Freiraum im Freiraum. Mikroklimatische Ansätze fur die ... - TU Wien
Freiraum im Freiraum. Mikroklimatische Ansätze fur die ... - TU Wien
Freiraum im Freiraum. Mikroklimatische Ansätze fur die ... - TU Wien
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
Mikrokl<strong>im</strong>atische <strong>Ansätze</strong> für <strong>die</strong> städtische<br />
Landschaftsarchitektur<br />
Katrin Hagen<br />
Einführung<br />
Der erste Teil des Beitrages wirft einen Blick auf <strong>die</strong> gesellschaftlichen und<br />
kl<strong>im</strong>atischen Veränderungen vor allem in Mitteleuropa, <strong>die</strong> sich besonders in<br />
den Städten abzeichnen. Angesetzt wird am thermischen Wohlbefinden der<br />
Bewohner/innen als einer wichtigen Voraussetzung für Lebensqualität und<br />
eine nachhaltige Stadtentwicklung. Der städtische <strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> Allgemeinen<br />
und dessen mikrokl<strong>im</strong>atischen Effekte <strong>im</strong> Besonderen stellen dabei entscheidende<br />
Kriterien dar, was zugleich das Potential der Landschaftsarchitektur<br />
auch in <strong>die</strong>sen Bereichen erhellt. Der zweite Teil des Beitrages widmet sich<br />
der Suche nach konkreten landschaftsarchitektonischen <strong>Ansätze</strong>n <strong>im</strong> Umgang<br />
mit der fortschreitenden Überhitzung der innerstädtischen Strukturen.<br />
Aufgrund der dortigen kl<strong>im</strong>atischen Entwicklung werden unter anderem <strong>die</strong><br />
Gestaltungsprinzipien maurischer Gärten exemplarisch untersucht und <strong>die</strong><br />
Frage diskutiert, inwieweit sich <strong>die</strong> hier gewonnenen Erkenntnisse für eine<br />
künftige städtische Landschaftsarchitektur auf den mitteleuropäischen Raum<br />
übertragen lassen. Dabei spielt das Prinzip der Schaffung von umschlossenen<br />
Freiräumen eine entscheidende Rolle. Neben der historischen Analyse nähert<br />
sich der Beitrag dem Potential von einem derartigen ‚<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong>’<br />
mit Hilfe weiterer Methoden an: empirisch anhand von S<strong>im</strong>ulationen von vereinfachten<br />
Modellvarianten in einem städtebaulichen Kontext und zeitgenössisch/exemplarisch<br />
durch eine Zusammenstellung von Gestaltungsbeispielen<br />
aktueller urbaner Landschaftsarchitektur in Mitteleuropa.<br />
1. Die europäische Stadt <strong>im</strong> Wandel und <strong>die</strong><br />
Bedeutung von <strong>Freiraum</strong> und Kl<strong>im</strong>a<br />
Die Stadtplanung steht insgesamt vor einer großen sozialen Herausforderung.<br />
Die überwiegende Mehrheit der europäischen Bevölkerung lebt bereits<br />
jetzt <strong>im</strong> urbanen Raum. Im Zuge der Entwicklung von innenstadtorientierten
310 Katrin Hagen<br />
und berufszentrierten Lebensstilen wird auch <strong>die</strong> Innenstadt als Lebens- und<br />
Wohnort zunehmend attraktiver (Siebel 2004). Der demographische und gesellschaftliche<br />
Wandel, gerade der letzten Jahrzehnte, wirkt sich auf vielfältige<br />
Weise auf <strong>die</strong> europäischen Staaten und insbesondere auf <strong>die</strong> europäischen<br />
Städte aus. Einen großen Anteil an dem fortschreitenden Wachstum der Städte<br />
haben Zuwanderer/innen, <strong>die</strong> in der Lage sind, <strong>die</strong> generellen Trends des<br />
Bevölkerungsrückgangs und der Überalterung in europäischen Ländern teilweise<br />
aufzufangen. Die Stadt stellt einen heterogenen Pool dar, einen Sammelpunkt<br />
verschiedener sozialer Schichten mit unterschiedlichem politischen<br />
und kulturellen Hintergrund. Das bedeutet ein großes Potential für anstehende<br />
Veränderungen, aber auch besonders komplexe Problemzonen. Feindt<br />
nennt dazu häufig mit der Stadt in Zusammenhang gebrachte Begriffe wie<br />
‚Streitfeld und Ideenpool’, ‚Marktplatz der Ideen’, ‚ökologische Dichte’, ‚Soziodiversität’<br />
und ‚Nischen’, aber auch <strong>die</strong> von Alexander Mitscherlich formulierte<br />
‚Unwirtlichkeit der Städte’ (Feindt 1997: 43).<br />
Dieser gesellschaftliche Wandel wird unterschiedliche Auswirkungen haben.<br />
Siebel sieht z. B. <strong>die</strong> Gefahr von Exklusion und Segregation und einer<br />
Verstärkung von sozialer Ungleichheit und betont <strong>die</strong> Notwendigkeit einer<br />
stärkeren „‚Sozialintegration’ <strong>im</strong> urbanen Kontext“ (Siebel 2004: 46). Kaelble<br />
beobachtet zudem den für das 20. Jahrhundert typischen Wandel von der<br />
Trennung sozialer Milieus hin zu einer Vielzahl von kleineren sozialen Gruppierungen<br />
wie Singles, Pensionierten, Arbeitslosen, Stu<strong>die</strong>renden, Alleinerziehenden,<br />
Zugewanderten etc. Die Folge hiervon sind Unterschiede <strong>im</strong><br />
Sozialstatus, abzulesen z. B. an der Quantität und Qualität von Wohnraum.<br />
Eine wichtige Aufgabe muss daher neben der Integration ausländischer Mitbürger/innen<br />
auch ein sensibler Umgang mit den sich verändernden Alters-,<br />
Familien- und Sozialstrukturen sein. All <strong>die</strong>sen gesellschaftlichen Gruppen ist<br />
in Europa ein – in Relation betrachtet – hoher Lebensstandard und ein Anspruch<br />
auf hohe Lebensqualität gemeinsam (Kaelble 2007). Viele der historischen<br />
Funktionen des öffentlichen Raums, wie z. B. Ort des Handels und der<br />
Repräsentation zu sein, sind zudem weitgehend obsolet geworden. Funktionen<br />
wie Erholung und Freizeit nehmen in jüngerer Zeit hingegen zu. Die technologischen<br />
Entwicklungen, insbesondere der Kommunikationstechnologie,<br />
bringen <strong>die</strong> Gefahr einer weiteren Anonymisierung der Gesellschaft mit sich,<br />
und <strong>die</strong> kapitalistische Wirtschaftsordnung führt zu einer fortschreitenden<br />
Privatisierung ehemals öffentlicher und privater Freiräume. Selle hat darauf<br />
aufmerksam gemacht, dass viele Veränderungen eine Zeit der Anpassung erfordern<br />
und <strong>die</strong> bislang unerkannten Potentiale neuer Aktivitäten und Funktionen,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong> vermeintlichen Defizite beheben, erst allmählich relevant wer
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
311<br />
den. Er rät deshalb von Dramatisierungen ab, <strong>die</strong> gesellschaftliche Umbrüche<br />
in der Vergangenheit häufig begleitet hätten:<br />
„In einem Prozess des permanenten Funktionswandels, des Umund<br />
Neudefinierens dessen, was städtische Öffentlichkeit ist und<br />
Nutzung öffentlicher Räume sein kann, nehmen wir heute einen<br />
Ausschnitt wahr, an dessen Ende eine neue Etappe des Wandels<br />
ihren Anfang n<strong>im</strong>mt.“ (Selle 2004: 145).<br />
Kl<strong>im</strong>awandel und Stadtkl<strong>im</strong>a<br />
Gravierende Auswirkungen zeitigt der gesellschaftliche und stadtstrukturelle<br />
Wandel in der fortschreitenden Veränderung der kl<strong>im</strong>atischen Bedingungen.<br />
Eine Vielzahl an Stu<strong>die</strong>n belegt, dass anthropogene Faktoren zu der dramatischen<br />
Beschleunigung des ohnehin stattfindenden Kl<strong>im</strong>awandels innerhalb<br />
der letzten Jahrzehnte deutlich beigetragen haben (z. B. IPCC 2007; Pfister<br />
1999). Der globale Kl<strong>im</strong>awandel sorgt auch für eine fortschreitende Erwärmung<br />
der Städte. Die durch <strong>die</strong> gebauten Stadtstrukturen zusätzlich ausgebildete<br />
Wärmeinsel wirkt sich wiederum auf das globale Kl<strong>im</strong>ageschehen aus.<br />
Dabei verstärken sich globaler Kl<strong>im</strong>awandel und Stadtkl<strong>im</strong>a gegenseitig. Die<br />
Städte haben somit einerseits einen großen Einfluss auf das allgemeine Umwelt-<br />
und Kl<strong>im</strong>ageschehen, andererseits sind in ihnen <strong>die</strong> Auswirkungen auch<br />
