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Die erste Person Singular in der Wissenschaft - IGPP

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Kriterium für Wirklichkeit und die Verbeugung vor <strong>der</strong> metaphysischen Dimension <strong>der</strong><br />

Archetypen s<strong>in</strong>d so gesehen Ausdruck von Paulis “Individuation”. 28<br />

Gerd Folkers hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag e<strong>in</strong>e Reihe von Varianten beschrieben, wie die<br />

<strong>erste</strong> <strong>Person</strong> <strong>S<strong>in</strong>gular</strong> im <strong>Wissenschaft</strong>sbetrieb zwar an <strong>der</strong> Oberfläche als unfe<strong>in</strong> gilt,<br />

h<strong>in</strong>ter den Kulissen aber mit <strong>der</strong> vollen Wucht des <strong>in</strong>flationierten Ego agiert. Wer<br />

sich für e<strong>in</strong>e umfangreiche und subtile Analyse dieser Dynamik als “Ökonomie <strong>der</strong><br />

Aufmerksamkeit” <strong>in</strong>teressiert, dem seien die beiden Bücher zum Thema von Georg<br />

Franck empfohlen. 29<br />

Wie das Beispiel Pauli zeigt, wäre aber noch e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Motiv dafür denkbar, dass<br />

<strong>Wissenschaft</strong>er mit <strong>der</strong> <strong>erste</strong>n <strong>Person</strong> <strong>S<strong>in</strong>gular</strong> Zurückhaltung üben. E<strong>in</strong> deflationiertes<br />

Ego, das se<strong>in</strong>e Position aus dem verme<strong>in</strong>tlichen Zentrum des Weltgeschehens h<strong>in</strong>aus<br />

zum bescheidenen Teilnehmer mit gelegentlicher E<strong>in</strong>sicht, o<strong>der</strong> selbst tiefer E<strong>in</strong>sicht,<br />

verlagert hat, weiss womöglich genug über die Sicherheit und Unsicherheit se<strong>in</strong>er Identität,<br />

um sie nicht permanent betonen zu müssen – auch nicht auf Umwegen.<br />

Soweit wissenschaftliche Publikationen betroffen s<strong>in</strong>d, wird sich e<strong>in</strong> deflationiertes<br />

Ego im angedeuteten S<strong>in</strong>n nur schwer von <strong>der</strong> Vermeidung des Ich als Folge dessen,<br />

was Bridgman das Dogma <strong>der</strong> öffentlichen <strong>Wissenschaft</strong> bezeichnet hat, unterscheiden<br />

lassen. Unter <strong>der</strong> Oberfläche ist <strong>der</strong> Unterschied jedoch gewaltig. <strong>Die</strong> Biographie Paulis<br />

zeigt, wie e<strong>in</strong> bestehendes Ich durchschritten, gewissermassen überstiegen wird. <strong>Die</strong><br />

Haltung, die Bridgman kritisiert, lässt sich dagegen erst gar nicht auf e<strong>in</strong> <strong>der</strong>artiges<br />

bestehendes Ich e<strong>in</strong>.<br />

Es ist damit klar, dass Paulis Beispiel letztlich auf etwas an<strong>der</strong>es zielt als Bridgmans<br />

Text. Bei beiden geht es zwar zunächst darum, die <strong>erste</strong> <strong>Person</strong> <strong>S<strong>in</strong>gular</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Wissenschaft</strong> Ernst zu nehmen. Während aber Bridgman darauf <strong>in</strong>sistiert, dem Ich<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> <strong>Wissenschaft</strong> Geltung zu verschaffen, gelangt Pauli auf dem Weg<br />

erleben<strong>der</strong> Subjektivität nolens volens zu E<strong>in</strong>sichten, <strong>der</strong>en Substanz mit <strong>der</strong> sprachlichen<br />

Gestaltung e<strong>in</strong>es Textes wenig zu tun hat. Allerd<strong>in</strong>gs: dass wir davon Kenntnis<br />

haben, verdanken wir se<strong>in</strong>er Korrespondenz – <strong>der</strong>jenigen Form von wissenschaftlicher<br />

Literatur, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Rolle des Ich nie bestritten wurde.<br />

28 Jung hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Beitrag zur Eranos-Tagung 1934 unter dem Titel “Traumsymbole des Individuationsprozesses”<br />

e<strong>in</strong>e Serie von Träumen Paulis analysiert, die er später im bereits zitierten<br />

Psychologie und Alchemie erneut verwendete. Zur Theorie <strong>der</strong> Individuation siehe auch Jungs 1928<br />

publizierten Aufsatz “<strong>Die</strong> Beziehung zwischen dem Ich und dem Unbewussten” (Gesammelte Werke<br />

Band 7, par. 202–406, Walter, Olten 1997).<br />

29 G. Franck: Ökonomie <strong>der</strong> Aufmerksamkeit, Hanser, München 1998. Der Nachfolgeband mit dem<br />

Titel Mentaler Kapitalismus vom gleichen Autor erschien 2005 beim gleichen Verlag.<br />

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