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hu wissen 1 (pdf) - Humboldt-Universität zu Berlin

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IN KÜRZE / IN SHORT<br />

Vorlass statt Nachlass:<br />

Günter Grass ins Manuskript<br />

geschaut<br />

Estate of a living author:<br />

looking at Günter Grass’s<br />

manuscripts<br />

Studenten vom Institut für deutsche Literatur beleuchten<br />

Seitenpfade im Spätwerk des Nobelpreisträgers<br />

Students from the Institute of german Literature examine<br />

less-well-known late works by the Nobel laureate<br />

Text: Constanze Haase<br />

Mit den Jahren sei er ein bisschen schwerhörig<br />

geworden. Das mache aber nichts. Die meisten<br />

Fragen wiederholen sich ständig, er könne sie<br />

schon im Schlaf beantworten. Ein Nachmittag in<br />

Lübeck: Günter Grass sitzt in seiner eigenen Gedenkstätte,<br />

dem Günter-Grass-Haus, ein Ausstellungs-<br />

und Forsc<strong>hu</strong>ngsort. Ihm gegenüber sitzen<br />

zehn Studierende des Instituts für deutsche Literatur<br />

der <strong>Humboldt</strong>-Universität. Sie stellen Fragen,<br />

fi lmen und fotografi eren. Mehr als zwei<br />

Stunden lang. Und diesmal ist doch die ein oder<br />

andere Frage eine kleine Überrasc<strong>hu</strong>ng für den<br />

Autor, denn die jungen Leute wollen über verworfene<br />

Projekte sprechen, über Entwürfe und Begebenheiten<br />

jenseits des Scheinwerferlichts seiner<br />

großen Bestseller.<br />

»Günter Grass 1990 – 2010. Abgelegenes und<br />

Abgelegtes«, unter diesem Titel forscht die Studentengruppe<br />

über Leben und Werk des Literaturnobelpreisträgers.<br />

Günter Grass hat mit der Gedenkstätte<br />

in Lübeck einen Ort geschaffen, an<br />

dem sein schristellerisches und bildnerisches<br />

Werk ausgestellt wird. In der Akademie der Künste<br />

<strong>Berlin</strong> befi nden sich seit 1991 <strong>zu</strong>dem umfangreiche<br />

Teile seines Archivs, der so genannte »Vorlass«<br />

seines Werkes. Doch welche Folgen hat es<br />

für die Forsc<strong>hu</strong>ng über die Literatur, ja für den Autor<br />

selbst, wenn die Dokumentation des Arbeitsprozesses<br />

der Öffentlichkeit schon <strong>zu</strong> Lebzeiten<br />

<strong>zu</strong>gänglich gemacht wird? »Kaum geschrieben,<br />

schon archiviert«, resümiert Professor Roland<br />

Berbig. »Uns interessiert, ob sich in solch` einer<br />

Situation bei einem Autor schon während des<br />

Schreibens so etwas wie ein Archivbewusstsein<br />

herausbildet«, sagt der Preisträger des ersten<br />

<strong>Humboldt</strong>-Preises für gute Lehre, der die Exkursion<br />

nach Lübeck initiiert und mit einem Teil des<br />

Preisgeldes fi nanziert hat.<br />

»Aus den Augen, aus dem Sinn«, hat Grass<br />

den Studenten geantwortet. Es beeinflusse sein<br />

literarisches Werk nicht, wenn praktisch jedes seiner<br />

Worte mit Absetzen der Feder bereits archiviert<br />

ist. Ob sie ihm Glauben schenken können?<br />

Dass er sich hin und wieder bereits Abgelegtes<br />

aus dem Archiv <strong>zu</strong>senden lässt, spricht eine andere<br />

Sprache. Und auch seine Manuskripte offenbaren:<br />

Der 82-Jährige ist ein wahrer Meister der<br />

Dokumentation – alle archivierten Fassungen,<br />

von der »Blechtrommel« bis »Beim Häuten der<br />

Zwiebel« sind verzeichnet und datiert, der Arbeitsprozess<br />

genau nachvollziehbar. Die Prosa<br />

von Grass hat immer in einem Gedicht oder einer<br />

Grafi k ihren Ursprung. Studentin Dorit Abiry beleuchtet<br />

im »Grass-Kreis« Anfangs-Entwürfe seiner<br />

Novelle »Im Krebsgang«, für die er allein sieben<br />

unterschiedliche Fassungen angefertigt hat.<br />

»Ich versuche <strong>zu</strong> verstehen, welche Konsequenzen<br />

diese verschiedenen Anläufe für den Einstieg<br />

auf das Gesamtwerk haben«, sagt die Literaturstudentin.<br />

Christian Thomas, ihr Kommilitone, ist überzeugt<br />

von der Nützlichkeit solcher Arbeiten – für<br />

die Studierenden wie für die Institutionen, die die<br />

Unterstüt<strong>zu</strong>ng bei der Erschließung ihrer gehorteten<br />

Dokumente gut gebrauchen können. »Mich<br />

würde freuen, wenn ein eigener Studiengang eingerichtet<br />

würde, der auch auf die praktischen Anforderungen<br />

zeitgemäßer Editionsvorhaben vorbereitet.«<br />

Ihre Erkenntnisse wird die Gruppe im Oktober<br />

auf einer Tagung der Öffentlichkeit vorstellen<br />

und die Beiträge in den »<strong>Berlin</strong>er Heen <strong>zu</strong> Geschichte<br />

des literarischen Lebens« veröffentlichen,<br />

einem Periodikum des Instituts, das den<br />

berühmtesten Literaten aus dem deutschsprachigen<br />

Raum gewidmet ist.<br />

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