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Antiziganismus – Vergangenheit und Gegenwart - Amadeu Antonio ...

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Burkina Faso<br />

42<br />

Der Sozialist Thomas Sankara<br />

tt<br />

Thomas Sankara, geboren 1949 im<br />

damals Obervolta genannten Burkina<br />

Faso, gilt als politischer Führer der burkinischen<br />

Revolution von 1983-87.<br />

Diese kann der zweiten Welle der afrikanischen<br />

Sozialismen zugeordnet<br />

werden. In einem Aufsehen erregenden<br />

Revolutionsprogramm propagierte<br />

Sankara den Bruch mit der neokolonialen<br />

<strong>Vergangenheit</strong> des Landes <strong>und</strong><br />

den Auftakt zu einer neuen Ära sozialer<br />

Gleichheit <strong>und</strong> Gerechtigkeit. Es folgten<br />

zum Teil spektakuläre Reformen, Maßnahmen<br />

<strong>und</strong> Kampagnen, die mitunter<br />

bahnbrechende Erfolge in der Sozial-,<br />

Ges<strong>und</strong>heits-, Bildungs-, Umwelt-,<br />

Wohn- <strong>und</strong> Frauenpolitik bedeuteten.<br />

Am 1. Jahrestag der Revolution schuf<br />

Sankara die koloniale Bezeichnung<br />

Obervolta ab <strong>und</strong> benannte das Land<br />

in Burkina Faso (»Land der ehrenwerten<br />

Menschen«) um. Gleichzeitig wurden<br />

eine neue Nationalflagge <strong>und</strong> -hymne<br />

eingeführt.<br />

Von der Idee einer panafrikanischen<br />

Einheit angetrieben, bemühte er sich<br />

um Kontakte <strong>und</strong> Vernetzungen mit<br />

ähnlich gesinnten Regierungen auf<br />

dem Kontinent <strong>und</strong> verurteilte das südafrikanische<br />

Apartheidregime aufs<br />

Schärfste. Mit seiner antiimperialistischen,<br />

auf nationale Selbstbestimmung<br />

ausge richteten Politik polarisierte er<br />

die internationale Staatengemeinschaft:<br />

Während vor allem die europäischen<br />

Mächte mit Zurückhaltung, Skepsis <strong>und</strong><br />

Besorgnis reagierten, entwickelten sich<br />

Koope rationen <strong>und</strong> Vernetzungen mit<br />

vorwiegend sozialistischen Staaten wie<br />

beispielsweise Kuba, die mit dem Gesellschaftsprojekt<br />

Sankaras sympathisierten.<br />

Während die burkinische Revolution<br />

mit dem Tod Sankaras ein abruptes<br />

Ende fand, lebt sein politisches <strong>und</strong><br />

theoretisches Erbe bis heute sowohl in<br />

Burkina Faso als auch im Ausland fort.<br />

Gerade soziale <strong>und</strong> politische Protestbewegungen,<br />

wie zum Beispiel jene,<br />

die sich aufgr<strong>und</strong> der Ermordung des<br />

Journalisten Norbert Zongo in den Jahren<br />

1998/99 gebildet hat, haben ihre<br />

Forderungen oftmals mit dem Verweis<br />

auf das sankaristische Revolutionsmodell<br />

unterstrichen. Nach wie vor kämpfen<br />

mehrere Initiativen für eine lückenlose<br />

Aufklärung der Todesumstände<br />

Sankaras, wie beispielsweise die »Parti<br />

Sankariste«, die sich in der Tradition<br />

des Revolutionsführers verortet.<br />

Martin Bodenstein<br />

Angesichts der korrupten <strong>und</strong> neokolonialen<br />

Vorgängerregierungen Burkina Fasos hatte<br />

diese neuartige, sozial ausgerichtete Politik<br />

Sankaras bereits zu seinen Lebzeiten viele<br />

Solidaritäts- <strong>und</strong> Sympathiebek<strong>und</strong>ungen zur<br />

Folge. Sein gewaltsamer Tod sollte seine<br />

Popularität nur noch weiter steigern. In der<br />

Wahrnehmung vieler Menschen ist Sankara<br />

als »Märtyrer des Volks« gestorben, der seinen<br />

Versuch, eine bessere burkinische Gesellschaft<br />

aufzubauen, mit dem Leben bezahlt hat. Auch<br />

außerhalb Burkina Fasos ist Sankara als eine<br />

Galionsfigur des Antiimperialismus in die<br />

Geschichte eingegangen, den er mit seinem<br />

prokla mierten Kampf gegen (neo-)koloniale<br />

Herrschaft, Unterdrückung <strong>und</strong> Ausbeutung<br />

musterhaft verkörperte.<br />

Primat der Nation ...<br />

Sankara verkörperte<br />

musterhaft den Kampf gegen<br />

(neo-)koloniale Herrschaft<br />

tt<br />

In diese Rezeption Sankaras ist aber auch<br />

eine tendenzielle Verklärung <strong>und</strong> Idealisierung<br />

des Revolutionshelden eingeschrieben, weshalb<br />

sich eine kritische Neulektüre seines theoretischen<br />

<strong>und</strong> politischen Erbes lohnt. Zumeist<br />

lehnte Sankara eine einheitliche Klassifikation<br />

<strong>und</strong> Kategorisierung der Revolution ab <strong>und</strong><br />

