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Volltext [pdf] - Hannah-Arendt-Institut Dresden

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Es kann also davon ausgegangen werden, daß das MfS bei weitem<br />

nicht in allen Fällen von »ungesetzlichem Grenzübertritt« die Ermittlungen<br />

führte; die Betroffenen tauchen dementsprechend nicht in den Statistiken<br />

der HA IX auf. 69 Dies wird durch eine »Orientierung über die Einleitung/Übernahme<br />

von Ermittlungsverfahren« wegen Verstößen gegen<br />

die Paragraphen 105 (»staatsfeindlicher Menschenhandel«) und 213<br />

(»ungesetzlicher Grenzübertritt«) der HA IX/4 vom 14. April 1976<br />

bestätigt: 70 Danach sollte die »Linie IX« des MfS nur dann Ermittlungsverfahren<br />

wegen Republikflucht von der Volkspolizei übernehmen,<br />

wenn diese im Zusammenhang mit Staatsverbrechen standen oder der<br />

Fluchtversuch »unter Anwendung terroristischer Mittel und Methoden«<br />

unternommen wurde, die Flüchtlinge als Geheimnisträger eingestuft worden<br />

waren oder anderweitig im Blickfeld der Öffentlichkeit standen bzw.<br />

bereits in einem »Operativen Vorgang« (OV) bearbeitet wurden. 71 Bei<br />

einfachen Fällen von Verstößen gegen Artikel 213 (»Ungesetzlicher<br />

Grenzübertritt«) konnte dagegen die Volkspolizei die Ermittlungen führen.<br />

Personen, die wegen Republikfluchtversuch zu Freiheitsstrafen verurteilt<br />

wurden, sind jedoch gemäß der oben angeführten Definitionen in<br />

jedem Fall als politische Häftlinge anzusehen.<br />

Die »Republikflüchtlinge« stellten die mit Abstand größte Gruppe der<br />

Personen, gegen die die HA IX ermittelte: 1971 wurden z.B. 45,7 Prozent<br />

aller Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen den Paragraphen<br />

213 eingeleitet. Ein Jahr später waren es sogar 66,2 Prozent. Dieser<br />

Anteil schwankt auch in den Folgejahren zwischen zwei Fünfteln und<br />

zwei Dritteln. Wie bei den Angaben der Generalstaatsanwaltschaft zeigt<br />

68 Außerdem finden sich in dieser Gruppe Wehrdienstverweigerer. Verstöße<br />

gegen Paragraphen des zweiten Kapitels StGB der DDR untersuchte dagegen<br />

grundsätzlich das MfS.<br />

69 Gerade in Bezug auf diese Verfahren besitzt die Feststellung von Karl Wilhelm<br />

Fricke Gültigkeit: »Je eindeutiger eine Sache politischer Natur war, desto eher<br />

nahm sich die Staatssicherheit ihrer an – die Untersuchungsorgane des Ministeriums<br />

des Inneren konnten … in leichten Fällen bei Straftaten gegen die staatliche<br />

Ordnung tätig werden.« Fricke: Kein Recht gebrochen? S. 25.<br />

70 Vorschläge zur inhaltlichen Ausgestaltung der Orientierung über die Einleitung/Übernahme<br />

von Ermittlungsverfahren wegen staatsfeindlichen Menschenhandels<br />

und ungesetzlichen Grenzübertritts durch die Linie IX (BStU, MfS HA<br />

IX, 91, Bl. 77-78).<br />

71 In der Leitlinie heißt es weiter, es müsse sichergestellt werden, daß die Leiter<br />

der Abteilung IX jederzeit über alle von der Volkspolizei bearbeiteten Ermittlungsverfahren<br />

wegen Republikflucht informiert seien und die von der Volkspolizei<br />

erarbeiteten Informationen den Diensteinheiten des MfS zugänglich<br />

gemacht würden. Ebd., Bl. 80.<br />

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