am deutlichsten zu spüren. Das Kl<strong>im</strong>a der Stadt hat sich schon <strong>im</strong>mer von dem<br />
der Umgebung abgehoben. Am prägnantesten ist hier der Temperaturunterschied.<br />
Die Gründe für <strong>die</strong>se Temperaturunterschiede sind vielseitig, lassen<br />
sich aber in erster Linie auf <strong>die</strong> Stadtstruktur, und zwar sowohl auf <strong>die</strong> Gestalt<br />
als auch auf <strong>die</strong> Oberflächenbeschaffenheit, zurückführen.<br />
Das Kl<strong>im</strong>a <strong>im</strong> Allgemeinen, und zwar der Wärmehaushalt wie der Wasserhaushalt<br />
der Atmosphäre, entwickelt sich grundsätzlich von der Erdoberfläche<br />
aus (Geiger 1950). Es setzt sich aus den unterschiedlichen lokalen Kl<strong>im</strong>ata zusammen,<br />
<strong>die</strong> sich innerhalb der bodennahen Luftschicht kleinräumiger Strukturen<br />
herausbilden. Das Stadtkl<strong>im</strong>a ist somit zusammengesetzt aus den lokalen<br />
Kl<strong>im</strong>ata der einzelnen gebauten Stadträume. Ausschlaggebend für das<br />
lokale Kl<strong>im</strong>a ist vor allem der Anteil an Hitze und Wasser nahe der Erdoberfläche.<br />
Eine Versiegelung von Oberflächen mit Materialien, <strong>die</strong> sich schnell aufheizen,<br />
und <strong>die</strong> zusätzliche Ableitung von anfallendem Oberflächenwasser in<br />
<strong>die</strong> Kanalisation wirken sich deshalb negativ auf das gesamte Stadtkl<strong>im</strong>a aus.<br />
Wirklich relevant wurde das Thema ‚Stadtkl<strong>im</strong>a’ vor allem <strong>im</strong> Zuge des<br />
schnellen Anwachsens der Städte durch <strong>die</strong> Industrialisierung <strong>im</strong> 19. Jahrhun
312 Katrin Hagen<br />
dert. Die Stadtentwicklung ist mit einer massiven Umwandlung natürlicher<br />
Oberflächen in künstliche Oberflächen mit ungünstigeren thermischen Eigenschaften<br />
verbunden gewesen und zudem mit einer Vervielfachung der<br />
gebauten Gesamtoberfläche in <strong>die</strong> Vertikale. Die Folge war (und ist) eine Steigerung<br />
der Umwandlung von einkommender Strahlung in Oberflächenwärme.<br />
Auch hebt sich das natürliche Windsystem auf <strong>die</strong> Ebene der Dächer an<br />
und verändert somit <strong>die</strong> inneren Windstrukturen mit Auswirkungen auf <strong>die</strong><br />
Niederschlagsstrukturen und den gesamten Wasserhaushalt der Stadt. Hinzu<br />
kommt ein verstärkter Anteil an emittierten Staubpartikeln und Luftschadstoffen,<br />
deren Konzentration durch <strong>die</strong> Sperre des Luftaustausches (Inversion)<br />
extrem erhöht wird. Die stadttypische Dunsthaube und eine zusätzliche Erwärmung<br />
der Stadt sind <strong>die</strong> Folgen (Fezer 1995; Wilby 2007).<br />
In diversen Stu<strong>die</strong>n wurde gezeigt, dass sich das Stadtkl<strong>im</strong>a mitteleuropäischer<br />
Städte zunehmend den mediterranen Kl<strong>im</strong>abedingungen annähert<br />
(z. B. Hallegatte/Hourcade/Ambrosi 2007). Damit laufen <strong>die</strong> Städte dem Trend<br />
der globalen Kl<strong>im</strong>aentwicklung voraus. Es ist deshalb mit einem weiteren Anstieg<br />
an Trockenheit, Überflutungsgefahr, Hitzestress und Luftverschmutzung<br />
zu rechnen, <strong>die</strong> – neben ihren ökologisch, ökonomisch und sozial ungünstigen<br />
Effekten – vor allem auch <strong>die</strong> Gesundheit der Bewohner/innen und deren<br />
Wohlbefinden negativ beeinflussen. Alte Menschen und Kleinkinder sind davon<br />
besonders betroffen (Wilby 2007). Angesichts der demographischen Entwicklungen<br />
bekommen <strong>die</strong> kl<strong>im</strong>atischen Aspekte somit zusätzliche Relevanz.<br />
Nachhaltigkeit und Lebensqualität<br />
Seit dem 1972 erschienenen Bericht des „Club of Rome“ unter dem Titel<br />
„Grenzen des Wachstums“ sind Nachhaltigkeit und damit in einem engen Zusammenhang<br />
stehend auch der kl<strong>im</strong>atische Wandel als wichtige Aspekte politischer<br />
Entscheidungsprozesse erkannt und diskutiert worden. Im Rahmen<br />
der Umweltkonferenz in Lissabon 1992 wurde eine europaweite Strategie zur<br />
nachhaltigen Entwicklung beschlossen. Stu<strong>die</strong>n wie <strong>die</strong> regelmäßigen Jahresberichte<br />
des „International Panel of Cl<strong>im</strong>ate Change“ (IPCC 4th Assessment<br />
Report 2007) und der 2006 veröffentlichte „Stern-Report“ (Stern 2007) haben<br />
Fragen des Kl<strong>im</strong>awandels und der Nachhaltigkeit auf <strong>die</strong> politische, wissenschaftliche<br />
und mediale Tagesordnung gehoben.<br />
Der Begriff der Nachhaltigkeit basiert auf dem 1987 erschienenen Brundtland-Report<br />
„Unsere Gemeinsame Zukunft“ und verdichtet sich in dem viel<br />
zitierten Satz:
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
313<br />
„Sustainable development is development that meets the needs<br />
of the present without compromising the ability of future generations<br />
to meet their own needs.“ (UN 1987: 42).<br />
Die mit <strong>die</strong>sem Konzept verbundene Grundidee bedeutet eine ungeheure zivilisatorische<br />
Neuorientierung: weg von der eigennützigen Interessenpolitik<br />
einer Gesellschaft hin zu ‚globaler’ Verantwortung auch gegenüber kommenden<br />
Generationen. Die Definition selbst lässt allerdings einen großen Spielraum<br />
für Interpretationen zu und kann, je nach Interessengruppe, ausgelegt<br />
und instrumentalisiert werden. Der Begriff wird angesichts seiner Komplexität<br />
intensiv diskutiert, wobei eine konsensfähige und allgemeingültige Definition<br />
bislang aber noch nicht gefunden wurde. Müller definiert Nachhaltigkeit als<br />
„Versuch, ein Konzept zu entwickeln, wie <strong>die</strong> wirtschaftlichen Ressourcen<br />
erhalten, <strong>die</strong> sozialen Bedürfnisse gesichert und <strong>die</strong> natürlichen<br />
Grundlagen dauerhaft geschützt werden können.“ (Müller<br />
1997: 31)<br />
Gerken und Renner (1996) beschreiben sie als „gesellschaftliches Abwägungskonzept<br />
zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielsetzungen“,<br />
und Homann (1996) bezeichnet sie als ‚regulative Idee’ (beide nach Feindt<br />
1997: 41). Feindt selbst versteht Nachhaltigkeit als einen Leitbegriff, der den<br />
früheren Begriff des ‚Gemeinwohls’ abgelöst hat (Feindt 1997: 38).<br />
Frühe Positionen der Nachhaltigkeits-Debatte betonen in erster Linie <strong>die</strong><br />
enge Beziehung zwischen Ökonomie und Ökologie. Die 1972 in Rio de Janeiro<br />
einberufene Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung<br />
stellte erstmals <strong>die</strong> sozialen Aspekte in den Vordergrund. Inzwischen ist <strong>die</strong><br />
Bedeutung der sozialen Ebene für <strong>die</strong> Nachhaltigkeit allgemein anerkannt<br />
und neben der Ökologie und Ökonomie fester Bestandteil ihres sogenannten<br />
„Drei-Säulen-Modells“. Spitzer betont vor allem <strong>die</strong> Chancengleichheit und<br />
das „natürliche Kapital“ (erneuerbare und nicht erneuerbare natürliche Ressourcen)<br />
als Grundlage einer funktionierenden Nachhaltigkeit (Spitzer 1997:<br />
63). Die Herausforderung lautet dabei, <strong>die</strong><br />
„richtige Balance zwischen Eigenverantwortlichkeit der Einzelnen<br />
und der Fürsorgepflicht von Institutionen (Staat, Betrieb, Gemeinschaften)<br />
sowie <strong>die</strong> Fähigkeit zu konstruktiver Konfliktlösung“
314 Katrin Hagen<br />
zu finden (ebd.: 64). Eine nachhaltige Entwicklung fordert <strong>die</strong> Bereitschaft zu<br />
einer bewussten Selbstbegrenzung der Bürger/innen und stellt somit auch<br />
eine Frage von Moral und eine Frage der „kollektiven Identität“ dar (Feindt<br />
1997: 44).<br />
Der Großteil der Bevölkerung lebt in Städten, weshalb <strong>die</strong>se entscheidende<br />
