Sächsische Kulinaria und regionale Identität - Landwirtschaft in ...
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Schließlich befürchteten Pessimisten sogar, mit der deutschen E<strong>in</strong>heit von<br />
1870/71 würde man die <strong>regionale</strong>n kul<strong>in</strong>arischen Traditionen ganz zerstören.<br />
Es sche<strong>in</strong>t nicht alle<strong>in</strong> die Sehnsucht nach <strong>Identität</strong> mit e<strong>in</strong>er bestimmten Region<br />
gewesen zu se<strong>in</strong>, sondern vielmehr nach verlorener Bodenständigkeit überhaupt.<br />
Das führte letztendlich zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> sich widersprüchlichen kul<strong>in</strong>arischen<br />
Kettenreaktion.<br />
Die Suche nach Regionalküche, Tradition <strong>und</strong> <strong>Identität</strong>, löste ab den 1870iger<br />
Jahren e<strong>in</strong>e regelrechte Nostalgiewelle aus, unterstützt durch e<strong>in</strong>e Vielzahl von<br />
Kochbüchern.<br />
Zwar existierten schon vorher Kochbücher mit <strong>regionale</strong>m Anspruch wie das<br />
Nürnberger, das Bamberger, das Salzburger oder das Brandenburgische<br />
Kochbuch, aber die enthielten trotz ihres geografischen Titels nur e<strong>in</strong>ige wenige<br />
Gerichte mit <strong>regionale</strong>m Bezug.<br />
E<strong>in</strong>erseits entstanden die sogenannten Heimatkochbücher mit Rezepten der<br />
guten alten Küche <strong>und</strong> der Rückbes<strong>in</strong>nung auf Großmutters traditionelle<br />
Speisen, nämlich die heimatliche Bauernkost, deftig, kräftig, ursprünglich,<br />
natürlich <strong>und</strong> vor allem ges<strong>und</strong>.<br />
Andererseits solche Kochbücher, die sich weniger mit der Vergangenheit<br />
beschäftigten als vielmehr um e<strong>in</strong>e erneuerte Großmutterküche bemüht waren.<br />
Aus der topografischen Zuordnung der Rezepte <strong>in</strong> den Kochbüchern folgt nun<br />
aber noch nicht, dass man daraus gesicherte Aussagen zu speziellen<br />
Speisegewohnheiten e<strong>in</strong>er bestimmten Region ableiten kann.<br />
H<strong>in</strong>ter Buchtiteln wie Die kle<strong>in</strong>e sächsische Köch<strong>in</strong>, Neues sächsisches<br />
Kochbuch oder Das schmeckt <strong>in</strong> Sachsen fanden meist diejenigen <strong>regionale</strong>n<br />
Speisen E<strong>in</strong>gang, die ohneh<strong>in</strong> schon e<strong>in</strong>en gewissen Bekanntheitsgrad besaßen.<br />
Dazu aktiviert man fast <strong>in</strong> Vergessenheit geratene Rohprodukte wie Grünkern,<br />
Buchweizen, Puffbohnen, Top<strong>in</strong>ambur, Past<strong>in</strong>aken, Graupen oder manches<br />
Küchenkraut aus Omas Hausgarten, das <strong>in</strong>zwischen meist nur noch <strong>in</strong><br />
Apotheken erhältlich war.<br />
In der Regel wurden die Rezepte <strong>und</strong> deren Zubereitung <strong>in</strong>haltlich der<br />
jeweiligen Zielgruppe angepasst, nämlich denen, die sie auch kaufen sollten, der<br />
bürgerlichen Hausfrau.<br />
Die überwiegende Mehrzahl der Speisen <strong>in</strong> den damaligen Heimatkochbücher<br />
s<strong>in</strong>d auch nicht für den täglichen familiären Mittags- <strong>und</strong> Abendtisch gedacht,<br />
sondern für den von <strong>regionale</strong>r <strong>Identität</strong> unbee<strong>in</strong>druckten bürgerlichen Haushalt<br />
oder das gehobenere Essen am Wochenende.<br />
E<strong>in</strong>ige bekannte Regionalkochbücher kamen auf kuriose Weise zustande,<br />
beispielsweise das <strong>in</strong> hoher Auflage erschienene Neue bürgerliche KB der<br />
Berta Schneider von 1895, das <strong>in</strong> kurzen Abständen mit identischem Inhalt als<br />
Bonner, Düsseldorfer, Chemnitzer, Dresdner, Leipziger, Flensburger,<br />
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