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Printversion vergriffen: Freier Download BA 68 als PDF - Bad Alchemy

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A N T I<br />

HOUSE<br />

Der innere Widerspruch ist Programm an diesem Samstagabend, dem 22.01.2011<br />

in Weikersheim. Geboten wird NowJazz, komponiert von der Saxophonistin Ingrid<br />

Laubrock, aufgeführt mit einem New Yorker Quartett mit der Gitarristin Mary Halvorson,<br />

dem Kontrabassisten John Hebert und dem Drummer Tom Rainey. Wenn<br />

Jazz aus Improvisation besteht, dann wäre das zu ca. 80% kein Jazz. Wenn Improvisation<br />

aber auch nur ein Mittel ist? Dessen Ziel hier darin bestünde, Coolness und Sophistication<br />

eine Form zu geben? Ich höre bei Laubrocks Konstrukten etwas, das die<br />

Intellektualität der Bebopper und der Tristano-Schule auf einen gemeinsamen Nenner<br />

bringt und über den kammerjazzigen Daumen peilt von Jimmy Giuffre bis Jason<br />

Stein‘s Locksmith Isidore. Vielleicht könnte man sagen, dass sie die Sache aus einer<br />

postmodernen Perspektive angeht und dabei Montagetechniken nutzt für ein trickreiches<br />

und sprunghaftes Flippern mit der Jazztradition? So dass - ohne direkte Zitate -<br />

punktuell Bepob-Virtuosität anklingt, verfugt mit cooler Kubistik. Gleich der Auftakt<br />

ist ein Kreuzspiel, in der Mittelachse Saxophon und Schlagzeug, gegenläufig dazu die<br />

Querachse aus Bass und Gitarre. Solche Pärchen und Dreiecke ersetzen vollständig<br />

den herkömmlichen Jazzreigen aus Head-Solo-Solo-Head. Das einzige Solo von Hebert,<br />

einem weiteren Mitglied der kahlen Brüder am Bass (Kessler, Flaten, Roebke<br />

etc.), wird dabei bestimmt durch die Länge seiner Nase. Eine Krabbelpassage, ein<br />

Mittelteil aus gezogenen und verbogenen Glissandos und die Reprise des manischen<br />

Pizzikatoteils sind jeweils terminiert durch den Punkt ohne Wiederkehr, an den seine<br />

Brille bis zur Absturzkante gerutscht ist. Oder ist das ein geplantes Spannungselement?<br />

Rainey, mit Jahrgang 1957 der Erfahrenste und mir im Kontext mit Tim Berne<br />

und Simon Nabatov ein Begriff, erweist sich, trotz permanent hängender Mundwinkel,<br />

<strong>als</strong> einer, dessen speckfreier Finessenreichtum einem erst live so richtig bewusst<br />

wird. Ganz ohne perkussiven Krimskrams variiert er seine binnenrhythmischen Verwirbelungen<br />

mit Holz, Filz und Metall, spielt ein Stück fast nur auf Fell, das andere<br />

fast nur auf Blech oder sogar mit bloßen Händen. Zweimal überrascht er mit furiosem<br />

‚Big Bang‘, dass die Zimmerlautstärke überkocht, dazwischen rührt er einen<br />

Groove mit rockigem Windmühlenloop. Für geräuschhaft improvisierte Passagen rüttelt<br />

er einfach mit dem Trommelgehäuse, oder er setzt das Cymbal <strong>als</strong> Topfdeckel<br />

ein. Highlight ist bei der Zugabe ein feines Ticktack auf Kaffeetasse und Rotweinglas.<br />

Gespielt werden Stücke der aktuellen Intakt-CD - ‚Betterboon‘ <strong>als</strong> Auftakt des zweiten<br />

Sets, ‚Tom Can‘t Sleep‘, ‚Oh Yes‘, anderes hat vorläufig noch Arbeitstitel - ‚Ballade‘...<br />

Halvorson, wie üblich etwas verfroren wirkend, pickt ihre Hollow-Body-Gitarre notenkonzentriert<br />

und cool wie Billy Bauer, und plötzlich stehen die Töne Kopf und krümmen<br />

sich wie krumme Hunde. Dabei verzieht sie keine Miene und tut grad, <strong>als</strong> wär das<br />

das Selbstverständlichste, was man mit der Gitarre macht. Mary, Mary, so quite contrary.<br />

Laubrock selbst offeriert verschmitzt und unprätenziös das, was Harry Lachner<br />

ihr <strong>als</strong> „rational-kühles Formgefühl“ bescheinigt hat. Wenn es da etwas Formelhaftes<br />

geben sollte, dann ist es gut versteckt in poetische Versponnenheit voller unvorhersehbarer<br />

Wendungen. Einige Spezialisten rümpfen die Nase, die Mehrheit einigt<br />

sich auf ein fachmännisches „Rockt wie Mutti“.<br />

Foto: Bernd Scholkemper<br />

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