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Ivo Hennemann (1824 –1900) - Bezirk Oberfranken

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<strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong> (<strong>1824</strong> <strong>–1900</strong>)<br />

Eremit und lebendes Scheffel-Denkmal<br />

„Ein Eremit hat [...] den anderen abgelöst. Ihre Namen verwehten wieder. <strong>Ivo</strong><br />

<strong>Hennemann</strong>, der alte <strong>Ivo</strong>, aber lebt noch heute fort. Ich sehe noch seine leis gebeugte<br />

Gestalt mit dem schneeweißen Haar, die Hand an die Klinke der Kapellentür<br />

gelegt, im Begriff, das Gotteshaus zu betreten.“ 1 Der Wanderschriftsteller August<br />

Trinius (1851–1919) erfaßte 1917 mit diesen Sätzen treffend die Wirkung <strong>Ivo</strong><br />

<strong>Hennemann</strong>s 2 . Bis heute gilt er als der Staffelberg-Eremit schlechthin.<br />

Als alter Mann, als den ihn auch Trinius beschrieb, hat er sich dank zahlreicher<br />

Fotographien ins Gedächtnis der Nachwelt eingegraben, war er doch in den 80er<br />

und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts eine Sehenswürdigkeit im Land am Obermain.<br />

Der „Einsiedelmann“ aus Joseph Victor von Scheffels vielgesungenem Gedicht<br />

„Wanderfahrt“ zog Touristen aus ganz Deutschland an, und viele ließen sich<br />

Bilder und Postkarten mit seiner ungelenken Unterschrift „<strong>Ivo</strong> Eremit“ signieren.<br />

<strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong>, am 26. Februar <strong>1824</strong> als Johann <strong>Hennemann</strong> in Oberleiterbach<br />

(Pfarrei Kirchschletten) geboren 3 , absolvierte beim Altvater der bayerischen Eremiten<br />

ein siebenmonatiges Noviziat. Nach dessen Abschluß trat er im Juli 1853 der<br />

bayerischen Eremitenkongregation bei. Am 8. November 1855 erschien er vor<br />

dem Staffelsteiner Bürgermeister und bewarb sich „um die Kirchnersstelle auf dem<br />

Staffelberg dahier, mit welcher zugleich eine Eremitage verbunden ist“. Er war bereit,<br />

die Klause auf seine Kosten einzurichten und erbot sich, testamentarisch 500<br />

Gulden zu stiften, um „dem künftigen Kirchner und Eremiten eine bessere Subsistenz<br />

zu erschaffen“. Der greise Eremit Nikolaus Weis (1770–1858) solle weiter in<br />

der Klause wohnen bleiben dürfen, solange er nicht zum Pflegefall werde 4 . Vor der<br />

Kirchenverwaltung und vor dem Magistrat erklärte <strong>Hennemann</strong>, er werde von seinem<br />

eigenen Vermögen leben 5 .<br />

Zuständigkeitshalber leitete die Stadtverwaltung den Antrag an den Landrichter<br />

von Lichtenfels weiter, bei dem <strong>Hennemann</strong> am 27. Dezember selbst vorstellig<br />

wurde 6 . Über die Regierung von <strong>Oberfranken</strong> gelangte das Gesuch an das bayerische<br />

Innenministerium, das am 9. Dezember 1856 der Bitte stattgab 7 . Die Zeit seit<br />

der Antragstellung scheint <strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong> in der Einsiedelei auf dem Bogenberg<br />

(Niederbayern) verbracht zu haben 8 .<br />

Mit staatlicher und kirchlicher Genehmigung zog <strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong> Anfang 1857<br />

auf den Staffelberg, wo er die folgenden vier Jahrzehnte lebte. In diese Zeit fallen<br />

mehrere Baumaßnahmen: 1871 wurde an die Adelgundiskapelle ein Turm angebaut,<br />

und 1894 ließ man das Innere des Gotteshauses restaurieren 9 . Die baufällige<br />

Klause wurde 1883 durch einen Neubau ersetzt, finanziert nicht zuletzt durch eine<br />

Sammlung <strong>Ivo</strong>s.<br />

Tag für Tag läutete <strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong> die Glocke der Adelgundiskapelle, er ministrierte,<br />

wenn Gottesdienst in der Bergkirche gefeiert wurde, und nebenher fertigte er<br />

Rosenkränze. Solange es ihm seine Gesundheit erlaubte, ging er tagtäglich hinunter<br />

nach Staffelstein, um hier die Messe zu besuchen. So erinnerte sich ein Staffelsteiner,<br />