Bedeutung für das Gelingen einer nachhaltigen Entwicklung haben. Der<br />
gesamte Komplex der Nachhaltigkeits-Debatte hat sich daher gerade auch<br />
auf <strong>die</strong> Diskussion um <strong>die</strong> Stadt verlagert: „In den Städten entscheidet sich<br />
<strong>die</strong> Zukunft der Menschheit“ (Birzer/Feindt/Spindler 1997: 11). Besonders hier<br />
wird deutlich, dass eine nachhaltige Entwicklung nur dann erreicht werden<br />
kann, wenn auch „<strong>die</strong> Bürger selbst <strong>die</strong> Nachhaltigkeit als ihr eigenes Anliegen<br />
erleben“ (ebd.: 12), und so der Schritt zu einem Verantwortungsbewusstsein<br />
kommenden Generationen gegenüber erleichtert wird. Soziale Aspekte wie<br />
Lebensqualität und Wohlbefinden erhalten hier eine besondere Bedeutung.<br />
Lebensqualität umschreibt das aktuelle physische, soziale und ökonomische<br />
subjektive Wohlbefinden (Maderthaner 1995: 176). Neben der körperlichen<br />
und seelischen Gesundheit spielen laut Argyle (1987) vor allem<br />
Sozialkontakte, Freizeit und Arbeit eine entscheidende Rolle, bevor weitere<br />
Faktoren wie soziale Klasse, Geschlecht, Alter und Nationalität zum Tragen<br />
kommen (nach Maderthaner 1995: 177). Gesundheit und Wohlbefinden bedingen<br />
sich dabei gegenseitig. Die physische Nähe und <strong>die</strong> Häufigkeit der<br />
Sozialkontakte sind ebenso wichtig wie eine gewisse soziodemographische<br />
Übereinst<strong>im</strong>mung und eine Ähnlichkeit in Einstellung und Meinung. Gerade<br />
<strong>die</strong> beiden letztgenannten Kriterien liegen auf dem schmalen Grat zwischen<br />
Kommunikation (als Grundbedürfnis und Grundvoraussetzung menschlicher<br />
Existenz) und somit Integration einerseits und der von Siebel angesprochenen<br />
Gefahr von Segregation und Ausgrenzung. Ziel einer nachhaltigen Entwicklung<br />
muss also, neben der Schaffung eines gesunden Umfeldes, <strong>die</strong> Förderung<br />
der Kommunikation über <strong>die</strong> sozialen und ethnischen Grenzen hinaus<br />
sein, um das Zusammengehörigkeitsgefühl insgesamt zu steigern. Hierin besteht<br />
eine wichtige Aufgabe der Stadtplanung (Maderthaner 1995) und insbesondere<br />
der <strong>Freiraum</strong>planung. Denn in den städtischen Freiräumen begegnen<br />
sich <strong>die</strong> verschiedenen Phänomene: <strong>die</strong> Nachhaltigkeit als ökologische<br />
Verantwortung und als soziale Schnittstelle, <strong>die</strong> Lebensqualität in Bezug auf<br />
<strong>die</strong> physische und psychische Gesundheit und das Wohlbefinden. Der Nutzungsdruck<br />
auf <strong>die</strong> öffentlichen Freiräume in der Stadt n<strong>im</strong>mt allgemein zu.
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
315<br />
Stadtplanung und <strong>die</strong> mikrokl<strong>im</strong>atische Wirkung städtischer Freiräume<br />
„Es ist unsere Aufgabe, Landschaften und das städtische Habitat<br />
so zu gestalten, dass wirtschaftliche, ökologische, soziale und kulturelle<br />
Nachhaltigkeit gefördert werden. Ästhetik, Multifunktionalität<br />
sowie ökologische und soziale Kriterien spielen dabei eine<br />
wichtige Rolle.“ (Spitzer 1997: 68)<br />
Die stadtkl<strong>im</strong>atischen Aspekte werden dabei bislang aber noch zu wenig<br />
beachtet. Sie sind jedoch ausschlaggebend für <strong>die</strong> Nutzbarkeit und Aufenthaltsqualität<br />
des öffentlichen <strong>Freiraum</strong>s als soziale Schnittstelle und als Aufenthalts-<br />
und Erholungsort und Lebensraum <strong>im</strong> ökologischen Sinn, ebenso<br />
wie sie wichtige Rahmenbedingungen für meist ökonomisch ausgerichtete<br />
Strategien wie öko-effizientes Bauen bilden (z. B. bei der Isolierung von Gebäuden<br />
und dem Schaffen kühler Umgebungstemperaturen).<br />
Das spürbare Zusammentreffen all <strong>die</strong>ser Aspekte <strong>im</strong> städtischen Umfeld<br />
bietet gerade der Landschaftsarchitektur <strong>die</strong> große Chance, vielen Menschen<br />
<strong>die</strong> Vorteile einer nachhaltigen Planung auf einer ganz individuellen Ebene<br />
vor Augen zu führen. Es sind zwei unterschiedliche Strategien parallel zu entwickeln.<br />
Längerfristiges Ziel muss <strong>die</strong> Mitigation (Ursachenreduzierung) des<br />
Kl<strong>im</strong>awandels sein. Die Entwicklungen vergangener Jahrzehnte werden sich<br />
jedoch noch weit in der Zukunft auswirken, der Kl<strong>im</strong>awandel wird in absehbarer<br />
Zeit nicht aufzuhalten sein (IPCC 2007). Daher ist es kurz- und mittelfristig<br />
ebenso notwendig, Strategien zur Anpassung an <strong>die</strong> veränderten kl<strong>im</strong>atischen<br />
Bedingungen zu finden.<br />
Hier wird das Potential städtischer Freiräume besonders deutlich, da sie<br />
neben der direkten Mitigation der städtischen Wärmeinsel auch Chancen zur<br />
Anpassung an <strong>die</strong> veränderten Kl<strong>im</strong>abedingungen innerhalb der überhitzten<br />
Städte bieten und durch ihren kl<strong>im</strong>atischen Einfluss <strong>die</strong> Lebensqualität der<br />
Stadtbewohner, also deren Gesundheit und Wohlbefinden, nachhaltig steigern<br />
können.<br />
Auf einer größeren Maßstabsebene ist <strong>die</strong> Gesamtheit aller städtischen<br />
Freiräume von erheblicher Bedeutung. Große zusammenhängende Freiflächen<br />
wie Grün- und Wasserflächen sind dabei nicht nur wegen der Vernetzung<br />
von Lebensräumen, sondern auch aus stadtkl<strong>im</strong>atischen Gründen der<br />
Durchlüftung und Belichtung der verdichteten Stadtstrukturen notwendig.<br />
Die Bedeutung <strong>die</strong>ser beiden städtebaulichen Aspekte für gesundes Wohnen<br />
wurde bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannt, woraus sich das<br />
Fachgebiet der Biokl<strong>im</strong>atologie als Grenzdisziplin zwischen Medizin und Me
316 Katrin Hagen<br />
teorologie entwickelte (Keul 1995). Die oft vollzogene Trennung zwischen öffentlichen<br />
und privaten Freiräumen ist dabei kontraproduktiv. Vor dem Hintergrund<br />
der Vervielfältigung der Gesamtoberfläche durch <strong>die</strong> Stadtstruktur<br />
werden auch Fassaden und Dächer zu wichtigen potentiellen Freiflächen. In<br />
stadtkl<strong>im</strong>atischer Hinsicht kann hier ein wichtiger Beitrag zur Kühlung durch<br />
Verschattung und Evotranspiration sowie zur Luftqualität und Gebäudeeffizienz<br />
geleistet werden. Gründächer bieten zusätzlich ein großes Versickerungspotential<br />
und können somit eine wichtige Funktion für ein nachhaltiges Entwässerungssystem<br />
übernehmen (Roehr/Laurenz 2008).<br />
Vegetation und somit städtische Grünräume spielen stadtkl<strong>im</strong>atisch eine<br />
besondere Rolle. Seitz (1974) stellte einen klaren Zusammenhang zwischen dem<br />
Anteil der Grünflächen in einer Stadt und dem Grad der Überhitzung fest (nach<br />
Fezer 1995: 39), und Z<strong>im</strong>mermann (1984) verdeutlichte den positiven Effekt von<br />
Grünräumen für <strong>die</strong> städtische Wärmeinsel (nach Fezer 1995: 96). Entscheidend<br />
sind dabei einerseits <strong>die</strong> Größe der Grünflächen und <strong>die</strong> Struktur der angrenzenden<br />
Bebauung und andererseits <strong>die</strong> Zusammensetzung der Vegetation.<br />
Die gleichen Kriterien, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Maßstabsebene der gesamten Stadt beschrieben<br />
wurden, gelten auch für <strong>die</strong> kleinteiligen Stadtstrukturen. In ihnen<br />
bekommt das lokale Kl<strong>im</strong>a <strong>im</strong> Sinne der Aufenthaltsqualität zusätzliche Bedeutung.<br />
Hier wird neben den kl<strong>im</strong>atischen Einflussfaktoren <strong>die</strong> Relevanz der<br />
Oberflächenbeschaffenheit deutlich. Insgesamt kann <strong>die</strong> städtische Oberfläche<br />
