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Jugendhilfe statt Strafe – 50 Jahre Jugendgerichtsgesetz<br />
Wir, Gisela Strauff, seit 1972, und<br />
Beate Esser, seit 1990, sind als Jugendgerichtshelferinnen<br />
tätig, können auf<br />
drei Jahrzehnte Reformen durch die<br />
Praxis zurückblicken und die Entwicklung<br />
des Jugendstrafrechtes und der<br />
Jugendgerichtshilfe für diesen Zeitraum<br />
aus eigenem Erleben und eigener<br />
Mitgestaltung heraus beschreiben.<br />
Die Praxis der 70er Jahre war in Köln,<br />
wie auch in anderen Städten, gekennzeichnet<br />
durch eine mangelnde Ausgestaltung<br />
der ambulanten Maßnahmen<br />
mit der Konsequenz, dass die<br />
Jugendgerichte verstärkt von Geldauflagen<br />
oder stationären Sanktionen<br />
Gebrauch machten. Der Widerspruch<br />
zwischen Anspruch (gestützt auf kriminologische<br />
Erkenntnisse) und Alltagspraxis<br />
(gekennzeichnet durch Arbeitsüberlastung)<br />
ließ das Jugendamt<br />
Köln 1979 zusammen mit Jugendrichtern<br />
und anderen Interessierten die<br />
Arbeit der „Brücke Köln e.V.“ von Anbeginn<br />
an unterstützen. Was zunächst<br />
als Vermeidung von Arrestverbüßung<br />
und als Angebot für das Jugendgericht<br />
konzipiert war, wurde durch die gute<br />
Kooperation mit der Jugendstaatsanwaltschaft<br />
sehr schnell zum unverzichtbaren<br />
Bestandteil des Diversionsverfahrens<br />
(Verfahrenseinstellung).<br />
Die 80er Jahre zeichneten sich durch<br />
verstärkte Inanspruchnahme der Handlungsspielräume<br />
aus, die das Jugendgerichtsgesetz<br />
der Jugendhilfe gewährt.<br />
Seit der Aufbruchstimmung<br />
des 18. Deutschen Jugendgerichtstages<br />
1980 in Göttingen gehören das<br />
Angebot ambulanter Maßnahmen und<br />
Sinnvolle Arbeit macht auch Mühe<br />
die Diversion im Jugendstrafverfahren<br />
beim Jugendamt Köln zum Standard.<br />
Schon im Sommer 1980 nahm „Die<br />
Brücke Köln e.V.“ als bundesweit zweites<br />
Projekt ihre Arbeit auf. Mit der<br />
Vermittlung von Sozialdiensten und der<br />
Betreuung der Einsatzstellen leistet der<br />
Träger einen wichtigen Beitrag zur<br />
Diversion im Jugendstrafverfahren. Ein<br />
Jahr später konnte die Betreuungsweisung<br />
als eigenständige Maßnahme<br />
angeboten werden. 1981 beschließt<br />
der Rat der Stadt Köln, die ambulanten<br />
Maßnahmen um ein zusätzliches<br />
Element „Soziale Trainingskurse“ zu<br />
erweitern, und die Arbeiterwohlfahrt<br />
mit der Durchführung zu beauftragen.<br />
1986 (4 Jahre vor der Aufnahme des<br />
Täter-Opfer-Ausgleichs in den Maßnahmenkatalog<br />
der Weisungen gem.<br />
§ 10 Jugendgerichtsgesetz durch das<br />
1. JGGÄndG 1990) wurde der Täter-<br />
Opfer-Ausgleich in Köln durch das Projekt<br />
„Die Waage Köln e.V.“ als Modellversuch<br />
erprobt. Das Projekt arbeitet<br />
seither als unverzichtbarer Bestandteil<br />
der ambulanten Maßnahmen vorwiegend<br />
im Diversionsbereich.<br />
Die 90er Jahre brachten mit der Einführung<br />
des KJHG als Leistungsgesetz<br />
entscheidende Änderungen im Selbstverständnis<br />
der Jugendgerichtshilfe als<br />
Teil Jugendhilfe mit sich. Zu nennen<br />
sind die Prüfung geeigneter Leistungen<br />
der Jugendhilfe gem. § 52 KJHG,<br />
die von erheblicher Bedeutung für die<br />
Haftentscheidungshilfe gem. § 72 a<br />
JGG und Haftvermeidung oder Haftverkürzung<br />
sind. Im Rahmen der Spezialprävention<br />
sind Jugendgerichtshilfe<br />
und Allgemeiner Sozialer Dienst<br />
(ASD) bei der Einrichtung und Abstimmung<br />
geeigneter Maßnahmen zur Vermeidung<br />
von kriminellen Karrieren<br />
zusammengerückt. Mit der Diversion<br />
und dem ausgeweiteten Verständnis<br />
über die Tätigkeit der Jugendgerichtshilfe<br />
im gesamten Verfahren ist neben<br />
der Justiz und der Jugendhilfe die<br />
Polizei als Verfahrensbeteiligte aufgenommen<br />
worden. Deren Mitwirkung<br />
ist in einigen gemeinsamen Runderlassen<br />
geregelt:<br />
– Richtlinien zur Förderung der Diversion<br />
im Jugendstrafverfahren (Diversionsrichtlinien)<br />
gem. RdErl. d. Justizministeriums,<br />
d. Ministeriums für<br />
Arbeit, Gesundheit und Soziales, d.<br />
Innenministeriums u.d. Kulturministeriums<br />
v. 01.02.1992.<br />
– Gem. RdErl. d. Justizministeriums, d.<br />
Ministeriums für Arbeit, Gesundheit<br />
und Soziales u. d. Innenministeriums<br />
zum Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendstrafverfahren<br />
vom 14.03.1995.<br />
– Gem. RdErl. d. Justizministeriums, d.<br />
Ministeriums für Arbeit, Gesundheit<br />
und Soziales u. d. Innenministeriums<br />
zur Haftentscheidungshilfe vom<br />
03.05.1995.<br />
Aus Sicht der Jugendgerichtshilfe<br />
bietet das Jugendgerichtsgesetz innerhalb<br />
des gesetzlichen Rahmens große<br />
Handlungsspielräume zur Weiterentwicklung<br />
der erzieherischen Einflussmöglichkeiten<br />
auf junge Straftäter. Es<br />
kann aber auch – wie seit einigen Jahren<br />
zu beobachten – als Spielball in<br />
politischen Meinungsbildungsprozessen<br />
benutzt und zur Disposition gestellt<br />
werden. Wir meinen, dass eine<br />
Rechtsprechung, die dem jeweiligen<br />
Zeitgeist entsprechen will, nicht dazu<br />
geeignet ist, Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit<br />
zu fördern und die Verinnerlichung<br />
von Rechtsnormen zu stärken.<br />
Wir wollen uns im Interesse der uns<br />
anvertrauten jungen Menschen<br />
weiterhin dafür einsetzen, dass der<br />
entscheidende Grundgedanke der Vorrangigkeit<br />
von Erziehung gegenüber<br />
Strafe erhalten bleibt.<br />
Gisela Strauff,<br />
gisela.strauff@stadt-koeln.de<br />
Beate Esser, beate.esser@stadt-koeln.de,<br />
Jugendgerichtshilfe des Amtes für<br />
Kinder, Jugend und Familie der<br />
Stadt Köln<br />
10 1/04