dann folgerichtig<br />

die Frage auf, wie diese generalisierten Handlungsorientierungen zu bestimmen<br />

sind und beantwortet diese durch die Ausarbeitung allgemeiner Kategorien,<br />

mit deren Hilfe man diese bestimmen könnte 48 . Unter dem Titel der symbolisch<br />

generalisierten Austauschmedien bzw. Kommunikationsmedien wurden<br />

die wichtigsten theoretischen Arbeiten zur Frage generalisierter Handlungsorientierungen<br />

von Parsons (1969, 352-472) und darauf aufbauend von<br />

Luhmann (1975a, 1975b) vorgelegt. Vor allem auf diese Theorieansätze wird im<br />

folgenden Bezug genommen.<br />

Das uns interessierende Sozialsystem ist das politische System. Darauf bezogen<br />

gilt die erste zu klärende Frage einer generalisierten Handlungsorientierung,<br />

die für das politische System ingesamt gilt, das heißt für alle Akteure, die politisch<br />

handeln wollen. Der allgemeine Sinn politischer Handlungen wurde<br />

bereits im Hinblick auf die Funktion <strong>des</strong> politischen Systems zu bestimmen<br />

versucht, die in der Herstellung kollektiver bindender Entscheidungen liegt<br />

(siehe Kapitel 4.1). Die Bedingung dieser Funktionserfüllung ist eine ausreichende<br />

Erzeugung von Macht. Die Basis der Erzeugung von (politischer) Macht<br />

ist die Monopolisierung der Gewalt und die darauf gründende Möglichkeit, die<br />

kollektive Bindung der getroffenen Entscheidungen notfalls auch mit<br />

Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. In den genannten Theorien von Parsons<br />

und Luhmann wurde <strong>des</strong>halb auch Macht im Sinne der Erzeugung von Macht,<br />

<strong>des</strong> Erwerbs von Macht und der Ausübung von Macht als die generalisierte<br />

Handlungsorientierung <strong>des</strong> politischen Systems bezeichnet. Luhmann (1986,<br />

167-182) geht in seinen späteren Analysen allerdings noch weiter und berücksichtigt<br />

bis zu einem gewissen Grad schon die institutionelle Ausgestaltung <strong>des</strong><br />

Machtprozesses. In ausdifferenzierten politischen Systemen werden die kollektiv<br />

bindenden Entscheidungen in dafür spezialisierten Ämtern mit entsprechenden<br />

Kompetenzen vorgenommen, um deren Besetzung die politischen<br />

Parteien konkurrieren. Die generalisierte Handlungsorientierung im politischen<br />

System bezieht sich demzufolge genauer auf die Besetzung solcher Entschei-<br />

48 <strong>Eine</strong> Umsetzung dieser Vorschläge nimmt Schimank (1988b) für den Sport als gesellschaftliches<br />

Teilsystem vor.


76<br />

dungspositionen. Luhmann (1986, 170) begreift <strong>des</strong>halb den Code von Regierung<br />

und Opposition als den einheitlichen Code der gesamten Politik. Mit der<br />

Bezeichnung Code will er auf den Sachverhalt hinweisen, daß hier nur zwei<br />

Werte vorliegen, die aufeinander verweisen und eine dritte Möglichkeit ausschließen.<br />

Nur wenn man den Code von Regierung und Opposition als generalisierte<br />

Handlungsorientierung übernimmt 49 , handelt man im politischen<br />

System, das heißt man erzeugt Resonanzen und nicht nur Geräusche.<br />

<strong>Eine</strong>s der Kriterien für eine generalisierte Handlungsorientierung, die einem<br />

entwickelten politischen System entspricht und dieses erst ermöglicht, ist ihre<br />

Offenheit für Vielfalt, Variabilität und Widersprüchlichkeit auf konkreteren<br />

Sinnebenen. Das wird dadurch eingelöst, daß der Code von Programmen entkoppelt<br />

ist (Luhmann 1986, 171). Diese Entkopplung bedeutet, daß das Besetzen<br />

von Entscheidungspositionen nicht mehr an die Verwirklichung ganz<br />

bestimmter Ziele gebunden sein kann. Die über die Wahlen erfolgende Besetzung<br />

von Regierungspositionen dient dazu, für die Dauer der Legislaturperiode<br />

den allgemeinen Code mit einem bestimmten Programm in<br />

Übereinstimmung zu bringen. Die Besetzung von Regierungspositionen allein<br />

gewährleistet noch kein Entscheidungshandeln, man muß auch wissen, wie<br />

man die politische Macht ausübt (bzw. was man konkret tun will), und das<br />

wird in Form von Programmen formuliert. Das Wesentliche ist aber, daß die<br />

Verknüpfung von Code und Programmen befristet ist und während der<br />

Legislaturperiode laufend überprüft und bei den nächsten Wahlen wieder zur<br />

Disposition gestellt wird. Über die Angemessenheit dieser prinzipiell befristeten<br />

und aufhebbaren Verknüpfung <strong>des</strong> Innehabens von Regierungspositionen<br />

mit einem bestimmten Programm wird im Rahmen <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

dauerhaft kommuniziert. <strong>Eine</strong> solche Kommunikation setzt Vergleichsgesichtspunkte<br />

und Bewertungskriterien voraus. Luhmann (1986, 174) nimmt<br />

an, daß komplexe politische Systeme zu diesem Zweck sogenannte "Zweitcodierungen"<br />

<strong>des</strong> Co<strong>des</strong> von Regierung und Opposition herausbilden, die die<br />

49 Im Sinne der metatheoretischen Grundannahmen wird davon ausgegangen, daß alle<br />

Akteure um diesen Code auch wissen. Wissen bedeutet nicht unbedingt, daß man über den<br />

Code in bewußter Klarheit verfügt, sondern es kann auch ein diffuses Hintergrundwissen<br />

sein, das gleichwohl handlungsorientierend ist.


77<br />

kritische Kommunikation <strong>des</strong> Regierungshandelns in Relation zu Oppositionsalternativen<br />

steuern. Wenn auch diese Co<strong>des</strong> den Status von dauerhaften und<br />

generalisierten Handlungsorientierungen haben sollen, dann kann der Vergleich<br />

der aktuellen Programme von Regierung und Opposition nicht nur auf<br />

der Grundlage der Programme selber erfolgen. Die Beispiele für solche Zweitcodierungen,<br />

die dauerhafte und generalisierte Gesichtpunkte zur Bewertung<br />

wechselnder Programme bereitstellen, ändern sich bei Luhmann: Während er<br />

ursprünglich den Code von progressiv und konservativ vorschlug (Luhmann<br />

1981b), neigt er in späteren Analysen eher den Co<strong>des</strong> restriktiv/expansiv<br />

(bezogen auf die Staatstätigkeiten) und ökologisch/ökonomisch zu. Diese<br />

Unentschiedenheit macht unseres Erachtens deutlich, daß die Hypothese solcher<br />

Zweitcodierungen gegenüber der empirischen Wirklichkeit schwieriger<br />

aufrechtzuerhalten ist, als das bei der Erstcodierung (Regierung/Opposition)<br />

der Fall ist. Die Beispiele Luhmanns zeigen, daß er bei der Ansetzung solcher<br />

Co<strong>des</strong> von der faktischen Entwicklung jeweils eingeholt wurde. <strong>Eine</strong> generalisierte<br />

Handlungsorientierung, die die von Luhmann geforderte Funktion<br />

einer Zweitcodierung erfüllt, muß offenbar noch allgemeiner sein, als die von<br />

ihm vorgeschlagenen Beispiele. Als Alternative kommt zumin<strong>des</strong>t in den liberalen<br />

Demokratien Westeuropas der Links/Rechts-Code bzw. das Links/<br />

Rechts-Schema in Frage 50 .<br />

Diese Annahme wurde in zwei Analysen detailliert ausgeführt (Fuchs und<br />

Klingemann 1990; Fuchs und Kühnel 1990). Dort konnten empirische Evidenzen<br />

dafür erbracht werden, daß das Links/Rechts-Schema die theoretischen Kriterien<br />

erfüllt, die Luhmann an einen politischen Code richtet. Das Links/Rechts-<br />

Schema ist als solches ein räumlicher Archetyp, der mit verschiedenen Inhalten<br />

angefüllt werden kann. Er ist somit geeignet, in seinem Bedeutungsraum auf<br />

fast jede Art von gesellschaftlichem Wandel zu reagieren. Der gegenwärtige<br />

Bedeutungsraum ist strukturell dadurch gekennzeichnet, daß er ein begrenztes<br />

50 Als das funktionale Äquivalent für den Links/Rechts-Code wird für die USA in der Regel<br />

der Code von Liberal/Konservativ beansprucht (Fuchs und Klingemann 1990).


78<br />

Repertoire von generalisierten Elementen mit binärem Charakter besitzt 51 . Durch<br />

diese Eigenschaften <strong>des</strong> Bedeutungsraums von Links/Rechts ist es möglich,<br />

daß die Akteure bei der Verwendung dieses Schemas in der Kommunikation<br />

zwar verschiedenes meinen können, aber die Verschiedenheit ist noch so aufeinander<br />

beziehbar, daß trotz nicht-identischen Sinns die Kommunikation dennoch<br />

gelingen kann. Wenn das Links/Rechts-Schema auf den Code von Regierung<br />

und Opposition projiziert wird, dann ist damit zugleich eine asymmetrische<br />

Perspektive festgelegt. Die Regierung ist entweder links und dann ist die<br />

Opposition rechts oder die Regierung ist rechts und dann ist die Opposition<br />

links. Entsprechend der Selbsteinstufung eines Akteurs als links oder als rechts<br />

erfolgt auch eine erste Steuerung hinsichtlich der Bewertung <strong>des</strong> Handelns von<br />

Regierung und Opposition. In diesem Sinne stellt das Links/Rechts-Schema<br />

eine generalisierte Handlungsorientierung dar, die eine Vorstrukturierung der<br />

choices der Akteure vornimmt.<br />

Trotz der Vertrautheit der überwiegenden Mehrheit der Staatsbürger mit dem<br />

Links/Rechts-Schema und der Gebräuchlichkeit dieses Schemas in der politischen<br />

Kommunikation ist diese generalisierte Handlungsorientierung aber<br />

weniger konstitutiv für das politische System der liberalen Demokratien als der<br />

Code von Regierung und Opposition. Er ist keine notwendige Bedingung zur<br />

Erzeugung von Resonanz im politischen System und der Gewährleistung von<br />

AnscWußkoirmiurukationen. Dementsprechend wird das Links/Rechts-Schema<br />

auch nicht von allen Akteuren im politischen System verwendet und von denjenigen,<br />

die es verwenden, nicht in allen Situationen. Das Links/Rechts-Schema<br />

kann also als eine generalisierte Handlungsorientierung <strong>des</strong> politischen Systems<br />

angenommen werden, aber nicht als die generalisierte Handlungsorientierung,<br />

die einen gemeinsamen und stabilen Handlungssinn aller Akteure <strong>des</strong> politischen<br />

System definiert.<br />

51 Was das im einzelnen bedeutet soll hier nicht näher erläutert werden. Siehe dazu die beiden<br />

genannten Analysen. Es sind aber diese Strukturmerkmale <strong>des</strong> Bedeutungsraums <strong>des</strong><br />

Links/Rechts-Schemas, die dieses zu einem politischen Code geeignet machen.