Josef Hofmann, 1926 an „die kleine untersetzte Gestalt des Eremiten mit dem<br />

gutmütigsten Gesichte von der Welt, darin freundlich milde Aeuglein, die neugierig


130 <strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong><br />

den Ankömmling musterten, während die rechte Hand den weißen Bart liebevoll<br />

strich. Welcher Jubel herrschte in den damaligen Holpergassen Staffelsteins, wenn<br />

,der <strong>Ivo</strong>‘ sich zeigte. Mit Freudengeschrei wurde er von Büblein und Mägdlein umringt<br />

und nicht eher freigegeben, bis er alle mit einem Ringlein oder Bildlein bedacht<br />

hatte. Daran schloß sich stets die väterliche Mahnung, folgsam zu sein“ 10 .<br />

Während der Jahrzehnte, die <strong>Ivo</strong> auf dem Berg wohnte, stieg ständig die Zahl<br />

der Touristen, die anfangs zumeist die Aussicht vom Berg genießen, seit den 1880er<br />

Jahren vor allem den von Scheffel bedichteten Einsiedler sehen wollten. So war die<br />

Einsiedelei, zumal in den Sommermonaten, alles andere als einsam. Die Verpflegung<br />

der Bergbesucher beanspruchte den Eremiten immer mehr.<br />

Oberleiterbacher Überlieferung zufolge, 1972 aufgezeichnet, machte <strong>Ivo</strong> dabei<br />

einen Unterschied nach dem Vermögensstand des Gastes. „Wenn nun der Menschenkenner<br />

<strong>Ivo</strong> einem Gast die Wohlhabenheit und Menschengüte anmerkte, der<br />

Gast ein größeres Geldstück, vielleicht einen Taler, oder gar ein Goldfüchslein auf<br />

den Tisch legte, ließ <strong>Ivo</strong> mit einem ,Vergelt’s Gott‘ die Münze in den unergründlichen<br />

Taschen seiner Kutte verschwinden. [...] Kamen dann Studentlein mit großem<br />

Durst, schmalem Beutel und dem schüchternen Wunsch nach einem Glas<br />

Wasser, so brummte er in seinen Bart: ,Wasser ist hier klemm, aber das Bier ist gut!‘<br />

Mit schäumenden Krügen aus Felsenkellers Tiefe erfrischte er, und ein munteres<br />

Liedlein nahm er als einzige Bezahlung entgegen.“ 11 Auch der Gößweinsteiner<br />

Lehrer Karl Brückner (1863–1923), Ende der 1870er Jahre in der Staffelsteiner<br />

Präparandenanstalt, erinnerte sich: „Ungebeten brachte uns der Gute auf zinnernen<br />

Teller Schwarzbrot und reichlich Salz und ward ,der Gastgeber‘ inne, daß die<br />

Moneten für ein Fläschlein Bier nicht reichen wollten, so kredenzte er noch eins<br />

und meine: ,Reichere werden’s schon amal mitzahl!‘“ 12<br />

Da <strong>Ivo</strong> im Alter den Ansturm nicht mehr alleine bewältigen konnte, zog er „aus<br />

dem nahen Dorfe Romansthal eine ganze Familie zu seiner Stütze herbei“ 13 , Pankraz<br />

Rudel, 1844 in Köttel geboren, seine verheiratete Schwester und deren Familie.<br />

Rudel war, so der Bamberger Domkapitular Dr. Hümmer, „ein kleines, von der<br />

Natur etwas stiefmütterlich ausgestattetes Männlein, auf den breiten Schultern des<br />

kleinen Körpers saß ein großer Kopf, und ein feines Stimmchen gab dem Ganzen<br />

sein Gepräge, als ob von den Kobolden des Staffelberges einer zum Dienste des<br />

Eremiten und seiner allzeit durstigen Gäste zurückgeblieben sei. Seines Zeichens<br />

ein Schneider, übte anfänglich Rudel diese Handierung auch in Ruhepausen in der<br />

Klause, doch als der Touristen-Strom immer mehr wuchs, wurde das Schneiderlein<br />

zum Servizial des Eremiten“ 14 .<br />

Rudel, auf Einnahmen bedacht, begegnete den wenig begüterten Zöglingen der<br />

Staffelsteiner Präparandenschule mit Geringschätzung, wie sich ein Betroffener<br />

noch nach Jahrzehnten zu erinnern wußte 15 . Mit sorgenvollem Blick sah die Staffelsteiner<br />

