Ausgabe 5- 2013 - jot wd
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Feuilleton<br />
Der Beauftragte der Bundesregierung für<br />
Kultur und Medien (BKM), Staatsminister<br />
Bernd Neumann, legt im Jahr <strong>2013</strong> einen<br />
besonderen Förderschwerpunkt auf das<br />
Thema „Kultur und Geschichte der<br />
Russlanddeutschen“. Dabei sollen auch<br />
Projekte im Bereich der kulturellen Vermittlung<br />
unterstützt werden. Damit möchte<br />
Neumann dem verstärkten Interesse an<br />
der russlanddeutschen Thematik, das in<br />
Wissenschaft und Öffentlichkeit zu beobachten<br />
ist, entgegenkommen und einen<br />
nachhaltigen Akzent setzen.<br />
Fast drei Millionen Russlanddeutsche leben<br />
heute in Deutschland, in Russland waren es<br />
2010 noch 400 000. Seit 1762 kamen deutsche<br />
Siedler auf Einladung der Zarin Katharina<br />
II. nach Russland. Im Laufe der Zeit ließen<br />
sich unterschiedliche Gruppen in verschiedensten<br />
Regionen Russlands nieder.<br />
Der BKM-Förderschwerpunkt „Russlanddeutsche“<br />
<strong>2013</strong> bezieht sich daher auf deutsche<br />
Siedler, die im 18. und 19. Jahrhundert<br />
in der Wolgaregion, in Wolhynien, in Bessarabien,<br />
am Schwarzen Meer, auf der Krim,<br />
im Kaukasus oder in Sibirien angesiedelt worden<br />
sind. Viele von ihnen wurden nach dem<br />
Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion<br />
(1941) in die asiatischen Teile der damaligen<br />
UdSSR deportiert. Aufgrund der<br />
Umsiedlungen lebten bzw. leben sie noch<br />
heute in unterschiedlichen Nachfolgestaaten<br />
der UdSSR wie Russland, Kasachstan,<br />
Tadschikistan, Turkmenistan und Kirgistan.<br />
Auch deutsche Stadtbürger, die vor allem in<br />
den Metropolen Moskau und St. Petersburg<br />
lebten, gehören zu den Russlanddeutschen.<br />
Die Geschichte der Russlanddeutschen, die<br />
mit dem Ansiedlungsmanifest der Zarin<br />
Katharina II. vom 22. Juli 1763 ihren Anfang<br />
nahm, hat ein vielgestaltiges Kapitel<br />
<strong>jot</strong> w.d. 5/<strong>2013</strong> 13<br />
Das Vermächtnis der Verlassenheit<br />
Der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien nimmt sich der Kultur der Russlanddeutschen an<br />
deutsch-russischer Beziehungen eröffnet.<br />
Es betrifft nicht nur die Ansiedlung deutscher<br />
Kolonisten und den Aufbau von Siedlungen<br />
von Deutschen in Russland, sondern<br />
umfasst zweieinhalb Jahrhunderte<br />
gemeinsamer Geschichte. Dieses Thema ist<br />
daher auch für die Beziehungen zwischen<br />
Deutschland und Russland von Bedeutung.<br />
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte<br />
und Kultur der Russlanddeutschen, mit<br />
Fragen ihrer Aussiedlung aus der Sowjetunion<br />
bzw. aus ihren Nachfolgestaaten und<br />
mit ihrer Integration in die Bundesrepublik<br />
Deutschland ist auch gesellschaftlich und<br />
kulturpolitisch eine wichtige Aufgabe. Hintergrund<br />
ist das Bedürfnis nach kultureller<br />
und historischer Selbstvergewisserung<br />
und letztlich der Wunsch nach Anerkennung<br />
dieser gesellschaftlichen Gruppe –<br />
offenkundig sind es eben nicht nur die sozialen<br />
oder beruflichen Integrationsfragen,<br />
die die Menschen bewegen. Zum einen ist<br />
es der berechtigte Wunsch der Betroffenen,<br />
die eigene Geschichte und Kultur zu<br />
kennen, sich über sie selbst zu definieren,<br />
zum anderen das verständliche Interesse<br />
einer breiten Öffentlichkeit, die mehr über<br />
die neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger<br />
wissen will.<br />
Auf Einladung des Bundesinstituts für Kultur<br />
und Geschichte der Deutschen im östlichen<br />
Europa (BKGE) kamen im Dezember<br />
2012 in Oldenburg Wissenschaftler,<br />
Museumsfachleute, Kulturvermittler, Vertreter<br />
von Vereinen und der Landsmannschaft<br />
der Deutschen aus Russland zusammen,<br />
um über fachliche Desiderate sowie<br />
Zukunftsperspektiven bei der Förderung<br />
von Kultur der und Geschichtswissen über<br />
die Russlanddeutschen zu diskutieren. Die<br />
von Sabine Deres, Ministerialrätin beim<br />
Beauftragten der Bundesregierung für<br />
Kultur und Medien (BKM) initiierte Veranstaltung<br />
war das bislang erste derartig interdisziplinäre<br />
Fachgespräch über Fragen<br />
von Kultur und Geschichte der Russlanddeutschen.<br />
FÖRDERUNG VON FORSCHUNG, KULTURELLER<br />
BILDUNG UND VERMITTLUNG<br />
Die Ergebnisse des Erzählwettbewerbs<br />
2005 des Ostdeutschen Kulturrats OKR.<br />
Im Laufe des Workshops wurde eine komprimierte<br />
Bestandsaufnahme in den Bereichen<br />
Wissenschaft, Wissenschaftsvermittlung,<br />
museale Präsentation und<br />
kulturelle Bildung erarbeitet. Betont wurde,<br />
dass das Bild „der“ Russlanddeutschen<br />
differenzierter betrachtet werden müsste:<br />
So entwickelten „Russlanddeutsche“ im<br />
Bereich der ehemaligen GUS-Staaten in unterschiedlichsten<br />
Lebenswelten ganz unterschiedliche<br />
Identitäten. Die Wissenschaftlerinnen<br />
und Wissenschaftler aus Deutschland<br />
und Russland plädierten daher für eine<br />
Erweiterung der Forschungsperspektive<br />
und eine Einbettung des Themas in größere,<br />
europäische Kontexte und in den aktuellen<br />
wissenschaftlichen Diskurs: So stehen<br />
die Deportationen unter Stalin im Kontext<br />
der Forschungen über die Diktaturen<br />
des 20. Jahrhunderts, die Zuwanderung<br />
nach Russland im 18. und die Aussiedlungen<br />
aus der Sowjetunion im 20. Jahrhundert<br />
im Kontext der Beschäftigung mit<br />
(Zwangs-) Migrationen, Fragen der Identität<br />
im Kontext der gerade in der Ostmittelund<br />
Osteuropaforschung aktuellen Diskussion<br />
über kulturelle Mehrfachprägungen.<br />
Fragen der Erinnerungskultur und der Integration<br />
gehören gegenwärtig zu den<br />
zentralen Themen der Geschichtswissenschaften<br />
und des gesellschaftlichen Diskurses<br />
in der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Auch komparatistische Fragestellungen<br />
und eine Internationalisierung der Forschungen<br />
zur Kultur und Geschichte der<br />
Russlanddeutschen seien erforderlich.<br />
Zahlreiche kulturgeschichtliche sowie historisch-anthropologische,<br />
mentalitäts-, alltags-<br />
oder frauengeschichtliche Themen<br />
seien noch weitgehend unbearbeitet.<br />
„Geschichte muss vermittelt werden, Kultur<br />
lebendig bleiben“, formulierte Dr. Thomas<br />
Lindner, Ministerialrat beim BKM, beim<br />
Oldenburger Workshop die Aufgaben. Eine<br />
verstärkte Vermittlung der Geschichte der<br />
Russlanddeutschen und ihrer kulturellen<br />
Überlieferung wurde von den Teilnehmern<br />
einhellig begrüßt, die historischen Erinnerungen<br />
der Russlanddeutschen sollen wirkungsvoller<br />
als bisher in das gesellschaftliche<br />
Bewusstsein integriert werden. Außerdem<br />
wurde über ein Informationsportal als<br />
Anlauf- und Koordinationsstelle zu russlanddeutschen<br />