79<br />

4.3.2 Generalisierte Handlungsorientierungen in den drei Subsystemen<br />

Als die generalisierte Handlungsorientierung der Akteure <strong>des</strong> politischen<br />

Systems insgesamt wurde die Orientierung an der Besetzung der Entscheidungspositionen<br />

bezeichnet. Da sich diese in liberalen Demokratien im institutionellen<br />

Rahmen <strong>des</strong> Parteienwettbewerbs vollzieht, wurde diese genauer als<br />

der Code von Regierung und Opposition bestimmt. Dieser Code existiert als<br />

Hintergrundwissen der Akteure <strong>des</strong> politischen Systems über das, worum es<br />

bei den Handlungen innerhalb dieses Systems grundsätzlich geht. Durch diese<br />

Bestimmung der generalisierten Handlungsorientierung <strong>des</strong> politischen<br />

Systems wurde das bereits diskutierte Argument wieder aufgegriffen, daß sich<br />

die Ausdifferenzierung sozialer Systeme in einem wechselseitigen Beeinflussungs-<br />

und Restriktionsprozeß von struktureller Ausdifferenzierung (auf der<br />

Rollenebene) und Ausdifferenzierung eines generalisierten Handlungssinns<br />

vollzieht (siehe Kapitel 4.1). Wenn auch von der Sache her die generaliserte<br />

Handlungsorientierung auf einer allgemeineren Sinnebene liegt als die Rollenstrukturen,<br />

so kann bei dem Konstitutionsprozeß beider Sinnebenen eine relative<br />

Strukturdominanz unterstellt werden. Diese ergibt sich aus zwei Gründen:<br />

Erstens erleichtert die Eindeutigkeit <strong>des</strong> Rollenhandelns auch die Identifikation<br />

allgemeinerer Sinnebenen (kognitive Dimension) und zweitens hat das Rollenhandeln<br />

durch rechtliche Formalisierungen eine relativ starke Verbindlichkeit<br />

(normative Dimension). Wir knüpfen zur Bestimmung der generalisierten<br />

Handlungsorientierungen der drei Subsysteme <strong>des</strong> politischen Systems an<br />

diese relative Strukturdominanz an.<br />

Der demokratische Prozeß ist als eine gerichtete Abfolge von Handlungsprodukten<br />

begriffen worden. Diese Handlungsprodukte werden vor allem in<br />

Austauschprozessen zwischen der Polity und dem Publikum erzeugt. Die<br />

dominanten Strukturelemente, die diese Austauschprozesse überhaupt erst<br />

sinnvoll machen, sind das Recht der kollektiven Akteure <strong>des</strong> Regierungssystems,<br />

zur Realisierung kollektiver Ziele bindende Entscheidungen zu treffen<br />

und das Recht der kollektiven Akteure <strong>des</strong> Publikumssystems, diese kollektiven<br />

Ziele zu formulieren. Bei<strong>des</strong> wird durch das Wahlrecht vermittelt und das heißt<br />

durch die Selektion von politischen Parteien zur Besetzung von Entschei-


80<br />

dungspositionen von den Staatsbürgern mittels periodischer Wahlen. <strong>Eine</strong><br />

politische Partei kann erst dann ihre Programmatik umsetzen, wenn sie<br />

gewählt ist, und die Staatsbürger können erst dann davon ausgehen, daß ihre<br />

Ansprüche realisiert werden, wenn die von ihnen präferierten Parteien die Entscheidungspositionen<br />

besetzen. Von daher gesehen ist es plausibel, Regierung/Opposition<br />

als den Code anzusehen, der die generalisierte Handlungsorientierung<br />

der Akteure <strong>des</strong> politischen Systems darstellt. Zur Beschreibung<br />

der Austauschprozesse zwischen Polity und Publikum ist dieser Code<br />

allerdings noch zu allgemein. Nach dem Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

(Schaubild 2) hat dieser Austauschprozeß eine Input- und eine Output-Dimension.<br />

An der Input-Seite vollzieht er sich in der Interaktion zwischen den politischen<br />

Parteien und den Akteuren <strong>des</strong> Publikumssystems. Die Akteure <strong>des</strong><br />

Publikumssystems wollen eine möglichst starke Responsivität der politischen<br />

Parteien auf ihre Ansprüche und geben dafür Unterstützung in Form von<br />

Wählerstimmen. Die politischen Parteien wollen umgekehrt möglicht viel<br />

Unterstützung durch die Staatsbürger und geben dafür eine entsprechende<br />

Responsivität gegenüber den Ansprüchen der Staatsbürger (beispielsweise<br />

durch die Berücksichtigung dieser Ansprüche in den Wahl- und Parteiprogrammen).<br />

Der Begriff der Unterstützung wird dem Begriff der<br />

Stimmenmaximierung vorgezogen, weil es nicht für alle Parteien eine rationale<br />

Strategie sein muß, die Anteile der Stimmen zu maximieren. Es kann im Interesse<br />

der Besetzung von Entscheidungspositionen auch rational sein, die Unterstützung<br />

ganz bestimmter Wählersegmente anzustreben und gerade auf diese<br />

Weise in eine Regierungskoalition aufgenommen zu werden 52<br />

(die FDP in<br />

Deutschland ist ein Bespiel für eine solche rationale Strategie).<br />

An der Output-Seite vollzieht sich der Austauschprozeß zwischen Polity und<br />

Publikum in der Interaktion zwischen den Akteuren <strong>des</strong> Regierungssystems<br />

und <strong>des</strong> Publikumssystems. Dieser gestaltet sich jedoch komplizierter als der an<br />

der Input-Seite. Die Akteure <strong>des</strong> Regierungssystems wollen zunächst einmal<br />

52 Ein anderer Grund für die Wahl <strong>des</strong> Unterstützungsbegriffs liegt in seiner weiteren Bedeutung.<br />

Unterstützung (bzw. <strong>des</strong>sen Gegenteil) muß sich nicht nur in Stimmabgaben äußern,<br />

sondern kann sich auch in anderen politischen Beteiligungsformen manifestieren.


81<br />

eine Akzeptanz der implementierten Entscheidungen durch die Akteure <strong>des</strong><br />

Publikumssystems. Es wurde bereits diskutiert, daß diese Akzeptanz eine<br />

variable Größe ist und sich nicht mehr als motivloses Akzeptieren denken läßt.<br />

Das Regierungssystem kann dafür mehr oder weniger effektive Realisierungen<br />

der an der Input-Seite artikulierten Ansprüche anbieten. Das Problem liegt aber<br />

darin, daß sich Effektivität erst in den Resultaten zeigen kann, während die<br />

Abnahme der implementierten Entscheidungen zeitlich vor der Möglichkeit <strong>des</strong><br />

Erzielens solcher Resultate liegt. Die Akteure <strong>des</strong> Regierungssystems müssen<br />

<strong>des</strong>halb die Akteure <strong>des</strong> Publikumssystems erst einmal davon überzeugen, daß<br />

die implementierten Entscheidungen effektiv sein könnten. Auf dieser<br />

Grundlage kann das Publikum dann beurteilen, ob die implementierten Entscheidungen<br />

als angemessen in Relation zu ihren artikulierten Ansprüchen<br />

anzusehen sind. Von dieser Interpretation der Angemessenheit hängt die<br />

Abnahme der implementierten Entscheidungen wesentlich ab und beeinflußt<br />

die Resultate <strong>des</strong> Entscheidungshandelns <strong>des</strong> Regierungssystems und somit<br />

seine faktische Effektivität.<br />

Damit sind die generalisierten Handlungsorientierungen der drei Subsysteme<br />

<strong>des</strong> politischen Systems bestimmt, wobei für das Publikumssystem zwei unterscheidbare<br />

generalisierte Handlungsorientierungen angenommen wurden:<br />

Responsivität (Publikumssystem an der Input-Seite), Unterstützung (intermediäres<br />

System), Effektivität (Regierungssystem), Angemessenheit (Publikumssystem<br />

an der Output-Seite). Diese stellen theoretisch jeweils den gemeinsamen<br />

Handlungssinn der kollektiven Akteure dieser einzelnen Subsysteme dar,<br />

innerhalb <strong>des</strong>sen diese Akteure dann die "choices" für ihr konkretes Handeln<br />

treffen. Diese postulierten generalisierten Handlungsorientierungen haben<br />

zwar eine gewisse theoretische und intuitive Plausibilität, müssen aber wiederum<br />

durch empirische Analysen bestätigt werden. Wenn sie tatsächlich eine<br />

handlungssteuernde Bedeutung haben, auch wenn es in generalisierter Form<br />

ist, dann ist eine solche empirische Erfassung grundsätzlich auch möglich.<br />

Unangesehen der Ergebnisse solcher empirischer Messungen kann auf der<br />

Grundlage der bisherigen metatheoretischen Überlegungen aber ein Zusammenhang<br />

postuliert werden: Je eindeutiger eine generalisierte Handlungsori-


82<br />

entierung eines (Sub-)Systems identifiziert werden kann, und je eindeutiger<br />

diese von generalisierten Handlungsorientierungen anderer (Sub-)Systeme<br />

abgegrenzt werden kann, <strong>des</strong>to stärker hat sich dieses System als eigenes und<br />

relativ autonomes System ausdifferenziert.<br />

4.4 Variationen <strong>des</strong> Prozeßmodells<br />

Das bislang diskutierte Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> konstruierte diesen<br />

Prozeß vor allem als formalen Prozeß. Formal ist definiert worden als verfassungsmäßig<br />

festgelegt oder in Luhmanns Worten "von der offiziellen Machtstruktur<br />

gestützt". Als ein weiterer, eher impliziter Referenzpunkt der Modellkonstruktion<br />

dienten Annahmen, die nicht schon durch die formale Struktur<br />

abgedeckt sind. Die formale Struktur repräsentativer Demokratien legt als solche<br />

noch nicht fest, daß die Ansprüche der Bürger lediglich vermittelt über die<br />

politischen Parteien zu der Regierung gelangen, und sie legt auch nicht schon<br />

fest, was als motivloses Akzeptieren bezeichnet wurde. Solche Festlegungen<br />

werden in der liberalen Demokratietheorie als präskriptive Postulate zusätzlich<br />

eingeführt (zur liberalen Demokratietheorie siehe Barber 1984, Held 1987, Hirst<br />

1990). Wir glauben, daß Luhmann bei seiner Theorie <strong>des</strong> politischen Systems<br />

letztlich auch auf präskriptive Postulate der liberalen Demokratietheorie rekurriert.<br />

Er kann sie allerdings mit der Annahme verknüpfen, daß diese Postulate<br />

ein notwendiges Erfordernis für Funktionserfüllung <strong>des</strong> politischen Systems in<br />

komplexen Gesellschaften ist. Dieses Problem braucht hier nicht weiter erörtert<br />

werden. Es soll zunächst einmal festgehalten werden, daß bei der bisherigen<br />

Darstellung <strong>des</strong> Prozeßmodells bereits zwei Abweichungen von dem präskriptiv<br />

interpretierten formalen Prozeß eingefühert wurden. Dieser Einbau erfolgte<br />

vor dem Hintergrund empirisch konstatierbarer Tatbestände. Es handelt sich<br />

dabei um die bedingte Abnahme der implementierten Entscheidungen durch<br />

das Publikum an der Output-Grenze <strong>des</strong> EntScheidungsprozesses und um die<br />

Artikulation von Ansprüchen durch das Publikum unter Umgehung der politischen<br />

Parteien als den ausdifferenzierten Vermittlungsakteuren. Diese Artikulation<br />

vollzieht sich in zwei Varianten: Erstens durch das Lobbying der Interessenverbände<br />

und zweitens durch die Protesthandlungen der sozialen Bewe-


83<br />

gungen. Beide Varianten sind zwar nicht unbedingt verträglich mit der Idee der<br />

Repräsentation, werden aber durch die formale Struktur der repräsentativen<br />

Demokratien auch nicht ausgeschlossen. Zumin<strong>des</strong>t die letzte Version kann<br />

<strong>des</strong>halb als eine Radikalisierung <strong>des</strong> Demokratieprinzips interpretiert werden,<br />

die auch in repräsentativen Demokratien legal und legitim ist. Welche Konsequenzen<br />

diese Radikalisierung für die Qualität <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

hat, ist eine andere Frage.<br />

<strong>Eine</strong> weitere Variation <strong>des</strong> formalen <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> wurde bei der<br />

Erörterung der kollektiven Akteure <strong>des</strong> Publikums bereits angedeutet, aber<br />

noch nicht systematisch eingeführt. Es wurde angenommen, daß die Interessengruppen<br />

und Massenmedien die Interessen und Ansprüche der Staatsbürger<br />

nicht nur artikulieren, sondern auch erzeugen. Dieser Aspekt soll hier aufgegriffen<br />

und verallgemeinert werden. Die Austauschprozesse zwischen den<br />

kollektiven Akteuren vollziehen sich unter Bedingungen doppelter Kontingenz,<br />

das heißt es ist für keinen der jeweiligen Interaktionspartner klar, was von dem<br />

jeweils anderen erwartet werden kann. Es gibt für die politischen Parteien beispielsweise<br />

keine festen Anhaltspunkte dafür, was die Wähler wirklich wollen,<br />

und es gibt für die Wähler keine festen Anhaltspunkte mehr, was die Parteien<br />

wirklich tun werden. Da aber das Handeln <strong>des</strong> jeweiligen Akteurs von der<br />

