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Fanatismus - Psychoanalyse eines unheimlichen Phänomens

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5. <strong>Fanatismus</strong> und das Feuer der Scham<br />

Neben dem Urmisstrauen ist eine zweite, tief in das infantile Seelenleben zurückreichende<br />

Quelle von Radikalität und <strong>Fanatismus</strong> im Menschen ein quälend-vernichtendes<br />

Schamgefühl. Gewiss ist dosierte Beschämung in der kindlichen Sozialisation ein<br />

Entwicklungsanreiz, wären persönliche Würde und kulturelle Integrität ohne ein gesundes<br />

Schamgefühl nicht denkbar. Schwere Erlebnisse von Ohnmacht, Peinlichkeit und<br />

Preisgegebenheit setzen sich bei Kindern und Heranwachsenden jedoch als unheilbare<br />

narzisstische Verletzungen im Selbst fest, können Anlass zu chronischer Befangenheit und<br />

tief verwurzelten Ressentiments werden.<br />

Der Typ des fanatischen Rächers – am eindrucksvollsten porträtiert in Kleists Michael<br />

Kohlhaas - durchzieht die Weltliteratur. Eine narzisstische Kränkung, ein in ihren Augen<br />

himmelschreiendes Unrecht hat die Betreffenden aus der Bahn geworfen. Die Welt scheint<br />

aus den Angeln gehoben, alle Prinzipien lebenswerten Lebens außer Kraft gesetzt. Der<br />

Wunsch nach Vergeltung beginnt alles Denken und Streben zu okkupieren. Eine Zukunft ist<br />

erst dann wieder vorstellbar, wenn der Gegenspieler, der Feind des Lebens schlechthin selber<br />

in den Zustand der Ohnmacht versetzt, als lebenslanger Zeuge der eigenen Beschämung<br />

beseitigt worden ist.<br />

Das, was viele Diktatoren im Tiefsten treibt, scheint eine furchtbare Scham- und<br />

Revanchethematik zu sein. Nicht selten leiden sie unter schweren infantilen Traumen, sind<br />

ihnen früh Gefühle von Würde und Selbstachtung ausgeprügelt worden. Identifiziert mit<br />

einem pathologischen Größen-Selbst müssen sie fanatisch Gefühle von Kleinheit, Ohnmacht<br />

und Nichtigkeit auf wehrlose Feindgruppen projizieren, das eigene beschämte Selbst<br />

gleichsam in diesen bekämpfen und ausmerzen. Zeitlebens war Adolf Hitler zu Liebe,<br />

Zärtlichkeit und Humor nicht in der Lage, hielt sich peinlichst unter Kontrolle. Seit 1919<br />

bildete eine fanatische Mission das „granitene Fundament“ seiner Weltanschauung, Rache zu<br />

nehmen am Hassobjekt des internationalen Finanzjudentums, Sündenbock für all sein<br />

persönliches Versagen und zugleich phantastischer Beschämer seiner „Braut“ Deutschland.<br />

Selbst in den drei Kriegsreden, in denen Hitler den Holocaust andeutet, ist noch die Rede vom<br />

„Gelächter der Juden“, wie es bald „endgültig zum Verstummen“ gebracht werde, zu einem<br />

Zeitpunkt, da niemand mehr auf den Gedanken gekommen wäre, über ihn zu lachen (vgl.<br />

Matussek et al. 2000).<br />

Kollektive narzisstische Kränkungen, Erinnerungen an nationale Niederlagen, Massaker,<br />

ungerechte Friedensdiktate oder die Verletzung religiöser Symbole graben sich, oft<br />

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