Themen nachgedacht.<br />
Im Rahmen der Projektförderung der Breitenarbeit<br />
sollen <strong>2013</strong> und 2014 verstärkt<br />
kulturelle Vorhaben in Deutschland angeregt<br />
werden, die sich der Kultur und Geschichte<br />
der Russlanddeutschen widmen<br />
und spezifische Inhalte an die Russlanddeutschen<br />
selbst sowie an die allgemeine<br />
Öffentlichkeit in Deutschland vermitteln.<br />
Diese Projekte sollten Einblicke in die Entwicklung<br />
von Kultur und Geschichte der<br />
Russlanddeutschen geben, Prozesse des<br />
kulturellen Austauschs fördern, Verflechtungen<br />
wechselnder politischer, konfessioneller<br />
und sprachlicher Verhältnisse deutlich<br />
machen sowie Aspekte der kulturellen<br />
Integration der Russlanddeutschen in<br />
Deutschland behandeln. Es können kulturelle<br />
oder künstlerische Vorhaben, Vortragsveranstaltungen,<br />
Arbeitstagungen,<br />
Ausstellungen und Begegnungen, Seminare,<br />
Workshops, Exkursionen oder Ähnliches<br />
sein, die zur Vermittlung von Themen mit<br />
Bezug zur Kultur und Geschichte der Russlanddeutschen<br />
an eine breite Öffentlichkeit<br />
in Deutschland beitragen. Die Projekte sollten<br />
innerhalb eines Jahres abgeschlossen<br />
sein und können mit bis zu 20 000 Euro<br />
gefördert werden. Anträge können Einrichtungen<br />
und Träger der kulturellen Vermittlung<br />
wie Museen, Vereine, Stiftungen, Organisationen<br />
der Russlanddeutschen, Einrichtungen<br />
der Jugend- und Erwachsenenbildung<br />
oder Begegnungszentren in<br />
Deutschland stellen.<br />
Info und Antragsformulare beim Bundesinstitut<br />
für Kultur und Geschichte der Deutschen<br />
im östlichen Europa (BKGE), Johann-<br />
Justus-Weg 147a, 26127 Oldenburg, Tel.<br />
0441/96195-0, www.bkge.de.<br />
Aus: Kulturpolitische Korrespondenz,<br />
Bonn, Heft 1329<br />
Keine Zeit für Frühjahrsdepressionen<br />
Kabarettistin und <strong>jot</strong> w.d.-Kolumnistin Dagmar Gelbke genießt zwischen Theaterproben und Studium viel Kultur und Natur<br />
Eigentlich ist alles wie immer: Ich<br />
probe wieder fleißig fürs Sommertheater<br />
in Frankfurt/Oder, täglich<br />
10 bis 14 und 18 bis 21 Uhr. Wir<br />
haben zwar erst den ersten Teil des<br />
Stücks als Textmaterial vorliegen,<br />
aber: Theater ist ein Wunder, das<br />
wird schon! Zwischendurch waren<br />
wir mit unserem Helga-Hahnemann-Programm<br />
in Löbau, Berlin-<br />
Bohnsdorf und auf der Carlsburg.<br />
Und mit Gert Kießling haben wir<br />
im Stadttheater Cöpenick ein ganz<br />
wunderbares Publikum beglückt.<br />
Obwohl viele vorbestellte Karten<br />
nicht abgeholt wurden und wir,<br />
wären nicht 20 meiner treuen, zahlenden<br />
Freunde gekommen, finanziell<br />
mies dagestanden hätten.<br />
Ich war mit meinem Kind Sushi essen,<br />
habe die „Stachelschweine“<br />
und Martin Buchholz in den<br />
„Wühlmäusen“ besucht und mit<br />
den Hobbits, also meinen Untermietern,<br />
Laub geharkt. Bloß keine<br />
Trauer aufkommen lassen. Von<br />
wegen Frühjahrsdepression ...<br />
Am ersten schönen Frühlingstag<br />
Mitte April war ich mit meiner<br />
Freundin Martina (die New Yorkerin,<br />
die aus Dresden kommt) zum<br />
ersten Mal im Britzer Garten. Da<br />
waren die Blätter noch nicht raus,<br />
aber man konnte förmlich spüren,<br />
wie sie alle an der Startrampe um<br />
erste Plätze trampelten. Nun sind<br />
die Rennen entschieden, und ich<br />
wage gar nicht, das leidige<br />
Thema „Frühjahrsdepression“<br />