Antizipation <strong>des</strong> Handelns <strong>des</strong> anderen Akteurs abhängt, entsteht auf diese<br />

Weise eine hochkontingente Konstellation. Diese wird auch nicht durch die<br />

bereits dargestellten generalisierten Handlungsorientierungen aufgelöst, da<br />

diese die konkreten Handlungsoptionen nur in sehr weitgefaßten Grenzen<br />

limitieren. Als Folge dieser Konstellation entsteht nach Luhmann (1970, 165;<br />

1987, 148) ein inoffizieller, gegenläufiger Kommunikationsprozeß, der als eine<br />

Verarbeitung dieses Kontingenzproblems begriffen werden kann.<br />

<strong>Eine</strong> Möglichkeit, den offiziellen und inoffiziellen Kommunikationsprozeß zu<br />

konzeptualisieren, besteht in der bereits diskutierten Differenzierung zwischen<br />

einem Macht- und Einflußprozeß. Beide Prozesse regein auf ihre Weise die<br />

Weitergabe von Selektionsleistungen, die ein Akteur für einen anderen vornimmt.<br />

Die Logik <strong>des</strong> Machtprozesses wurde schon geschildert. Durch die formale<br />

Struktur (in diesem Falle die Verfassung) wird festgelegt, wer welche


84<br />

Selektionen von wem zu übernehmen hat. Abweichungen von dieser Festlegung<br />

sind mit rechtlichen Sanktionen verbunden. Die Annahmemotive der<br />

Selektionsieistungen beruhen demzufolge vor allem in der Vermeidung solcher<br />

Sanktionen. Die Weitergabe von Selektionsleistungen bei dem gegenläufigen<br />

Prozeß muß demgegenüber zwangsläufig von anderen Annahmemotiven<br />

getragen sein.<br />

<strong>Eine</strong> einflußgestützte Weitergabe von Selektionsleistungen kann sich nicht auf<br />

rechtliche Sanktionen stützen (mit dem potentiellen Einsatz von Zwangsmitteln),<br />

sondern lediglich auf Überzeugung. Parsons (1969,415) Definition von Einfluß<br />

lautet entsprechend: "Influence is a means of persuasion" (siehe dazu auch<br />

Luhmann 1975a, 74ff). Die Bereitschaft der Akteure <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong>,<br />

sich davon überzeugen zu lassen, die Selektionsleistungen eines Akteures<br />

zu übernehmen, der ihm im formalen Prozeß nachgeordnet ist, liegt in der<br />

damit verbundenen Chance, die Kontingenz zu reduzieren. Die Verwaltung<br />

läßt sich von den Interessengruppen beeinflussen, weil sie damit die Wahrscheinlichkeit<br />

erhöht, daß die implementierten Entscheidungen auch abgenommen<br />

werden. Die Regierung läßt sich von der Verwaltung beeinflussen,<br />

weil sich damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß die getroffenen Entscheidungen<br />

auch realisierbar sind. Die (Regierungs-)Parteien lassen sich von der<br />

Regierung beeinflussen, weil sich damit die Wahrscheinlichkeit erhöht, auch<br />

umsetzbare programmatische Angebote an das Publikum zu machen. Diese<br />

gegenläufige Beeinflussungskette ist unseres Erachtens aus der Perspektive<br />

rational handelnder Akteure der Polity unmittelbar plausibel. Was ist aber das<br />

Annahmemotiv der Staatsbürger für Selektionsleistungen der politischen Parteien,<br />

sofern die Staatsbürger selbst der Anfangs- und Endpunkt <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> sind und somit als Referenzpunkt ihres Handelns nur sich<br />

selbst haben 53 . <strong>Eine</strong>s der kontingenzerzeugenden Probleme für die Staatsbürger<br />

ist, daß sie - überspitzt ausgedrückt - nicht wissen, was sie konkret wollen<br />

sollen. Aus ihrer Situation als Mitglied einer modernen Gesellschaft ist der<br />

53 Die Ergreifung einer Handlungsoption und die Vernachlässigung einer anderen hat für die<br />

Staatsbürger nicht die gleichen Konsequenzen wie für die Akteure der Polity, deren Handlungen<br />

immer mit der Möglichkeit verbunden sind, die Entscheidungspositionen zu verlieren<br />

oder gar nicht erst zu gewinnen.


85<br />

Möglichkeitsspielraum der Ansprüche an die Polity hochgradig überdeterminiert.<br />

Die Überdeterminiertheit ist um so stärker, je ausgeprägter die traditionellen<br />

Sozialstrukturen zerfallen und die Individualisierung der Lebenslagen<br />

fortschreitet. Dadurch entfallen auch die Begrenzungen der möglichen Interessen<br />

und Ansprüche, die mit einer eindeutigen Zugehörigkeit zu einer sozialen<br />

Gruppe verbunden sind. Das Annahmemotiv der Staatsbürger von Beeinflussungsversuchen<br />

politischer Parteien (sowie von Interessengruppen und<br />

Massenmedien) bei der Formulierung ihrer Ansprüche beruht in der Reduktion<br />

dieser Kontingenz. In diesem Sinne können Beeinflussungsversuche nicht nur<br />

hingenommen werden, sondern möglicherweise sogar erwünscht sein. Als eine<br />

Form dieser Erwünschtheit können die Erwartungen der Staatsbürger an politische<br />

Parteien gesehen werden, klare programmatische Angebote und Alternativen<br />

zu präsentieren. Die Chancen <strong>des</strong> Einflusses kollektiver Akteure auf die<br />

Staatsbürger werden von wahrgenommenen und zugeschriebenen Qualitäten<br />

dieser Akteure bestimmt, wie beispielsweise Reputation, Vertrauenswürdigkeit,<br />

Integrität etc.<br />

Die geschilderten Variationen <strong>des</strong> formalen oder offiziellen <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> bezogen sich erstens auf ein Überspringen einzelner Prozeßstufen<br />

und zweitens auf einen inoffiziellen, das heißt gegenläufigen Prozeß. <strong>Eine</strong> dritte<br />

Variation ergibt sich aus der Notwendigkeit einer systematischen Zurkenntnisnahme<br />

von Expertenwissen zur Steigerung der Efizzienz <strong>des</strong> eigenen Handelns<br />

im Sinne der Optimierung von Mitteln zur Erreichung bestimmter Ziele. Welche<br />

Art von Expertenwissen relevant ist, hängt davon ab, in welchem Subsystem<br />

die jeweiligen Akteure handeln und welche generalisierte Handlungsorientierung<br />

dieses Subsystem kennzeichnet. Wenn die generalisierte Handlungsorientierung<br />

der politischen Parteien in der Maximierung von Unterstützung<br />

besteht, dann entwickeln diese politischen Parteien zwangsläufig einen Bedarf<br />

an instrumentellem Wissen zur Erzeugung solcher Unterstützung. Das dürfte<br />

ein wesentlicher Grund dafür sein, daß praktisch alle größeren politischen Parteien<br />

der liberalen Demokratien systematisch Ergebnisse der Umfrageforschung<br />

registrieren oder sogar entsprechende Abteilungen zur Erzeugung solchen Wissens<br />

in ihre formalen Organisationen einbauen. Andere Arten von Experten-


86<br />

wissen werden bei einer möglichst effektiven Umsetzung programmatisch<br />

definierter Ziele der Regierungsparteien verlangt. Dieses bezieht sich auf<br />

Handlungsmöglichkeiten und Handlungskonsequenzen in den gesellschaftlichen<br />

Bereichen, auf die sich das jeweilige Ziel bezieht. Dieses Expertenwissen<br />

gelangt in das Regierungssystem vor allem durch die permanente Kommunikation<br />

der Ministerialbürokratien mit den entsprechenden Experten. Die<br />

Experten außerhalb <strong>des</strong> politischen Systems bilden somit einen Einflußfaktor<br />

auf alle Handlungsprodukte <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong>. Der Mechanismus,<br />

der diesen Einfluß sichert, beruht nicht in einem formalen Strukturelement <strong>des</strong><br />

politischen Systems, sondern in dem Versuch, möglichst effizient zu handeln,<br />

wobei der Bezugspunkt der Effizienz bei den unterschiedlichen Akteuren <strong>des</strong><br />

politischen System natürlich unterschiedlich ist. Wenn man versuchen würde,<br />

diesen Einfluß der Experten in das grafische Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong><br />

zu integrieren (siehe Schaubild 2), dann müßte man auf den vertikal<br />

angeordneten Handlungsprodukten einen horizontal liegenden Pfeil richten,<br />

der aus den Bereichen der gesellschaftlichen Umwelt <strong>des</strong> politischen Systems<br />

kommt, in denen das relevante Expertenwissen erzeugt wird.


87<br />

5 c Ein Begriff politischer Strukturen<br />

5.1 Der Strukturbegriff von David Easton<br />

Das Modell <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> begreift diesen als eine gerichtete<br />

Abfolge bestimmter Handlungsprodukte bestimmter Akteure. Auf einer empirischen<br />

Ebene sind die einzelnen Handlungsprodukte und ihre Beziehung<br />

zueinander variable Größen. Um ein Beispiel zu geben: Welche Ansprüche<br />

formuliert werden, wie diese formuliert werden und in welcher Weise sie die<br />

Entscheidungen (der Akteure <strong>des</strong> Regierungssystems) beeinflussen, hängt von<br />

den choices der relevanten Akteure ab, die diese in Handlungssituationen treffen.<br />

Diese choices der Akteure vollziehen sich aber unter constraints, die den<br />

Raum möglicher choices limitieren. <strong>Eine</strong> vollständige Erklärung konkreter<br />

Handlungen (und damit auch von Handlungsprodukten) und Handlungsverkettungen<br />

muß <strong>des</strong>halb sowohl die limitierenden constraints einbeziehen,<br />

als auch die rationale Kalkulation der Akteure. Als die wichtigste Art dieser<br />

constraints wurde bereits mehrfach die Struktur sozialer Systeme angegeben<br />

und angedeutet, was darunter zu verstehen ist. Im folgenden soll ein Begriff<br />

politischer Strukturen systematischer diskutiert werden. Dieser bezieht sich<br />

lediglich darauf, wie politische Strukturen allgemein begriffen werden können<br />

und nicht auf eine Analyse konkreter Strukturen. Wir wollen <strong>des</strong>halb auch<br />

nicht bei neueren empirischen Studien ansetzen, die auf Strukturmerkmale von<br />

Demokratien rekurrieren, um die einzelnen Demokratien entweder auf einer<br />

empirischen Basis zu klassifizieren oder aber, um unterschiedliche Performanzen<br />

dieser Demokratien zu erklären (siehe unter anderem: Powell 1982, 1987;<br />

Lijphart 1984, 1989; Weil 1989; Lane und Ersson 1991). Den Schwerpunkt dieser<br />

Studien bilden eher empirische Analysen und weniger die Diskussion eines<br />

Strukturbegriffs, auf <strong>des</strong>sen Grundlage dann die empirischen Strukturmerkmale<br />

bestimmt werden. In diesem Sinne kann wohl auch Eastons (1990, 3, 19ff)<br />

Diagnose verstanden werden, daß das Strukturkonzept ein vernachlässigtes<br />

Konzept in der politischen Wissenschaft ist. Easton selbst entfaltete einen<br />

Begriff politischer Strukturen in einer detaillierten theoretischen Analyse, an die<br />

wir im folgenden anknüpfen wollen.


