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Antiziganismus – Vergangenheit und Gegenwart - Amadeu Antonio ...

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erschießt sechs Angehörige einer Roma-Familie | Juni 2011, Leverkusen: Mo<br />

Ceija Stojka:<br />

Arbeit aus dem Zyklus:<br />

»Sogar der Tod hat Angst<br />

vor Auschwitz«<br />

Quelle: Reconsidering<br />

Roma<br />

Bis zum Völkermord<br />

Antisemitismus <strong>und</strong> <strong>Antiziganismus</strong><br />

Anders als der Antisemitismus ist der<br />

<strong>Antiziganismus</strong> noch nicht intensiv<br />

erforscht worden. Dabei weisen beide<br />

Ideologien viele Ähnlichkeiten auf. Und<br />

sowohl an Juden als auch an Sinti <strong>und</strong><br />

Roma ist während des Nationalsozialismus<br />

ein intendierter <strong>und</strong> rassistisch<br />

motivierter Völkermord begangen<br />

worden. Doch die Vergleichbarkeit der<br />

Ideologien <strong>und</strong> des Völkermordes ist<br />

in Forschung <strong>und</strong> Öffentlichkeit umstritten.<br />

von Wolfgang Wippermann<br />

tt<br />

Der vermutlich vom Hamburger Journalisten<br />

Wilhelm Marr im Jahr 1878 erf<strong>und</strong>ene<br />

Begriff des »Antisemitismus« bedeutet eigentlich<br />

anti-Semitismus, beziehungsweise anti-<br />

Semitentum. Doch das gibt es ebenso wenig<br />

wie »die Semiten.« Die nach einem Sohn<br />

Noahs so genannten Semiten sind kein Volk.<br />

Sie unterscheiden sich sowohl in ethnischer<br />

wie kultureller <strong>und</strong> religiöser Hinsicht voneinander.<br />

Nur ihre Sprachen weisen einige<br />

Gemeinsamkeiten auf. LinguistInnen sprechen<br />

daher von einer »semitischen Sprachfamilie.«<br />

Zu ihr gehören neben dem Hebräischen das<br />

Arabische, Aramäische <strong>und</strong> verschiedene<br />

weitere Sprachen, die im vorderasiatischen<br />

Raum gesprochen wurden <strong>und</strong> zum Teil noch<br />

werden. Mit dem Hinweis auf diese semitische<br />

Sprachfamilie wurde die Existenz eines<br />

»Semitentums« oder gar einer »semitischen<br />

Rasse« konstruiert.<br />

Die so konstruierte »semitische« wurde<br />

gleichzeitig von der »arischen Rasse« abgegrenzt,<br />

die wiederum mit dem Hinweis auf<br />

eine weitere Sprachfamilie konstruiert wurde:<br />

die indoeuropäische. Zur »indoeuropäischen<br />

Sprachfamilie« werden neben dem altindischen<br />

Sanskrit <strong>und</strong> dem modernen Hindi die<br />

in Europa gesprochenen germanischen, romanischen<br />

<strong>und</strong> slawischen Sprachen gezählt.<br />

Nicht zur indoeuropäischen Sprachfamilie<br />

gehören das Baskische, Estnische, Finnische<br />

<strong>und</strong> Ungarische. Unnötig zu erwähnen ist,<br />

dass die Angehörigen dieser europäischen<br />

Sprachfamilien bis auf die christliche Religion<br />

kaum etwas miteinander gemein haben. Auf<br />

jeden Fall nicht die Zugehörigkeit zu einer<br />

»Rasse«.<br />

Formen des Antisemitismus ...<br />

tt<br />

Insgesamt handelt es sich beim Begriff »Antisemitismus«<br />

um ein völlig falsches, ideologisches<br />

Konstrukt. Dennoch ist der Begriff von<br />

der internationalen Forschung übernommen<br />

<strong>und</strong> zur Bezeichnung der Judenfeindschaft<br />

verwandt worden. Sie besteht aus religiösen,<br />

sozialen, politischen <strong>und</strong> rassistischen Feindbildern,<br />

Ideologien <strong>und</strong> Vorurteilen. Die ersten<br />

<strong>und</strong> bis heute wirkungsvollsten waren die<br />

religiösen, vor allem die christlichen. Der christliche<br />

Antisemitismus ist von Paulus <strong>und</strong> den<br />

Evangelisten (vor allem von Johannes) erf<strong>und</strong>en,<br />

von den Kirchenvätern, Päpsten <strong>und</strong><br />

mittelalterlichen Theologen weiter entwickelt<br />

<strong>und</strong> vom Kirchenvolk geglaubt worden. Er<br />

besteht aus folgenden Elementen <strong>und</strong> Vorwürfen,<br />

die zum überwiegenden Teil bereits<br />

im Neuen Testament enthalten sind, das so<br />

etwas wie die 'Bibel des christlichen Antisemitismus'<br />

ist: »Die Juden« haben Jesus nicht als<br />

Messias anerkannt, sich gegen ihn verschworen<br />

<strong>und</strong> nach dem Leben getrachtet, um ihn<br />

schließlich zu ermorden, worauf sie auch noch<br />

stolz waren. Dennoch haben sie »verstockt«<br />

das Angebot der Bekehrung (Ölbaumgleichnis)<br />

nicht angenommen. Sie sind »Teufelskinder«<br />

(Johannes 8, 44), begehen weitere teuflische<br />

Taten wie Hostienschändung, Ritualmord <strong>und</strong><br />

Brunnenvergiftung, weshalb man sie zum<br />

Teufel schicken kann, ja muss.<br />

Der christliche Antisemitismus ist von Martin<br />

Luther nicht reformiert, sondern radikalisiert<br />

worden. Luther sah in den Juden nur noch<br />

»Teufelskinder« <strong>und</strong> »Wucherer«, weshalb er<br />

sie nicht bekehren, sondern entrechten, die<br />

Ausübung ihrer Religion verbieten, sie ihres<br />

Eigentums berauben, versklaven, vertreiben<br />

21<br />

iz3w • Januar / Februar 2013 q 334

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