anhand von drei unterschiedlichen Materialtypen beschrieben werden:<br />
baustoffliche Materialien, Vegetation und Wasser.<br />
Baustoffliche Materialien besitzen sehr unterschiedliche thermische Eigenschaften.<br />
Das betrifft vor allem Unterschiede in der Wärmeaufnahme und<br />
Wärmeabgabe. Bedeutend sind dabei unter anderem der Reflektionsgrad der<br />
Materialoberfläche (Albedo) und <strong>die</strong> spezifische Dichte, Wärmeleitfähigkeit und<br />
Porosität des jeweiligen Materials. Luft- und Wassergehalt haben einen entscheidenden<br />
Einfluss auf das thermische Verhalten eines Bodens (Geiger 1950; Berényi<br />
1967). Je höher das Wasserspeicherungsvermögen und der Reflektionsgrad<br />
und je rauer <strong>die</strong> Oberflächenbeschaffenheit sind, desto positiver wirkt sich das<br />
verwendete Material auf das Mikrokl<strong>im</strong>a und in der Folge auf das Stadtkl<strong>im</strong>a aus.<br />
Vegetation verändert <strong>die</strong> Oberflächenbeschaffenheit der Stadt. Aufgrund<br />
seiner Blattstruktur verhält sich das ‚Material Pflanze’ anders als andere Oberflächen,<br />
da hier neben der Reflektion und Absorption auch eine Transmission<br />
einfallender Strahlung stattfindet, <strong>die</strong> Pflanze also in mehreren Schichten zu<br />
betrachten ist. Hinzu kommt <strong>die</strong> kühlende Wirkung der Wasserverdunstung<br />
(Evapotranspiration), verteilt über <strong>die</strong> Gesamtheit der Blattoberflächen und<br />
somit über den vertikalen Raum. Durch den Wasserhaushalt der Pflanze wird
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
317<br />
auch der des Bodens reguliert, indem Feuchtigkeit in der bodennahen Erdschicht<br />
gehalten wird. Die unregelmäßige Oberflächenstruktur der Vegetation<br />
verursacht Turbulenzen <strong>im</strong> Windfluss und fördert damit <strong>die</strong> Abführung von<br />
oberflächlicher Hitze durch Wind in höhere Luftschichten. Durch <strong>die</strong> Beweglichkeit<br />
der Pflanze werden starke Luftbewegungen abgebremst, Schwachwinde<br />
jedoch hindurch gelassen. Ausschlaggebend ist hierbei <strong>die</strong> Struktur,<br />
Dichte und Winddurchlässigkeit der jeweiligen Pflanze. Hinzu kommt eine Filterung<br />
der Staub- und Schadstoffanteile aus der Luft. Durch <strong>die</strong> verschattende<br />
Wirkung der Pflanze wird dem Aufheizen der darunter liegenden Stadtoberflächen<br />
zusätzlich entgegengewirkt (Geiger 1950; Berényi 1967). Die <strong>im</strong> Verhältnis<br />
zur Umgebung kühlere Luft der Grünräume bewegt sich in Windrichtung in<br />
angrenzende Stadtbereiche. Alleen spielen als Frischluftkanäle eine bedeutende<br />
Rolle für das gesamte Stadtkl<strong>im</strong>a (D<strong>im</strong>oudi/Nikolopoulou 2003).<br />
Das ‚Material Wasser’ stellt eine Besonderheit dar. Die Einstrahlung dringt<br />
in Abhängigkeit vom Einstrahlungswinkel und der damit verbundenen Reflektion<br />
der Wasseroberfläche in tiefere Schichten ein. Wasser besitzt eine<br />
hohe spezifische Wärme und somit eine besonders hohe Wärmekapazität. Es<br />
ist daher ein hervorragender Speicher und Energielieferant. Die Schwankungen<br />
der Wassertemperatur sind allgemein gering, wodurch Wasserflächen <strong>im</strong><br />
Tagesgang eine <strong>die</strong> Temperatur ausgleichende Wirkung besitzen. Je kleiner<br />
<strong>die</strong> Wasseroberfläche und je flacher der Wasserstand, desto ähnlicher sind <strong>die</strong><br />
Temperaturen jedoch denjenigen des festen Bodens. Bewegtes Wasser weist<br />
dabei grundsätzlich weniger Temperaturschwankungen auf als stehendes<br />
Wasser. Direkt an der Wasseroberfläche befindet sich aufgrund der Verdunstung<br />
ein dünner kalter Wasserfilm. Der Grad an Verdunstung einer Wasserfläche<br />
bleibt dabei Tag und Nacht ungefähr gleich (Geiger 1950).<br />
Mikrokl<strong>im</strong>atische Landschaftsarchitektur<br />
Das lokale Kl<strong>im</strong>a wird durch <strong>die</strong> Gleichung der Wärmebilanz beschrieben, mit<br />
der kl<strong>im</strong>atische Faktoren und thermische Eigenschaften der Oberflächen berücksichtigt<br />
werden. Brown und Gillespie drücken <strong>die</strong> Gleichung vereinfacht<br />
als „Energie-Budget“ aus (Brown/Gillespie 1995: 58). Dabei werden <strong>die</strong> hereinkommende<br />
Energie (in erster Linie Solarstrahlung) und <strong>die</strong> ausgehende<br />
Energie in Relation gesetzt. Die ausgehende Energie setzt sich zusammen aus<br />
der abgestrahlten Energie aller Oberflächen, der Ableitung von Wärme in <strong>die</strong><br />
Oberflächenmaterialien (Konduktion), der durch Austausch in <strong>die</strong> Luft abgegebenen<br />
Wärme (Konvektion) und der für den Verdunstungsprozess benötigten<br />
Energie (Evapotranspiration).
318 Katrin Hagen<br />
Durch eine bewusste <strong>Freiraum</strong>gestaltung kann auf jeden einzelnen Faktor<br />
der oben genannten Gleichung Einfluss genommen werden. Brown und<br />
Gillespie nennen <strong>die</strong>ses Vorgehen „mikrokl<strong>im</strong>atische Landschaftsarchitektur“<br />
(ebd.). Ziel ist es dabei stets, das „Energie-Budget“ in eine für den Menschen<br />
angenehme Balance zu bringen.<br />
Neben der Gesundheit wird auch das subjektive – und hier besonders das<br />
thermische – Wohlbefinden als integrativer Bestandteil der Lebensqualität<br />
relevant. Der Mensch hat eine opt<strong>im</strong>ale innere Temperatur von 37°C, <strong>die</strong> der<br />
Körper zu halten versucht. Die „Schalentemperatur“ der Haut liegt bei 24 – 34°C<br />
und ermöglicht eine gewisse Anpassung an Temperaturunterschiede (Keul<br />
1995: 158). Erwärmungs- und Abkühlungsreize lösen Thermoregulationsvorgänge<br />
<strong>im</strong> Körper aus. Dazu zählen z. B. das Zittern bei Kälte und das Schwitzen<br />
bei Wärme. Der Körper gibt laufend Wärme ab, wobei sich <strong>die</strong>se metabolische<br />
Wärme in Strahlung, fühlbare Wärme und latente Wärme über Lunge und<br />
Haut unterteilen lässt. Der thermische Behaglichkeitsbereich des Menschen<br />
liegt in Europa bei einer Lufttemperatur von ca. 18 – 24°C. Auf ihn kann der<br />
Mensch durch Bekleidung und Aktivität gezielt Einfluss nehmen (Keul 1995).<br />
Hierunter fällt auch <strong>die</strong> Standortwahl bzw. der bewusste Schutz vor kl<strong>im</strong>atischen<br />
Faktoren wie Strahlung, Wind und Niederschlag. Die Wärmebilanz des<br />
Menschen stellt somit ein sehr komplexes Wirkungsgefüge dar. Neben den<br />
kl<strong>im</strong>atischen Faktoren ist hierbei eine Vielzahl nicht-kl<strong>im</strong>atischer Faktoren von<br />
Belang. Brager und de Dear unterscheiden dabei verhaltenstechnische, physische<br />
und psychische „feedbacks“ (Brager/de Dear 1998).<br />
Keul hebt <strong>die</strong> Bedeutung des thermischen Wohlbefindens hervor, indem<br />
er festhält, dass<br />
„viele Produkte der Zivilisation (…) auch Regulationsversuche der<br />
Witterungseinflüsse in Richtung Wohlbefinden“ (Keul 1995: 156)<br />
sind. Die für das thermische Befinden verantwortlichen kl<strong>im</strong>atischen Faktoren<br />
sind Strahlung, Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit.<br />
Bekannte Kombinationswerte verschiedener kl<strong>im</strong>atischer Faktoren sind z. B.<br />
<strong>die</strong> Schwüle (Lufttemperatur und Feuchtigkeit) und „wind-chill“ (Lufttemperatur<br />
und Wind). Hinsichtlich des thermischen Wohlbefindens spielen vor allem<br />
<strong>die</strong> Oberflächentemperaturen eine entscheidende Rolle, was Strahlung<br />
und Wind zu den bedeutendsten kl<strong>im</strong>atischen Faktoren macht und <strong>die</strong> Relevanz<br />
der Oberflächenmaterialien und ihrer thermischen Eigenschaften unterstreicht<br />
(Fanger 1970; Brown/Gillespie 1995).