88<br />

Die allgemeinste Bedeutung von Struktur, die schon in der umgangssprachlichen<br />

Verwendung <strong>des</strong> Begriffs enthalten ist, ist die einer bestimmten Anordnung<br />

von Elementen, die eine gewisse Stabilität in der Zeit hat. Das wichtigste<br />

Kennzeichen einer solchen Anordnung besteht darin, daß nicht alle möglichen<br />

Relationen zwischen den Elementen zugelassen sind, sondern nur eine<br />

begrenzte Menge. Erst durch diese Begrenztheit kommt eine Struktur zustande.<br />

Wenn es um politische Strukturen geht, dann stellt sich als erste Frage, was<br />

denn die spezifischen Elemente sind, deren Anordnung diese konstituieren. Für<br />

die komplexen politischen Systeme, auf die sich die <strong>Metatheorie</strong> bezieht, ist<br />

diese Frage bereits beantwortet worden. Nach Luhmann (1970, 155) sind es<br />

unterschiedliche Arten von Rollenverbindungen, die unterschiedliche politische<br />

Strukturen ausmachen. Rollen sind demgemäß die kleinste Struktureinheit<br />

politischer Systeme. Dieser Annahme schließen sich auch Almond und Powell<br />

(1978,12, 52) und bis zu einem gewissen Grade Easton (1990, 74f) an. Parsons<br />

(1971) begreift Rollen allgemein als die Basiskategorie aller Sozialsysteme. Rollen<br />

können definiert werden als relativ konsistente Bündel von (generalisierten)<br />

Erwartungen, die an eine soziale Position gerichtet und mit dem Anspruch verbunden<br />

sind, daß sich die Individuen, die diese Position einnehmen, in ihrem<br />

Handeln danach richten (Wiswede 1977, 18, 38). Diese Rollendefinition enthält<br />

eine normative Komponente und eine Verhaltenskomponente, und es bleibt<br />

häufig unklar, worauf sich der Strukturbegriff bezieht: Entweder nur auf eine<br />

der beiden Komponenten oder auf beide zugleich. Easton trifft hier zwei klare<br />

Entscheidungen. Er differenziert zwischen kulturellen Strukturen und Verhaltensstrukturen<br />

und ordnet soziale Strukturen als Interaktionsstrukturen ausschließlich<br />

der Verhaltensebene zu (Easton 1990,51, 67,74f, 260). Die Beziehung<br />

zwischen der kulturellen Ebene und der Verhaltensebene sieht er als eine Kausalbeziehung,<br />

das heißt die Rollennormen sind unabhängige Variablen, die helfen,<br />

das Rollenhandeln zu erklären (Easton 1990, 74). Diese theoretischen Entscheidungen<br />

sind zwar plausibel, wir wollen sie aber dennoch nicht vollständig<br />

übernehmen. Bevor das begründet wird, soll noch auf eine weitere grundlegende<br />

Differenzierung Eastons eingegangen werden, und zwar die zwischen<br />

formalen und informellen Strukturen.


89<br />

Der Unterschied zwischen beiden Strukturformen liegt vor allem in dem<br />

Explizitheitsgrad, in dem sie eingeführt sind und für die Beteiligten und Betroffenen<br />

durchsichtig werden. In modernen Gesellschaften wird diese Explizitheit<br />

formaler Strukturen vor allem durch schriftlich niedergelegte Regeln mit Verbindlichkeitscharakter<br />

erzielt (Easton 1990, 66f). Den höchsten Formalisierungsgrad<br />

haben Rechtsnormen, da sie einerseits die Verhaltenserwartungen<br />

und andererseits auch die Sanktionen im Fall der Verletzung dieser Erwartungen<br />

detailliert festlegen. Durch die Miterwartbarkeit der Sanktionen im Falle<br />

der Erwartungsverletzung wird den Erwartungen selber eine größere Stabilität<br />

verliehen (Luhmann 1984, 436). Dieser stabilisierende Effekt müßte um so größer<br />

sein, je stärker der Sanktionsgrad ist. Unter anderem <strong>des</strong>halb hat Giddens<br />

(1984, 22) das Kriterium stark sanktioniert/schwach sanktioniert als ein<br />

Bestimmungsmerkmal sozialer Strukturen eingeführt. Neben dem Grad der<br />

Explizitheit kann demzufolge auch die Erwartbarkeit von Sanktionen und die<br />

Stärke von Sanktionen bei Regelverletzungen als ein Differenzierungsmerkmal<br />

zwischen formalen und informellen Strukturen angesehen werden. Die Differenz<br />

zwischen formalen und informellen Strukturen kann auch auf strukturelle<br />

Arrangements vormoderner Gesellschaften bezogen werden. Easton (1990, 66,<br />

81) begreift als das funktionale Äquivalent zu schriftlichen Rechtsnormen<br />

moderner Gesellschaften die rituelle oder zeremonielle Einführung von Verhaltenserwartungen.<br />

Formale Strukturen müßten sich <strong>des</strong>halb in allen Gesellschaften<br />

auffinden lassen und nicht nur in modernen. Im Unterschied zu den<br />

formalen Strukturen haben die informellen einen geringeren Explizitheitsgrad,<br />

eine geringere Eindeutigkeit der Konsequenzen im Falle der Regelverletzung<br />

und meistens auch (nicht immer) einen schwächeren Sanktionierungsgrad.<br />

Positiv formuliert bezeichnet Easton (1990, 81, 86) informelle Strukturen als<br />

Sitten und Gebräuche bzw. als eingelebte Verhaltensregeln. Der Unterschied<br />

zwischen formalen und informellen Strukturen wurde bislang unter Bezugnahme<br />

auf Regeln und Normen 54<br />

beschrieben und bewegt sich insofern nach<br />

Easton (1990, 67) auf einer kulturellen Ebene. Easton bezieht aber diese Diffe-<br />

54 Der Begriff der Regel ist in seinem Bedeutungsgehalt etwas weiter als der Normenbegriff,<br />

der schon stärker mit dem Kriterium der Sanktioniertheit assoziiert ist (zum Regelbegriff<br />

siehe Crozier und Friedberg 1980,52; Giddens 1984,17ff; Easton 1990,64, 67f).


90<br />

renz auch auf die Interaktionsebene und das heißt bei ihm, auf die Ebene <strong>des</strong><br />

realen Verhaltens der Akteure. Durch die Kreuzung der beiden analytischen<br />

Differenzierungen Eastons von formal/informell sowie kulturelle Ebene/<br />

Verhaltensbene erhält man vier Kategorien politischer Strukturen 55 .<br />

Formal<br />

Strukturformen<br />

Informell<br />

c Kulturelle<br />

§ Ebene<br />

ja<br />

Û)<br />

2<br />

2 Verhaltensco<br />

ebene<br />

formale Regelstrukturen<br />

formale empirische Strukturen<br />

informelie Regelstrukturen<br />

informelle empirische Strukturen<br />

Wir wollen noch einmal festhalten, daß Easton (1990, 55, 60) soziale Strukturen<br />

und damit politische Strukturen als stabile Interaktionsmuster der Akteure<br />

begreift. Wesentlich für Eastons Strukturbegriff ist darüber hinaus, daß diese<br />

Interaktionsmuster sich ausschließlich auf tatsächliches Verhalten beziehen.<br />

Verhaltenserwartungen und Verhaltensnormen werden demzufolge der kulturellen<br />

Ebene zugeordnet und im Falle von formalen Strukturen als formale<br />

Regelstrukturen (formal rule structure) bezeichnet (Easton 1990, 95). Formale<br />

politische Strukturen sind <strong>des</strong>halb auch als formale empirische Strukturen (formal<br />

empirical structure) zu bestimmen. Easton arbeitet sein Verständnis der formalen<br />

Regelstrukturen sehr genau heraus. Demgegenüber wird die Bedeutung<br />

von formalen empirischen Strukturen weniger deutlich. Was kann beispielsweise<br />

den Charakter <strong>des</strong> Formalen auf der Verhaltensebene ausmachen?<br />

Eastons (1990,56f, 103f) Lösung dieses Problems besteht darin, formale Strukturen<br />

auf der Verhaltensbene dann zu konstatieren, wenn die Verhaltensstruktur<br />

der Struktur auf der kulturellen Ebene entspricht. Das bedeutet aber, daß die<br />

55 Die in dieser Typologie unterschiedenen Kategorien von Struktur beziehen sich alle auf die<br />

"lower-order-structures". Diese unterscheiden sich von "higher-order-structures" unter<br />

anderem durch das Kriterium der Beobachtbarkeit (Easton 1990,241,244f, 260,266).


91<br />

Bestimmung <strong>des</strong> Formalen nicht auf der Beobachtungsebene allein vorgenommen<br />

werden kann, sondern erst durch einen nachträglichen Vergleich <strong>des</strong><br />

empirisch festgestellten Interaktionsmusters mit den formalen Regelstrukturen.<br />

Die Lösung Eastons impliziert also, daß die formale empirische Struktur nicht<br />

unabhängig von der formalen Regelstruktur zu bestimmen ist. Die Schwierigkeit<br />

einer klaren Abgrenzung beider Arten von formalen Strukturen wirft<br />

unseres Erachtens die grundlegende Frage auf, inwieweit politische Strukturen<br />

auf der Verhaltensebene lokalisiert werden können. Ist es konzeptuell in hinreichender<br />

Klarheit möglich, auf der Verhaltensebene alleine zwischen tatsächlichen<br />

Handlungen der Akteure und den constraints (Strukturen) für diese<br />

Handlungen zu trennen? Wenn Strukturen als limitierende Handlungsconstraints<br />

begriffen werden, dann kann die Vorauswahl der durch diese<br />

constraints zugelassenen Handlungen nicht auf der Ebene der faktischen<br />

Handlungen selbst Zustandekommen, sondern nur auf der Ebene der Handlungserwartungen<br />

(Luhmann 1976, 121; 1984, 73, 140) und das heißt in der<br />

Terminologie von Easton, auf der Ebene der Regelstrukturen. Empirische<br />

Strukturen entstehen <strong>des</strong>halb und können <strong>des</strong>halb beobachtet werden, weil es<br />

Regelstrukturen gibt. Bezogen auf die in Schaubild 5 dargestellten Strukturkategorien<br />

von Easton begreifen wir politische Strukturen <strong>des</strong>halb primär als<br />

Regelstrukturen und sekundär als empirische Strukturen. Das betrifft<br />

gleichermaßen die formalen und die informellen Strukturen. Die empirische<br />

Ebene wird als das Handeln von Akteuren in Situationen bestimmt, und es ist<br />

eine empirische Frage, inwieweit die Regelstrukturen dieses Handeln determinieren.<br />

In dem Maße, in dem sie das tun, lassen sich in den tatsächlichen<br />

Interaktionen der Akteure auch Muster beobachten und diese Muster<br />

(empirische Strukturen) lassen wiederum Rückschlüsse auf die latenten Regelstrukturen<br />

zu.<br />

In Kapitel 3 wurde bereits diskutiert, daß die strukturellen constraints das<br />

Handeln der Akteure nie vollständig, sondern nur mehr oder weniger determinieren<br />

und daß es immer Freiheitszonen für die handelnden Akteure gibt. Die<br />

Realisierung dieser Freiheitszonen im Handeln der Akteure ist zum Teil strukturrelevant<br />

und zum Teil nicht. Nicht alle Handlungsfacetten sind auf Normen


92<br />

Schaubild 6: Ein Modell von Handlungsstrukturen und aktuellem Handeln<br />

Formale<br />

Informelle<br />

e» _ o- <<br />

Strukturen ^ ^ ^ ^<br />

Aktuelles Handeln von Akteuren<br />

L<br />

in S i t u a t i o n e n "<br />

* Reproduktion odor Transforrns&on dieser Strukturen<br />

und Regeln beziehbar, das heißt sie sind durch diese gar nicht angesprochen.<br />

Sie sind strukturell also indifferent. Andere Aspekte <strong>des</strong> konkreten Handelns<br />

beziehen sich demgegenüber eindeutig auf Normen und Regeln, sie sind demzufolge<br />

mit dem Anspruch verknüpft, daß diesen im Handeln entsprochen<br />

wird. Wenn das tatsächlich auch geschieht, dann kann von einer Reproduktion<br />

der Struktur gesprochen werden. Die beobachtbaren Manifestationsformen dieser<br />

Reproduktion sind die Interaktionsmuster oder die empirischen Strukturen<br />

von Easton. In dem Maße, in dem den präskriptiven Erwartungen nicht entsprochen<br />

wird, in dem Maße vollzieht sich eine Transformation der Struktur.<br />

Diese Transformation kann entweder eine Auflösung der gegebenen Struktur<br />

bedeuten oder aber eine Umstrukturierung. Hinsichtlich der formalen und<br />

informellen Strukturen wird von einem Kausalverhältnis ausgegangen. Die<br />

informellen Strukturen bilden sich um die formalen Strukturen herum, die die<br />

