Essay als PDF
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heftigen Konkurrenz innerhalb der Geschlechter. Eifersucht und<br />
besitzergreifende Attitüden bei Männern werden heutzutage <strong>als</strong> irrational – und<br />
moralisch inakzeptabel – empfunden, obwohl sie doch in unserer biologischen<br />
Vergangenheit ebenso tief verwurzelt sind wie in unseren neurologischen<br />
Anlagen.<br />
Alle elementaren moralischen Verhaltensweisen entspringen ähnlichen<br />
biologischen Notwendigkeiten. Nehmen wir zum Beispiel den Altruismus:<br />
Obwohl die Gene, die uns steuern, den Erkenntnissen des<br />
Evolutionstheoretikers Richard Dawkins zufolge „selbstsüchtig“ sind, haben wir<br />
gewisse altruistische Tendenzen. Wäre dem nicht so, würden wir unsere<br />
Kinder und unsere Partner sterben lassen, was allerdings weder für unser<br />
eigenes Überleben noch für das unserer Gene gut wäre. Und wenn der<br />
Mensch sich nicht um andere kümmern würde, hätte die Menschheit <strong>als</strong><br />
Gattung wenige Überlebenschancen.<br />
Es ist <strong>als</strong>o keineswegs der reine Altruismus, der uns bewegt, für unsere<br />
Angehörigen, aber auch für Leute, die uns völlig fremd sind, zu sorgen. Ich<br />
sorge für dich, weil ich erwarte, dass du auch für mich sorgst. Fürsorge bringt<br />
nicht nur wechselseitigen Vorteil, sondern erhöht auch den eigenen. Natürlich<br />
sind manche Menschen eher zur Fürsorge bereit <strong>als</strong> andere: Der Mensch kann<br />
Gene zur totalen Selbstsucht oder auch zur totalen Selbstaufopferung in sich<br />
tragen; das heißt, das eine Profil ist genetisch ebenso überlebensfähig wie das<br />
andere, weil in der Gesamtpopulation beide Untergruppen vorkommen, und<br />
zwar in all ihren Spielarten. Das erklärt auch, warum manche Ärzte<br />
überdurchschnittlich, andere hingegen unterdurchschnittlich fürsorglich sind.<br />
Wir gehen zum Arzt, weil Ärzte von Berufs wegen „Fürsorger“ sind. Wir<br />
erwarten, dass sie uns heilen – oder es zumindest versuchen –, ohne über uns<br />
zu richten. Als die Medizin noch in den Kinderschuhen steckte, war die<br />
Heilkunst Sache von Medizinmännern, Kräuterhexen, Schamanen, Zauberern<br />
und Priestern. Gutwilligkeit wurde ihnen ebenso unterstellt wie Böswilligkeit.<br />
Denn sie galten <strong>als</strong> sehr mächtig. Als irrationale Glaubensvorstellungen nach<br />
und nach von der Wissenschaft verdrängt wurden, kamen mit dem<br />
medizinischen Fortschritt Antibiotika und Narkotika, Chirurgie und Endoskopie,