anzusprechen,<br />
wie ich es seit Jahren<br />
zelebriere. Immerhin<br />
glaube ich jetzt zu wissen,<br />
worin ihr Ursprung<br />
liegt: In der Kraft, die die<br />
Natur verströmt, gegen<br />
die wir Menschenkinder<br />
hilflos sind und der wir<br />
nichts hinzuzufügen haben.<br />
Sie braucht uns<br />
nicht, die Natur!<br />
Man merkt, ich habe zu Ostern<br />
„Faust I und II“ in Schwedt erlebt.<br />
Uwe Heinrich, der die Titelrolle<br />
gab, kam mit Schnee in den Händen<br />
auf die Bühne und fragte ins<br />
Publikum: „Vom Eise befreit, hä?“<br />
Aktuelle Dramatik, kann man da<br />
nur loben. Leider bin ich im 2. Teil<br />
dann doch ein paar Mal sanft entschlafen,<br />
die Kollegen mögen mir<br />
verzeihen. Dennoch konnte ich<br />
nach diesem Theater-Event mit<br />
Fachwissen glänzen auf meinem<br />
Studienseminar zum Thema „Metropolis“,<br />
dem umstrittenen Filmklassiker<br />
von Fritz Lang. Auch hier<br />
wird das Faust-Thema adaptiert:<br />
Beherrschung der Natur um jeden<br />
Preis. Schade, dass solche Diskussionsbeiträge<br />
nicht bewertet werden.<br />
Oder vielleicht gut so, denn<br />
unser Seminarprofessor war der,<br />
der mir für eine meiner Hausarbeiten<br />
wegen mangelhafter Zeichensetzung<br />
in den Fußnoten (sic!) nur<br />
die Note 2,7 gegeben hatte.<br />
Aber: Ich musste mir dazu natürlich<br />
„Metropolis“ erst einmal antun. Und<br />
ich habe es nicht bereut. Großartiges<br />
Science-Fiction-Kino der 1920-<br />
er Jahre. Und selbst der als reaktionär<br />
und banal kritisierten Story kann<br />
ich visionäre Tendenzen abgewinnen.<br />
Lang hat in diesem Filmkunstwerk<br />
deutlich gezeigt, wohin<br />
es führt, wenn das revolutionäre Proletariat<br />
durch seine Vertreter dem<br />
Großkapital die versöhnende Hand<br />
reicht. Ich sage nur Sozialdemokratie,<br />
Hindenburg, Hitler ...<br />
Gut, damit liege<br />
ich natürlich total<br />
quer zur Gelehrtenmeinung,<br />
denn die konzentriert<br />
sich auf die<br />
erotische Symbolik<br />
des Films,<br />
wenn zum Beispiel<br />
erschöpfte<br />
Männer trotzdem<br />
unermüdlich die<br />
Druckverhältnisse<br />
ihrer Maschinen<br />
regeln. So jedenfalls hat es der<br />
Professor erklärt, und wir Mädels<br />
konnten nur sagen: Oh Gott, Männerphantasien!<br />
Na ja, man sollte<br />
Nachsicht üben mit unserem Prof.<br />
Mamlock; es war Frühling in Berlin.<br />
Außerdem habe ich es geschafft,<br />
mir zweimal „Oblivion“<br />
(Das Vergessen) mit Tom Cruise<br />
anzusehen (einmal mit meinem<br />
Kind und einmal mit Frau Puppendoktor<br />
Pille), obwohl ich den Kerl<br />
als Schauspieler ganz grässlich finde<br />
(von Scientology wollen wir gar<br />
nicht erst reden). Zweimal, weil ich<br />
dachte, die englische Originalversion<br />
nicht wirklich verstanden<br />
zu haben – aber ich hatte! Es geht<br />
um das Klonen von Menschen – im<br />
Prinzip die Fortsetzung der Faustund<br />
Metropolis-Sagas, nur, dass<br />
hier der Mensch von einer Art Maschine<br />
produziert wird, im Umkehrprinzip<br />
sozusagen.<br />
Wen interessiert eigentlich, was ich<br />
hier schreibe über all diese Horrorversionen<br />
von der Selbstüberschätzung<br />
menschlichen Größenwahns?<br />
Jetzt, wo die Natur so bunt und<br />
optimistisch ihr Eigenleben feiert?<br />
In diesem Sinne: Gebt auf sie Acht,<br />
was ja nicht heißt, dass Ihr grundsätzlich<br />
überteuerte Bio-Produkte<br />
kaufen müsst. Eure Daggie