Strukturkerne darstellen und die Herausbildung informeller Strukturen<br />

restringieren.<br />

5.2 Strukturen als generalisierte und komplementäre<br />

Verhaltenserwartungen<br />

Wenn an der Terminologie von Easton angeknüpft wird, dann werden politische<br />

Strukturen in der hier vorgelegten <strong>Metatheorie</strong> vor allem als formale und<br />

informelle Regelstrukturen begriffen. Regeln beziehen sich nicht auf tatsächli-


93<br />

ches Verhalten, sondern auf Verhaltenserwartungen. Der letztere Begriff müßte<br />

genauer als generalisierte und komplementäre Verhaltenserwartungen gekennzeichnet<br />

werden. Mit diesem Begriff ist zugleich ein Oberbegriff gewonnen, der die<br />

beiden Formen von Handlungsconstraints umfaßt, die bislang diskutiert wurden:<br />

generalisierte Handlungsorientierungen und Rollenstrukturen 56 . Durch<br />

die Generalisierung von Verhaltenserwartungen entsteht eine Einschränkung <strong>des</strong><br />

Möglichkeitsraumes von Handlungen (Luhmann 1984, 397). Generalisierte<br />

Verhaltenserwartungen treffen eine Vorauswahl der im System zulässigen<br />

Handlungen, das was die Interaktionspartner typischerweise erwarten können.<br />

Die Komplementarität bedeutet, daß diese Verhaltenserwartungen aufeinander<br />

bezogen sind. Diese Komplementarität hat zwei Aspekte: Im Falle von generalisierten<br />

Handlungsorientierungen bezieht sie sich auf identische Verhaltenserwartungen<br />

57<br />

(jeder Interaktionspartner erwartet von dem jeweils anderen dieselben<br />

Handlungsorientierungen), und im Falle von Rollen kann sie sich auf<br />

unterschiedliche Erwartungen beziehen (die aber gleichwohl komplementär<br />

sind). Rollenhandeln vollzieht sich in der Regel nicht isoliert, sondern in einem<br />

Geflecht unterschiedlicher, aber aufeinander bezogener Rollen. Hinsichtlich der<br />

Generalisierung unterscheidet Luhmann (1970, 121; 1984, 140) drei Dimensionen:<br />

sachliche, zeitliche und soziale Generalisierung. Die sachliche Generalisierung<br />

bezieht sich auf die komplementären Erwartungen der Interaktionspartner,<br />

wie gehandelt werden soll. Die zeitliche Generalisierung bezieht sich auf die<br />

Dauerhaftigkeit und Verläßlichkeit dieser komplementären Verhaltenserwartungen.<br />

Diese Dauerhaftigkeit und Verläßlichkeit wird vor allem durch Normierung<br />

erzeugt (kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen). In<br />

modernen Gesellschaften erfolgt diese Normierung primär durch das Recht<br />

und die dadurch definierten Sanktionen bei einer Verletzung der Erwartungen.<br />

56 Die Bezeichnungen Rollenstrukturen, Regelstrukturen und Handlungsstrukturen werden<br />

weitgehend synonym verwendet.<br />

57 Auf der Grundlage der generalisierten Handlungsorientierungen, die in der <strong>Metatheorie</strong><br />

diskutiert wurden, bedeutet das beispielsweise, daß alle Akteure <strong>des</strong> politischen Systems<br />

damit rechnen können, daß alle anderen nach dem Code von Regierung und Opposition<br />

handeln oder daß alle Akteure <strong>des</strong> intermediären Systems die Unterstützung <strong>des</strong> Publikums<br />

als generalisierte Handlungsorientierung haben und erwarten, daß das bei den anderen auch<br />

so ist.


94<br />

Die soziale Generalisierung bezieht sich auf die Unterstellung, daß die komplementären<br />

Verhaltenserwartungen auch von dem Konsens der faktischen und<br />

potentiellen Interaktionspartner getragen wird. Nach Luhmann (1970, 122)<br />

benötigt je<strong>des</strong> Sozialsystem ein bestimmtes Ausmaß an kongruenter Generalisierung<br />

in allen drei Dimensionen, das heißt es sind auf Dauer gestellte komplementäre<br />

Verhaltenserwartungen mit hoher Konsensvermutung erforderlich<br />

58 . Diese bilden den Kern der Sozialstruktur. In modernen politischen<br />

Systemen wird dieser Kern durch die rechtlich fixierten Rollenstrukturen<br />

bestimmt. Wir schließen uns dieser Bestimmung sozialer Strukturen von<br />

Luhmann weitgehend an, scheiden aber die soziale Generalisierung als definieren<strong>des</strong><br />

Merkmal aus. Wenn die Konsensvermutung oder der faktische Konsens<br />

schon als definieren<strong>des</strong> Merkmal sozialer Strukturen angenommen wird, dann<br />

kann unseres Erachtens nicht mehr klargemacht werden, wie es zu einer<br />

Reproduktion oder Transformation dieser Strukturen kommen kann. Diese<br />

Reproduktion oder Transformation wird wesentlich von dem Ausmaß <strong>des</strong><br />

Konsenses oder der Unterstützung dieser Strukturen seitens der beteiligten<br />

Akteure bestimmt.<br />

Wir begreifen also die formale Struktur <strong>des</strong> politischen Systems liberaler Demokratien<br />

als Muster generalisierter und komplementärer Verhaltenserwartungen<br />

der relevanten Akteure, die durch das Recht definiert werden 59 . Die<br />

Komplementarität der Verhaltenserwartungen bezieht sich auf zwei Ebenen:<br />

Erstens auf die Ebene der einzelnen Rollen, deren Verbindungen die Struktur<br />

der kollektiven Akteure bildet und zweitens auf die Ebene der kollektiven<br />

Akteure, deren Verbindung die Struktur <strong>des</strong> politischen Systems bildet. Die<br />

informelle Struktur besteht demgegenüber aus Mustern generalisierter und<br />

komplementärer Verhaltenserwartungen, die sich habituell (beispielsweise<br />

58 Als Beispiel solcher kongruenten Generalisierungen können Institutionen begriffen werden.<br />

In dieser Richtung argumentiert auch Göhler (1987,1990). Da aber mit dem Institutionenbegriff<br />

in der Regel noch weitergehende Assoziationen verknüpft sind (siehe dazu Easton<br />

1990, 58ff), hat er in unserem systemtheoretischen Kontext keinen klar verortbaren analytischen<br />

Status.<br />

59 Diese Definition umfaßt sowohl die sachliche Festlegung der Verhaltenserwartungen als<br />

auch die Festlegung der Konsequenzen bei Erwartungsverletzungen.


95<br />

aufgrund von Sitten und Gebräuchen) herausgebildet haben. Diese formalen<br />

und informellen Strukturen sind die wichtigsten und unmittelbaren Handlungsconstraints<br />

für die Akteure <strong>des</strong> politischen Systems. Sie legen weitgehend<br />

fest, welche Handlungsalternativen zur Realisierung der jeweiligen Ziele der<br />

einzelnene Akteure überhaupt zur Verfügung stehen und bestimmen dadurch<br />

bis zu einem gewissen Grade die Choices der Akteure in Handlungssituationen.<br />

Neben den Strukturen wurden in der Diskussion der <strong>Metatheorie</strong> auch<br />

die generalisierten Handlungsorientierungen der Akteure als Handlungsconstraints<br />

bestimmt. Solche Handlungsorientierungen sind als stabile und<br />

gemeinsame Orientierungen der Akteure eines Systems definiert worden und<br />

stellen somit auch generalisierte und komplementäre Verhaltenserwartungen<br />

dar.<br />

Schaubild 7: Generalisierte Verhaltenserwartungen und<br />

Handlungs-Constraints<br />

Handlungs-C onstraints<br />

Handlungs-Choices<br />

Generalisierte<br />

Handlungsorientierungen<br />

Rollenstrukturen<br />

Generalisierte<br />

Verftaltenserwartungen<br />

Während die Rollenstrukturen eine Komplementarität verschiedener Verhaltenserwartungen<br />

implizieren 60 , beziehen sich die generalisierten Handlungsorientierungen<br />

auf eine Komplementarität identischer Verhaltenserwartungen<br />

aller Akteure (siehe dazu das Beispiel in Fußnote 57). Es handelt sich also um<br />

generalisierte Verhaltenserwartungen unterschiedlicher Generalisierungsgrade.<br />

Letztlich soll die <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> eine theoretische<br />

Vorarbeit zur Erklärung <strong>des</strong> faktischen Handelns der Akteure <strong>des</strong> politischen<br />

Systems sein. Ausgehend von diesem Bezugspunkt kann ein Kontinuum zwischen<br />

spezifischen und generalisierten Handlungsorientierungen und Verhaltenserwartungen<br />

unterstellt werden, das zumin<strong>des</strong>tens in drei theoretisch rele-<br />

60 Zwischen verschiedenen Rollen und verschiedenen kollektiven Akteuren.


96<br />

vante Abschnitte unterteilbar ist. Die unterste Ebene bildet die der einzelnen<br />

Akteure (individuelle und kollektive), die in konkreten Situationen ihre jeweiligen<br />

Ziele durch ihr Handeln verwirklichen wollen. Die nächste Ebene ist die<br />

der Rollenstrukturen, die für die einzelnen Akteure typischerweise vorschreibt,<br />

wie sie handeln sollen und weitgehend erwartbar machen, wie andere handeln<br />

werden. Dadurch wird die spezifische Handlungsorientierung der einzelnen<br />

Akteure limitiert und aufeinander beziehbar gemacht. Die oberste Ebene stellen<br />

die generalisierten Handlungsorientierungen aller Akteure <strong>des</strong> Systems dar.<br />

Soziale Systeme werden durch beide Ebenen der generalisierten Verhaltenserwartungen<br />

gebildet: durch Rollenstrukturen und durch generalisierte Handlungsorientierungen.<br />

Hinsichtlich der Strukturen <strong>des</strong> politischen Systems können wiederum verschiedene<br />

Strukturebenen unterschieden werden, die in Anlehnung an Easton<br />

(1990, 270) als eine Hierarchie politischer Strukturen beschrieben werden. Der<br />

von uns vorgeschlagene Strukturbegriff ist auf alle Sozialsysteme und auf die<br />

unterschiedlichen Hierarchiestufen ihrer strukturellen Ausdifferenzierung<br />

beziehbar. Das politische System ist ein Sozialsystem, das eines der primären<br />

gesellschaftlichen Teilsysteme darstellt. Die höchste Hierarchiestufe bildet<br />

demzufolge die Gesellschaft als das umfassendste Sozialsystem, das sich in verschiedene<br />

primäre Teilsysteme differenziert, wobei das uns interessierende<br />

Teilsystem das politische System ist. Das politische System differenziert sich<br />

nach der <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> in drei Subsysteme und<br />

zwar das Publikumssystem, das intermediäre System und das Regierungssystem.<br />

Das intermediäre System und das Regierungssystem können unter<br />

bestimmten analytischen Perspektiven zur Polity zusammengefaßt werden. Die<br />

drei Subsysteme <strong>des</strong> politischen Systems differenzieren sich jeweils in<br />

bestimmte kollektive Akteure und diese dann wiederum in einzelne Rollen. Die<br />

Rollen sind die unterste Ebene der Hierarchie politischer Strukturen und werden<br />

<strong>des</strong>halb als Basiselemente dieser Strukturen bezeichnet. Wenn man von<br />

dieser untersten Ebene ausgeht, dann stellen die jeweils höheren Ebenen immer<br />

komplexere Konfigurationen von Rollenverbindungen dar. Bei dieser Komplexitätszunahme<br />

handelt es sich aber nicht um eine bloße Aggregation von immer


Schaubild 8: Hierarchie politischer Strukturen<br />

Gesellschaft<br />

politisches System andere primäre gesellschaftliche<br />

Teilsysteme<br />

Polity<br />

Publikumssystem Intermediäres System Regierungssystem<br />

Staatsbürger Massenmedien Interessengruppen Parteien Regierung Parlament Verwaltung<br />

