Sächsische Kulinaria und regionale Identität - Landwirtschaft in ...
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Schon Krünitz beschwört Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er vielbändigen<br />
ökonomischen Enzyklopädie die Vorzüge der heimischen Nahrungsmittel, die<br />
für den Menschen als die gesündesten anzusehen s<strong>in</strong>d.<br />
Die E<strong>in</strong>wohner, empfiehlt Krünitz, würden sich bei E<strong>in</strong>haltung von Mäßigkeit<br />
<strong>und</strong> Genügsamkeit sehr glücklich <strong>und</strong> ges<strong>und</strong> fühlen, wenn sie sich mit den<br />
Nahrungsmitteln begnügen, die ihnen ihr eigener Gr<strong>und</strong> <strong>und</strong> Boden liefere.<br />
H<strong>in</strong>- <strong>und</strong> hergerissen zwischen fremdländischen <strong>und</strong> herkömmlichen Essen, <strong>und</strong><br />
dessen E<strong>in</strong>fluss auf <strong>regionale</strong> <strong>Identität</strong>, war auch der <strong>in</strong> Sachsen e<strong>in</strong>gebürgerte<br />
Gastrosoph Karl Friedrich von Rumohr .<br />
1822 bemängelt er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk Geist der Kochkunst, die deutsche Küche<br />
würde immer mehr von französischen Speisen durchdrungen, was zum<br />
Niedergang der bürgerlichen deutschen Esskultur führen würde.<br />
National soll die Küche se<strong>in</strong>, reich an heimischen Produkten, frei von der<br />
Nachäffung fremder Schlemmerdiktatur wie halbrohem britischen R<strong>in</strong>derbraten<br />
<strong>und</strong> gallischen Hühnergerichten.<br />
Gleichzeitig feiert Rumohr aber die Erf<strong>in</strong>dung der Bouillon als sensationelles<br />
Weltereignis <strong>in</strong> der Kochkunst.<br />
Dabei hat er genau gewusst, dass deren Herstellung e<strong>in</strong>e Idee französischer<br />
Köche war.<br />
Diese Orakelsprüche hat es zu jeder Zeit gegeben, vor Krünitz, Rumohr oder<br />
Moul<strong>in</strong>, <strong>und</strong> auch danach.<br />
Bei genauer Betrachtung s<strong>in</strong>d solche Mahnungen eher unangebracht, vielleicht<br />
auch Panikmache, <strong>in</strong> jedem Fall aber unzutreffend.<br />
Es gibt ke<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>weise darauf, dass die Vermischung <strong>in</strong>ternationaler Zutaten bei<br />
der <strong>regionale</strong>n Speisenherstellung irgendwo bei irgendwem zu<br />
<strong>Identität</strong>sverlusten geführt hätte.<br />
Ganz ohne Bedenken über <strong>Identität</strong>sverluste, vielmehr anerkennend, analysiert<br />
dagegen 1825 der französische Gastrosoph Brillat Savar<strong>in</strong>, dass die <strong>in</strong> den<br />
Pariser Restaurants derzeit verwendeten Lebensmittel <strong>in</strong>zwischen immerh<strong>in</strong> aus<br />
5 Erdteilen <strong>und</strong> 7 europäischen Ländern stammen.<br />
In der französischen Regionalküche wurden seit jeher ganz selbstverständlich<br />
fremde Zutaten verwendet, sie hätte sich gar nicht zu dem entwickeln können,<br />
was sie heute ist.<br />
Auch hierzulande wussten es die kul<strong>in</strong>arischen Realisten schon immer, e<strong>in</strong>e<br />
re<strong>in</strong>rassige deutsche Küche, nur aus wirklich ursprünglich heimischen<br />
Produkten, ist so aufregend wie ungewürzter Kartoffelbrei, wobei selbst die<br />
simple Kartoffel bekanntlich gar nicht zu den urdeutschen Ackergewächsen<br />
gehört.<br />
Nicht erst Kolumbus, schon vor Jahrtausenden brachten Handel, Tourismus,<br />
Kulturaustausch <strong>und</strong> kul<strong>in</strong>arische Neugier fremde Produkte <strong>in</strong> europäische<br />
National- <strong>und</strong> Regionalküchen, ganz abgesehen von religiösen E<strong>in</strong>flüssen, die<br />
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