Sonderheft 2013 - Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie
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Bild: © Frank Kleinbach / Thieme<br />
Osteoporose aus<br />
geriatrischer Sicht<br />
Besonderheiten in Prävention, Diagnostik<br />
und Behandlung<br />
Übersicht<br />
Wie die Kinder- und Jugendmedizin<br />
ist auch die Geriatrie generell keine<br />
organbezogene, sondern eine altersdefinierte<br />
Fachdisziplin [1]. Es gibt<br />
allerdings einen grundsätzlichen Unterschied:<br />
In der Kinder- und Jugendmedizin<br />
ist das kalendarische Alter<br />
ein maßgebliches klinisches Kriterium,<br />
anhand dessen z. B. die normale körperliche<br />
und geistige Entwicklung definiert<br />
wird (vgl. U-Untersuchungen).<br />
In der Geriatrie dagegen dient das<br />
genaue Lebensalter nur als grober<br />
Anhaltspunkt <strong>für</strong> Behandlungsentscheidungen,<br />
was in der häufigen<br />
Diskrepanz zwischen kalendarischem<br />
und biologischem Alter begründet ist.<br />
Aufgrund dieser Heterogenität des<br />
alten Menschen ist die Geriatrie nicht<br />
ausschließlich kalendarisch zu definieren,<br />
sondern es müssen im Rahmen<br />
der fachärztlich-geriatrischen Kompetenz<br />
Begrifflichkeiten wie die der<br />
Frailty (Gebrechlichkeit) 3 , der Vulnerabilität<br />
4 und der geriatrietypischen<br />
Multimorbidität 5 berücksichtigt<br />
werden.<br />
Cornelius Bollheimer 1 , Steffen Schlee 2<br />
I. Einleitung<br />
Der typische geriatrische Patient 6<br />
ist 80 Jahre alt oder älter und befindet<br />
sich aufgrund seiner verstärkten<br />
Vulnerabilität in der (nach Baltes<br />
[3]) ontogenetisch unvollkommenen,<br />
so genannten 4. Lebensphase.<br />
Darüber hinaus kann aber auch ein<br />
Mensch ab 70 Jahren zu einem geriatrischen<br />
Patienten werden, wenn er<br />
zusätzlich eine geriatrietypische<br />
Multimorbidität aufweist [4].<br />
Diese geriatriespezifische Denkweise<br />
relativiert die DVO-Leitlinie<br />
mit ihrer epidemiologisch abgeleite<br />
ten (kalendarischen) Altersstratifikation<br />
[5]. Statistisch gesehen, hat<br />
jede über 70-jährige Frau und jeder<br />
über 80-jährige Mann ein mehr als<br />
20%iges Risiko, innerhalb der nächsten<br />
10 Jahre eine vertebrale und /<br />
oder proximale Femurfraktur zu<br />
erleiden. Dieses altersspezifische<br />
10-Jahres-Frakturrisiko (10-JFR)<br />
rechtfertigt damit generell bei nahezu<br />
jedem geriatrischen Patienten,<br />
eine leitliniengerechte Basisdiagnostik<br />
[5]. Mehr noch: Jede über 75-jährige<br />
Frau und jeder über 85-jährige<br />
Mann haben statistisch gesehen ein<br />
1<br />
Institut <strong>für</strong> Biomedizin des Alterns, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg<br />
2<br />
Klinik <strong>für</strong> Innere Medizin 2, Geriatrie des Klinikums Nürnberg<br />
3<br />
Für Frailty werden gewöhnlich in einem 5-Punkte-Score-System folgende Domänen<br />
überprüft: (i.) subjektiv empfundener Erschöpfungszustand, (ii.) ungewollter Gewichtsverlust,<br />
(iii.) Abnahme der Handkraft, (iv.) Verlangsamung der Gehgeschwindigkeit,<br />
(v.) Abnahme der körperlichen Aktivität und des damit verbundenen Kalorienverbrauchs.<br />
Ein oder 2 Punkte werden mit Prefrailty gleichgesetzt. Ab 3 Punkten<br />
spricht man von Frailty mit entsprechend ansteigender Ausprägung [2].<br />
4<br />
Vulnerabilität ist ein gerontologisch-geriatrischer Fachbegriff und umfasst (i.) das<br />
häufigere Auftreten von Komplikationen und Folgeerkrankungen, (ii.) die Gefahr der<br />
Chronifizierung sowie (iii.) das erhöhte Risiko eines Verlustes der Autonomie mit Verschlechterung<br />
des Selbsthilfestatus.<br />
5<br />
Auch geriatrietypische Multimorbidität ist ein Fachterminus und bezeichnet in Anlehnung<br />
an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung<br />
und Gesundheit (ICF) das Vorhandensein aktivitäts-beeinträchtigender Schädigungen<br />
von Körperfunktion und Körperstrukturen (≈ geriatrische Syndrome) bei mindestens<br />
2 behandlungsbedürftigen Erkrankungen.<br />
6<br />
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher<br />
und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen<br />
gelten <strong>für</strong> beiderlei Geschlecht.<br />
8 <strong>Endokrinologie</strong> Informationen <strong>2013</strong>; <strong>Sonderheft</strong>