Subkollektiv X Subkollektiv Y Medium X Medium Y Interessengruppe X Interessengruppe Y Partei X Partei Y Minister- Ministerien 1. Kammer 2. Kammer Ministerial- Lokale<br />

präsident bürokratie Bürokratien<br />

Einzelne Rollen Einzelne Rollen Einzelne Rollen Einzelne Rollen Einzelne Rollen<br />

¡3


98<br />

mehr Rollen, sondern die Struktureinheiten der jeweils höheren Ebene sind<br />

ganz spezifische Verbindungen der Struktureinheiten der jeweils niedrigeren<br />

Ebene. Diese Annahme impliziert unter anderem, daß die konkrete Bestimmung<br />

der Struktur eines politischen Systems nicht durch die Entfaltung der<br />

gesamten Komplexität der Rollenverbindungen im politischen System erfolgen<br />

muß, sondern lediglich durch die Bestimmung der spezifischen Konfiguration<br />

der drei Subsysteme <strong>des</strong> politischen Systems. Die gleiche Logik müßte auch bei<br />

den Strukturbestimmungen niedrigerer Hierarchieebenen angewendet werden.<br />

Das Regierungssystem beispielsweise könnte als eine spezifische Konfiguration<br />

von Regierung, Parlament und Verwaltung bestimmt werden. Im Kontext seiner<br />

Theorie politischer Strukturen hat Easton (1990, 270f) eine ähnliche<br />

Annahme formuliert, wenn er bei der Hierarchie von Strukturen von einer<br />

"nesting hierarchy" ausgeht 61 .<br />

Innerhalb der Hierarchie politischer Strukturen muß auf eine wichtige analytische<br />

Differenzierung zurückgekommen werden, die bereits durch die Unterscheidung<br />

zwischen handlungsprägenden und handlungsfähigen Sozialsystemen<br />

angesprochen wurde 62 . Handlungsfähige Sozialsysteme sind solche, die<br />

zumin<strong>des</strong>t in einem weiteren Sinne zu einem intentionalen Handeln in der<br />

Lage sind. Das trifft in der Hierarchie politischer Strukturen nur für die Ebenen<br />

zu, die sich auf einzelne Rollen und auf kollektive Akteure beziehen und beispielsweise<br />

nicht mehr für die Ebene der Subsysteme <strong>des</strong> politischen Systems.<br />

Lediglich das Regierungssystem könnte unter bestimmten Bedingungen als ein<br />

kollektiver Akteur begriffen werden. Wenn klare Mehrheitsverhältnisse im<br />

Parlament herrschen, die der jeweiligen Regierung eine weitgehende Handlungsautonomie<br />

ermöglichen, dann stellt diese Regierung so etwas wie eine<br />

Spitze <strong>des</strong> gesamten Subsystems (Regierungssystem) dar, der letztlich die bindenden<br />

Entscheidungen dieses Systems als intentionales Handlungsprodukt<br />

zugerechnet werden können. Unangesehen, wer im einzelnen als kollektiver<br />

61 Bei dieser "nesting hierarchy" steht bei ihm allerdings der Aspekt im Vordergrund, daß die<br />

höheren Struktureinheiten die Operationsweisen der niedrigeren Struktureinheiten determinieren.<br />

62 Der gleiche Sachverhalt wird bei Easton (1990,241-279) bei seiner Unterscheidung zwischen<br />

"higher-order-structures" und "lower-order-structures" diskutiert.


99<br />

Akteur begriffen werden kann und somit als handlungsfähiges Sozialsystem, so<br />

ist per Definition klar, daß manifeste Interaktionsmuster und latente Verhaltenserwartungen<br />

nur bei solchen handlungsfähigen Sozialsystemen beobachtet<br />

und gemessen werden können. Das macht die Bestimmung der Strukturen von<br />

handlungsprägenden Sozialsystemen bzw. von "higher-ord er-structures" nicht<br />

eben einfacher. Die "higher-order-structures" müssen dann weitgehend aus den<br />

"lower-order-structures" analytisch rekonstruiert werden. In jedem Falle scheint<br />

es uns notwendig zu sein, vor der Anwendung von Datenreduktionsverfahren<br />

auf eine Menge von Strukturindikatoren und der Zuordnung der auf diese<br />

Weise erhaltenen Dimensionen zu höheren Systemebenen erst einmal eine konkrete<br />

Bestimmung vorzunehmen, was als Strukturmerkmale auf diesen Ebenen<br />

begriffen werden kann. Erst dann kann man eine sinnvolle Auswahl von Indikatoren<br />

treffen und erst dann können die Ergebnisse von solchen Datenreduktionen<br />

theoretisch sinnvoll interpretiert werden. Diese theoretische Bestimmung<br />

konkreter Strukturen und darauf aufbauender empirischer Analysen ist<br />

aber nicht Gegenstand der hier diskutierten <strong>Metatheorie</strong>.<br />

Nach dieser Explikation <strong>des</strong> Strukturbegriffs muß noch eine rückwirkende Differenzierung<br />

an dem Strukturbegriff vorgenommen werden, der bis zu dieser<br />

Explikation verwendet wurde. Als Struktur sozialer Systeme wurde unter<br />

anderem die Vernetzung der kollektiven Akteure bezeichnet, die diesem<br />

System zugehören. Bei dieser Vernetzung müssen nunmehr zwei Aspekte<br />

unterschieden werden: Erstens die auf der Ebene der Verhaltenserwartungen<br />

(Regeln, Normen) definierte Vernetzung und zweitens die auf der Ebene <strong>des</strong><br />

tatsächlichen Verhaltens erfolgende Vernetzung. Vor allem die erstere Art von<br />

Vernetzung wird nach dem explizierten Strukturbegriff als Struktur bezeichnet<br />

und die letztere Art von Vernetzung eher als Interaktionsmwsfer, das durch<br />

diese Struktur generiert wird. Die konkreten Handlungsprodukte <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> sind dann natürlich als eine direkte Folge der tatsächlichen<br />

Aktionen und Interaktionen der kollektiven Akteure zu begreifen. Diese<br />

Interaktionen sind unter anderem durch ein mehr oder weniger ausgeprägtes<br />

und stabiles Muster gekennzeichnet.


100<br />

6» Politische Strukturen und politische Performanz<br />

Der dargestellte Begriff politischer Strukturen ist für empirische Analysen erst<br />

dann fruchtbar zu machen, wenn konkrete Strukturen der liberalen Demokratien<br />

- auf die sich die <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> ja bezieht -<br />

bestimmt werden. Dazu kann dieser Strukturbegriff eine theoretische Grundlage<br />

bilden. Wenn die konkrete und das heißt die empirische Bestimmung der<br />

Strukturen der einzelnen liberalen Demokratien erfolgt ist, dann kann diese<br />

auch als Erklärungsvariable für empirische Phänomene <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> verwendet werden. Darunter ist vor allem die konkrete Ausprägung<br />

der einzelnen Handlungsprodukte <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> zu verstehen<br />

und die Frage, wie stark ein Handlungsprodukt andere determiniert. Letztere<br />

bezieht sich beispielsweise auf die Frage, inwieweit artikulierte Ansprüche aus<br />

dem Publikumssystem in den Handlungsprodukten der Akteure der Polity<br />

(Programme, Entscheidungen etc.) berücksichtigt werden. Auf die konkrete<br />

Umsetzung dieser Erklärungsstrategie kann im Kontext der <strong>Metatheorie</strong> nicht<br />

eingegangen werden. Es sollen lediglich zwei allgemeine Probleme angesprochen<br />

werden, die sich bei solchen Erklärungsversuchen stellen und in der Forschungspraxis<br />

häufig vernachlässigt werden.<br />

<strong>Eine</strong>s dieser Probleme betrifft die sinnvolle Spezifikation von Strukturvariablen<br />

als Erklärungsvariablen: Für welche abhängige Variable ist welche Ebene in der<br />

Hierarchie politischer Strukturen die relevante? Wird beispielsweise die<br />

Responsivität der politischen Parteien auf die Ansprüche <strong>des</strong> Publikumssystems<br />

ausschließlich von den Strukturen <strong>des</strong> Parteiensystems bestimmt, oder ist<br />

es notwendig, hier auf eine höhere Strukturebene zu rekurrieren, die das intermediäre<br />

System und das Regierungssystem umfaßt (Polity)? Oder: Kann die<br />

Artikulation bestimmter Ansprüche durch die Interessengruppen lediglich<br />

durch die Struktur <strong>des</strong> Subsystems der Interessengruppen erklärt werden oder<br />

eher durch die Struktur <strong>des</strong> gesamten Publikumssystems? Bei dem zweiten<br />

allgemeinen Problem handelt es sich um eine sinnvolle Spezifikation der<br />

abhängigen Variablen, die durch politische Strukturen erklärt werden sollen.<br />

Für die Handlungsprodukte innerhalb <strong>des</strong> politischen Systems ist das relativ<br />

unproblematisch. Anders verhält es sich aber für die Resultate, die durch die


101<br />

Entscheidungstätigkeit <strong>des</strong> politischen Systems in seiner Umwelt erzielt werden<br />

sollen. Wenn Lijphart (1991) beispielsweise unterschiedliche ökonomische Performanzen<br />

(Wirtschaftswachstum, Inflationsraten, Arbeitslosenquoten) durch<br />

verschiedene Strukturarrangements repräsentativer Demokratien 63<br />

erklärt und<br />

darauf bezogen "constitutional choices for new democracies" nahelegt, dann<br />

liegt hier vermutlich eine Überschätzung der möglichen Effekte politischen<br />

Handelns vor. In gleicher Weise wie Sartori und Easton einen soziologischen<br />

Reduktionismus bei der Erklärung politischer Phänomene kritisiert haben,<br />

kann hier ein politologischer Reduktionismus bei der Erklärung ökonomischer<br />

Phänomene geltend gemacht werden. Das ökonomische System ist genauso wie<br />

das politische System ein ausdifferenziertes gesellschaftliches Teilsystem mit<br />

eigenen Strukturen und eigenen Rationalitäten, und es kann <strong>des</strong>halb davon<br />

ausgegangen werden, daß es zunächst einmal endogene Variablen <strong>des</strong> ökonomischen<br />

Systems sind, die ökonomische Phänomene wie die von Lijphart analysierten,<br />

erklären können. Das schließt nicht aus, daß politische Variablen auch<br />

einen Erklärungseffekt haben. Dieser kann aber nur dann empirisch hinreichend<br />

bestimmt werden, wenn die Erklärung sowohl Ökonomische als auch<br />

politische Variablen berücksichtigt (was die genannten abhängigen Variablen<br />

anbetrifft). Wenn das nicht der Fall ist, besteht die Möglichkeit der Fehlspezifikation<br />

eines Erklärungsmodells, das zu verzerrten Schätzungen der im Erklärungsmodell<br />

berücksichtigten Variablen führt.<br />

Wir wollen noch einmal auf einen der zentralen Bezugspunkte der <strong>Metatheorie</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> zurückkommen, der im Einleitungskapitel ausgeführt<br />

wurde. In Anlehnung an Fukuyamas Thesen gehen wir davon aus, daß<br />

durch den Wegfall der grundlegenden Alternative zu den liberalen Demokratien<br />

die Frage <strong>des</strong> Vergleichs zwischen unterschiedlichen Varianten von liberalen<br />

Demokratien in den Vordergrund rückt. Das Vergleichskriterium ist das der<br />

politischen Performanz, und hier kann umstand slos an die Feststellung von<br />

Almond und Powell (1978, 392) angeknüpft werden: "for professional political<br />

63 Lijphart bildet vier grundlegende Typen von Demokratien, die er bei seiner Erklärung verwendet:<br />

präsidentiale Demokratien mit Mehrheitswahlrecht bzw. Verhältniswahlrecht und<br />

parlamentarische Demokratien mit Mehrheitswahlrecht bzw. Verhältniswahlrecht.


