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Antiziganismus – Vergangenheit und Gegenwart - Amadeu Antonio ...

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mit Molotov-Cocktails auf Haus einer Roma-Familie | Dezember 2011,<br />

Als Kollektiv definiert<br />

Risiken <strong>und</strong> Nebenwirkungen einer Aufklärungspädagogik<br />

gegen <strong>Antiziganismus</strong><br />

28<br />

Mit Aufklärung <strong>und</strong> Wissensvermittlung<br />

will die deutsche Bildungspolitik<br />

nun endlich auch gegen <strong>Antiziganismus</strong><br />

vorgehen. Doch wo in guter Absicht<br />

verallgemeinernde Aussagen über<br />

kollektive Diskriminierungserfahrungen<br />

gemacht werden, besteht die Gefahr,<br />

Vorurteile ungewollt zu festigen.<br />

Aufgeklärte Bildungskonzepte müssen<br />

sich der Fallen bewusst sein, die eine<br />

Anti-Vorurteilspädagogik birgt.<br />

von Albert Scherr<br />

tt<br />

Ablehnende Einstellungen gegen Sinti <strong>und</strong><br />

Roma sind in Europa <strong>und</strong> auch in Deutschland<br />

verbreitet. Umfragen aus den 1990er Jahren<br />

stellten ablehnende Haltungen bei zirka 60<br />

Prozent der Bevölkerung fest. Nach aktuellen<br />

Daten des GMF-Survey (Heitmeyer 2012: 39)<br />

stimmen 44,2 Prozent der Befragten der Aussage<br />

zu »Sinti <strong>und</strong> Roma neigen zur Kriminalität«.<br />

Gut 40 Prozent äußern, dass sie Probleme<br />

damit hätten, »wenn sich Sinti <strong>und</strong> Roma<br />

in meiner Gegend aufhalten«. Und 27,7 Prozent<br />

bejahen die Forderung »Sinti <strong>und</strong> Roma<br />

sollten aus den Innenstädten verbannt werden«.<br />

Solche Zahlen verweisen auf die Tradierung<br />

von Diskursen <strong>und</strong> Vorurteilen, die<br />

gewöhnlich latent bleiben, aber jederzeit<br />

abgerufen werden können. Dies zeigt sich<br />

gegenwärtig exemplarisch an den Konflikten,<br />

welche die Zuwanderung bulgarischer Roma<br />

in die Dortm<strong>und</strong>er Nordstadt ausgelöst haben:<br />

Die <strong>–</strong> keineswegs unproblematischen <strong>–</strong> Überlebensstrategien<br />

von Roma führten dort, wie<br />

auch in anderen Städten, zu lokalen Konflikten,<br />

in denen massive antiziganistische Ressentiments<br />

offenk<strong>und</strong>ig wurden. (siehe www.<br />

faz.net/aktuell/feuilleton/einwanderer-indortm<strong>und</strong>-nordstadt-11732954.html)<br />

Die erhebliche Verbreitung antiziganistischer<br />

Ressentiments ist durch empirische Studien<br />

wiederholt nachgewiesen worden. Gleichzeitig<br />

ist die Entwicklung einer Strategie gegen die<br />

Diskriminierung von Sinti <strong>und</strong> Roma erklärtes<br />

Programm der Europäischen Union. Hierin ist<br />

auch ein Versuch zu sehen, die Ursachen für<br />

die verstärkte Wanderung von Roma innerhalb<br />

der EU von Ost- nach Westeuropa zu verringern.<br />

Die Ziele der EU werden seitens der B<strong>und</strong>esregierung<br />

zwar befürwortet, die Etablierung<br />

einer eigenständigen nationalen Strategie zur<br />

Integration von Sinti <strong>und</strong> Roma wird jedoch<br />

abgelehnt (B<strong>und</strong>esregierung 2011).<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> wird die Auseinandersetzung<br />

mit <strong>Antiziganismus</strong> inzwischen<br />

auch als eine Aufgabe für die politische Bildung<br />

gesehen. Deutlich wird dies etwa in der<br />

Forderung des Präsidenten der B<strong>und</strong>eszentrale<br />

für politische Bildung, »eine große Allianz<br />

gegen <strong>Antiziganismus</strong> <strong>und</strong> Ausgrenzung aufzubauen«<br />