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
319<br />
Die Herausforderung für <strong>die</strong> Landschaftsarchitektur lautet deshalb, durch<br />
nachhaltige und innovative Gestaltungsideen <strong>die</strong> mikrokl<strong>im</strong>atische Wirkung<br />
der städtischen Freiräume zu steigern. Ein kühleres Mikrokl<strong>im</strong>a kann innerhalb<br />
der überhitzten Stadtstrukturen auf vielfältige Weise erreicht werden,<br />
so z. B. durch einen möglichst hohen Anteil an Vegetation für Verschattung,<br />
Winddurchlässigkeit und Blattgesamtoberfläche und in Kombination mit<br />
der Verwendung von versickerungsfähigen, hellen und rauen baustofflichen<br />
Oberflächen sowie der Integration von Wasserelementen. Eine Integration<br />
von Dach- und Fassadenflächen in <strong>die</strong> <strong>Freiraum</strong>gestaltung, das Anheben von<br />
kühlenden Verdunstungsflächen in <strong>die</strong> dritte D<strong>im</strong>ension (z. B. durch Vegetations-<br />
oder Wasserwände, Fontänen und Wassernebel) und <strong>die</strong> Schaffung<br />
‚isolierter’ kühlerer und feuchterer Kleinsträume durch eine bewusste Raumbildung<br />
auch anhand vegetativer Elemente sind hier einige interessante <strong>Ansätze</strong>.<br />
2. Das Potential umschlossener Freiräume <strong>im</strong><br />
<strong>Freiraum</strong> für eine urbane/mikrokl<strong>im</strong>atische<br />
Landschaftsarchitektur<br />
Der städtische <strong>Freiraum</strong> und sein spezielles lokales Kl<strong>im</strong>a sind Schlüsselfaktoren<br />
für eine künftig nachhaltigere Stadtentwicklung in Mitteleuropa. Die<br />
grundsätzlich positive Wirkung von Grünräumen und Wasserflächen in der<br />
Stadt ist durch eine Vielzahl von Stu<strong>die</strong>n belegt (z. B. <strong>im</strong> Zuge des 5. Rahmenprogramms<br />
der EU 2004: BUGS; RUROS; URGE). Wie können <strong>die</strong> mikrokl<strong>im</strong>atischen<br />
Vorteile <strong>die</strong>ser ‚Materialien’ auch in öffentlichen Freiräumen urbanen<br />
Charakters innerhalb der stark verdichteten Stadtstruktur wirksam werden,<br />
ohne eine entsprechende flexible und durchgängige Nutzung <strong>die</strong>ser Flächen<br />
zu behindern? Wie können innerhalb der bestehenden <strong>Freiraum</strong>strukturen<br />
kleinteiligere und somit mikrokl<strong>im</strong>atisch wirksamere Strukturen entwickelt<br />
werden, ohne dabei städtebaulich weiter zu verdichten? Das Forschungsinteresse<br />
konzentriert sich also auf <strong>die</strong> Suche nach landschaftsarchitektonischen<br />
Gestaltungsprinzipien für Planungsansätze, <strong>die</strong> das (thermische) Wohlbefinden<br />
<strong>im</strong> öffentlichen <strong>Freiraum</strong> mitteleuropäischer Städte verbessern. Der Beitrag<br />
betont das Potential von einer Schaffung umschlossener Freiräume <strong>im</strong><br />
<strong>Freiraum</strong> und nähert sich <strong>die</strong>sem Thema mit Hilfe unterschiedlicher Methoden<br />
an.
320 Katrin Hagen<br />
Gestaltungsprinzipien maurischer Gärten unter mikrokl<strong>im</strong>atischen<br />
Aspekten<br />
Die kl<strong>im</strong>atische Situation in mitteleuropäischen Städten hat sich so verändert,<br />
dass sich eine Untersuchung und möglicherweise eine Übertragung<br />
von Erfahrungen und Erkenntnissen aus dem mediterranen Raum geradezu<br />
aufdrängt. Betrachtet man jüngere urbane Landschaftsarchitektur in <strong>die</strong>ser<br />
Region, fällt jedoch auf, dass aufgrund technischer Fortschritte (Kl<strong>im</strong>atisierung)<br />
und internationaler Gestaltungstrends <strong>im</strong> Zuge der Globalisierung kl<strong>im</strong>atisches<br />
Wissen in der Stadtplanung verloren gegangen ist, bzw. zugunsten<br />
politischer und wirtschaftlicher Prioritäten in den Hintergrund gedrängt wurde.<br />
Für <strong>die</strong> Untersuchung kl<strong>im</strong>atischer Gestaltungsaspekte bietet sich daher<br />
ein Blick zurück auf <strong>die</strong> maurischen Gärten in Andalusien an. Sie stellen einerseits<br />
eine erfolgreiche Adaption von Gestaltungsprinzipien aus heißen und<br />
trockenen Kl<strong>im</strong>ata an neue Kl<strong>im</strong>abedingungen und an eine andere Kultur dar<br />
und repräsentierten zugleich <strong>die</strong> Bildung eines neuen, eigenständigen Gartenstils.<br />
Dabei lag ein entscheidender Schwerpunkt auf der Akkl<strong>im</strong>atisierung<br />
exotischer (Kultur-)Pflanzen. Palastgärten bildeten eine Art Exper<strong>im</strong>entierfeld.<br />
Die Herrscherpaläste entwickelten sich zu wichtigen Zentren der Wissenschaft,<br />
auch hinsichtlich Landwirtschaft, Botanik und Pharmazie. Andererseits<br />
verkörperte der maurische Gartenstil in all seinen Facetten Aspekte des Wohlbefindens<br />
(Hagen/Stiles 2009). Es stellt sich deshalb <strong>die</strong> Frage, inwieweit <strong>die</strong><br />
Gestaltungsprinzipien der maurischen Gärten Potential für den Umgang mit<br />
der fortschreitenden Überhitzung mitteleuropäischer Stadtstrukturen bereithalten.<br />
Bei der Bearbeitung <strong>die</strong>ser Fragestellung geht es um <strong>die</strong> Analyse der<br />
zugrunde liegenden Gestaltungsprinzipien und ihren mikrokl<strong>im</strong>atischen Effekten,<br />
jedoch nicht um eine Implementierung von Gestaltungselementen.<br />
Die Grundlage der maurischen Gärten bildet ein ganzheitlicher Gestaltungsansatz.<br />
Es handelt sich um ein enges Zusammenspiel von Design und<br />
Funktion, Innenraum und Außenraum, Vegetation und Wasser – und <strong>die</strong>s<br />
auch unter Einbeziehung symbolischer und sinnlicher Aspekte. Am deutlichsten<br />
ausgeprägt war <strong>die</strong>s in den herrschaftlichen Palastgärten. Das Wasser<br />
versorgte in seinem Lauf alle Bereiche der Gebäude und Gärten und erfüllte<br />
somit <strong>die</strong> ihm zugeschriebenen Funktionen wie Versorgung, Hygiene, Gestaltung<br />
und Bewässerung. Das Wasser besaß darüber hinaus auch einen hohen<br />
symbolischen Wert, der unter anderem in der Herkunft der Herrscher aus Wüstenregionen<br />
begründet scheint. Das Wasser galt als Symbol des Lebens und<br />
gleichzeitig als Symbol von Macht und Prestige, da der Herrscher ‚Bringer des<br />
Wassers’ und somit ‚Bringer des Lebens’ war (Ruggles 2000). Das Wasser fand
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
321<br />
daher als eigenständiges Gestaltungselement Eingang in <strong>die</strong> Gärten und erfüllte<br />
somit auch rein sinnliche Aspekte wie Klang, Mystik und Kühlung durch<br />
direkte Berührung (Kugel 1989). Unterstützt wurden <strong>die</strong>se Aspekte durch eine<br />
bewusste Auswahl der Vegetation. Jeder Gartenraum erhält durch <strong>die</strong> Art und<br />
Weise der integrierten Wasserelemente und seiner Vegetation so seine spezifische<br />
sinnliche und kl<strong>im</strong>atische Atmosphäre (Abb.33 und 34).<br />
Abbildung 33.<br />
Patio de los Arrayanes in der Alhambra, Granada
322 Katrin Hagen<br />
Abbildung 34.<br />
Patio de la Acequia <strong>im</strong> Generalife, Granada
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
323<br />
Unter kl<strong>im</strong>atischen Aspekten wird wiederum <strong>die</strong> Ganzheitlichkeit des Gestaltungsansatzes<br />
deutlich: der enge Bezug zwischen Innenraum und dem durch<br />
<strong>die</strong> Gebäude umschlossenen Gartenraum. Ein ausgefeiltes Gestaltungskonzept,<br />
von J<strong>im</strong>énez Alcalá „patio-pórtico-Qubba“ bzw. „patio-pórtico-torre“<br />
