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Das Projekt der Aufklärung in Streit und Wettstreit mit dem Islam

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Zweihun<strong>der</strong>tfünfzig Jahre später war es vor allem <strong>der</strong> andalusische Philosoph <strong>und</strong><br />

Theologe Ibn Ruschd (lat. Averroes), <strong>der</strong> das herrschende theologische Weltbild<br />

se<strong>in</strong>er Zeit <strong>mit</strong> provozierenden Thesen attackierte. Ibn Ruschd war nicht nur <strong>der</strong><br />

Kommentator des Aristoteles, auf den ihn se<strong>in</strong>e Gegner reduzieren. Er war Philosoph<br />

im wahrsten S<strong>in</strong>ne <strong>und</strong> e<strong>in</strong> bedeuten<strong>der</strong> Erneuerer. Um die Wi<strong>der</strong>sprüche zwischen<br />

Vernunft <strong>und</strong> Offenbarung zu beseitigen, trennte er die Religion von <strong>der</strong> Philosophie<br />

<strong>und</strong> plädierte dafür, den Koran nicht nach <strong>dem</strong> Buchstaben, son<strong>der</strong>n im<br />

übertragenen S<strong>in</strong>ne zu <strong>in</strong>terpretieren. Averroes hat die Freiheit se<strong>in</strong>es Geistes teuer<br />

bezahlt. Im Jahr 1195 wurde er als Häretiker des Landes verwiesen, viele se<strong>in</strong>er<br />

Bücher wurden verbrannt, die Hüter <strong>der</strong> Tradition brachten ihn immer wie<strong>der</strong> vor<br />

Gericht. Erst kurz vor se<strong>in</strong>em Tod wurde er rehabilitiert. 6<br />

Die kritisch-rationale Bewegung des 9. bis 11. Jahrhun<strong>der</strong>ts blieb jedoch vor allem<br />

e<strong>in</strong> theoretischer Entwurf. Ihr wesentliches Verdienst war es, die rationale<br />

Komponente <strong>der</strong> Existenz gegenüber <strong>der</strong> behaupteten re<strong>in</strong> religiösen Essenz des<br />

Menschen <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> gestellt zu haben. Trotz ihrer massiven Kritik an <strong>der</strong><br />

Religion war diese rationale Strömung nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, die von <strong>der</strong> Orthodoxie<br />

gelegten sozialen <strong>und</strong> kulturellen F<strong>und</strong>amente <strong>der</strong> islamischen Gesellschaft <strong>in</strong>s<br />

Wanken zu br<strong>in</strong>gen. Die von den politischen <strong>und</strong> religiösen Autoritäten getragene<br />

Orthodoxie kam erst <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Zerstörung Bagdads durch die Mongolen im Jahr 1258<br />

an e<strong>in</strong> jähes Ende. Mit <strong>dem</strong> Fall Bagdads begann e<strong>in</strong>e lange Phase <strong>der</strong> Dekadenz.<br />

Die islamische Welt zog sich auf sich selbst zurück. Fast sieben Jahrhun<strong>der</strong>te lang<br />

verharrte sie gleichsam „außerhalb <strong>der</strong> Geschichte“. Auch <strong>dem</strong> Osmanischen Reich<br />

gelang es nicht, <strong>der</strong> islamischen Kultur ihre frühere Ausstrahlung zurückzugeben.<br />

Der <strong>Islam</strong> an <strong>der</strong> Schwelle des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts war e<strong>in</strong> <strong>Islam</strong> ohne selbstbewusste<br />

Er<strong>in</strong>nerung an se<strong>in</strong>e Vergangenheit. 7<br />

b) Politisch-religiöse Reformer des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

Im Folgenden richte ich den Blick auf jene politisch-religiösen Reformer, die unter<br />

<strong>dem</strong> E<strong>in</strong>druck <strong>der</strong> europäischen Mo<strong>der</strong>ne im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>in</strong> <strong>der</strong> islamischen Welt<br />

auftraten <strong>und</strong> jenen geistig-kulturellen Aufschwung e<strong>in</strong>leiteten, den man später als<br />

6<br />

7<br />

Ibn Ruschd wi<strong>der</strong>legte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em se<strong>in</strong>er Hauptwerke „Tahafut at Tahafut“ (Inkohärenz <strong>der</strong><br />

Inkohärenz) die Ansichten des Verteidigers <strong>der</strong> Orthodoxie al-Ghazali (1058–1111), <strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

Schrift „Tahafut al-Falasifa“ (Inkohärenz <strong>der</strong> Philosophen) gegen die rationalistischen Denker <strong>und</strong><br />

Philosophen polemisiert hatte. Im Gegensatz zu al-Ghazali bestritt er die Unsterblichkeit des<br />

Menschen. Unsterblichkeit billigte er nur <strong>der</strong> allen Menschen geme<strong>in</strong>samen Vernunft, d.h. ihrem<br />

aktiven Intellekt zu.<br />

Auszunehmen davon s<strong>in</strong>d nur <strong>der</strong> Sufismus schiitischer Prägung im Iran <strong>und</strong> die anti-paganische<br />

Reformbewegung <strong>der</strong> Wahabiten auf <strong>der</strong> arabischen Halb<strong>in</strong>sel.<br />

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