Essay als PDF
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der, dass die Qualität der Pflege in erster Linie von der medizinischen<br />
Professionalität und der Einhaltung bestimmter Regeln abhänge. Dem ist nicht<br />
so. Natürlich ist Professionalität sehr wichtig. Aber sie kann nicht die schlichte,<br />
ein für alle Mal gültige Tatsache außer Kraft setzen, dass niemand die<br />
Bedürfnisse und das Wertesystem eines Patient besser kennt <strong>als</strong> der Patient<br />
selber, jedenfalls solange er oder sie in der Lage ist, sich zu artikulieren.<br />
Neben diesen drei irrigen Überzeugungen unterliegen viele Ärzte einem<br />
Vorurteil, das sie teils auf den Schultern, teils auch im Kopf mit sich<br />
herumtragen, und dieses Vorurteil ist genauso mächtig wie jenes, das<br />
zahlreiche Männer noch bis vor wenigen Jahrzehnten im Hinblick auf das<br />
Selbstbestimmungsrecht der Frau hatten. Es besteht darin, dass diejenigen,<br />
die ihre medizinischen Kenntnisse im Rahmen einer Ausbildung erworben<br />
haben, die sich nicht selten an den Initiationsriten eines Geheimbundes zu<br />
orientieren scheint, daraus die Gewissheit ableiten, allen anderen intellektuell<br />
und moralisch überlegen zu sein.<br />
Und das hat seinen Ursprung tatsächlich in dem sehr archaischen Glauben,<br />
dass Medizinmänner, Schamanen oder Kräuterhexen über Kräfte verfügten,<br />
die es ihnen gestatten würden, mit Geistern oder übersinnlichen Wesen in<br />
Kontakt zu treten und die Geheimnisse von Leben und Tod zu erkennen. Wer<br />
früher einen Schamanen aufsuchte, der hatte vor allem gehorsam zu sein; es<br />
ging schließlich um Leben und Tod, und was auch immer dabei herauskam, ob<br />
Grauen, Kummer oder Dankbarkeit, es wurde dem Schamanen<br />
zugutegehalten, was dessen Position in jedem Fall gefestigt hat.<br />
Heute wissen wir, dass Ärzte wissenschaftlich dazu ausgebildet sind, Kranke<br />
zu versorgen. Wenn sie Diagnosen stellen, so tun sie dies nicht, indem sie in<br />
verkohlten Tierknochen lesen, sondern sie verordnen Laboruntersuchungen.<br />
Wenn sie behandeln, so rühren sie keine merkwürdigen Tränke und<br />
Körperflüssigkeiten irgendwelcher Tiere zusammen, sondern empfehlen<br />
erprobte Medikamente oder Therapien. Und wenn Patienten sich nicht sicher<br />
sind, dann ist es ihre Pflicht, ihnen zu raten, eine zweite Meinung einzuholen.<br />
Leider halten sich viele Ärzte noch immer für moderne Zauberer, deren Ziel es<br />
ist, Krankheiten mit sämtlichen Wunderwaffen der modernen High-tech-Medizin