genannt, leitete <strong>die</strong> kühle und feuchte Luft des Gartenhofs durch <strong>die</strong> angrenzenden<br />
Innenräume. Ausschlaggebend für den Grad der Kühlung waren<br />
dabei verschiedene Faktoren: erstens <strong>die</strong> Dicke der Gebäudemauern sowie<br />
<strong>die</strong> Anzahl, Verteilung und Größe der Maueröffnungen. Eine besondere Rolle<br />
spielt dabei <strong>die</strong> turmartige Gestalt des Hauptraumes mit Maueröffnungen in<br />
dessen höchstem Bereich (Qubba); zweitens <strong>die</strong> Ausformung des verschatteten<br />
Übergangsbereiches von innen nach außen (pórtico); und drittens <strong>die</strong> Ausgestaltung<br />
des Gartenhofes selbst, vor allem hinsichtlich Vegetation, Wasser<br />
und Beschattung (patio) (J<strong>im</strong>énez Alcalá 1999). Der mikrokl<strong>im</strong>atische Effekt<br />
wurde durch <strong>die</strong> Integration von dreid<strong>im</strong>ensionalen und fließenden Wasserelementen<br />
sowohl <strong>im</strong> Garten als auch <strong>im</strong> Innenraum verstärkt. Das Beispiel<br />
der Großen Moschee in Córdoba zeigt, dass <strong>die</strong>ses Konzept auch auf größere<br />
D<strong>im</strong>ensionen übertragen wurde (Abb. 35).<br />
Abbildung 35. Konzept von patio-pórtico-Qubba in der Großen Moschee von Córdoba<br />
Quelle: J<strong>im</strong>énez Alcalá (1999)<br />
Der raumbildende Aspekt zur Isolierung von Gärten und <strong>die</strong> damit verbundenen<br />
mikrokl<strong>im</strong>atischen Vorteile finden sich auch innerhalb der großräumigeren<br />
und nicht direkt von Architektur beeinflussten Palastgärten wieder.<br />
Eine Besonderheit stellt dabei <strong>die</strong> bis heute erhaltene Wassertreppe in den<br />
Gärten der Alhambra (Generalife) in Granada dar, wo durch <strong>die</strong> ausgefeilte<br />
Gestaltung Verdunstungskühle in <strong>die</strong> dritte D<strong>im</strong>ension gebracht und durch<br />
<strong>die</strong> sie umgebende raumbildende Vegetation verstärkt wird. Hinzu kommen<br />
‚assoziativ-mikrokl<strong>im</strong>atische’ Aspekte wie das gurgelnde Geräusch des Wasserlaufs,<br />
das bewegte Spiel von Licht und Schatten, <strong>die</strong> pflanzlichen Aromen<br />
und das Rauschen der Blätter <strong>im</strong> Wind (Abb. 36). Quellen aus dem 16. und<br />
17. Jahrhundert beschreiben <strong>die</strong>sen Gartenteil als einen „vergnüglichen“ und<br />
„erfrischenden“ Ort (z. B. Navagero 1983).
324 Katrin Hagen<br />
Abbildung 36. Wassertreppe <strong>im</strong> Generalife, Granada<br />
Als eine weitere Besonderheit können <strong>die</strong> bailarinas in Granada gelten, <strong>die</strong><br />
einen rundum durch Vegetation geschlossenen Raum darstellen und mit einem<br />
zentralen Springbrunnen ausgestattet waren (Abb. 37). Es ist bis heute<br />
nicht belegt, ob <strong>die</strong>se Form eines Heckenpavillons tatsächlich maurischen<br />
Ursprungs ist; <strong>die</strong> Vermutung liegt jedoch nahe, da sie weltweit einzigartig<br />
ist (Tito Rojo 1999). Eine andere Methode der gärtnerischen Raumbildung<br />
stellt das Absenken von Pflanzbeeten dar (Abb. 38). In der Regel fand eine<br />
leichte Absenkung aus Gründen der einfacheren Bewässerung <strong>die</strong>ser Vegetationsflächen<br />
statt. Aus dem Real Alcázar de Sevilla ist bekannt, dass <strong>die</strong>se<br />
Absenkung eine Tiefe von bis zu fünf Metern erreichen konnte (z. B. Patio del
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
325<br />
Crucero und Patio de la Casa de Contratación). Obwohl hier symbolische Interpretationen<br />
überwiegen, liegt <strong>die</strong> Annahme mikrokl<strong>im</strong>atischer Erwägungen<br />
nahe. Maurische Gärten waren auch ein Exper<strong>im</strong>entierfeld zur Akkl<strong>im</strong>atisierung<br />
eingeführter Pflanzenarten, dessen Ergebnisse in landwirtschaftlichen<br />
Handbüchern festgehalten und überliefert wurden. Durch eine Absenkung<br />
des Wurzelraums wurde ein isolierter Gartenraum mit einer geringeren bodennahen<br />
Lufttemperatur und einer höheren Boden- und Luftfeuchtigkeit<br />
geschaffen. Aus einer Beschreibung des Patio del Crucero aus dem 17. Jahrhundert<br />
ist überliefert, dass <strong>die</strong> abgesenkten Beetflächen durch Torbögen<br />
miteinander verbunden waren und in den heißen Sommermonaten als zusätzliche<br />
schattige Gartenebene fungierten (Caro 1998).<br />
Abbildung 37.<br />
Bailarina <strong>im</strong> Garten der Fundación Rodríguez Acosta, Granada
326 Katrin Hagen<br />
Abbildung 38.<br />
Patio de la Casa de Contratación <strong>im</strong> Real Alcázar, Sevilla<br />
Als wichtige, mikrokl<strong>im</strong>atisch wirksame Gestaltungsprinzipien maurischer<br />
Gärten sind also der besondere Umgang mit dem Gestaltungselement Wasser,<br />
<strong>die</strong> bewusste Auswahl der Vegetation (auch unter dem Aspekt der Beschattung)<br />
und vor allem <strong>die</strong> gartengestalterische Raumbildung von umschlossenen<br />
Freiräumen innerhalb der Freiräume hervorzuheben. Letzteres<br />
ermöglicht das Ausbilden eines spezifischen Mikrokl<strong>im</strong>as sowohl innerhalb<br />
des Gartenraumes selbst als auch für eine angrenzende Bebauung. Allen Gestaltungsprinzipien<br />
liegen zudem ‚assoziativ-mikrokl<strong>im</strong>atische’ Aspekte und<br />
ein ganzheitlicher Ansatz zugrunde.<br />
Überprüfung der mikrokl<strong>im</strong>atischen Effekte von umschlossenen Freiräumen<br />
in einem mitteleuropäischen städtebaulichen Kontext<br />
Zur Untersuchung des mikrokl<strong>im</strong>atischen Potentials eines derart herausgebildeten<br />
<strong>Freiraum</strong>s <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong> mit dem Ziel, allgemeingültige Aussagen treffen<br />
zu können, ist <strong>die</strong> Herstellung einer Vergleichbarkeit der gewonnenen<br />
Daten notwendig. Sinnvoll ist daher <strong>die</strong> Durchführung modellhafter Untersuchungen<br />
unter best<strong>im</strong>mten, klar definierten Aspekten. Dafür bietet sich <strong>die</strong><br />
Verwendung eines S<strong>im</strong>ulationsprogramms wie „ENVI-met“ an, das für eine<br />
konkrete <strong>Freiraum</strong>situation unter den realen bzw. prognostizierten Kl<strong>im</strong>abedingungen<br />
<strong>die</strong> mikrokl<strong>im</strong>atischen Auswirkungen unterschiedlicher Gestal
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
327<br />
tungsinterventionen berechnen und darstellen kann (Bruse 1998). Ein großer<br />
Vorteil gerade <strong>die</strong>ses Programms ist zudem <strong>die</strong> Ausgabe der Ergebnisse in<br />
Form von Karten und Ansichten. Es stellt somit eine geeignete Schnittstelle<br />
zwischen der Stadtkl<strong>im</strong>atologie und der Stadtplanung dar.<br />
Die oben genannten Gestaltungsbeispiele <strong>die</strong>nen als Inspiration für mögliche<br />
Untersuchungsmodelle. In einem ersten Schritt werden drei verschiedene<br />
Varianten zur Ausbildung eines abgeschlossenen <strong>Freiraum</strong>s angedacht: durch<br />
das Hochziehen von Raumkanten in Form von Mauern, durch das Absenken<br />
eines entsprechenden Raumes in den Boden und durch eine Kombination aus<br />
beidem. Der nächste Schritt integriert <strong>die</strong> positive mikrokl<strong>im</strong>atische Wirkung<br />
von Vegetation und Wasser in einer vertikalen D<strong>im</strong>ension. Dazu werden <strong>die</strong><br />
entstehenden Raumkanten durch Vegetation ersetzt bzw. überdeckt und in<br />