Kirchenverwaltung die Zustände. „Diese Gesellschaft [...] richtete sich<br />

allmählich ganz häuslich in der Eremiten-Klause ein, übte die Wirthschaft auf eigene<br />

Faust u[nd] bereicherte sich namentlich dadurch, daß sie den Bergbesuchern<br />

die unverschähmtesten Zechen machten u[nd] dadurch zu großem Unwillen Veranlaßung<br />

gaben. – Der alte <strong>Ivo</strong>, der dieser Gesellschaft nicht mehr gewachsen war,<br />

wurde allmählig von demselben ungerechten Verfahren angesteckt u[nd] ließ auch<br />

sich hierin manches zuschulden kommen“ 16 . Überdies erregte es die Gemüter,


<strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong><br />

131<br />

<strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong> an der Tür zur Sakristei der Adelgundiskapelle, 1891<br />

(Museum der Stadt Staffelstein)


132 <strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong><br />

„wenn Rudel mit seinem weiblichen Anhange zugleich neben dem alten <strong>Ivo</strong> im<br />

Ordenskleide auf der Bildfläche erschien“ 17 .<br />

So griff die Verwaltung ab 1896 durch. Um geordnete Verhältnisse zu schaffen,<br />

beantragte zunächst der Verwalter der Adelgundiskapellenstiftung die Konzession<br />

„zum Betriebe einer Bierwirthschaft“ in der Klause, die ihm auch umgehend gewährt<br />

wurde. Bier, Branntwein und Mineralwasser durften abgegeben werden.<br />

Den Ausschank von Wein untersagte das <strong>Bezirk</strong>samt dagegen, obwohl nicht wenige<br />

Touristen danach fragten – eingedenk Scheffels „Wanderfahrt“: „Es liegt, ich seh’s<br />

dem Keller an, ein guter Jahrgang drinnen“. Erst die eigens eingeschaltete Regierung<br />

von <strong>Oberfranken</strong>, hob 1899 den Beschluß des <strong>Bezirk</strong>samts auf und<br />

gestattete die Abgabe von Wein 18 .<br />

Am 26. August 1897 verwies die Stiftungsverwaltung Rudel der Klause 19 . Der<br />

Schneider hatte dies wohl kommen sehen, denn zu Beginn des Jahres hatte er beantragt,<br />

auf dem Berg eine Bude zum Verkauf von „Conditoreiwaaren“ aufstellen<br />

zu dürfen 20 . Doch der Protest der Kirchenverwaltung hatte verhindert, daß er diesen<br />

Plan in die Tat umsetzte.<br />

Ohne Hilfe konnte <strong>Ivo</strong> den Ansturm der Touristen nicht bewältigen. So stellte<br />

ihm die Kirchenverwaltung mit Zustimmung des <strong>Bezirk</strong>samtes im August 1897<br />

den 28jährigen Dienstknecht Michael Bedenk aus Hundelshausen bei Gerolzhofen<br />

zur Seite. Bedenk war „Servizial“ bei den Barmherzigen Brüdern in der „Kretinenanstalt“<br />

Gremsdorf bei Höchstadt a. d. Aisch gewesen, aber wegen „Engbrüstigkeit“<br />

nicht in den Orden aufgenommen worden 21 .<br />

Schon nach wenigen Wochen erklärte Bedenk der Kirchenverwaltung, ein weiterer<br />

Gehilfe sei vonnöten 22 . Am 2. September 1897 bezog daher Antonius Kempf<br />

(1853–1917), der, einst Mönch in St. Peter zu Salzburg, das Ordensgewand der Benediktiner<br />

trug, den Berg 23 . Kempf plante offensichtlich, der Nachfolger von <strong>Ivo</strong><br />

<strong>Hennemann</strong> als Eremit zu werden. Der greise Einsiedler erwog nämlich, „zu seinen<br />

Verwandten nach Oberleiterbach“ zu ziehen, und Kempf kaufte ihm, gerade<br />

auf dem Berg angekommen, das Mobiliar der Klause ab, soweit es Privateigentum<br />

des Eremiten war 24 .<br />

Am 9. Oktober 1897 übersiedelte <strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong> tatsächlich in sein Heimatdorf,<br />

in das gut ein Jahrzehnt zuvor errichtete Haus seines Bruders Matthäus<br />

<strong>Hennemann</strong>. 75jährig zog er am 31. Mai 1899 in die wenige Jahre zuvor eröffnete<br />

Pflegeanstalt der Barmherzigen Brüder in Gremsdorf, wo er aber nur bis zum 3.<br />

Oktober 1899 blieb 25 . Zurückgekehrt nach Oberleiterbach, starb er am 13. September<br />

1900 in Haus Nr. 1 (heute Einsiedler-<strong>Ivo</strong>-Straße 3), wo er 76 fi Jahre zuvor<br />

zur Welt gekommen war 26 . Auf dem Friedhof zu Oberleiterbach steht noch heute<br />

<strong>Ivo</strong>s Grabstein 27 .


<strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong><br />

133<br />

Anmerkungen<br />

1 Trinius, August: Im Banne der Plassenburg. Streifzüge im Frankenlande. Leipzig 1917, S.<br />

220.<br />

2 Über ihn vgl. Dippold, Günter: Die Staffelberg-Eremiten. In: ders. (Hrsg.): Der Staffelberg.<br />

Bd. 2. Lichtenfels 1994, S. 33–58, hier S. 40–43; Gunzelmann, Georg: <strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong> aus<br />

Oberleiterbach. Der Einsiedelmann vom Staffelberg im Spiegel zeitgenössischen Schrifttums.<br />

In: Gunzelmann, Thomas (Hrsg.): Pfarrei Kirchschletten 1698–1998. Zapfendorf<br />

1998, S. 95–110.<br />

3 Gunzelmann, Georg: August Trinius, Einsiedelmann <strong>Ivo</strong> und der Rennsteigverein. In: Das<br />

Farnkraut 24 (1986), Heft 1, S. 3–9, hier S. 5.<br />

4 StAB, K 20, Nr. 2103, Prot. vom 8.11.1855.<br />

5 Hümmer, Friedrich Karl: Der Staffelberg. Kulturgeschichtliche Studie. Bamberg o. J.<br />

[1906], S. 25f.<br />

6 StAB, K 20, Nr. 2103, Prot. vom 27.12.1855.<br />

7 Ebd., Brief vom 12.12.1856.<br />

8 Mutterhaus der Eremiten, Frauenbründl bei Bad Abbach, Chronik 1, S. 723a (freundl. Mitteilung<br />

vom 28.1.1999).<br />

9 Machilek, Franz und Margarita: Die Adelgundiskapelle auf dem Staffelberg. Entstehung,<br />

Ausstattung, Förderer. In: Dippold, Günter (Hrsg.): Der Staffelberg. Bd. 1. Lichtenfels<br />

1992, S. 55–70, hier S. 65f.<br />

10 Hofmann, Josef: Des Staffelberges Eremiten. In: Alt-Franken 2 (1926), S. 93–95, 97–99, hier<br />

S. 97f.<br />

11 Zit. nach Gunzelmann, <strong>Ivo</strong> <strong>Hennemann</strong> (wie Anm. 2), S. 99.<br />

12 Brückner, Karl: Sagen, Legenden und Lokalgeschichtliches aus den Jurabergen. Neue Folge.<br />

Wunsiedel 1929, S. 187f.<br />

13 StAB, K 20, Nr. 2103, Brief vom 11.9.1897.<br />

14 Hümmer (wie Anm. 5), S. 27f.<br />

15 Brückner (wie Anm. 11), S. 187f.<br />

16 StAB, K 20, Nr. 2103, Brief vom 11.9.1897.<br />

17 StAB, K 20, Nr. 3095, Brief vom 2.4.1897.<br />

18 StAB, K 20, Nr. 2978.<br />

19 StAB, K 20, Nr. 2103, Brief vom 11.9.1897.<br />

20 StAB, K 20, Nr. 3095, Brief vom 10.2.1897.<br />

21 StAB, K 20, Nr. 2103, Briefe vom 24.8.1897 und 11.9.1897.<br />

22 Ebd., Brief vom 9.9.1897.<br />

23 Ebd., Note vom 7.9.1897.<br />

24 Ebd., Brief vom 9.9.1897.<br />

25 Salomon, Willi: Gremsdorf. Klosterdorf – Klosteramt. O. O. 1987, S. 69.<br />

26 Hümmer (wie Anm. 5), S. 26 f.; Gunzelmann, August Trinius (wie Anm. 3).<br />

27 Über frühe Bemühungen zur Erhaltung dieser Grabstätte vgl. StAB, K 14, Nr. 2220.<br />

Günter Dippold

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