Printversion vergriffen: Freier Download BA 68 als PDF - Bad Alchemy
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... OVER POP UNDER ROCK ...<br />
CHILD ABUSE Cut And Run (Lovepump United, LPU030): Bass ist ein viel zu kleines<br />
Wort für das Buzzing, das Tim Dahl da wieder verursacht. Sein Fuzz- und Splattersound<br />
lässt eiserne Killerbienen ausschwärmen. Der Noise kommt in stoßweisen<br />
Schwallen, wie aus den Hälsen einer Hydra, der Köpfe abgeschlagen werden. Dieses<br />
Knurren und raue Beben durchackert Oran Canfield wild, aber exakt, mit knatterndem<br />
und zischendem Gehämmer und Geboller, <strong>als</strong> moshender, vielgelenkiger Schrottplatzdämon,<br />
in dem ein Drummachineherz auf 180 zu tackern scheint. Was dann noch<br />
brüllt und faucht und zuckend kirrt und quiekt ist das Flohmarktgeorgel von Luke Calzonetti.<br />
Die fünf neuen Songs klingen noch genau so schnell und harsch wie man es<br />
vom Gehäcksel dieser Bogeymen aus Brooklyn kennt. Aber etwas weniger lo-fi. Was<br />
noch lange nicht heißt, dass man verstehen könnte, was Calzonetti da gurgelt und<br />
ausspuckt an Parolen und Flüchen, gereimten und ungereimten. Nur eins ist klar, der<br />
Kinderschreck dreht hier den Spieß um, richtet die Stacheln gegen die Spießer- und<br />
Erwachsenenwelt. Die Unverständlichkeit verstärkt nur den aggressiven Tenor, die<br />
Raserei der Zähne und Klauen, das Fräsen der Bohrköpfe, die Bolzenschüsse, die hier<br />
prasseln. Bei ‚Frozen Toes‘ kommen die Voc<strong>als</strong> ganz verzerrt und ziehen Hautfetzen<br />
<strong>als</strong> Nachhall hinter sich her. No, no way! No way out here.<br />
THE EX Catch My Shoe (Ex Records, EX 123D): Wozu Comebacks, Kontinuität ist doch<br />
viel schöner. Terrie Hessels verkörpert die Kontinuität seit 1979, an seiner Seite beim<br />
123. Release der niederländischen Kultband sind sein alter Seelenbruder und Gitarrenzwilling<br />
Andy Moor, Katherina Bornefeld trommelt, Arnold de Boer spielt die dritte<br />
Gitarre und Samples und hat von GW Sok das Gesangsmikr0phon geerbt. Wo The Ex<br />
draufsteht, ist Postpunkenergie garantiert, eine lebensbejahende und weltoffene<br />
Energie, die bei zwei Songs noch von der Trompete von Roy Paci angeheizt wird. Und<br />
wenn die Vorstellung von Punk <strong>als</strong> weißem Ding für lichtscheue, spirrelige, eckig moshende<br />
Gestalten mit einer Phobie vor Afrogrooves und dem dazu gehörigen Lebensgefühl<br />
je gestimmt haben sollte, The Ex sind der blühende Gegenbeweis. ‚Maybe I was<br />
The Pilot‘ hat seinen mitreißenden Riff in Uganda aufgelesen, ‚Eoleyo‘ ist ein Mitbringsel<br />
von ihren Äthiopienabenteuern, ein ohrwurmiger aufgekratzter Lobgesang auf die<br />
dortigen Schönheiten, für den Katharina den Leadgesang anstimmt. Wer so weit rumkommt<br />
und so lange dabei ist, der hat so manche Weisheit aufgeschnappt - A tree can<br />
float on the water for weeks But that doesn‘t turn it into a crocodile - We must accept<br />
the weather, love and death - Die Welt ist kein Pfannkuchen. Und guten Rat gibt‘s für<br />
wenig Geld obendrein: Was zählt, ist das Wie, the way that you think, ...play, ...do. ‚Cold<br />
Weather Is Back‘ verkündet eine neue Eiszeit (wenn wir weiter so Energie verschwenden),<br />
‚Life Whining‘ singt vom Unterschied zwischen Quengeln und Forderungen stellen.<br />
De Boer fehlt zwar das gewisse Etwas in der Stimme, aber der Drive der verzahnten<br />
Schrappelgitarren ist groß genug, um abzuheben, am grössten - und trotzdem<br />
schön stachlig - bei ‚24 Problems‘: I got 24 problems sold / I am 24 problems old / I got<br />
24 problems paid / I am 24 big mistakes / Watch my shoe / Catch my shoe!<br />
NITRO MAHALIA Nitro Mahalia (Interstellar Recordings, INT 020, LP): Kalorienbombiger<br />
Instrumentalrock aus Wien, der nur zu gut weiß, dass ein Sport Car Chrash die<br />
Schönheit der Nike von Samothrake in den Schatten stellt. Die Turnschuhkolonnen<br />
marschieren, Gregor Mahnert trommelt, Tronstroner grollt mit Bass und Synthiesounds,<br />
Elise Mory orgelt und Susi von Hannover stößt ins Horn. Gastsängerin Gustav<br />
meldet den Komplettvollzug des Welteroberungsauftrags, ‚Roger. Over. Stop‘ bringt<br />
dabei eine Moloko-Lektion zur Detonation. Da wird mit Wiener Sophistication geklotzt,<br />
bis hin zur Aboutness von ‚Acid D.C.‘, das das AC/DCeske an Rock auf‘s Simpelste skelettiert,<br />
eine Gitarre durchdrehen lässt und gerade dadurch eben nicht simpel ist. Wer<br />
aus der Rockgeschichte zu lernen versteht, dem taugt selbst die Farce <strong>als</strong> Zündstoff<br />
(‚Killer Farce‘). Von wegen ‚Ideen sind kugelsicher‘. Dafür ist der Drive narrensicher,<br />
da hebt sogar ein Versfuß ab (‚Flieg, kleiner Trochäus!‘). ‚Victims‘, mit Susi am Akkordeon<br />
und Christian Egger am Mikrophon, ist ein Wipeout-Cover mit ‚Fadi‘ Dorningers<br />
Handschrift. ‚Neon Boredom‘ cruist poppig und mit trance-grooviger Trompete durch<br />
die Nacht. Zuletzt lässt beim Uptempo-Fetzer ‚Ideas Are Bulletproof‘, live im Rhiz, Dieb<br />
13 seine Scheiben mitzwitschern und -flitzen. Soll keiner sagen, dass es nicht spritzt,<br />
wenn man mit einem flüssigen Medium schreibt.<br />
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