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86 KULTUR · KUNSTSZENE · IR AN<br />

IRAN · KUNSTSZENE · KULTUR<br />

87<br />

Etwa zwei Drittel der Iraner sind jünger als 25 Jahre. Sie<br />

blicken auf die Vergangenheit ihrer Eltern unter den<br />

letzten Pahlavi-Königen zurück, als sich auch Kunst<br />

und Kultur freier ausleben konnten und westliche Einflüsse<br />

eine zentrale Rolle einnahmen. Sie kennen die<br />

Geschichten, warum ihre Väter und Mütter den despotischen<br />

Schah stürzten, doch sehen auch, dass es für<br />

sie nicht besser geworden ist.<br />

Gemäß offizieller Rhetorik befindet sich die Islamische Republik<br />

noch immer in der Phase der 1979 begonnenen Revolution, und dementsprechend<br />

soll ihre Jugend »revolutionäre Kunst« hervorbringen.<br />

Dass die meisten jungen Iraner daran wenig Interesse haben, ist augenfällig.<br />

Und so leben sie in einer aufzehrenden Lebenswirklichkeit<br />

zwischen der Vergangenheit, ihren eigenen Wünschen und den oft<br />

weltfremden Ansprüchen der Islamischen Republik.<br />

Sie spielen ein Versteckspiel mit den Behörden, arbeiten mit improvisierter<br />

Infrastruktur und treffen sich in versteckten Galerien und<br />

Proberäumen. Bei der Vorbereitung der nächsten Ausstellung ermahnt<br />

eine Galeristin alle Anwesenden: »Bitte stellt die Telefone ab, sie können<br />

von der Regierung abgehört werden.« Zugleich kämpfen sie um<br />

Aufmerksamkeit und gegen die ständigen Verbote, die drohenden Bestrafungen.<br />

Dafür höhlen sie die Gesetze aus oder umgehen sie ganz:<br />

Singende Frauenstimmen sind verboten. Also sitzen oft Männer im Hintergrund<br />

eines Theaterstücks und singen leise bei den Passagen der<br />

Frauen mit. Das geht nicht immer gut und zeigt vor allem die Absurditäten<br />

der Gesetze. Andere müssen vollkommen anonym bleiben.<br />

Bei moderner Musik – Rap oder Rock – sind die Revolutionswächter<br />

besonders radikal. Ein junger Heavy-Metal-Musiker, der bei einem<br />

illegalen Konzert von der Polizei festgenommen wurde, erzählt von seinem<br />

Verhör: »Sie fragten mich, ob ich Blut trinke und Fliegen esse.«<br />

Iranische Rapper existieren meist nur auf illegalen Tapes, die unter der<br />

Hand weitergereicht werden.<br />

Teheran als pulsierende Hauptstadt-Metropole mit mehr als 15 Millionen<br />

Einwohnern stellt die Speerspitze der Jugendbewegungen im<br />

Land dar. Mit ständig neuen Ideen überrascht die totgeschwiegene iranische<br />

Jugend hier immer wieder Behörden und Außenstehende. Sie<br />

lebt in einer kulturellen Untergrundszene voller Kreativität und Provokation.<br />

Junge Teheraner sagen: »Es gibt hier nichts, was du dir nicht<br />

vorstellen kannst! Du musst es nur finden.«<br />

Die Fotoarbeit »Die Stadt der Verbote« des Schweizer Fotografen<br />

Stefan Maurer bietet einen Einblick in diese Lebenswelt, die sonst der<br />

Öffentlichkeit verborgen bleibt, und zeigt Menschen, die jung und mit<br />

der Welt vernetzt ihre Ideen und Projekte vorantreiben. Maurer sagt<br />

über Teheran, am meisten habe ihn beeindruckt, »wie junge Menschen<br />

unter diesen schwierigen Umständen den Glauben an das Gute, den<br />

Willen und den Humor nicht verlieren«.<br />

Friedrich Schulze<br />

Trekking in den Bergen nördlich von Teheran. Ein Student badet<br />

im Bergsee, im Hintergrund ist der imposante Berg Damawand<br />

zu sehen. Teheraner lieben die Berge. An den Wochenenden<br />

treffen sich dort Familien, Pärchen und Freunde zum Wandern,<br />

Picknicken, Flirten, Alkoholtrinken und Kiffen.<br />

Die jungen Besitzer der<br />

modernen und geschmackvoll<br />

eingerichteten Kaffeebar<br />

»Talkh« zeigen Stil. Sie spielen<br />

mit Vorliebe Pink Floyd,<br />

servieren hervorragenden<br />

Espresso und organisieren<br />

wöchentliche Live-Konzerte.<br />

·<br />

Die Modekollektion hat die<br />

Künstlerin Negar (Name<br />

geändert) entworfen. Sie<br />

will wegen der regimekritischen<br />

Inhalte ihrer Werke<br />

anonym bleiben. Das Futter<br />

der Mäntel zeigt Symbole, die<br />

indirekt oder direkt auf die<br />

Missstände im Land<br />

hinweisen.<br />

Stefan Maurer wurde 1976 in Bern geboren, wo er Neue Medien mit<br />

Schwerpunkt klassische Reportagefotografie studierte. Seit 2003 ist er<br />

weltweit mit eigenen Projekten tätig, für die er sich oft über einen längeren<br />

Zeitraum mit sozialen, kulturellen und religiösen Themen beschäftigt.<br />

Seit 2007 arbeitet Maurer auch als Ausstellungskurator und vermehrt<br />

mit Neuen Medien sowie im Bereich Kurzdokumentar- und Animationsfilm.<br />

Für sein Fotoprojekt in Teheran erhielt er 2010 den Werkbeitrag<br />

des Kantons Bern.

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