SEPTEMBER 2013 Prince Avalanche Almut Klotz Paperboy ... - Pony
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P o r t r a i t<br />
Geh in das Licht<br />
<strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong> war eine souveräne und romantische Frau.<br />
Christof Meueler<br />
Es ist ein komisches Gefühl, die neue Platte von <strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong> zu hören. Jetzt, da<br />
sie tot ist. Da drauf ist ein Hammer-Gospel, den ihr Ehemann Reverend Christian<br />
Dabeler singt: „Geh in das Licht / und verirre dich nicht dabei / geh in das<br />
Licht / und sei frei.“ Wir sind doch Atheisten, Materialisten, Rationalisten und<br />
kriegen die Augen nass. Blödsinn, es gibt keine Jenseits-Lichter, aber es gibt<br />
diese Platte, „Lass die Lady rein“, benannt nach einer Busbahnhof-Episode, als<br />
<strong>Klotz</strong> auf dem Weg zu Dabeler war. Und wenn sie im nächsten Lied davon singt,<br />
„dass die Beschissenheit der Dinge / und die ganzen Hässlichkeiten / ohne dich<br />
noch viel schlimmer sind“, dann denkt man unweigerlich, dass sich das auch<br />
über sie sagen lässt. Unabhängig davon ist es ein schönes Liebeslied.<br />
Mit lustigem Ernst<br />
Am 23. August ist die Platte rausgekommen, am 14. August ist <strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong> an<br />
Krebs gestorben, mit 51 Jahren. Die Krankheit hat sie bekämpft, immer wieder.<br />
Kürzlich hat sie den Reverend geheiratet, das Album aufgenommen, das Label<br />
gewechselt, die Ärzte getauscht, für September eine Tour gebucht. „Vielleicht<br />
gibt es irgendwo einen Sinn / und irgendwer weiß den Weg dahin, / wo Liebe<br />
wohnt (...) weil kein Tag ohne Liebe sich lohnt“ singt sie in einer epochalen Version<br />
des alten Schlagers „Oh, wann kommst du?“, mit viel mehr Dringlichkeit,<br />
aber auch größerer Sensibilität, als es Daliah Lavi 1970 getan hat. Das ist sozusagen<br />
die erwachsene Korrektur von „Liebe wird oft überbewertet / Liebe ist<br />
nicht so wichtig / wie man denkt“, dem Parolen-Hit der Lassie Singers, <strong>Almut</strong>s<br />
alter Band. In der Nacht vor der Hochzeit hat sich der Reverend am Hamburger<br />
Elbstrand allein mit Schnaps betrunken. Heiraten, was für eine Idee! Eine sehr<br />
wichtige. „Lass die Lady rein“ ist ein imposantes Soul-Album geworden, sparsam<br />
akzentuiert. Keine Bläser, aber eine süffige Orgel und ein dramaturgisch<br />
stets überzeugendes Schlagzeug. Südstaaten-Soul: Alex Chilton, Booker T., Rufus<br />
Thomas und eben <strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong> und Reverend Dabler, die sich hier die Gesangsparts<br />
teilen und alle Instrumente spielen.<br />
Als sie jung war, hat <strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong> düsteres Zeug gehört: Nick Cave, Joy Division,<br />
Tuxedomoon oder Suicide. Das war der Lederjackensound der mittleren achtziger<br />
Jahre, als sie aus dem Schwarzwald nach Westberlin kam, wo die Apocalypse<br />
gerne betrunken beschworen wurde, vorrangig von „männlichen Mitmenschen“,<br />
von denen die Lassie Singers später sangen. „Immer schön kompliziert<br />
/ und dann zwei Whiskey / und dann aber schnell nach Hause!“ Ja, das war das<br />
„Leben an der Bar“, das die Lassie Singers zu einer Mitsing-Soziologie verar-<br />
beiteten, gegen die Ignoranz als Livestyle, die in den damaligen Szene-Kneipen<br />
vorherrschte. Manche ihrer Texte wurden zu geflügelten Worten wie die Lieder<br />
des von ihnen verehrten Rio Reiser. Anfangs jedoch wurden sie als „Schlagerscheiße“<br />
verachtet, kein einziges Indielabel wollte ihre Anti-Macho-Musik herausbringen.<br />
Den universellen Hitcharakter verstand, ähnlich wie ihr Hamburger<br />
Pendant Die Braut haut ins Auge, nur die Industrie. In der entstehenden Hamburger<br />
Schule, der sich die Lassie Singers in Berlin zurechneten, waren sie die<br />
weiblichen Außenseiter, ausgestattet mit einem lustigen Ernst, der den meisten<br />
Musikermännern gänzlich abging.<br />
17<br />
Am Strand, in den Dünen<br />
Zusammen mit ihrer Bandfreundin Christiane Rösinger, einer weiteren badischen<br />
Exilantin, praktizierte <strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong> einen genialen Feminismus, auf den<br />
Punkt genau und in der Schärfe noch heiter. Nach der Auflösung der Lassie Singers<br />
gründeten beide 1998 Flittchen Records, hedonistischerweise ein Label<br />
mit angeschlossenem Barbetrieb: Jeden Mittwoch luden sie in der Berliner Maria<br />
am Ostbahnhof zur Flittchenbar. Eine Keimzelle des deutschen Untergrunds,<br />
die Musik war live oder kam vom Kassettenrekorder auf dem Tresen. Flittchen<br />
Records war das erste feministisch orientierte Label in Deutschland, das pionierhaft<br />
den Sampler „Stolz und Vorurteil“ mit ausschließlich weiblich dominierten<br />
Bands rausbrachte, Untertitel: „A Compilation of Female Gesang, Gitarren<br />
und Elektronik“. An der Gründung der ersten deutschen Riot Grrrl Band,<br />
Parole Trixi, war <strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong> ebenfalls beteiligt. Anfangs war sie dort die einzige<br />
Musikerin, die singen und Gitarre spielen konnte. Das war auch so, als sie<br />
den Popchor Berlin aus der Taufe hob und bis zu 30 Leute aus dem kreativen<br />
Prekariat versammelte, mit denen sie Lieder als Lebenshilfe (von Cure, Smiths<br />
oder Missy Elliott) einstudierte. Eine ebenso lässige wie große Sache, getragen<br />
vom Charme der <strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong>. Der bewegt auch ihre Texte, die sie gut dosiert<br />
in Zeitungen veröffentlichte. Mit dem Reverend machte sie zwei Bücher<br />
beim Mainzer Ventilverlag, einen Zukunftsroman und eine Story-Sammlung.<br />
Wenn sie verreiste, fuhr sie gern ans Meer, und weil sie eine ebenso souveräne<br />
wie romantische Frau war, schlief sie da, wo es am schönsten ist: am Strand,<br />
in den Dünen.<br />
Der Artikel ist ein Nachdruck aus der Tageszeitung „Junge Welt“ – mit freundlicher Genehmigung der<br />
Redaktion.<br />
<strong>Almut</strong> <strong>Klotz</strong> &<br />
Reverend Dabeler:<br />
„Lass die Lady<br />
rein“ (Staatsakt/<br />
Indigo)