weiteren Varianten zum Teil in Wasserwände umgewandelt. Zur zusätzlichen<br />
Beschattung wird der gebildete „Raum“ mit einem horizontalen Abschluss<br />
vervollständigt, wobei eine ausreichende Ventilation berücksichtigt wird. Für<br />
<strong>die</strong> S<strong>im</strong>ulationsreihen wurden neun Gestaltungsvarianten ausgewählt und in<br />
einen städtebaulichen Kontext übertragen. Untersucht wird der mikrokl<strong>im</strong>atische<br />
Effekt der Varianten unter verschiedenen Windbedingungen für zwei<br />
typische städtebauliche Situationen: den geschlossenen Platz und den kl<strong>im</strong>atisch<br />
exponierteren offenen Platz (Abb. 39 und 40).<br />
Abbildung 39.<br />
Computermodell der Raumbildung mit Vegetation für <strong>die</strong> offene Platzsituation
328 Katrin Hagen<br />
Abbildung 40.<br />
Einfluss einer Raumbildung durch Vegetation auf <strong>die</strong> Windgeschwindigkeit für Westwind<br />
Beispiele zeitgenössischer urbaner Landschaftsarchitektur in Mitteleuropa<br />
Wie können <strong>die</strong> in den maurischen Gärten und anhand der S<strong>im</strong>ulationen<br />
gewonnenen mikrokl<strong>im</strong>atischen Erkenntnisse auf eine zeitgenössische und<br />
an den mitteleuropäischen urbanen Raum angepasste Gestaltungssprache<br />
übertragen werden? Welche Beispiele zeitgenössischer Landschaftsarchitektur<br />
<strong>im</strong> urbanen Raum weisen gewisse gestalterische Parallelen zu den<br />
genannten Aspekten auf? Auch wenn <strong>die</strong> mikrokl<strong>im</strong>atischen Aspekte in den<br />
<strong>die</strong>sbezüglich für eine weitere Analyse ausgewählten Gestaltungsentwürfen<br />
selten <strong>im</strong> Vordergrund standen, lassen sich dennoch vielfältige Schlüsse und<br />
Inspirationen daraus ziehen.<br />
Es gibt bereits eine Reihe von interessanten <strong>Ansätze</strong>n <strong>im</strong> Umgang mit dem<br />
Gestaltungselement Wasser in der Stadt. Das Atelier Dreiseitl hat sich auf <strong>die</strong>ses<br />
Aufgabengebiet spezialisiert und unter anderem auch verschiedene Methoden<br />
entwickelt, das Wasser in <strong>die</strong> Vertikale und somit in <strong>die</strong> dritte D<strong>im</strong>ension<br />
anzuheben. Die Möglichkeit der direkten Berührung der Wasseroberfläche<br />
spielt dabei eine große Rolle (Dreiseitl/Grau 2006) (Abb. 41).
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
329<br />
Abbildung 41. Heiner-Metzger-Platz, Neu-Ulm<br />
Quelle: Conne van D’Grachten, in: Dreiseitl, H., Grau, D. (Hrsg.) (2006), 143<br />
Zu dem Aspekt der Bildung landschaftsarchitektonisch geprägter, umschlossener<br />
Freiräume <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong> gibt es dagegen weniger Beispiele. Hier liegt jedoch<br />
ein nicht unerhebliches Potential. Einen spannenden Ansatz in <strong>die</strong>ser<br />
Richtung stellt der MFO-Park von Burckhardt + Partner und Raderschall Architekten<br />
in Zürich dar, für den eine ehemalige Industriehalle als Stahlgerüst<br />
nachgebildet und durch Kletterpflanzen begrünt wurde. Die so nachempfundenen<br />
und sich <strong>im</strong> Laufe des Sommers verdichtenden Fassaden bilden einen<br />
grünen Rahmen für den öffentlichen <strong>Freiraum</strong> innerhalb des Baublocks (Abb.<br />
42). Für <strong>die</strong> „Fondation Louis-Jeantet“ in Genf hat das Landschaftsarchitekturbüro<br />
Agence Ter einen Gartenhof abgesenkt und dadurch einen isolierten<br />
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong> herausgebildet (Abb. 43). Ein ähnliches Gestaltungskonzept<br />
liegt den ‚Gärten des Wandels’ von Kamel Louafi in Hannover zugrunde,<br />
<strong>die</strong> sich in nördlicher Richtung in den Boden hineinsenken. Hier stellt <strong>die</strong><br />
zusätzliche Umwandlung der südorientierten Stirnwand in eine Wasserwand<br />
eine interessante Integration des Gestaltungselementes Wasser dar.
330 Katrin Hagen<br />
Abbildung 42. MFO-Park, Zürich<br />
Quelle: Michael Freisager<br />
Abbildung 43. Gartenhof der Fondation Louis-Jeantet, Genf<br />
Quelle: Agence Ter
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
331<br />
Zusammenfassung und Diskussion<br />
Angesichts der kl<strong>im</strong>atischen und sozialen Entwicklungen in mitteleuropäischen<br />
Städten stellt sich <strong>die</strong> Frage, wie in öffentlichen <strong>Freiraum</strong>strukturen (vor<br />
allem innerhalb des verdichteten, innerstädtischen Stadtbestandes) mit einfachen<br />
Maßnahmen effektiv und positiv Einfluss auf das lokale Kl<strong>im</strong>a genommen<br />
werden kann, ohne dass <strong>die</strong> ökologisch und stadtkl<strong>im</strong>atisch, aber auch<br />
sozial notwendigen städtischen Frei- und Grünraumvernetzungen durch<br />
städtebauliche Verdichtung gestört werden. Das Hauptaugenmerk liegt dabei<br />
auf landschaftsarchitektonischen Gestaltungsprinzipien. Der Beitrag konzentriert<br />
sich auf das Potential umschlossener und somit isolierter Freiräume<br />
<strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong>, <strong>die</strong> <strong>die</strong> mikrokl<strong>im</strong>atischen Vorteile von Grün- und Wasserflächen<br />
in der Stadt in Form von vertikalen Elementen berücksichtigen und eine urbane<br />
Nutzung der horizontalen Fläche ermöglichen. Dem Thema wird sich<br />
mit Hilfe unterschiedlicher Methoden angenähert, wobei <strong>die</strong> konkreten Untersuchungen<br />
Querbezüge aufweisen. Aufgrund der kl<strong>im</strong>atischen Entwicklungen<br />
werden entsprechende <strong>Ansätze</strong> <strong>im</strong> mediterranen Raum – mit einem<br />
Schwerpunkt auf den maurischen Gärten in Andalusien – gesucht. Anhand eines<br />
S<strong>im</strong>ulationsprogramms wird das Prinzip von umschlossenen Freiräumen<br />
modellhaft auf ihre mikrokl<strong>im</strong>atischen Effekte hin untersucht und innerhalb<br />
unterschiedlicher städtebaulicher Kontexte überprüft. Und anhand von Analogien<br />
zu zeitgenössischer urbaner Landschaftsarchitektur in Mitteleuropa<br />
werden Gestaltungsansätze für eine mögliche Übertragung der Erkenntnisse<br />
sowohl aus den maurischen Gärten als auch aus den S<strong>im</strong>ulationsreihen<br />
aufgezeigt. Der Beitrag verdeutlicht, dass sich <strong>die</strong> angewendeten Methoden<br />
untereinander ergänzen und in ihrem Zusammenspiel als Diskussionsgrundlage<br />
wichtige Impulse für ein allgemeines Verständnis der Thematik und für<br />
<strong>die</strong> Entwicklung zukünftiger Strategien <strong>im</strong> Umgang mit der fortschreitenden<br />
Überhitzung innerstädtischer Strukturen geben können.<br />
Die Untersuchung hat einen Beitrag zur Entwicklung von allgemeinen<br />
Strategien und insbesondere zur Bewusstseinsbildung für (stadt)kl<strong>im</strong>atische<br />
Aspekte geleistet. Weitere müssen folgen, z. B. in Bezug auf <strong>die</strong> Schnittstelle<br />
zur Bauphysik und hinsichtlich einer besseren Kommunikation zwischen Planer/innen,<br />
Entscheidungsträger/innen und Bürger/innen. Letzteres könnte<br />
durch eine Konkretisierung der Ergebnisse in Gestaltungsentwürfen stattfinden,<br />
z. B. <strong>im</strong> Rahmen von Entwurfsprojekten mit Stu<strong>die</strong>renden der Architektur,<br />
Raumplanung und Landschaftsarchitektur.<br />
An <strong>die</strong>ser Stelle soll noch betont werden, dass S<strong>im</strong>ulationen grundsätzlich<br />
nur Annäherungen an eine reale Situation darstellen können. Goodess et al.