verwies auf deren genuin burkinischen Charakter.<br />

Aber in einem Interview mit dem Wochenmagazin<br />

Jeune Afrique ließ er sich doch zu<br />

einem Bekenntnis hinreißen: »Wenn Sie wirklich<br />

darauf bestehen, uns einordnen zu wollen,<br />

können Sie mich als Angehörigen der patriotischen<br />

Elemente betrachten.« Diese Selbstpositionierung<br />

war nicht einfach eine hohle<br />

Phrase, denn der Nationalismus nahm von<br />

Anfang an einen dominanten<br />

Platz in der Agitation<br />

des Revolutionsrates<br />

ein. Auch wenn er mit<br />

dem Attribut revolutionär<br />

kokettierte, war der Nationalismus<br />

weniger eine<br />

Ideologie, welche die sozialen Verhältnisse<br />

radikal umgestalten wollte, als vielmehr ein<br />

Instrument, um den Herrschafts- <strong>und</strong> Dominanzanspruch<br />

des CNR zu unterstreichen <strong>und</strong><br />

den autoritären <strong>und</strong> repressiven Aufbau des<br />

Staates <strong>und</strong> der Gesellschaft zu legitimieren.<br />

Dies wurde bereits bei der Geburtsst<strong>und</strong>e<br />

der Revolution am 4. August 1983 deutlich.<br />

Sankara forderte in der Gründungsdeklaration<br />

des Revolutionsrates, dass sich unter dem Vorzeichen<br />

eines historischen Kampfes für die<br />

neue Nation jede/r Burkinabé in die Einheitsfront<br />

unter der Führung des neuen Leitorgans<br />

einzureihen habe: »Volk Obervoltas, alle vorwärts<br />

mit dem Nationalen Revolutionsrat für<br />

den großen patriotischen Kampf, für die strahlende<br />

Zukunft unseres Landes. Das Vaterland<br />

oder der Tod, wir werden siegen!« Der Revolutionsrat<br />

hatte sich mit diesem Mobilisierungsslogan<br />

zum einzig legitimen Vertreter der<br />

nationalistischen Renaissance des Landes erklärt.<br />

Indirekt war damit den anderen politischen<br />

Parteien ihre Daseinsberechtigung abgesprochen<br />

worden. Deren Auflösung, die<br />

noch in der gleichen Deklaration verkündet<br />

wurde, war somit die Folge des nationalistisch<br />

f<strong>und</strong>ierten, absoluten Macht- <strong>und</strong> Herrschaftsanspruchs<br />

der neuen Avantgardepartei.<br />

Das Führungsmandat des Revolutionsrates,<br />

das er sich selbst gegeben hatte, konnte sich<br />

aber nicht auf das Versprechen einer »strahlenden<br />

Zukunft« beschränken, sondern musste<br />

seine Legitimation auch aus der <strong>Vergangenheit</strong><br />

ableiten. In dem zwei Monate nach seiner<br />

Machtergreifung veröffentlichten »Discours<br />

d’orientation politique« (DOP) präsentierte<br />

sich das revolutionäre Leitorgan nicht als elitärer<br />

Zirkel hochrangiger Militärvertreter <strong>und</strong><br />

einiger weniger Zivilpersonen, sondern als<br />

»die Krönung <strong>und</strong> der konsequente Erfolg der<br />

Kämpfe des obervoltaischen Volkes gegen die<br />

neokoloniale Beherrschung <strong>und</strong> Ausbeutung.«<br />

Der Revolutionsrat stellte sich in dieser verklärenden<br />

Deutung seiner Entstehung nicht nur<br />

in einen unmittelbaren <strong>und</strong> direkten Zusammenhang<br />

mit völlig verschiedenen Widerstands-<br />

<strong>und</strong> Protestbewegungen innerhalb der<br />

burkinischen Geschichte, er setzte sich ebenfalls<br />

mit dem »Volkswillen« gleich, womit sein<br />

Herrschaftsmandat als demokratisch par excellence<br />

dargestellt wurde.<br />

Die Gleichung »Revolutionsrat = Volk« hatte<br />

fatale Folgen für den Stand <strong>und</strong> die Aktivitäten<br />

der Opposition. Deren (vermeintliche)<br />

Gegnerschaft zum Revolutionsprogramm<br />

wurde als gleichbedeutend mit einer Feinderklärung<br />

gegen das burkinische Volk gesetzt.<br />

Die Dämonisierung <strong>und</strong> Abgrenzung von den<br />

sogenannten »Volksfeinden« nahm einen wichtigen<br />

Stellenwert in der<br />

CNR-Agitation ein, um<br />

die Einheit der neuen<br />

Nation zu beschwören<br />

<strong>und</strong> zu verherrlichen.<br />

Die »Reaktion« wurde<br />

pauschal zu den Urhebern<br />

der Misere <strong>und</strong> der Abhängigkeit des<br />

Landes erklärt. Im DOP wurden so die unzweifelhaft<br />

stark ausgeprägten sozialen, ökonomischen<br />

<strong>und</strong> politischen Missstände der burkinischen<br />

Gesellschaft nicht als Ausdruck eines<br />

maroden Systems gewertet, vielmehr sollten<br />

sie das Resultat des skrupellosen Handelns<br />

einer kleinen, korrumpierten Elite sein.<br />

... <strong>und</strong> Gesinnung<br />

tt<br />

In dieser Logik blieb die radikale Umwälzung<br />

der gesellschaftlichen Strukturen auf die<br />

Elimination dessen beschränkt, was als das<br />

Böse ihres Vorgängermodells identifiziert worden<br />

war: Die Entmachtung der Vertreter der<br />

neokolonialen Vorgängerregierungen <strong>und</strong> ihre<br />

Verurteilung durch die eigens dafür eingerichteten<br />

Volkstribunale der Revolution sollten<br />

garantieren, dass Burkina Faso auf seinem Weg<br />

zum »Horizont des Glücks« mit der unrühmlichen<br />

<strong>Vergangenheit</strong> abschließen konnte. Auf<br />

eine radikale Umgestaltung der ökonomischen<br />

iz3w • Januar / Februar 2013 q 334

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