SEPTEMBER 2013 Prince Avalanche Almut Klotz Paperboy ... - Pony
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Die Platte<br />
am Anfang<br />
No Age<br />
An Object Sub Pop/Cargo Records<br />
Michael Saager<br />
Als „No Age“, eine Doppel-LP mit Instrumentalstücken<br />
von Black Flag, Blind<br />
Idiot God, Universal Congress Of und<br />
Gone 1987 bei SST Records erschien,<br />
war die wilde Phase des 1978 vom genialen<br />
Black-Flag-Gitarristen Greg Ginn gegründeten<br />
Plattenlabels schon ein Weilchen vorbei. Mit<br />
der Veröffentlichung von über 80 Tonträgern allein im Jahr<br />
1987 befand SST sich auf dem Sprung zum Majorlabel; und<br />
nur vier Jahre später, unter anderem sündhaft teurer Urheberrechtsstreitigkeiten<br />
wegen, auf dem Weg in den Ruin.<br />
Von den zahlreichen Möglichkeiten junger Bands, der Vergangenheit<br />
Reverenz zu erweisen, hat sich das 2005 auf<br />
den Trümmern der SST-Hardcore-Epigonen Wives gegründete<br />
Duo No Age eine der schönsten ausgesucht: Liebevolle<br />
Erinnerungsarbeit zu leisten, indem man sich nach einem<br />
Sampler benennt, der vollkommen anders klingt als<br />
man selbst und den, so viel Nerdtum muss erlaubt sein,<br />
schon 1987 kaum ein Schwein kannte – das hat Charme.<br />
Charme ist nicht das schlechteste Stichwort, um den dynamischen<br />
Krachtüftelsound von Gitarrist Randy Randall und<br />
den lässig Vokale zerdehnenden Sänger und Schlagzeuger<br />
Dean Spunt zu skizzieren. Als die in Los Angeles lebenden<br />
Musiker 2008 von Fat Cat zu jenem Label gewechselt waren,<br />
das, im Zuge der Grunge-Goldgräberstimmung zum<br />
Beinahe-Major aufgepumpt, seinem eigenen Größenwahn<br />
um ein Haar zum Opfer gefallen wäre, schrieb ein hocherfreuter<br />
Martin Büsser: „Sie sind das Quirligste, Ungestümste<br />
und Radikalste, was Sub Pop an Neuzugängen zu<br />
bieten hat.“<br />
Auf ihrem vierten Album „An Object“ haben sich No Age<br />
von der ungestümen, mitunter selbstzerstörerischen Wildheit<br />
der frühen Phase bislang am deutlichsten entfernt.<br />
Der Ramones-selige, der Brooklyner Zwei-Mann-Band Japanther<br />
nicht unähnliche Kokainpunk wird an der kurzen<br />
Leine gehalten. Selbstverständlich dröhnt, brummt und<br />
bollert „An Object“ allemal laut und interessant genug.<br />
Man könnte sich die Platte als ein mit grobem Sandpapier<br />
bearbeitetes, durch krispelnde Drones, satte Feedbackschleifen<br />
und allerlei erlesene Verfremdungseffekte rhizomartig<br />
zum Wuchern gebrachtes, allerdings eher nachdenklich<br />
lärmendes und eben nur selten hyperaktiv gehetzt<br />
wirkendes intelligentes Wesen mit gutem Gedächtnis<br />
und leichtem Hang zu Nostalgie vorstellen.<br />
Zwar erkennt ein jeder, was er am liebsten erinnert. Dass<br />
dem Rezensenten beim Anhören dieses ziemlich großartigen<br />
Albums mit Flipper, Mission of Burma, Feedtime, Sonic<br />
Youth, Spacemen 3 und Loop prompt die tollsten Noise-Art-Experimentatoren<br />
und stursten Spacerock-Wiedergänger<br />
einfallen, kann aber doch kein Zufall sein. Eher<br />
schon etwas, das es gar nicht gibt: glückliche Fügung.<br />
Roy Harper<br />
Man & Myth<br />
