SEPTEMBER 2013 Prince Avalanche Almut Klotz Paperboy ... - Pony
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C o m i c t h e o r i e<br />
Wiederholen und Werden<br />
Comics als Parodien der Vorstellung eines Originals: Jonas Engelmanns<br />
hoffentlich neues Standardwerk der Comictheorie „Gerahmter Diskurs.<br />
Gesellschaftsbilder im Independent-Comic“.<br />
Sven Jachmann<br />
Obwohl sich der deutschsprachige Comicmarkt in puncto Vielfalt seit einigen<br />
Jahren zu neuen Höhen aufschwingt, gilt das für Publikationen einer begleitenden<br />
Comictheorie nur bedingt. Der jährliche Ausstoß an Readern, Monografien,<br />
historischen Grundlagenwerken und analytischen Einführungen geht<br />
über den zweistelligen Bereich nicht hinaus. Jonas Engelmann, Literaturwissenschaftler,<br />
Kulturjournalist und Mitinhaber des Mainzer Ventil-Verlags, hat nun<br />
seine Doktorarbeit über „Gesellschaftsbilder im Independent-Comic“ veröffentlicht,<br />
und – Achtung: kontrafaktische Spielerei! – selbst wenn die deutschsprachige<br />
Comicforschung so viele Adepten hervorbringen würde wie die<br />
Wirtschaftswissenschaften Kapitalismusapologeten, zählte Engelmanns Arbeit<br />
zum mit Abstand Besten, was Comictheorie zu leisten imstande ist.<br />
Engelmanns wichtigster Stichwortgeber ist Ole Frahm. Dessen 2010 erschienenes<br />
Buch „Die Sprache der Comics“ (Philo Fine Arts) ist ebenfalls ein comictheoretischer<br />
Glücksfall. Beide Autoren sind sich einig in der Annahme, die Ankunft<br />
des Comics im Kulturbetrieb sei ein eher zweifelhafter Segen, weil die<br />
Adaption bürgerlicher Kunstbegriffe zur Beschreibung und Definition des Mediums<br />
seine strukturellen Eigenarten grundlegend verkenne. Die Forschung<br />
werde dominiert von einem teleologischen Geschichtsverständnis sowie einer<br />
Fixierung auf formale Erzählmethoden. Man stelle sich einmal vor, die kritische<br />
Analyse eines Film würde aus der Identifizierung des Einsatzes von Zooms,<br />
Reißschwenks und ihrer narrativen Verbindung bestehen – absurd.<br />
13<br />
Sehnsucht nach Identität<br />
Was bei bürgerlichen Kunstkategorien wie Avantgarde, Werk,<br />
Identität oder Original auf der Strecke bleibe, sei die „parodistische<br />
Ästhetik“ des Comics, die für Frahm wie Engelmann sein<br />
„Wesen“ auszeichnet. Weil der Comic prinzipiell mittels Unabgeschlossenheit<br />
und Wiederholung operiert – aufgrund seiner<br />
massenmedialen Herkunft, der Kluft zwischen den Zeichenebenen<br />
Bild und Text, der mit Bedeutung zu füllenden Lücke zwischen<br />
den Panels, den handlungsleitenden Figuren, die von Bild<br />
zu Bild stets nur die gleichen, niemals dieselben sind, der strukturellen<br />
Wiederholung im inhaltlichen Kontext der Panels, der Seite<br />
und des gesamten Albums etc. –, lasse er „die Sehnsucht nach<br />
Identität, einem Original oder der Wahrheit ins Leere laufen“. „Comics sind<br />
(…) Parodien der Vorstellung eines Originals, in denen die Konstruiertheit sinnhafter<br />
Ordnungen sichtbar wird.“ Die Folge: „Eine spezifische Selbstreflexivität,<br />
in der Kämpfe um Deutungsmacht und Wahrheit ausgetragen werden.“ Ich<br />
möchte glatt behaupten, dass man mit solcherart politischer Relektüre von Comicästhetik<br />
und Comicgeschichte am Tisch deutschsprachiger Comicforschung<br />
schnell ziemlich einsam dasitzt.<br />
Penibel arbeitet Engelmann sich durch die Rezeptions- und Definitionsgeschichte<br />
des Comics und bietet zugleich eine ideale Einführung, die nicht mit<br />
Überraschungen geizt: Wer hätte hinter dem allseits als Comicfresser verschrieenen<br />
Psychiater und jüdischen Münchner Immigranten Fredric Wertham<br />
einen Vertreter der Kritischen Theorie erwartet, dessen bis heute als Zensurtraktat<br />
missverstandene Untersuchung „Seduction of the Innocent“ von 1954<br />
weniger die Rettung des Abendlandes vor dem Comicschund, als die sich im<br />
Comic spiegelnden Deformationen von Gesellschaftsbildern im Blick hatte?<br />
Seine theoretischen Grundlagen und analytischen Zentralbegriffe „Wiederholung“<br />
und „Werden“ entwickelt Engelmann zunächst exemplarisch anhand<br />
von Art Spiegelmans „In the Shadow of No Tower“, einer Erzählung über 9/11.<br />
Engelmanns Thesen lauten: Weil der Comic Wirklichkeit nur verfremdet dar-