28.12.2013 Aufrufe

SEPTEMBER 2013 Prince Avalanche Almut Klotz Paperboy ... - Pony

SEPTEMBER 2013 Prince Avalanche Almut Klotz Paperboy ... - Pony

SEPTEMBER 2013 Prince Avalanche Almut Klotz Paperboy ... - Pony

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

C o m i c t h e o r i e<br />

Wiederholen und Werden<br />

Comics als Parodien der Vorstellung eines Originals: Jonas Engelmanns<br />

hoffentlich neues Standardwerk der Comictheorie „Gerahmter Diskurs.<br />

Gesellschaftsbilder im Independent-Comic“.<br />

Sven Jachmann<br />

Obwohl sich der deutschsprachige Comicmarkt in puncto Vielfalt seit einigen<br />

Jahren zu neuen Höhen aufschwingt, gilt das für Publikationen einer begleitenden<br />

Comictheorie nur bedingt. Der jährliche Ausstoß an Readern, Monografien,<br />

historischen Grundlagenwerken und analytischen Einführungen geht<br />

über den zweistelligen Bereich nicht hinaus. Jonas Engelmann, Literaturwissenschaftler,<br />

Kulturjournalist und Mitinhaber des Mainzer Ventil-Verlags, hat nun<br />

seine Doktorarbeit über „Gesellschaftsbilder im Independent-Comic“ veröffentlicht,<br />

und – Achtung: kontrafaktische Spielerei! – selbst wenn die deutschsprachige<br />

Comicforschung so viele Adepten hervorbringen würde wie die<br />

Wirtschaftswissenschaften Kapitalismusapologeten, zählte Engelmanns Arbeit<br />

zum mit Abstand Besten, was Comictheorie zu leisten imstande ist.<br />

Engelmanns wichtigster Stichwortgeber ist Ole Frahm. Dessen 2010 erschienenes<br />

Buch „Die Sprache der Comics“ (Philo Fine Arts) ist ebenfalls ein comictheoretischer<br />

Glücksfall. Beide Autoren sind sich einig in der Annahme, die Ankunft<br />

des Comics im Kulturbetrieb sei ein eher zweifelhafter Segen, weil die<br />

Adaption bürgerlicher Kunstbegriffe zur Beschreibung und Definition des Mediums<br />

seine strukturellen Eigenarten grundlegend verkenne. Die Forschung<br />

werde dominiert von einem teleologischen Geschichtsverständnis sowie einer<br />

Fixierung auf formale Erzählmethoden. Man stelle sich einmal vor, die kritische<br />

Analyse eines Film würde aus der Identifizierung des Einsatzes von Zooms,<br />

Reißschwenks und ihrer narrativen Verbindung bestehen – absurd.<br />

13<br />

Sehnsucht nach Identität<br />

Was bei bürgerlichen Kunstkategorien wie Avantgarde, Werk,<br />

Identität oder Original auf der Strecke bleibe, sei die „parodistische<br />

Ästhetik“ des Comics, die für Frahm wie Engelmann sein<br />

„Wesen“ auszeichnet. Weil der Comic prinzipiell mittels Unabgeschlossenheit<br />

und Wiederholung operiert – aufgrund seiner<br />

massenmedialen Herkunft, der Kluft zwischen den Zeichenebenen<br />

Bild und Text, der mit Bedeutung zu füllenden Lücke zwischen<br />

den Panels, den handlungsleitenden Figuren, die von Bild<br />

zu Bild stets nur die gleichen, niemals dieselben sind, der strukturellen<br />

Wiederholung im inhaltlichen Kontext der Panels, der Seite<br />

und des gesamten Albums etc. –, lasse er „die Sehnsucht nach<br />

Identität, einem Original oder der Wahrheit ins Leere laufen“. „Comics sind<br />

(…) Parodien der Vorstellung eines Originals, in denen die Konstruiertheit sinnhafter<br />

Ordnungen sichtbar wird.“ Die Folge: „Eine spezifische Selbstreflexivität,<br />

in der Kämpfe um Deutungsmacht und Wahrheit ausgetragen werden.“ Ich<br />

möchte glatt behaupten, dass man mit solcherart politischer Relektüre von Comicästhetik<br />

und Comicgeschichte am Tisch deutschsprachiger Comicforschung<br />

schnell ziemlich einsam dasitzt.<br />

Penibel arbeitet Engelmann sich durch die Rezeptions- und Definitionsgeschichte<br />

des Comics und bietet zugleich eine ideale Einführung, die nicht mit<br />

Überraschungen geizt: Wer hätte hinter dem allseits als Comicfresser verschrieenen<br />

Psychiater und jüdischen Münchner Immigranten Fredric Wertham<br />

einen Vertreter der Kritischen Theorie erwartet, dessen bis heute als Zensurtraktat<br />

missverstandene Untersuchung „Seduction of the Innocent“ von 1954<br />

weniger die Rettung des Abendlandes vor dem Comicschund, als die sich im<br />

Comic spiegelnden Deformationen von Gesellschaftsbildern im Blick hatte?<br />

Seine theoretischen Grundlagen und analytischen Zentralbegriffe „Wiederholung“<br />

und „Werden“ entwickelt Engelmann zunächst exemplarisch anhand<br />

von Art Spiegelmans „In the Shadow of No Tower“, einer Erzählung über 9/11.<br />

Engelmanns Thesen lauten: Weil der Comic Wirklichkeit nur verfremdet dar-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!