Bella Union/Coop/PIAS<br />
Markus von Schwerin<br />
Aufmerksamen Fans von Joanna Newsom<br />
dürfte Newsoms Engagement für<br />
den britischen Proto-Free-Folker Roy Harper<br />
kaum entgangen sein. Harpers Ausschweifungen<br />
im Narrativen wie auch<br />
beim Gesang (mal brummt er wie Bert<br />
Jansch, mal kippt die Stimme ins scharfe Falsett) haben die<br />
Harfenistin stark beeinflusst.<br />
Als die Kalifornierin 2010 durch England tourte, war Harper<br />
Newsoms Special Guest; sie spielte ihrerseits bei seiner Geburtstagsgala<br />
zum Siebzigsten auf. Das tat auch ihr Landsmann<br />
Jonathan Wilson, AOR-Folkrock-Revivalist mit Grunge-<br />
Vergangenheit, dessen Solodebüt von 2011 sich solcher Beliebtheit<br />
erfreute, dass er Paten wie Graham Nash oder die<br />
noch lebenden Mitglieder von Grateful Dead in sein Vintage-Studio<br />
locken konnte. Auch Roy Harper schlug die Offerte<br />
nicht aus, was die Vollendung seines ersten neuen Albums<br />
seit dreizehn Jahren zumindest beschleunigte.<br />
Allerdings sind jene Lieder auf „Man & Myth“, die das Charakteristische<br />
an John Peels Lieblingskauz besonders schön<br />
hervorheben, allesamt in Harpers Heimstudio im irischen<br />
Cork entstanden. Und während so das von Wilson produzierte<br />
„Cloud Cuckooland“ über maulendes Lamentieren<br />
(„We are condemned to make the same mistakes all over<br />
again“) nicht hinausgeht und dabei so uninspiriert rockt wie<br />
Neil Young zu schlechten Zeiten, vermag „January Man“ in<br />
seinem entspannten Duktus, nur unterlegt von offenen Akkorden<br />
und dezentem Streicherarrangement, an Harpers<br />
Meisterballade „Commune“ anzuknüpfen. Die Vermutung,<br />
dass Zeilen wie „With you on my mind / Your words in rewind<br />
/ On eternal replay“ die folgenreiche Begegnung mit Joanna<br />
Newsom, Harpers fast vierzig Jahre jüngerer Schwester im<br />
Geiste, verarbeiten, erscheint da nicht allzu abwegig.<br />
Rocketnumbernine<br />
Me You We You Smalltown Supersound/Rough Trade<br />
Ulrich Kriest<br />
Tom und Ben sind Brüder aus London,<br />
mit Nachnamen heißen sie Page. Ben<br />
spielt allerlei analoge Keyboards und Tom<br />
ziemlich gut Schlagzeug. Als Four-Tet-<br />
Mastermind Kieran Hebden sich vor ein<br />
paar Jahren die mittlerweile verstorbene<br />
Schlagzeug-Legende Steve Reid schnappte, um ein ähnlich<br />
musizierendes Duo auf die Beine zu stellen, waren die Brüder<br />
Page derart begeistert, dass sie ihrerseits mit Reid zu<br />
arbeiten begannen und Hebden zum Mentor erkoren.<br />
Gemeinsam ertüftelte man Sounds – spartanisch, druckvoll,<br />
präzise, irgendwo zwischen Dance und Punk und Electronica,<br />
gern im schmierig-hypnotischem Midtempo. In<br />
den besten Momenten kommt noch eine Prise Astral- und<br />
Afro-Jazz ins Spiel. Rocket Number Nine kollaborierten mit<br />
Four Tet, begleiteten Radiohead auf Tour und veröffentlichten<br />
ausgeschlafene Tracks wie „Rotunda“ oder „Lope“,<br />
die allesamt einen interessierten Blick zurück in die frühen<br />
90er Jahre werfen. Oder „Matthew and Toby“: ein bestens<br />
abgehangener Achtminüter zwischen Afrika und Detroit,<br />
