Essay als PDF
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zu bekämpfen. Egal, ob der Patient das möchte oder nicht. Schließlich sind sie<br />
ja die Ärzte. Wenn jemand stirbt, dann betrachten sie das <strong>als</strong> ihr persönliches<br />
Versagen, anstatt zu akzeptieren, dass der Tod unvermeidbar und ihre „Macht“<br />
nicht grenzenlos ist; und wenn der Patient einen anderen Weg <strong>als</strong> den von<br />
ihnen empfohlenen beschreitet, dann fühlen sie sich schuldig oder sind gar<br />
verärgert, weil jemand nicht auf ihrer Meinung <strong>als</strong> Profi vertraut hat. Da ist es<br />
kein Wunder, dass diese Ärzte den Wunsch eines Patienten, in Frieden zu<br />
sterben, <strong>als</strong> Verirrung betrachten und für inakzeptabel halten, bisweilen sogar<br />
eine persönliche Beleidigung für ihren Sachverstand darin sehen und meinen,<br />
dass ihr guter Ruf befleckt sei, ihr Prestige. Nicht nur, dass sie es nicht<br />
geschafft haben, den Patienten zu heilen, nein, sie hatten auch nicht die<br />
Macht, ihm Gründe zum Weiterleben zu geben. Als wären die Ärzte die<br />
Einzigen, die jemandem einen Grund geben könnten, weitermachen. Der<br />
Interessenkonflikt zwischen Patient und Arzt mag zwar nicht so krass sein wie<br />
der zwischen einem Herrn Doktor und einer Frau, aber er ist dennoch da.<br />
Sofern es für die Weigerung eines Mediziners, den flehentlichen Wunsch eines<br />
Patienten nach einem friedlichen Ende zu erhören, keine religiösen Motive gibt,<br />
ist diese Weigerung unmoralisch, weil sie im Wesentlichen von Eitelkeit<br />
getrieben ist.<br />
Der Tag wird kommen, da die Ärzte demütig genug sein werden,<br />
zuzugestehen, dass ihr Wissen und Können den Patienten dienen, nicht aber<br />
sie beherrschen soll. Der Tag wird kommen, da sie wissen werden, dass es<br />
weder eine Kapitulation noch ein Scheitern, sondern vielmehr eine moralische<br />
Verpflichtung und eine ihrem Berufsstand immanente Pflicht ist, den Wunsch,<br />
das eigene Leben zu beenden, zu erhören und zu akzeptieren, mag er auch<br />
noch so traurig sein. Der Tag wird kommen, da sie nicht mehr daran zweifeln<br />
werden, dass es manchmal, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft<br />
sind, kein von einer höheren Behörde gewährter Gnadenakt ist, einem<br />
Patienten zu helfen und ihn bis zum Ende zu begleiten, sondern der<br />
moralischste und selbstloseste Akt der Fürsorge, den man einem Mitmenschen<br />
erweisen kann.<br />
Aus dem Englischen von Christa Schuenke<br />
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.