(Krüger 2011) sowie in der Herausgabe<br />

eines Schwerpunktheftes ‚Sinti <strong>und</strong><br />

Roma‘ der einflussreichen Zeitschrift Aus Politik<br />

<strong>und</strong> Zeitgeschichte (Nr. 22-23/2011). Auch<br />

in den Bildungsaktivitäten von Roma-Verbänden<br />

zeichnet sich dies ab.<br />

Fatale Auslassungen<br />

tt<br />

Der nationalsozialistische Völkermord an<br />

den Sinti <strong>und</strong> Roma wird in Geschichtsbüchern<br />

für die schulische Bildung <strong>–</strong> wenn überhaupt<br />

<strong>–</strong> nur am Rande thematisiert (Stachwitz 2006).<br />

Auch in der interkulturellen <strong>und</strong> rassismuskritischen<br />

Bildungsarbeit war <strong>und</strong> ist die Auseinandersetzung<br />

mit <strong>Antiziganismus</strong> bislang recht<br />

randständig. Eine eigenständige Diskussion zu<br />

der Frage, was die spezifischen Ausgangsbedingungen,<br />

Ansatzpunkte <strong>und</strong> Schwierigkeiten<br />

einschlägiger Bildungskonzepte zum Thema<br />

<strong>Antiziganismus</strong> sind, kommt erst allmählich in<br />

Gang (Hamburger 1998; Luttmer2009; Alte<br />

Feuerwache/Jugendbildungsstätte 2012). Eine<br />

solche Diskussion ist jedoch aus folgenden<br />

Gründen nicht verzichtbar:<br />

Erstens gilt <strong>–</strong> nicht nur, aber auch im Hinblick<br />

auf <strong>Antiziganismus</strong> <strong>–</strong> dass die gute Absicht,<br />

gegen Vorurteile durch Aufklärung wirksam zu<br />

werden, keineswegs den Erfolg entsprechender<br />

Bemühungen garantiert. Vielmehr stehen alle<br />

Varianten einer Anti-Vorurteils-Pädagogik vor<br />

dem Dilemma, dass sie zunächst einmal Vorurteile<br />

zur Sprache bringen oder aber überhaupt<br />

erst das Wissen über Vorurteile zugänglich<br />

machen müssen, um dann in einem<br />

zweiten Schritt aufzuzeigen, dass <strong>und</strong> warum<br />

es sich um Vorurteile handelt, die sachlich<br />

falsch, moralisch verwerflich <strong>und</strong> deshalb abzulehnen<br />

sind. Entsprechend lernt man beim<br />

Lesen einschlägiger Bildungsmaterialien immer<br />

auch, was die abzulehnenden Vorurteile sind<br />

<strong>–</strong> auch dadurch werden diese weiter tradiert.<br />

Riskant ist das insbesondere dann, wenn antiziganistische<br />

Bildungsarbeit in Form kurzzeitpädagogischer<br />

Impulse erfolgt <strong>und</strong> nicht<br />

sichergestellt werden kann, dass eine hinreichende<br />

Auseinandersetzung mit den angesprochenen<br />

Stereotypen folgt, die dazu befähigt,<br />

deren Entstehung <strong>und</strong> Funktion zu<br />

durchschauen <strong>und</strong> sie dann auch aufzulösen.<br />

Diese Problematik wird in neueren Bildungskonzepten<br />

durchaus reflektiert (End 2012).<br />

Gleichwohl erweist es sich als schwierig, Vor-<br />

iz3w • Januar / Februar 2013 q 334

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