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Das Projekt der Aufklärung in Streit und Wettstreit mit dem Islam

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Kunst <strong>und</strong> Kultur <strong>mit</strong> sich brachte. <strong>Das</strong>s sich eigenständige Richtungen des Denkens<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Kritik entwickelten, war vor allem Ergebnis e<strong>in</strong>er bemerkenswerten<br />

Übersetzertätigkeit, die sich unter <strong>dem</strong> Patronat des Kalifen al-Ma’mun (813–833) <strong>in</strong><br />

Bagdad entwickelte. An <strong>der</strong> ersten wissenschaftlichen Aka<strong>dem</strong>ie des Orients, <strong>dem</strong><br />

Bait al Hikma, wurden die Werke <strong>der</strong> griechischen Philosophen Aristoteles <strong>und</strong><br />

Platon <strong>in</strong>s Arabische übersetzt <strong>und</strong> gaben <strong>dem</strong> islamischen Denken neue Anstöße.<br />

Unter <strong>dem</strong> E<strong>in</strong>fluss verschiedenartigster geistiger Strömungen bildete sich e<strong>in</strong><br />

wissenschaftlicher Geist heraus, <strong>der</strong> zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tellektuellen Dynamik führte, die bald<br />

von Bagdad aus die ganze arabisch-islamische Welt erfasste. <strong>Islam</strong>ische Denker,<br />

Schriftsteller <strong>und</strong> Philosophen öffneten sich <strong>dem</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> griechischen<br />

Philosophie <strong>und</strong> erhielten für ihre Interpretation <strong>der</strong> Welt wichtige Anregungen.<br />

Zu ihnen gehörten neben al-Djahiz (775–868) <strong>und</strong> Abu Hayyan at-Tauhidi (gestorben<br />

1023) vor allem Ibn S<strong>in</strong>a (Avicenna, 980–1037), Ibn Ruschd (Averroes, 1126–1198)<br />

sowie die von Bagdad ausgehende Bewegung <strong>der</strong> Mu’tazila (wörtlich: die sich<br />

abson<strong>der</strong>nde Geme<strong>in</strong>de), e<strong>in</strong>e frühe Hauptströmung, die unter <strong>dem</strong> E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong><br />

griechischen Philosophie e<strong>in</strong>e Ära <strong>der</strong> „<strong>Aufklärung</strong>“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> islamischen Welt e<strong>in</strong>leitete.<br />

Sie vertrat e<strong>in</strong>e theologische Richtung, die versuchte, den Glauben rational zu<br />

begründen. Vor ihrem Aufkommen war die Religion nicht Analyse, son<strong>der</strong>n Lehre.<br />

Sie bedeutete Akzeptanz <strong>und</strong> nicht Infragestellung, Tradition <strong>und</strong> nicht Rationalität.<br />

Mit <strong>der</strong> Bagda<strong>der</strong> Bewegung <strong>der</strong> Mu’tazila stellte sich die religiöse Frage zum ersten<br />

Mal auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Vernunft. Da Gott selbst zum Gegenstand rationaler<br />

Überlegung wurde, konnte man von nun an sagen, dass es außer <strong>der</strong> rationalen<br />

ke<strong>in</strong>e Wahrheit gibt. Die Mu’tazila bedeutete da<strong>mit</strong> gleichsam e<strong>in</strong>e Revolution<br />

<strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> religiösen Tradition. Sie entwickelte die These von <strong>der</strong> Erschaffenheit<br />

des Koran <strong>und</strong> stellte sich da<strong>mit</strong> <strong>in</strong> Wi<strong>der</strong>spruch zum orthodoxen Glauben an die<br />

Ewigkeit <strong>und</strong> Unverän<strong>der</strong>lichkeit des göttlichen Wortes. Ihr Anstoß g<strong>in</strong>g weit über die<br />

Theologie h<strong>in</strong>aus <strong>und</strong> wirkte weiter bis <strong>in</strong> die Gegenwart.<br />

Verschiedene zeitgenössische Denker vertieften die von <strong>der</strong> Mu’tazila entwickelten<br />

Ideen <strong>und</strong> ihre Kritik an <strong>der</strong> Orthodoxie. Der Theologe <strong>und</strong> Philosoph Ibn al-Rawandi<br />

(9. Jahrhun<strong>der</strong>t) attackierte das Prophetentum selbst <strong>und</strong> erklärte die religiösen<br />

Dogmen als unvere<strong>in</strong>bar <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Vernunft. Die traditionell islamische Welt betrachtet<br />

ihn bis heute als gefährlichen Ketzer. Er wandte sich später ganz vom <strong>Islam</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Religion ab. Ähnlich erklärte <strong>der</strong> persische Arzt <strong>und</strong> Philosoph ar-Razi (865–925), die<br />

Prophetie <strong>und</strong> jegliches spekulative Denken über sie müsse <strong>dem</strong> Denken weichen,<br />

das sich auf die menschliche Erfahrung stützt. Politik sollte we<strong>der</strong> im Namen <strong>der</strong><br />

Religion praktiziert, noch ausschließlich aus <strong>dem</strong> religiösen Weltbild abgeleitet<br />

werden. Sie müsse vielmehr e<strong>in</strong>e auf menschliche Vernunft gestützte Praxis se<strong>in</strong>.<br />

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