102<br />

sciervtists the comparative study of political Performance ought to be a central<br />

one". Die letzte zu diskutierende Frage der <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> bezieht sich demzufolge auf eine begriffliche Klärung von politischer<br />

Performanz.<br />

Die politischen Systeme der OECD-Staaten wurden als Leistungssysteme<br />

gekennzeichnet (siehe Kapitel 4.2.1), und eines der Merkmale von Leistungssystemen<br />

ist die Differenzierung in Rollen zur Produktion und Abnahme dieser<br />

Leistungen. Auf der Grundlage dieser Rollendifferenzierung und darauf bezogener<br />

generalisierter Handlungsorientierungen wurde zwischen einem Produktionssystem<br />

und einem Abnehmersi/stem unterschieden, die in der <strong>Metatheorie</strong><br />

als Publikum und Polity bezeichnet wurden. Unter dem analytischen<br />

Aspekt der Produktion von Leistungen wird das intermediäre System und das<br />

Regierungssystem also zur Polity zusammengefaßt und dem Publikum gegenübergestellt<br />

64 . Bei dieser Gegenüberstellung kann sich im Sinne der erfolgten<br />

Beschreibung die politische Performanz nur auf die Handlungsprodukte der<br />

Polity beziehen, das heißt auf die durch die Akteure der Polity erbrachten<br />

Leistungen. Diese werden aber für das Publikum produziert, und das Publikum<br />

(in seiner Gestalt als das Kollektiv der Staatsbürger) ist zumin<strong>des</strong>t in der<br />

normativen Demokratietheorie der Ausgangspunkt und der Endpunkt der<br />

Produktion der Leistungen der Polity. Dieser Sachverhalt wird durch die formalen<br />

Strukturen der politischen Systeme der liberalen Demokratien detailliert<br />

festgelegt und das heißt zugleich, rechtlich codifiziert. Die politische Performanz<br />

bezieht sich also auf die Leistungen der Politypir das Publikum, und die<br />

Bewertung dieser Performanz wird <strong>des</strong>halb auch aus der Perspektive <strong>des</strong><br />

Publikums vorgenommen. Auf der Grundlage <strong>des</strong> Modells <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> (siehe Schaubild 2) kann die politische Performanz der Polity in zwei<br />

Dimensionen unterschieden werden: Die erste Dimension betrifft die Responsi-<br />

64 Der Begriff der Polity ist weitergefaßt als der Regimebegrirf bei Haston (1965, 190-211). Die<br />

Regimestruktur wird bei Easton durch die "structure of the authority roles" bestimmt, und<br />

authority roles sind durch die Kompetenz charakterisiert, bindende Entscheidungen zu treffen.<br />

Die Struktur <strong>des</strong> Regimes bei Easton ist also weitgehend identisch mit der Struktur <strong>des</strong><br />

Regierungssystems unserer <strong>Metatheorie</strong>. Da die politischen Parteien als Parteien keine solchen<br />

Entscheidungskompetenzen besitzen (sondern nur als "incumbents" von authority<br />

roles), können säe auch nicht dem Regierungssystem oder dem Regime zugerechnet werden.


103<br />

vität der Akteure der Polity auf die Ansprüche <strong>des</strong> Publikums an der Input-<br />

Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> und die zweite Dimension betrifft die Effektivität<br />

der Akteure der Polity bei der Umsetzung dieser Ansprüche an der<br />

Output-Seite <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong>. Diese beiden Bewertungsaspekte<br />

müssen analytisch getrennt bleiben und nicht von vornherein in eine<br />

"responsive Effektivität" zusammengefaßt werden. Es gibt in der Demokratietheorie<br />

unterschiedliche Auffassungen darüber, ob eher die Responsivität oder<br />

eher die Effektivität der Polity der <strong>demokratischen</strong> Grundnorm entspricht. Man<br />

kann hier zwischen "inputorientierten" und "outputorientierten" Demokratietheorien<br />

unterscheiden (Scharpf 1975, 21-28). Aber auch empirisch ist es noch<br />

zu klären, welche dieser beiden Performanzaspekte für die Staatsbürger in<br />

welchen Situationen die wichtigere ist.<br />

Schaubild 9: Kategorien politischer Performanz<br />

Dimension<br />

Dimension<br />

B<br />

N<br />

C<br />

0)<br />

w<br />

d><br />

%<br />

«<br />

cn<br />

c<br />

3<br />

3<br />

o<br />

CS<br />

Objektiv<br />

Responsivität<br />

Responsivität<br />

D<br />

Effektivität<br />

Effektivität<br />

Persistenz<br />

Generalisierte<br />

Unterstützung<br />

Subjektiv<br />

Die Responsivität und Effektivität der Akteure der Polity läßt sich wiederum<br />

nach zwei Gesichtspunkten beschreiben und bewerten: Wie ist der objektive


104<br />

Tatbestand 65<br />

und wie wird dieser subjektiv durch die Staatsbürger perzipiert?<br />

Die sogenannte objektive Responsivität und Effektivität beeinflußt die subjektive<br />

Perzeption der Staatsbürger sicherlich. Nach der <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> wird sie aber auch von Definitionsprozessen in der Kommunikation<br />

zwischen Interessengruppen, Massenmedien und den konkurrierenden<br />

politischen Parteien beeinflußt. Ein weiterer Einflußfaktor sind die<br />

selektiven Wahrnehmungen politischer Informationen der Staatsbürger selbst,<br />

die durch deren kognitive und evaluative Schemata gesteuert werden. Aus<br />

diesen Gründen müssen auch die "objektive" und "subjektive" Ebene analytisch<br />

getrennt werden und es zu einer empirischen Frage gemacht werden, inwieweit<br />

die objektive Responsivität und Effektivität der Polity die subjektive Perzeption<br />

der Staatsbürger bestimmt und welche Erklärungskraft hier die genannten<br />

anderen Faktoren haben. Die subjektive Perzeption der Responsivität und<br />

Effektivität der Polity durch die Staatsbürger gewinnt ihre politische Relevanz<br />

im Rahmen <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> in zweierlei Hinsicht: Erstens durch<br />

ihre Folgen für das Wahlverhalten der Staatsbürger oder andere Formen der<br />

politischen Partizipation und zweitens durch ihre Folgen für die Erzeugung<br />

einer generalisierten Unterstützung. Das Ausmaß der generalisierten<br />

Unterstützung eines politischen Systems wird im allgemeinen als die wichtigste<br />

Determinante für die Persistenz dieses Systems angesehen (siehe dazu unter<br />

anderem: Easton 1965, Grew 1978, Linz 1978, Lichbach 1981, Zimmermann<br />

1981, Fuchs 1989). Die Stabilität oder Persistenz politischer Systeme ist eines der<br />

Grundfragen der politischen Wissenschaft. Der Begriff der Persistenz wurde<br />

von Easton (1965, 211, 220f) eingeführt, den er dem der Stabilität vorzog, um<br />

die Assoziation <strong>des</strong> statischen Beharrens zu vermeiden. Die Bestandserhaltung<br />

eines politischen Systems wird nach Easton im Gegenteil vor allem durch seine<br />

Adaptivität für gesellschaftlichen Wandel bestimmt. Bezogen auf die Struktur<br />

politischer Systeme bedeutet das, daß politische Systeme dann persistent sind,<br />

wenn sie ihre grundlegenden und konstituierenden Strukturmerkmale<br />

65 Die "okjektive" Responsivität der Polity kann beispielsweise durch den Vergleich von empirisch<br />

ermittelten Ansprüchen der Staatsbürger durch Umfragen mit der empirisch ermittelten<br />

Berücksichtigung dieser Ansprüche in den Parteiprogrammen gemessen werden. Für<br />

das Erfassen der "objektiven" Effektivität könnte auf ökonomische und soziale Indikatoren<br />

zurückgegriffen werden.


105<br />

bewahren und durch Veränderungen relativ peripherer Strukturelemente auf<br />

sich verändernde Umweltbedingungen reagieren. Die auf der Prozeßebene liegenden<br />

Performanzkategorien der Responsivität und Effektivität können also<br />

durch die auf der Systemebene liegenden Performanzkategorien der generalisierten<br />

Unterstützung und der Systempersistenz ergänzt werden (siehe Schaubild<br />

9).<br />

Aus zwei Gründen ist unseres Erachtens die Erzeugung einer generalisierten<br />

Unterstützung der Polity durch die Staatsbürger eine besondere Kategorie<br />

politischer Performanz. Erstens infolge <strong>des</strong> erläuterten Stellenwertes dieser<br />

Variablen für die Persistenz <strong>des</strong> politischen Systems. Zweitens durch ihre Relevanz<br />

für Fragen der normativen Demokratietheorie. Die generalisierte Unterstützung<br />

bezieht sich auf eine Einstellung zu dem <strong>demokratischen</strong> Prozeß insgesamt<br />

und den Strukturen, die diesen Prozeß steuern. Das Ausmaß der generalisierten<br />

Unterstützung ist <strong>des</strong>halb ein informationsreicheres Kriterium für<br />

die Realisierung der <strong>demokratischen</strong> Grundnorm ("Volkssouveränität") durch<br />

die tatsächlichen <strong>demokratischen</strong> Prozesse als die Responsivität und Effektivität<br />

der Polity im Hinblick auf einzelne Ansprüche der Staatsbürger 66 . Auf der<br />

Ebene der alltäglichen politischen Prozesse sind spezifische Unzufriedenheiten<br />

selbstverständlich und notwendig für die Dynamik dieser Prozesse. Sowohl im<br />

Hinblick auf den analytischen Aspekt der Persistenz <strong>des</strong> politischen Systems als<br />

auch im Hinblick auf den normativen Aspekt der Verwirklichung der Volkssouveränität<br />

ist die entscheidende Frage, ob und inwieweit sich solche spezifischen<br />

Unzufriedenheiten generalisieren und das heißt, über die aktuellen kollektiven<br />

Akteure der Polity hinausgehen und sich auf allgemeinere Objekte <strong>des</strong><br />

politischen Systems erstrecken und letztlich auch auf das politische System als<br />

Ganzes.<br />

66 Letztlich hängt es natürlich von der konkreten Fragestellung ab, welche der unterschiedenen<br />

Kategorien politischer Performanz betroffen sind. Wenn sich diese beispielsweise auf die<br />

Lösung eines bestimmten Problems durch staatliches Handeln bezieht, dann wird die Performanzkategorie<br />

B <strong>des</strong> Schaubil<strong>des</strong> 9 relevant. Oder wenn diese sich auf die Erklärung <strong>des</strong><br />

Wahlverhaltens der Staatsbürger bezieht, dann sind die Performanzkategorien C und D die<br />

relevanten.


106<br />

Das Konzept der generalisierten Unterstützung ist auf der Grundlage von<br />

Eastons (1965, 1975) Konzept der diffusen Unterstützung entwickelt und in<br />

empirischen Analysen angewendet worden (Fuchs 1989; Fuchs 1993; Fuchs,<br />

Guidorossi und Svensson 1993). Es unterscheidet sich aber von diffuser Unterstützung<br />

in zwei wesentlichen Punkten. Easton (1975) nimmt zwei Quellen der<br />

Entstehung von diffuser Unterstützung an: Erstens Mechanismen der primären<br />

Sozialisation und zweitens spätere Erfahrungen mit der Perform anz der Akteure<br />

der Polity. Nach Easton (1975, 444-448) sind solche Erfahrungen lediglich eine<br />

Quelle der Entstehung von diffuser Unterstützung, aber diese Einstellung existiert<br />

erst dann, wenn sie sich von dieser Quelle wieder gelöst hat und damit<br />

unspezifisch wird und in diesem Sinne eben diffus. Bei dem Konzept der generalisierten<br />

Unterstützung wird demgegenüber davon ausgegangen, daß infolge<br />

von weitergehenden Modernisierungsprozessen die primäre Sozialisation an<br />

Wirkungskraft verloren hat und von Erfahrungen <strong>des</strong> Erwachsenenalters<br />

überlagert wird. Die Erfahrungen mit der Perform anz der Akteure der Polity<br />

stellen wie bei Easton eine Quelle der Entstehung einer generalisierten Unterstützung<br />

dar, aber im Unterschied zu Easton gehen wir davon aus, daß diese<br />

Quelle der Entstehung der Einstellung in der resultierenden Einstellung nicht<br />

verschwindet, sondern erhalten bleibt, das allerdings in einer generalisierten<br />

Form. Das bedeutet beispielsweise, daß eine positive Einstellung zu Strukturen<br />

der Polity bzw. zur Polity insgesamt weniger eine diffuse (psychologische) Bindung<br />

an dieses Objekt darstellt, sondern eher auf bestimmten Bewertungskriterien<br />

beruht, die die Einstellung als solche charakterisieren. Diese Bewertungskriterien<br />

können expressiver, moralischer und instrumenteller Art sein. Je<br />

nachdem, welches dieser Bewertungskriterien zur Erzeugung von Erfahrungen<br />

67<br />

verwendet wird und damit auch die Generalisierungsbasis bestimmt,<br />

können unterschiedliche Formen der generalisierten Unterstützung unterschieden<br />

werden (siehe dazu Fuchs 1989, 1993). Welcher der drei grundlegenden<br />

Bewertungsstandards zur Beurteilung politischer Ereignisse bei den Staatsbürgern<br />

gegenwärtig tatsächlich dominiert und welche Form der generalisierten<br />

Unterstützung demzufolge die politisch relevante und wirksame ist, ist eine<br />

67 Erfahrungen werden fast immer im Lichte von Bewertungsstandards gemacht, das heißt,<br />

rein kogniüonsbestimmte Erfahrungen sind nur in Grenzfällen möglich.