der unvermittelt rockig wird. Schräg und schön.<br />
Das Album „Me You We You“ versammelt die genannten<br />
Tracks sowie sechs weitere. Es ist so etwas wie ein erster größerer<br />
Arbeitsbericht. Auf der Website von Rocketnumbernine<br />
ist ein Konzertbericht des Autors Luke Holloway gepostet: „Rocketnumbernine<br />
readily take everything you think you know<br />
about dance music and leave the whole nonsense in their shattered<br />
groove-groping wake. The drummer plays (and looks) like<br />
Keith Moon’s son, if you left him in a room full of narcotics and<br />
an UNKLE-CD.“ Klingt ziemlich vielversprechend, oder?<br />
Future Bible Heroes<br />
Partygoing Merge/Cargo Record<br />
Michael Saager<br />
Was macht der amerikanische Songwriter<br />
Stephin Merritt, wenn er gerade keine<br />
zauberhafte Lo-Fi-Pop-Platte für sein<br />
Lieblingsprojekt, die sagenhaften The<br />
Magnetic Fields, einspielt? Dann schreibt<br />
der Mann mit dem herzergreifend charismatischen<br />
Brummbariton möglicherweise zauberhafte<br />
Electropop-Songs für sein anderes Lieblingsprojekt,<br />
die sagenhaften Future Bible Heroes, deren drittes Album<br />
„Partygoing“ kürzlich erschienen ist.<br />
Auf „Partygoing“, wie auch auf den beiden zuvor veröffentlichten<br />
Alben der 1995 gegründeten Future Bible Heroes,<br />
hält Merritt sich fern von der Vielzahl an Instrumenten,<br />
die er sonst zu spielen pflegt. Und überlässt zwar nicht<br />
das Schreiben der Songs und das Texten augenzwinkernd<br />
misanthropischer Gemeinheiten, wohl aber das Instrumentieren<br />
und Arrangieren der melancholischen Miniaturhymnen<br />
dem Einfallsreichtum von Keyboarder Chris Ewen.<br />
Ewen hat ein kaum zu überhörendes Faible für die unterkühlt<br />
sehnsuchtsvolle, an großstädtische Verlorenheit und<br />
Neonreklame bei Nacht erinnernde 80er-Wavepop-Synthetik,<br />
wie man sie von OMD, den frühen Neon Judgement<br />
und von Human League kennt. Merritt wiederum teilt sich<br />
den Gesang mit Claudia Gonson, deren Stimme bei weitem<br />
nicht so ätherisch-sexy klingt wie die von Merritts Magnetic-Fields-Partnerin<br />
Shirly Simms. Macht aber nichts, Gonsons<br />
Gesang ist nämlich auch toll, ihr Timbre dunkler, herber,<br />
wissender. Eine kluge Frau, bei der Geheimnisse aller<br />
Art gut aufgehoben wären. Jedenfalls hört sie sich so an.<br />
Franz Ferdinand<br />
Right Thoughts, Right Words, Right Action<br />
Domino/Good to go<br />
Michael Saager<br />
„Tonight: Franz Ferdinand“ (2009) war wie<br />
ein müder, sehr angestrengter Ackergaul<br />
in der Disco. Traurig fragte man sich damals,<br />
wie es hätte aussehen können, das<br />
perfekte, rundum glücklich machende Album<br />
Franz Ferdinands. Und hatte keinen<br />
Schimmer. Heute, wo der Hipster-Glitter der Band komplett<br />
ab ist, fragt man sich das nicht mehr. Zum Glück fürs irgendwie<br />
ganz nette vierte Album Franz Ferdinands. Das hat ein<br />
paar hübsche Melodien, und man kann dazu in der Indie-<br />
Disco tanzen. Es ist nicht so verkrampft wie das dritte. Und<br />
irgendwo da draußen wird es Menschen geben, die es richtig<br />
super finden. Die haben Glück, oder etwas ähnliches.<br />
22 tonträger