332 Katrin Hagen<br />
sprechen dabei von „cl<strong>im</strong>ate scenarios and decision making under uncertainty“<br />
(Goodess et al. 2007). Einerseits handelt es sich bei S<strong>im</strong>ulationen um sehr<br />
vereinfachte Modelle, <strong>die</strong> meist unter spezifischen Einzelaspekten untersucht<br />
werden, und andererseits befinden sich <strong>die</strong> Programme meistens in einem<br />
fortlaufenden Entwicklungsstadium. Obwohl das „ENVI-met“-Programm in<br />
zahlreichen Stu<strong>die</strong>n erfolgreich angewandt wurde und eine Vali<strong>die</strong>rung der<br />
Ergebnisse stattgefunden hat, stößt das Programm auch in der vorliegenden<br />
Untersuchung an gewisse Grenzen. Ein enger Austausch von Forschungsvorhaben<br />
und Programmentwicklung stellt daher einen wichtigen Aspekt für <strong>die</strong><br />
für eine ‚nachhaltige’ Stadtplanung notwendige Einbeziehung kl<strong>im</strong>atischer<br />
Faktoren in <strong>die</strong> Stadtplanung dar.<br />
Literatur<br />
Berényi, Dénes (1967): Mikrokl<strong>im</strong>atologie. Stuttgart: Fischer<br />
Birzer, Markus/ Feindt, Peter H./ Spindler, Edmund A. (Hrsg.) (1997): Nachhaltige Stadtentwicklung.<br />
Bonn: Economica<br />
Brager, Gail S./ de Dear, Richard J. (1998): Thermal adaptation in the built environment: a<br />
literature review. In: Energy and Buildings 27. 83 – 96<br />
Broadbent, Geoffrey (2008): Eco Architecture II. Southampton: WIT Press<br />
Brown, Robert D./ Gillespie, Terry J. (1995): Microcl<strong>im</strong>atic Landscape Design: Creating Thermal<br />
Comfort and Energy Efficiency. New York: Wiley & Sons<br />
Bruse, Michael (1998): Offizielle Webseite von ENVI-met: http://www.envi-met.com<br />
BUGS (2004): Benefits of urban green space. Key Action 4, City of Tomorrow, Fifth Framework<br />
Programme EU. http://www.vito.be/bugs.<br />
Caro, Rodrigo (1998): Antigüedades y principado de la ilustrís<strong>im</strong>a ciudad de Sevilla (1634).<br />
Sevilla: Alfar<br />
Club of Rome (1972): Grenzen des Wachstums. Stuttgart: Dt. Verl.-Anstalt<br />
D<strong>im</strong>oudi, Argiro/ Nikolopoulou, Marialena (2003): Vegetation in the urban environment: microcl<strong>im</strong>atic<br />
analysis and benefits. In: Energy and Buildings 35. 69 – 76.<br />
Dreiseitl, Herbert/ Grau, Dieter (Hrsg.) (2006): Wasserlandschaften: Planen, Bauen und Gestalten<br />
mit Wasser. Basel: Birkhäuser<br />
EU (2006): Überprüfung der EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung. Die erneuerte Strategie.<br />
http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/06/st10/st10917.de06.pdf<br />
Fanger, Poul O. (1970): Thermal comfort: analysis and applications in environmental engineering.<br />
Copenhagen: Danish Technical Press<br />
Feindt, Peter H. (1997): Nachhaltigkeit, Urbanität, Identität und Partizipation. In: Birzer et al.<br />
(1997): 38 – 47<br />
Fezer, Fritz (1995): Das Kl<strong>im</strong>a der Städte. Gotha: Perthes
<strong>Freiraum</strong> <strong>im</strong> <strong>Freiraum</strong><br />
333<br />
Geiger, Rudolf (1950): Das Kl<strong>im</strong>a der bodennahen Luftschicht. Braunschweig: Vieweg.<br />
Goodess, C. M./ Hall, J./ Best, R./ Cabantous, L./ Jones, P. D./Kilsby, C. G./ Pearman, A./ Wallace,<br />
C. J. (2007): Cl<strong>im</strong>ate scenarios and decision making under uncertainty. In: Built Environment<br />
33. 1. 10 – 30<br />
Hagen, Katrin/ Stiles, Richard (2009): Lessons from historic examples as a base for cl<strong>im</strong>ate<br />
sensitive urban landscape design. In: Sarlöv-Herlin (2009): 15 – 25<br />
Hallegatte, Stéphane/ Hourcade, Jean-Charles/ Ambrosi, Philippe (2007): Using cl<strong>im</strong>ate analogues<br />
for assessing cl<strong>im</strong>ate change economic <strong>im</strong>pacts in urban areas. In: Cl<strong>im</strong>ate Change<br />
82. 47 – 60<br />
IPCC – Intergovernmental Panel on Cl<strong>im</strong>ate Change (2007): Cl<strong>im</strong>ate Change 2007: Impacts,<br />
Adaptation and Vulnerability. Working Group II Contribution to the Fourth Assessment<br />
Report of the Intergovernmental Panel on Cl<strong>im</strong>ate Change. Cambridge: Cambridge University<br />
Press<br />
J<strong>im</strong>énez Alcalá, Benito (1999): Aspectos biocl<strong>im</strong>áticos de la arquitectura Hispanomusulmana.<br />
In: Cuadernos de la Alhambra 35. 13 – 29<br />
Kaelble, Hartmut (2007): Sozialgeschichte Europas. 1945 bis zur Gegenwart. München: Beck<br />
Keul, Alexander G. (1995): Wohlbefinden in der Stadt. Umwelt- und gesundheitspsychologische<br />
Perspektiven. Weinhe<strong>im</strong>: Beltz, PVU<br />
Kugel, Christiane E. (1989): Das Wasser in der Alhambra. In: Garten und Landschaft. 7/89.<br />
35 – 39<br />
Maderthaner, Rainer (1995): Soziale Faktoren urbaner Lebensqualität. In: Keul (1995): 172 – 197<br />
Müller, Michael (1997): Nachhaltige Entwicklung: Herausforderung für <strong>die</strong> Umweltpolitik. In:<br />
Birzer et al. (1997): 29 – 37<br />
Navagero, Andrea (1983): Viaje por España (1524 – 1526). Madrid: Turner<br />
Pfister, C. (1999): Wetternachhersage: 500 Jahre Kl<strong>im</strong>avariationen und Naturkatastrophen.<br />
<strong>Wien</strong>: Haupt<br />
Roehr, Daniel/ Laurenz, Jon (2008): Living Skins: Environmental Benefits of green envelopes<br />
in the city context. In: Broadbent (2008): 149 – 158<br />
Ruggles, D. Fairchild (2000): Gardens, landscape, and vision in the palaces of Islamic Spain.<br />
University Park, Pa.: Pennsylvania State University Press<br />
RUROS (2004): Designing open spaces in the urban environment: a biocl<strong>im</strong>atic approach.<br />
Key Action 4, City of Tomorrow, Fifth Framework Programme EU. http://www.alpha.cres.<br />
gr/ruros<br />
Sarlöv-Herlin, Ingrid (Hrsg.) (2009): Alnarp 2008. New landscapes new lives. New challenges<br />
inlandscape planning, design and management. Alnarp: SLU<br />
Selle, Klaus (2004): Öffentliche Räume in der europäischen Stadt – Verfall und Ende oder<br />
Wandel und Belebung? Reden und Gegenreden. In: Siebel (2004): 131 – 145<br />
Siebel, Walter (Hrsg.) (2004): Die europäische Stadt. Frank<strong>fur</strong>t am Main: Suhrkamp<br />
Spitzer, Hartwig (1997): Fünf Ebenen der Nachhaltigkeit. In: Birzer et al. (1997): 60 – 72
334 Katrin Hagen<br />
Stern, Nicholas H. (2007): The Economics of Cl<strong>im</strong>ate Change: the Stern Review. Cambridge:<br />
Cambridge University Press<br />
Tito Rojo, José (1999): La bailarina del Generalife y las topiarias arquitectónicas de ciprés en<br />
los jardines granadinos del Siglo XIX. In: Cuadernos de la Alhambra 35. 57 – 92<br />
UN (1987): Our Common Future: Report of the World Commission on Environment and Development.<br />
http://www.un-documents.net/wced-ocf.htm<br />
URGE (2001– 2004): Development of Urban Greenspaces to Improve the Quality of Life in<br />
Cities and Urban Areas. Key Action 4, City of Tomorrow, Fifth Framework Programme EU.<br />
http://www.urge-project.ufz.de<br />
Wilby, R. L. (2007): A Review of Cl<strong>im</strong>ate Change Impacts on the Built Environment. In: Built<br />
Environment 33. 1. 31 – 45<br />
Abbildungen<br />
Abb. 35: J<strong>im</strong>énez Alcalá (1999)<br />
Abb. 41: Conne van D’Grachten, in: Dreiseitl, H., Grau, D. (Hrsg.) (2006), 143<br />
Abb. 42: Michael Freisager<br />
Abb. 43: Agence Ter; alle anderen: Katrin Hagen