Sächsische Kulinaria und regionale Identität - Landwirtschaft in ...
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Das Geschmacksempf<strong>in</strong>den hat sich erst über Generationen h<strong>in</strong>weg angepasst,<br />
frei nach dem Motto, man muss das Nützliche irgendwann mit dem<br />
Angenehmen verb<strong>in</strong>den.<br />
Die Speisen der Bevölkerungsmehrheit bestanden hauptsächlich aus<br />
ortstypischen <strong>und</strong> unspektakulären hausgemachten Produkten <strong>und</strong> war<br />
weitestgehend ziemlich vegetarisch, von Sonn-, Feiertagen abgesehen.<br />
Die These, Hunger sei der beste Koch, war schon immer falsch, er macht<br />
höchstens wahllos.<br />
Beispielsweise standen für die erzgebirgische Küche 1850 hauptsächlich<br />
Kartoffeln, Haferbrot, Sauermilch, Obst, Pilze, Beeren, Kohl <strong>und</strong> Sonntags<br />
etwas Fleisch zur Verfügung.<br />
Das trifft genauso auf die meisten anderen Regionen Deutschlands zu.<br />
Wenn me<strong>in</strong>e Mutter früher Fleisch gekocht hätte, wäre ich zuhause<br />
geblieben, gestand der 15 jährige Johann Sebastian Bach, als er 1700 nach<br />
Lüneburg zum Studium g<strong>in</strong>g.<br />
Man war froh, überhaupt genügend Brot, Käse, Mehl, Eier, Butter, Kohl,<br />
Zwiebeln <strong>und</strong> Milch vorrätig zu haben.<br />
Zur Zeit August des Starken, schreibt Professor Czok <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Charakteristik<br />
Sachsens, aß das Volk, was ihm der Augenblick zum Überleben bot.<br />
Das typisch sächsische oder schlesische Her<strong>in</strong>gshäckerle wurde nicht etwa als<br />
Gaumengenuss erf<strong>und</strong>en, sondern mit Gurke, gehacktem Ei <strong>und</strong> Zwiebeln<br />
gestreckt, um den ohneh<strong>in</strong> schon billigen Her<strong>in</strong>gsanteil möglichst ger<strong>in</strong>g <strong>und</strong><br />
damit die Kosten niedrig zu halten.<br />
Selbst die Zugehörigkeit zu e<strong>in</strong>er wohlhabenderen Bevölkerungsschicht<br />
garantierte über Jahrh<strong>und</strong>erte h<strong>in</strong>weg noch ke<strong>in</strong> besseres Essen.<br />
E<strong>in</strong>ige Kulturhistoriker s<strong>in</strong>d überzeugt davon, Regionalgerichte enthalten nicht<br />
nur fremde Lebensmittel, sie s<strong>in</strong>d überhaupt erst mit dem Import<br />
fremdländischer Nahrungs- <strong>und</strong> Genussmittel <strong>und</strong> deren regional<br />
unterschiedliche Verarbeitung entstanden.<br />
Die Annahme, Speisen der Heimatküche seien nur aus Produkten hergestellt<br />
worden, die ums Haus herum wuchsen oder im Stall um die Ecke standen, ist<br />
noch immer e<strong>in</strong> weit verbreiteter Irrtum.<br />
Die Geschichte der Esskultur zeigt, dass es kaum echte nationale oder <strong>regionale</strong><br />
Küchen ohne fremde E<strong>in</strong>flüsse gegeben hat.<br />
Was als lokale Tradition von den Volksk<strong>und</strong>lern als Inbegriff von Heimatspeise<br />
<strong>und</strong> <strong>regionale</strong>r <strong>Identität</strong> verklärt wurde, ist erst nach <strong>und</strong> nach unter Verwendung<br />
ausländische Rohprodukte <strong>und</strong> Kochtechniken <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit örtlichen<br />
Gegebenheiten entstanden.<br />
Auch e<strong>in</strong>e <strong>regionale</strong> Urküche hat es nie gegeben. Die meisten<br />
Großmuttergerichte s<strong>in</strong>d kaum älter als 150 Jahre <strong>und</strong> wurden vor 100 Jahren<br />
noch ganz anders zubereitet als heute.<br />
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