107<br />

noch offene Forschungsfrage. Unangesehen dieser differenzierten Aspekte der<br />

generalisierten Unterstützung, als generalisierte hat sie im Prinzip aber eine ähnliche<br />

Pufferwirkung gegenüber den alltäglichen und konkreten Unzufriedenheiten<br />

wie die diffuse Unterstützung Eastons 68 . Dennoch ist mit dem Konzept<br />

der generalisierten Unterstützung die Annahme einer relativ stärkeren<br />

Abhängigkeit von der politischen Performanz auf der Prozeßebene verknüpft<br />

als das bei Easton der Fall ist. Diese Annahme impliziert auch, daß die Stabilisierung<br />

einer generalisierten Unterstützung (oder Erzeugung, falls nötig) eine<br />

permanente Aufgabe der Akteure der Polity ist. Diese Stabilisierung beruht<br />

nicht nur auf dem, was durch diese Akteure produziert wird, sondern auch wie<br />

sie produzieren, das heißt ihre Handlungsprodukte herstellen 69 . Es ist eine<br />

wichtige und offene Frage, wie sich der Wegfall der grundlegenden Systemalternative<br />

auf die Generierung und Erhaltung verschiedener Formen der generalisierten<br />

Unterstützung der liberalen Demokratien auswirkt. Unsere Vermutung<br />

wurde bereits im Einleitungskapitel formuliert. Spezifische Unzufriedenheiten<br />

werden schneller als früher generalisiert, aber diese Generalisierung<br />

mündet nicht in einer Infragestellung <strong>des</strong> Systems der liberalen Demokratie als<br />

solcher, sondern lediglich in der Frage, ob es strukturelle Alternativen innerhalb<br />

dieses System gibt, die eine bessere Performanz auf der Prozeßebene<br />

ermöglichen.<br />

Abschließend sei die Frage gestellt, wo die <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong><br />

<strong>Prozesses</strong> als Theorieversuch eingeordnet werden kann. Alexanders wissenschaftliches<br />

Kontinuum erlaubt lediglich eine Einordnung zwischen den Polen<br />

von "metaphysical environment" und "empirical environment" und gibt Direktiven<br />

an, in welcher Weise und welchen Hinsichten eine solche <strong>Metatheorie</strong><br />

68 Der Begriff der Generalisiertheit ist wesentlich durch Indifferenz gegenüber Konkretheit<br />

und SpezUizität bestimmt. Wenn generalisierte Unterstützungsformen <strong>des</strong> politischen<br />

Systems einmal aufgebaut sind, dann haben sie infolge dieser Indifferenz auch eine gewisse<br />

Resistenz gegenüber Enttäuschungen auf der Ebene alltäglicher Politik Die entscheidende<br />

Frage vor allem bei neuen Demokratien ist, daß eine generalisierte Unterstützung dieser<br />

Demokratien aufgebaut werden kann, und das ist eine voraussetzungsvolle Angelegenheit,<br />

wie wir aus historischen Erfahrungen wissen.<br />

69 Zu dieser Dimension <strong>des</strong> Verhaltensstils der Akteure der Polity bei der Herstellung ihrer<br />

Handlungsprodukte gehören unter anderem Fragen der politischen Moral.


108<br />

erstellt werden kann. <strong>Eine</strong> etwas genauere Einordnung als Theorieansatz im<br />

Bereich der Politik erlaubt ein Schema von von Beyme (1991, 346). Nach einer<br />

umfassenden Bestandsaufnahme der "Theorie der Politik im 20. Jahrhundert"<br />

vereinfacht er die vielfältigen theoretischen Ansätze durch die Aufspannung<br />

eines zweidimensionalen Raumes mit den Achsen Systemansatz/Akteursansatz<br />

und Makroebene/Mikroebene. Als die Extrempunkte dieses Raumes,<br />

die von Beyme letztlich als Sackgassen kennzeichnet, lokalisiert er die autopoietischen<br />

Systemtheorien (in der Zelle Systemansatz/Makroebene) und<br />

orthodoxen Behaviorismus (in der Zelle Akteursansatz/Mirkoebene). Die hier<br />

vorgelegte <strong>Metatheorie</strong> bezieht sich in der Terminologie von Beymes eher auf<br />

die "klassische Systemtheorie" und auf "rational choice", d.h. zwei theoretische<br />

Ansätze, denen von Beyme jeweils eigene Möglichkeiten einräumt. Ein Problem<br />

bei der Anwendung beider Ansätze sind die "Sprünge" jeweils von der<br />

Akteursebene auf die Systemebene und von der Mikroebene auf die<br />

Makroebene und umgekehrt (von Beyme 1991, 344ff). In der <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong> ist versucht worden, diese Sprünge zumin<strong>des</strong>t konzeptuell<br />

durch eine möglichst systematische Integration von Systemansatz und<br />

Akteursansatz zu reduzieren. Inwieweit das gelungen ist, wäre noch zu diskutieren.<br />

Vor allem aber muß sich dieser Integrationsversuch in empirischen Studien<br />

als fruchtbar erweisen, die durch die <strong>Metatheorie</strong> gesteuert werden sollen.


109<br />

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CH. Beck.


120<br />

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Liste der SP III/l- und SP III/2-Papers (Stand: Mai 1993)<br />

FS HI 93-301<br />

Wir und die Anderen. "Imagined Communities" im westeuropäischen<br />

Vergleich.<br />

Dieter Fuchs, Jürgen Gerhards und Edeltraud Roller<br />

Abteilung 1 "Öffentlichkeit und soziale Bewegungen"<br />

FS III 90-101<br />

FS III 91-101<br />

FS III 91-102<br />

FS III 91-103<br />

FS III 91-104<br />

FS HI 91-105<br />

FS m 91-106<br />

FS m 91-107<br />

FS IH 91-108<br />

FS DI 92-101<br />

FS HI 92-102<br />

FS III 92-103<br />

FS HI 92-104<br />

FS HI 93-101<br />

Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und<br />

Ansätze.<br />

Jürgen Gerhards, Friedhelm Neidhardt<br />

MesomobilizaÜon Contexts: Organizing and Framing in two Protest Campaigns<br />

in West Germany.<br />

Jürgen Gerhards, Dieter Rucht<br />

Left-Iibertarian Movements in Context: A Comparison of Italy and West<br />

Germany, 1965-1990.<br />

Donatella della Porta, Dieter Rucht<br />

The Political Opportunity Structure of New Sodal Movements: Its Impact<br />

on their Mobilization.<br />

Hanspeter Kriesi<br />

Persönliche Netzwerke und die Mobilisierung politischen Protests: Stand<br />

der Forschung und strukturanalytische Perspektiven.<br />

Thomas Ohlemacher<br />

Öffentliche Kommunikationsbereitschaft. Test eines zentralen Bestandteils<br />

der Theorie der Schweigespirale.<br />

Dieter Fuchs, Jürgen Gerhards, Friedhelm Neidhardt<br />

<strong>Eine</strong> Untersuchung <strong>des</strong> Beitrags politischer Klubs zur Entwicklung einer<br />

<strong>demokratischen</strong> Infrastruktur in Polen - am Beispiel von 'Dziekania'.<br />

(Forschungsbericht)<br />

Helmut Fehr<br />

Parteien, Verbände und Bewegungen als Systeme politischer Interessenvermittlung.<br />

Dieter Rucht<br />

Die Macht der Massenmedien und die Demokratie: Empirische Befunde.<br />

Jürgen Gerhards<br />

Anbieter von öffentlichen politischen Veranstaltungen in West-Berlin.<br />

Barbara Blättert<br />

Nachfrager und wahrgenommenes Angebot von öffentlichen politischen<br />

Veranstaltungen in der Bun<strong>des</strong>republik<br />

Jürgen Gerhards<br />

Support for New Social Movements in Five Western European Countries.<br />

Dieter Fuchs and Dieter Rucht<br />

Dokumentation und Analyse von Protestereignisssen in der Bun<strong>des</strong>republik<br />

Deutschland (Prodat), Codebuch.<br />

Dieter Rucht, Peter Hocke, Thomas Ohlemacher<br />

Social Relays: Micro Mobilization via the Meso-Level.<br />

Thomas Ohlemacher<br />

Westeuropäische Integration und die Schwierigkeiten der Entstehung<br />

einer europäischen Öffentlichkeit.<br />

Jürgen Gerhards


Abteilung 2 "Institutionen und sozialer Wandel"<br />

FS III 90-202<br />

FS III 90-203<br />

FS IH 90-204<br />

FS III 90-205<br />

FS III 91-201<br />

FS III 91-202<br />

FS HI 92-201<br />

FS III 92-202<br />

FS III 92-203<br />

FS III 92-204<br />

FS III 92-205<br />

FS m 92-206<br />

FS HI 93-201<br />

FS III 93-202<br />

Politisches Denken in der Informationsgesellschaft. Zum Zusammenhang<br />

zwischen Fernsehnutzung und Einstellungskonsistenz.<br />

Katrin Voltmer<br />

The Normalization of the Unconventional - Forms of Political Action and<br />

New Social Movements.<br />

Dieter Fuchs<br />

Vielfalt oder strukturierte Komplexität? Zur Institutionalisierung politischer<br />

Spannungslinien im Verbände- und Parteiensystem in der Bun<strong>des</strong>republik<br />

Bernhard Weßels<br />

Zum Wandel politischer Konfliktlmien. Ideologische Gruppierungen und<br />

Wahlverhalten.<br />

Dieter Fuchs<br />

Ein analytisches Schema zur Klassifikation von Politikinhalten,<br />

Edeltraud Roller<br />

Coalition Government in the Federal Republic of Germany: Does Policy<br />

Matter?<br />

Hans-Dieter Klingemann und Andrea Volkens<br />

Trends of Political Support in the Federal Republic of Germany.<br />

Dieter Fuchs<br />

"BubbIe-Up"-Theory or Cascade Model? The Formation of Public Opinion<br />

Towards the EC: Shaky Evidence from Different Empirical Sources.<br />

Bernhard Weßels<br />

Democratization and Constitutional Choices in Czecho-Slovakia, Hungary,<br />

and Poland, 1989-1991.<br />

Arend Lijphart<br />

Bürger und Organisationen - Ost- und Westdeutschland: vereint und doch<br />

verschieden?<br />

Bernhard Weßels<br />

Hermeneutisch-klassifikatorische Inhaltsanalyse - Analysemöglichkeiten<br />

am Beispiel von Leitfadengesprächen zum Wohlfahrtsstaat.<br />

Edeltraud Roller und Rainer Mathes<br />

Ideological Basis of the Market Economy: Attitu<strong>des</strong> Toward Distribution<br />

Principles and the Role of Government in Western and Eastern Germany.<br />

Edeltraud Roller<br />

The Cumbersome Way to Partisan Orientation in a 'New' Democracy: The<br />

Case of the Former GDR.<br />

Max Kaase und Hans-Dieter Klingemann<br />

<strong>Eine</strong> <strong>Metatheorie</strong> <strong>des</strong> <strong>demokratischen</strong> <strong>Prozesses</strong>.<br />

Dieter Fuchs

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