Printversion vergriffen: Freier Download BA 68 als PDF - Bad Alchemy
Printversion vergriffen: Freier Download BA 68 als PDF - Bad Alchemy
Printversion vergriffen: Freier Download BA 68 als PDF - Bad Alchemy
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Love is a Religion?<br />
Wir zwei sind wohl mit den unhippsten Instrumenten unterwegs, die man sich nur<br />
denken kann, frotzelt JOZEF VAN WISSEM, am 2.11.2010 auf Einladung der hellhörigen<br />
Taubenschlag-Crew Gast in der allerseelenmäßig mit Kerzchen beleuchteten<br />
kleinen Studiobühne des Würzburger Cairo. Der Maastricher Lautenist ist on<br />
the road mit Jeanne Madic, die daneben sitzt wie eine Elfe, der man ein pummeliges<br />
Bierfläschchen in die Hand gedrückt hat, von dem sie nicht recht weiß, was es ist.<br />
Sie spielt <strong>als</strong> VANISHING TWIN ein unhippes Akkordeon. D. h. sie lässt es unter ihren<br />
langen, silbrig beringten Fingern atmen und seufzen, jungfräulich erzittern. Und<br />
dann singt sie, ach, sie flüstert ein Beinahenichts in die hohle Hand. French? frag ich<br />
sie hinterher, und sie sagt Oui und lächelt. Sie ist eine Weggefährtin von Arborea und<br />
Nalle, Neofolkies der zartesten und weirdesten Sorte. Nur kann man sich die damenhafte<br />
Pariserin nur schwer in einer hinterwäldlerischen Blockhütte vorstellen. Aber<br />
es geht ja auch nicht um ein Zurück zur Natur, vielmehr um Intimität, Unverdorbenheit,<br />
um ein Elfe-Werden im Angesicht der Weltunordnung. Zwar ist Van Wissem der<br />
Deleuze-Leser. Aber es gibt keinen Grund, Mademoiselle Madic für ein naives Lämmchen<br />
zu halten. Für solche Zartheit braucht es verdammt viel Courage.<br />
Der langhaarige Niederländer, den ich mir gut in Wams und Wadenstrümpfen vorstellen<br />
könnte, nimmt danach ein Mordsdrum Doppelh<strong>als</strong>laute in den Schoß, eine 24-<br />
saitige Spezialanfertigung, um darauf sublime Musik zu zupfen. Er beginnt mit bedächtig<br />
aushallenden Noten - meine Assoziation zu Morton Feldman ist ihm danach<br />
nicht unrecht. Er findet es ja auch ganz passend, dass er auf Important Records Labelkollege<br />
von Coil und Pauline Oliveros ist. Auch von John Fahey übrigens. Dem verwandt<br />
klingt das kraftvoll gepickte ‚In Him Is No Sin‘ aus dem Repertoire von Brethren<br />
Of The Free Spirit, seinem Duo mit dem Gitarristen James Blackshaw. Die Finger<br />
krabbeln, der Daumen schlägt einen dunklen Sekundentakt. Van Wissem ist bekannt<br />
für seine religiös, spirituell, manchmal auch okkult angehauchten Titel. ‚Amor Fati<br />
(Love Is A Religion)‘ hat er eines der schönen Konstrukte getauft, die den Barock,<br />
vielleicht von dessen manieristischen Unterströmung her, direkt anschlussfähig machen<br />
für heutige Ohren. Van Wissems Manieristik umfasst Palindrome, Spiegelungen<br />
und Cut-Up-Techniken. Aber zuvorderst einen Minimalismus, der mit logischer Konsequenz<br />
einem infinitesimalen Ziel entgegen spiralt, über das nur spekuliert werden<br />
kann. Für zwei ‚Songs‘ schließt sich Jeanne ihm an. Sie flüstert, sie haucht Sätze, die<br />
offenbar nicht für menschliche Ohren bestimmt sind. Van Wissem vollendet den Set<br />
und wird nicht entlassen, ohne zwei Zugaben gespielt zu haben. Nachdem wir schon<br />
Klangschattierungen durch leichtes Kippen der Laute oder ein virtuoses Trillern mit<br />
der linken Akkordhand bewundern konnten, hat das auffällig melodiöse letzte Stück<br />
etwas von einer, laienhaft gesagt, Dowlandschen Fancy. Ein unvermutet beglückender<br />
Abend. Vorausgesetzt man ist für so unhippes Zeug empfänglich wie Lautengezupfe,<br />
Logik und Fanciness.<br />
Fotos: David Garland/Spinning On Air<br />
4